Liebe Leserin, lieber Leser
Die Adventsnummer dieses Jahres zur «Maria» beginnt mit der Geschichte eines Jungen, der an der Strassenbahn steht und auf seine Mutter wartet. Und obwohl seine Mutter lange, lange nicht kommt, bleibt der Junge tapfer an seinem Ort, steht trotzig da mit seiner von der Kälte purpurn geröteten Nase und wartet, während leise und stetig immer dichterer Schnee auf Strassen, Häuser und Dächer fällt ...
Auch die Geschichten um die Geburt Jesu im Lukasevangelium handeln von Menschen, die sich nicht von ihrer Hoffnung abbringen lassen und standhaft weiter auf die Geburt eines Erlösers warten ... Es sind erwachsene Menschen. Und sie warten in schwierigen Zeiten auf ein Kind. Eine unter ihnen ist die schwangere Maria, eine junge Frau aus dem Volk. In ihrem Leben wird das sehnliche Warten zur konkreten Erwartung.
Im Spannungsfeld zwischen beiden Polen bewegt sich auch die christliche Marienverehrung. Da gibt es auf der einen Seite immer wieder die kindliche Sehnsucht, in Zeiten der Not («in times of troubles», wie es im berühmten Marienlied der Beatles heisst) auch vom Himmel mütterliche Zuwendung zu erfahren («words of wisdom: let it be»). Und auf der anderen Seite gibt es auch ein Bedürfnis nach Identifikation mit Maria, der erwachsenen Frau, die - auch hier in Zeiten der Not und Verfolgung (im «Gang durch den Dornwald», wie es in einem alten Marienlied heisst) - bereit ist, ein Kind zu empfangen und für dieses einzustehen.
Als ihr vom Engel die Geburt eines besonderen Kindes angekündigt wird, formuliert Maria in einem inzwischen weltberühmten Loblied (dem «Magnificat») die Hoffnung auf einen radikalen Umsturz der irdischen Machtverhältnisse. Eine solch grundlegende Neuordnung müsste zentral auch die Beziehungen zwischen Frauen und Männern betreffen. Doch im Zentrum des abendländischen Symbolsystems stehen unverändert Begriffe wie «Vater» und «Sohn». Daran hat auch die traditionelle Marienverehrung wenig geändert, denn auch sie diente oft der Überhöhung patriarchal geprägter Frauenbilder. Protest gegen solche Fixierungen kommt immer wieder aus der modernen Kunst. So zeigt etwa Munchs Maria mit dem roten Schein einen Versuch, das Heilige mitten im Leben wahrzunehmen - gerade auch dort, wo geprägte Bilder und Rollen für neue Sichtweisen aufgebrochen und überschritten werden.
Michael Zangger
Inhaltsverzeichnis
MARIA - MADONNA
>>>> Zum Thema
Buchhinweis
Wann kommt Mama? 3
Othmar Keel
Vom Thron der Weisheit zur Himmelskönigin 4
>>>> Unterrichtsbeiträge
US/MS
Monika Schumacher
«Mir ist die Maria lieber als Jesus» 10
MS
Marie-Theres Pürro, Irene Hofstetter
Wege zu Maria 16
MS/OS
Andreas Marti
«Maria durch ein' Dornwald ging» und «Let it be» 20
OS
Hans-Jakob Schibier
Die Pieta des Michelangelo 22
OS
Andreas Hohn
Der rote Heiligenschein 27
>>>> Religion und Kultur
Interview mit Cornelia Vogelsanger
Die Schwarze Madonna gibt nicht - sie nimmt 32
Verena Scholl
Rembrants biblische Frauenporträts
Wie Rembrandt mit Maria den Weg zu einer Malerei der Zärtlichkeit findet. 33
>>>> Medienhinweise 34