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»Ausländersein« an der Hauptschule Interaktionale Verhandlungen von Zugehörigkeit im Unterricht
»Ausländersein« an der Hauptschule
Interaktionale Verhandlungen von Zugehörigkeit im Unterricht




Olga V. Artamonova

Transcript
EAN: 9783837634617 (ISBN: 3-8376-3461-2)
320 Seiten, paperback, 15 x 23cm, April, 2016, kart., zahlr. Abb.

EUR 29,99
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Neues aus Kanakistan? Was passiert, wenn »Migrationshintergrund« zu einem selbstverständlichen Bestandteil der alltäglichen Kommunikation wird? Olga V. Artamonova präsentiert ungewöhnliche Erkenntnisse aus einem selten erforschten Feld: der Hauptschule. Anhand einer mehrmonatigen ethnographischen Untersuchung in einer siebten Klasse zeigt sie, wie Haut- und Haarfarbe, Herkunftsländer und Religion der einzelnen Schüler_innen im spielerischen und hochdynamischen Kommunikationsalltag für den Erhalt der Gruppenzusammengehörigkeit eingesetzt werden, zugleich aber auch zu Exklusionen führen.

Die soziolinguistische Studie wirft auch einen kritischen Blick auf den Umgang der Lehrer_innen mit der Heterogenität im modernen Fachunterricht und analysiert die außerschulische Kommunikation der Hauptschüler_innen auf Facebook, wo sich eine dauerhafte Auseinandersetzung mit dem Thema »Ausländersein« beobachten lässt.

Olga V. Artamonova, geb. 1986, forscht zu den Themen Ethnizität, Schule und Mehrsprachigkeit in Hamburg.
Rezension
Obwohl Migrationsprozesse und der damit gekoppelte Kulturaustausch seit mehreren Jahrhunderten in Europa präsent sind, spricht man erst heute von »Superdiversität« auf allen Lebensebenen spricht. Die Superdiversität bringt zahlreiche Vorteile mit sich: freie Handelszonen, homogenisiertes EU-Recht, Tourismus, freie Arbeits- und Bildungsmobilität, Wirtschaftskooperationen sowie die Verbesserung der internationalen Beziehungen. Deutschland ist ein multiethnisches, mehrsprachiges Land Europas, in dem zahlreiche Ethnien und Kulturen täglich interagieren. Ethnische und kulturelle Diversität bringt den Ausbau der linguistischen Diversität oder Mehrsprachigkeit mit sich. Durch Globalisierungsprozesse entstehen neue Sprachentwicklungen. Im Kern von Superdiversität und Mehrsprachigkeit liegt eine komplett neue Vision der Identitätsfrage einzelner Gesellschaftsmitglieder. Wie der Umgang mit Ethnizität und anderen Differenzen im Unterricht selbst abläuft, ist jedoch so gut wie nicht erforscht. Im Kontrast zur Internationalisierung zahlreicher Lebensbereiche in der freien Wirtschaft bleibt die Schule eine geschlossene Institution, die durch ihre Normierungsabläufe die Prinzipien des monolingualen Habitus bewahrt und verteidigt. Weder Soziologie noch Erziehungswissenschaft waren bis jetzt in der Lage, den interaktiven Umgang mit Ethnizität und Mehrsprachigkeit am Beispiel authentischer Daten aus dem Unterricht systematisch zu analysieren oder mindestens zu präsentieren. Diese Phänomene kann lediglich die Teilnahme am schulischen Alltag selbst klären. Dies wird im Rahmen der vorliegenden Fallstudie versucht.

Dieter Bach, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Was passiert, wenn »Migrationshintergrund« zu einem selbstverständlichen Bestandteil der alltäglichen Kommunikation wird? Der Band präsentiert ungewöhnliche Erkenntnisse aus einem selten erforschten Feld: der Hauptschule.

Schlagworte:
Hauptschule, Ethnizität, Zugehörigkeit, Migrationshintergrund, Sprachspiel, Diskriminierung, Stigmatisierung, Bildung, Migration, Bildungsforschung, Sprachwissenschaft, Pädagogik
Adressaten:
Erziehungswissenschaft, Soziolinguistik, Germanistik, Kulturwissenschaft, Interkulturelle Kommunikation, Soziologie, Pädagogik

»Wenn [...] die mehrsprachigen Jugendlichen innerhalb oder außerhalb der Schule miteinander kommunizieren, werden sprachliche und kreative Potentiale sichtbar, die die Schule bisher im besten Fall ignoriert, häufig aber auch abwertet, statt sie zu pflegen und zu nutzen. Die vorliegende Dissertation lädt Lehrkräfte (nicht nur an Hauptschulen) überzeugend dazu ein, sich dieser Aufgabe zu stellen.«
Wolfgang Berg, www.socialnet.de, 03.06.2016 Besprochen in:

http://www.via-bund.de, 6 (2016)
Inhaltsverzeichnis
Danksagung | 9
Einleitung | 11

Teil I. Makrotheoretischer Kontext der Zugehörigkeitsprozesse im Bildungswesen

1. Exkurs zum migrationsschulischen Kontext Deutschlands | 17
1.1 Migrationshintergrund als Faktor des schulischen Misserfolgs | 17
1.2 Heterogenität, Kulturkapital und »sprachliches Reinheitsgebot« | 23
1.2.1 Zum Kulturkapital bei Bourdieu | 23
1.2.2 Bildungsungleichheit: Soziolinguistische Perspektive | 27
1.2.3 Zum »monolingualen Habitus« | 28
1.3 Hauptschule: »Sammelbecken für Verlierer« | 32
1.4 Zielsetzung und Fragestellung | 34

2. Zugehörigkeitshervorhebung, -zuschreibung und -bewertung | 37
2.1 Wie lässt sich Zugehörigkeit erkennen? | 37
2.2 Grenzziehung und die Suche nach Anschluss | 39
2.3 »Mitgliedschaftskategorisierung«: Kognitive Herstellung der Zugehörigkeit | 40
2.4 Kommunikative Hervorbringung der Zugehörigkeit im Gespräch | 49
2.5 Komponenten der Zugehörigkeit | 52
2.6 Stil und kommunikative Sozialwelten | 56
2.7 Stile und Zugehörigkeit | 60
2.8 Zugehörigkeit in Jugendinteraktionen | 61
2.9 Riskanter Humor als Differenzbearbeitungsstrategie | 64
2.9.1 Konversationelle Humorpraktiken als Beziehungsindikator | 65
2.9.2 Riskante Humorstile als In-Group-Indiz | 67
2.9.3 Frotzeleien als In-Group-Aktivitäten | 68

3. Methoden einer hauptschulischen Fallstudie: Ethnographie und Konversationsanalyse | 73
3.1 Zu den ethnographischen Fallstudien | 73
3.2 Ethnographie der Fallstudie | 77
3.2.1 Teilnehmende Beobachtung | 77
3.2.2 Ethnographisches Wissen im schulischen Alltag | 79
3.3 Konversationsanalyse im schulischen Setting | 81
3.4 Konversationsanalyse im Unterrichtskontext: Initiierung-Antwort-Evaluation | 84
3.5 Kontextualisierung der Zugehörigkeitsarbeit: Soziolinguistische Ansätze | 85
3.6 Ethnographisches Vorgehen: Feldarbeit | 87
3.6.1 Der Zugang zum Feld | 89
3.6.2 Ablauf der Feldarbeit | 93
3.6.3 Erworbene Materialien | 93
3.6.4 Integration in die Gruppe: Persönlicher Einsatz | 94
3.6.5 Die Rolle von Facebook | 95
3.7 Überblick: Sprachen und Ethnizitäten in der Klasse | 96
3.8 Umgang mit Mehrsprachigkeit in der Schule | 98
3.9 Ethnographische Porträts | 99
3.9.1 Porträts der Lehrpersonen | 99
3.9.2 Porträts der Schüler | 100
3.10 Unterrichtsgestaltung | 103
3.11 Spiel als gruppenbildende Aktivität | 104

Resümee Teil I | 106

Teil II. Zugehörigkeitsherstellung und interaktionale Bearbeitung von Differenzen in H7

4. Die imaginäre Welt der Kanaken: Zugehörigkeitszuschreibungen in einer multiethnischen Klasse | 109
4.1 Situative Identitäten interaktiv hergestellt | 109
4.2 Kanakistanische Identität: Zur Fremd- und Selbstbezeichnung der Klasse | 112
4.3 Interaktional (ko-)produzierte Normalitäten | 124

5. Interaktionale Bearbeitung der ethnischen Zugehörigkeiten | 145
5.1 Prozesse der Konstruktion von Anderssein | 145
5.1.1 Externe Herstellung von Fremdheit | 145
5.1.2 Die Herstellung des eigenen Andersseins: Spiel mit Hyperstereotypen | 152
5.2 Herkunftshervorbringung als Disziplinarmaßnahme | 159
5.3 Gefühlsmanagement und Nachverbrennungen als Verarbeitung der gesichtsbedrohlichen Angriffe | 168
5.4 (Kumpel-)Sprechstil: Vergemeinschaftungsversuch | 187

6. Gesichtsbedrohende Kategorisierungen nach Aussehen | 195

Resümee Teil II | 208

Teil III. Mehrsprachige Realitäten der Schüler und ihre Realisierung in (außer‑)Schulischen Kontexten

7. Polylinguale Praktiken im (monolingualen) Unterricht | 217
7.1 Mehrsprachigkeit als polykulturelles Selbstverständnis | 217
7.2 Ausübung der Mehrsprachigkeit in schulischen Räumen | 219
7.2.1 Code-Switching im Unterricht: »Ausländisch« in der Nebenkommunikation | 224
7.2.2 Das Ausländisch der Lehrer: Annäherungsversuch | 239

8. Interaktionsdynamiken im Ethikunterricht: »Doing Ausländer« | 243

9. Die virtuellen linguistischen Landschaften der Schüler: Dissens-Diskurs | 259
9.1 Ausbau der multikulturellen virtuellen Landschaften | 262
9.2 Ausbau der mehrsprachigen virtuellen Landschaften | 267
9.2.1 Das Deutsch der Russlanddeutschen | 268
9.2.2 Türkisch und »Basteleien« | 274
9.2.3 Lingala: Virtuoses Polylanguaging | 275

Resümee Teil III | 282

Zusammenfassung | 283

Abkürzungsverzeichnis | 287

Anhang 1 | 289
Die Transkriptionskonventionen nach GAT 2 | 291
Bibliographie | 293