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Trostlose Vernunft? Vier Kommentare zur Jürgen Habermas' Konstellation von Philosophie und Geschichte, Glauben und Wissen
Trostlose Vernunft?
Vier Kommentare zur Jürgen Habermas' Konstellation von Philosophie und Geschichte, Glauben und Wissen




Burkhard Liebsch, Bernhard H. F. Taureck

Meiner Hamburg
EAN: 9783787339716 (ISBN: 3-7873-3971-X)
247 Seiten, paperback, 13 x 21cm, 2021

EUR 24,90
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Philosophie spendet keinen Trost und garantiert keine Versöhnung, lehrt Habermas in seinem kürzlich erschienenen Werk »Auch eine Geschichte der Philosophie«. Bedarf derart ernüchtertes Wissen eines funktional komplementären Glaubens, wie es in Habermas’ selektiven Rückgriffen auf die Philosophiegeschichte den Anschein hat?
Rezension
Im Jahr 2019 erschien Jürgen Habermas' geschichtsphilosophisches Werk "Auch eine Geschichte der Philosophie", das mit gut 1800 Seiten in zwei Bänden ein regelrechtes Opus magnum darstellt. Dabei handelt es sich nicht um eine klassische Philosophiegeschichte, sondern vielmehr um die Darstellung der Genese des philosophischen Denkens in Auseinandersetzung auch mit theologischen Perspektiven. Zurecht wurde Habermas' Alterswerk in allen großen Feuilletons gelobt, auch wenn man im philosophischen Denken gut geschult sein sollte, um das Werk zu verstehen. Im Jahr 2020 war Habermas' Schrift sogar für den deutschen Sachbuchpreis nominiert.
In der Blauen Reihe bei Meiner ist nun eine erste Auseinandersetzung mit Habermas' Werk erschienen: Der Bochumer Philosoph Burkhard Liebsch (Ruhr-Universität) und der Braunschweiger Philosoph Bernhard H. F. Taureck (TU Braunschweig) geben in der Monographie "Trostlose Vernunft?" vier Kommentare zu Habermas' Konstellation von Philosophie und Geschichte, Glauben und Wissen (so der Untertitel der Schrift). Folgende Kapitel finden sich darin: I. Geschichtliche Perspektiven ›heil‹-loser Vernunft. Jürgen Habermas’ implizite Geschichtsphilosophie – und was sie vermissen lässt (Liebsch), II. Philosophie und religiöser Glaube. Versuch weiterführender Überlegungen in Auseinandersetzung mit Jürgen Habermas (Taureck), III. Rückhaltlos verweltlicht? Philosophie vor ihrer Auflösung oder Verwirklichung (Liebsch), IV. Beantwortung der Frage: Welche verborgene Rolle spielt Habermas’ demokratisches Projekt in seinem Opus magnum von 2019? (Taureck).
Kritisch würdigen die Autoren Habermas' Schrift im Vorwort zunächst wie folgt: "In einer heroischen Denkbewegung versucht Habermas die griechische Metaphysik, ihre christliche Fortsetzung, die Renaissance, den Deutschen Idealismus und den nachfolgenden Aufbruch der Philosophie in Richtung einer 'terra incognita' als Lernprozess zu verstehen, wobei zugleich fernöstliche Varianten der Achsenzeit mitbedacht werden. Habermas bleibt dabei vergangenheitsorientiert, während er zugleich bemüht ist, seine von ihm dargestellte Vergangenheit als Wissensvoraussetzung der Gestaltung einer universellen Zukunft nahezulegen" (12). Sie selbst sehen sich dann eher als Kritiker und Weiterdenker der Theorie Habermas', die sie nicht unkommentiert gelten lassen wollen. Sie schreiben: "Wir streben mit den (...) Beiträgen selbstverständlich keinen vorzeitigen Abschluss der Debatte an, die seine beiden Bände anstoßen werden (...). Vorläufig erlauben wir uns im Folgenden denn auch lediglich heterodoxe Nachfragen mit Blick auf von Habermas teils ignorierte, teils anders rekonstruierte Überlieferungen, aber auch mit Rücksicht auf praktische Herausforderungen der Gegenwart und einer Zukunft, der mit kommunikativer Rationalität allein, wie sie Habermas unentwegt verteidigt, nicht beizukommen sein wird" (11f.).

So lässt sich zusammenfassend feststellen: In der vorliegenden Monographie wird eine kritische, gleichwohl aber auch gelungene Auseinandersetzung mit Habermas' geschichtsphilosophischem Werk geboten. Wer sich mit Habermas' Schrift befassen will, dem möchte man unbedingt dazu raten, auch zu Liebsch und Taureck zu greifen, die mit ihren Kommentaren Habermas nicht nur interpretieren, sondern weiterdenken, indem sie dem Werk neue inhaltliche Perspektiven abgewinnen und die Debatte um Habermas' "Auch eine Geschichte der Philosophie" äußerst bereichern.

S. Düfel, www.lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Als Aufklärer will Habermas nicht zu jenen »leidigen Tröstern« gehören, über die schon Kant seinen Spott aus gegossen hat. Vielmehr bekennt er sich wie bereits Hegel zur »prinzipiellen Trostlosigkeit« philosophischen Denkens und gibt auch jede Aussicht auf finale Versöhnung eines Geistes preis, der aus der Asche jeglicher Vernichtung »verjüngt« hervorgehen können sollte, um so Kapital aus dem Tod zu schlagen. Darüber hinaus verzichtet Habermas auch auf Glücks­, Sinn­ oder Erlösungsversprechen, die sublunare Wesen ›letztlich‹ vielleicht allein interessieren. Er legt einen weiten Weg der Ernüchterung zurück, an dessen vorläufigem Ende wir heute stehen, wo Philosophie durch rigorose Aufklärung da rüber, was sie vermag – und was nicht –, ihre eigene Auflösung zu gewärtigen hat. Burkhard Liebsch und Bernhard H. F. Taureck gehen in vier historisch und sozial­philosophisch ausgerichteten, reichhaltigen Kommentaren den Stationen dieser Ernüchterung nach und verdeutlichen, welche Potenziale Habermas’ eigentümliche Konfiguration von Glauben und Wissen, Philosophie und Geschichte opfert.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 7

KAPITEL I: Geschichtliche Perspektiven ›heil‹-loser Vernunft
Jürgen Habermas’ implizite Geschichtsphilosophie – und was sie vermissen lässt.
Von Burkhard Liebsch 15

1. Geschichte der Philosophie als Philosophie der Geschichte? 17
2. Rückblick auf Herder 25
3. Zur geschichtsphilosophischen Dimension kommunikativer Rationalität 28
4. Verarmung kommunikativer Vernunft und autonomer Selbstbestimmung 39
5. Geschichte als Lernprozess? 45
6. Gegenthesen 56
7. Schluss 69

KAPITEL II: Philosophie und religiöser Glaube
Versuch weiterführender Überlegungen in Auseinandersetzung mit Jürgen Habermas.
Von Bernhard H. F. Taureck 73

1. Das thematische Spektrum. Das Ziel: Fortsetzung des philosophischen Denkens 75
2. Religionskritik und die Rückkehr des Heiligen 79
3. Elemente und Modelle des Profanen und des Sakralen 84
4. Erstes Beispiel: Die scholastische Mittelalterzeit 86
5. Zweites Beispiel: Was in der Zeit Machiavellis geschah 97
6. Drittes Beispiel: Die Zeit Kants, Goethes, Hegels, Schleiermachers 105
7. Transzendenz: Wozu christliche Gläubigkeit dient. Nietzsches verfehlte Rechtfertigung des Christentums 113
8. Die fides qua und die fides quae bei Habermas 115
9. Inwiefern universalisiert das Christentum den Sinn der Achsenzeit? 118
10. Was bedeutet religiöser Glaube? 121
11. Luther: Erlösung als selbstentzweiter Glauben 125
12. Gott als Abgrund bei Kant und Einsamkeit Gottes bei Hegel 132

KAPITEL III: Rückhaltlos verweltlicht?
Philosophie vor ihrer Auflösung oder Verwirklichung.
Von Burkhard Liebsch 147

1. Nichtendenwollende Moderne 149
2. Praktische Perspektiven trostloser Philosophie 152
3. Da-sein, Geschichte und Gewalt 160
4. Vom Bedürfnis nach Selbstvergewisserung zur Sensibilität 164
5. Konterkarierte Rationalität 170
6. Endlich in der Welt angekommen? 173
7. Ausgesetzt und ausgeliefert? 180

KAPITEL IV: Beantwortung der Frage: Welche verborgene Rolle spielt Habermas’ demokratisches Projekt in seinem Opus magnum von 2019 ?
Von Bernhard H. F. Taureck 185

1. Drei Optionen 187
2. Demokratie als Projekt 191
3. Die übersehene Aspektdifferenz einer künftigen Demokratie 194
4. Inwiefern demokratisch-selbstbezügliche Herrschaft des Allgemeinen zur Selbstzerstörung des Staatsvolkes führen würde 197
5. Inwiefern Habermas an die US-Republik unter dem Nameneiner »Demokratie« anknüpft 199
6. Welcher Topologie folgt Habermas? 206
7. Votum für eine Erweiterung der okzidentalen Rationalität durch die Weisheitslehren des Laotse als Konsequenz aus der Achsenzeit 206