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Luther und Paulus Die exegetischen und hermeneutischen Grundlagen der lutherischen Rechtfertigungslehre im Paulinismus Luthers
Luther und Paulus
Die exegetischen und hermeneutischen Grundlagen der lutherischen Rechtfertigungslehre im Paulinismus Luthers




Volker Stolle

Evangelische Verlagsanstalt
EAN: 9783374019908 (ISBN: 3-374-01990-0)
528 Seiten, hardcover, 15 x 24cm, 2002

EUR 48,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
In dieser Arbeit wird der Paulinismus Luthers zum ersten Mal umfassend dargestellt und durchgehend mit einer historisch-kritischen Paulusexegese verglichen. Beide Seiten werden in ihrem Gegenüber charakterisiert. Luthers Paulusrezeption wird dabei von ihren Anfängen über die Ausbildung eines spezifischen Paulinismus und dessen konsequente Ausgestaltung bis zu ihrer Auswirkung auf die Bekenntnisbildung der lutherischen Kirche untersucht. Schließlich wird noch der Wirkung nachgegangen, die bis heute in den ökumenischen Lehrgesprächen zu beobachten ist. Die Untersuchung verfolgt das Ziel, eine stärkere Begegnung zwischen den biblisch-theologischen und den theologiegeschichtlich-systematischen Forschungsdisputen anzuregen und damit auch einen weiterführenden Beitrag zum ökumenischen Gespräch zu leisten.



Volker Stolle, Jahrgang 1940, Dr. theol., ist Direktor der Lutherischen Kirchenmission (Bleckmarer Mission) und seit 1984 Professor für Neues Testament an der Lutherischen Theologischen Hochschule in Oberursel mit einem zusätzlichen Lehrauftrag für Missiologie.


Rezension
Volker Stolle, Neutestamentler an der Lutherischen Theologischen Hochschule Oberursel, stellt sich in diesem Werk der überaus spannenden, aber ebenso komplexen wie viel umstrittenen Frage nach den Grundlagen von Luthers Lehre von der ‚Rechtfertigung des Menschen allein aus Gnaden durch Glauben’ in den Briefen des Apostel Paulus: inwieweit kann Luthers Theologie – die dieser ja allen voran an Paulus entwickelt hat bzw. entwickelt zu haben glaubt – auch tatsächlich an den Aussagen des Paulus verifiziert werden? Gerade in den letzten Jahren hat dabei vor allem der Streit innerhalb von Theologie und Kirche um die Gemeinsame Erklärung bzw. Gemeinsame Offizielle Feststellung zur lutherischen Rechtfertigungslehre von evangelisch-lutherischer und römisch-katholischer Kirche von der (auch) ökumenischen Brisanz dieses Themas gezeugt, dem Stolle hier eine gründliche, solide und auf 'Wahrhaftigkeit' drängende Arbeit gewidmet hat.
Die Methode von Stolle ist dabei folgende: „Es sollen nicht etwa zunächst auf irgendeine Weise aus der gegenwärtigen Forschungslage Durchschnittsauffassungen über Paulus und Luther ermittelt und diese ‚Texte’ dann ins Gespräch miteinander gebracht werden. Vielmehr soll Paulus einerseits möglichst unabhängig von Luthers Anleitung gelesen werden, andererseits sollen Luthers Auslegungen in ihrem Bezug auf die Paulustexte analysiert werden. Beide Bilder sollen dann in ihrem Verhältnis zueinander gewürdigt werden“ (S. 71). Stolle orientiert sich dabei an Luthers historschen Entwicklungsgang für das Gerüst seiner detailreichen Gliederung, die „kritisch“ (im eigentlichen Wortsinn von „unterscheiden“) zum Fazit gelangt: Luther ging es in seiner Paulusinterpretation „letztlich gar nicht mehr um ein angemessenes Paulusverständnis, sondern um eine paulinisch legitimierte und deshalb paulinistisch gestaltete Ausformung seiner eigenen Theologie (...). Seine eigene Theologie bot Luther als Auslegung des paulinischen Grundtextes dar, der dadurch eine einzigartige Karriere erlebte“ (371). Die Frage bleibt natürlich, ob Stolle selbst dabei Paulus und Luther in allen Punkten wirklich getroffen hat (z.B.: hat Paulus sich tatsächlich im Römerbrief gegenüber dem Galaterbrief korrigieren wollen oder ist hier nicht vielmehr die Tatsache noch stärker in Betracht zu ziehen, daß die paulinischen Briefe Gelegenheitsschreiben sind und nichts anderes sein wollten?). Auch muß – keineswegs nur als ein Argument zur Rechtfertigung (im nicht-theologischen Sinn!) der lutherischen Theologie – betont werden, daß Luthers Theologie natürlich durchaus richtige und wichtige Positionen enthalten kann, auch wenn diese nicht genuin paulinisch sein mögen. Stolle macht in seinem profunden Werk aber einen großen Schritt in die richtige Richtung, im Rahmen der (lutherischen) Theologie - gerade innerhalb deren systematisch-theologischer Disziplin, wo dies auch heute leider noch zu oft geschieht - an die Theologie des Paulus nicht mehr nur mit ‚Vor-Urteilen’ (in hermeneutischen Sinn) von Luthers Auslegung und Theologie her heranzugehen bzw. herangehen zu können.

Gerhard Schreiber, Mitarbeiter für Lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 5

I Einleitung 13

1 Biblische Botschaft und geschichtliche Prägung 13
2 Luther und Paulus 23
2.1 Problemanzeige 24
2.2 Forschungsgeschichtlicher Rückblick 26
2.2.1 Kritische Stimmen anlässlich des Reformationsjubiläums 1917 27
2.2.2 Im Banne der Lutherkritik Schlatters 30
2.2.3 Kritik an Luthers Paulusinterpretation von einem neuen Paulusverständnis aus 43
2.2.4 Bedenken gegen einen kritischen Vergleich zwischen Paulus und Luther sowie fehlendes Problembewusstsein 49
2.3 Entwicklungen bei Luther wie bei Paulus 54
2.4 Die Veränderung des biblischen Kanons von Paulus zu Luther und das Phänomen der Intertextualität 59
2.5 Traditionsgeschichtliche Vernetzungen 62
2.6 Paulusauslegung im akademischen Bereich und im Gottesdienst 65
3 Paulus, Luther und die lutherische Kirche 67
4 Aufgabe und Anlage der Untersuchung 71

II Luthers autobiographische Selbstvorstellung als »Paulus« 73

1 Luthers Selbstverständnis als ein Paulus seiner Zeit 79
1.1 Die Wende vom Verfolger Christi zur Erkenntnis des Evangeliums 79
1.1.1 Luthers Auseinandersetzung mit dem Begriff der Gerechtigkeit Gottes 81
1.1.2 Luthers spätere Interpretation seiner exegetischen Erkenntnis als Lebenswende 86
1.2 Der Theologe des Kreuzes (Heidelberger Disputation 1518) 89
1.3 Der antiochenische Konflikt 94
1.4 Das briefliche Ich 97
1.5 Die Abwehr der galatischen Gegner und das »tragische« Schicksal des Wortes Gottes überhaupt 101
1.6 Weitere vermeintliche Gemeinsamkeiten 103
1.7 Luthers Paulinismus und seine Grenzen 105
2 Luther als Ausleger der Paulusbriefe 108

III Luthers frühe Beschäftigung mit Paulus im Kolleg (1513-1518) 117

1 Paulusinterpretation als Element der Psalmenauslegung (Dictata super Psalterium. 1513-1515) 119
1.1 Die Aktualität der paulinischen Theologie für Luther 119
1.2 Die Zusammenschau von Psalm 72,1 und Römer l,17 120
1.2.1 »Gerechtigkeit und Gericht« 122
1.2.2 Evangelium als Gerechtigkeit 122
1.2.3 Paulus und Luther 124
1.3 Psalm 112,9 125
1.4 Die zugrunde liegende Vorstellung von Gerechtigkeit 125
1.5 Von einem rhetorischen zu einem grammatischen Verständnis 126
2 Vorlesung über den Römerbrief. 1515/16 127
2.1 Das Anliegen des Römerbriefes 127
2.2 Die Aufnahme der Paulusinterpretation Augustins 133
2.3 Uminterpretation paulinischer Aussagen 136
2.4 Luthers eigener hermeneutischer Zugang 143
2.5 Luthers theologischer Ertrag aus seiner Römerbriefexegese 145
3 Vorlesung über den Galaterbrief. 1516/17 149
3.1 Freiheit vom Gesetz 149
3.2 Gerechtigkeit 151
3.3 Welt und Gott 152
3.4 Mensch und Christus 153
4 Vorlesung über den Hebräerbrief. 1517/18 155
4.1 Christi Kampf mit dem Teufel 156
4.2 Wort - Glaube – Herz 157

IV Luthers Argumentation mit Paulus im wissenschaftlichen Diskurs (1519-1521) 161

1 Der Kommentar zum Galaterbrief. 1519 162
1.1 Luthers Darstellung der paulinischen Theologie 163
1.2 Luthers Aktualisierung der paulinischen Theologie 167
1.3 Die Paulusexegese als Luthers eigenes Schicksal 169
2 Paulus und Luther in ihrem unterschiedlichen Verständnis von Gottesgerechtigkeit 170
2.1 Luthers Klärung seines Verständnisses der Gerechtigkeit vor Gott (Operationes in Psalmos. 1519-1521) 170
2.2 Interpretationsversuche 172
2.3 Luthers bleibende Abhängigkeit von der Auslegungstradition 176
2.4 Das paulinische Verständnis von Gottesgerechtigkeit 180
2.4.1 Die Ausgangssituation im Galaterbrief 182
2.4.2 Der paulinische Begriff Gottesgerechtigkeit in seinem biblischen Gewand 185
2.4.3 Der Zugewinn für die paulinische Theologie 190
2.5 Der Begriff und sein alttestamentlicher Hintergrund 197
2.6 Paulus und Luther 200
2.7 Nachhaltige Einwirkung der Paulusinterpretation Luthers auf die Paulusauslegung 203
3 Paulus und Luther: Ein Irrweg chrisdkher Frömmigkeit wird zu ihrer Normalsituation (Rationis Latomianae Lutherlana confutatio. 1521) 210
3.1 Luthers Interpretation von Römer 7 210
3.1.1 Insistieren auf dem Wortlaut 211
3.1.2 Der Begriff Sünde 212
3.1.3 Die Abgrenzung des Kontextes 213
3.l.4 Fortlaufende Auslegung 214
3.1.5 Das dogmatische Anliegen 215
3.2 Das Anliegen des Paulus 215
3.3 Der Schritt von Paulus zu Luther 220
4 Luthers eigentlicher Schlüssel bei seiner Paulusinterpretation: Rom 7,23 223
4.1 Die Buße als existentieller Ort der Rechtfertigungslehre Luthers 223
4.2 Die Verschiebung in der Bestimmung des Themas des Römerbriefes 227
4.3 Theologische Wertung des Ansatzes Luthers 229

V Luthers eigenständig geprägter Paulinismus seit 1522 233

1 Paulus und Luther: Vom Christusglauben Abrahams zum Christusglauben Adams und Evas (Weihnachtspostille. 1522) 239
1.1 Die Deutung des Samens Abrahams bei Paulus 239
1.2 Luthers Weiterführung des paulinischen Ansatzes der Deutung Abrahams 242
1.3 Die Spannung zwischen Paulus' und Luthers Konzeption 247
1.4 Luthers Originalität mit seiner Konzeption 248
1.5 Hermeneutische und theologische Bedeutung dieser Interpretation 250
2 Definition des Paulinischen im Rahmen des Kanons (Vorreden zum Septembertestament und zum Römerbrief. 1522) 254
2.1 Vorreden zum Septembertestament (l522} und zum Alten Testament (1523) 254
2.2 Vorrede zum Römerbrief im Septembertestament 256
2.2.1 Gesetz 259
2.2.2 Sünde 260
2.2.3 Gnade 261
2.2.4 Glaube 261
2.2.5 Gerechtigkeit Gottes 262
2.2.6 Fleisch und Geist 263
2.3 Luther und Paulus 265
3 Paulus und Luther: Von der Tora-Frömmigkeit Israels zur Willenserforschung durch das Gesetz {De servo arbitrio. 1525) 267
3.1 Luthers Argumentation mithilfe des Römerbriefes des Paulus 267
3.2 Luthers Interpretation der Aussagen des Paulus 272
3.2.1 Luthers Anknüpfung bei Paulus 273
3.2.2 Das Rückschlussverfahren vom Gesetz auf den freien Willen bei Erasmus und bei Luther 277
3.2.3 Das Gesetzesverständnis bei Paulus und bei Luther 278
3.2.4 Gesetz und. Geist bei Paulus und bei Luther 280
3.2.5 Gesetz und Gerechtigkeit bei Paulus und bei Luther 281
3.3 Luther und Paulus 282
3.3.1 Der Paradigmenwechsel von Paulus zu Luther 282
3.3.2 Der Paradigmenwechsel in der Anthropologie von der kirchlichen Tradition zu Luther 283
3.3.3 Problematische Implikationen des Paulinismus Luthers 284
4 Paulus und Luther im Kampf um die Wahrheit des Evangeliums (Vorlesung über den Galaterbrief. 1531/35) 286
4.1 Luthers Wirklichkeitsverständnis 286
4.2 Konfliktanalyse 295
4.2.1 Der galatische Konflikt 295
4.2.2 Der antiochenische Konflikt (Gal 2,11-14) 299
4.2.3 Luthers hermeneutische Grundentscheidung 301
4.3 Luthers Interpretation des Galaterbriefes in wesentlichen Einzelzüge 302
4.3.1 Das überwundene eigene zelotische Selbstverständnis (Gal 1,13f.) 303
4.3.2 Das Hauptanliegen (Gal 2,16) 306
4.3.3 Die Charakterisierung der Adressaten (Gal 2,17-21) 312
4.3.4 Der Same Abrahams (Gal 3,6-29) 316
4.3.5 Gesetz und Weltelemente (Gal 4,1-11) 324
4.3.6 Die Allegorie der zwei Söhne Abrahams (Gal 4,21-31) 328
4.3.7 Die christliche Freiheit (Gal 5,1-6) 333
4.3.8 Fleisch und Geist (Gal 5,13-24) 337
4.4 Luther und Paulus 344
5 Ergebnisdefinition anhand von Rom 3,28 (Disputationen 1535- 1537) 346
5.1 Glaube 349
5.2 Gesetz 354
5.3 Rechtfertigung 357
5.4 Der auf Rechtfertigung angewiesene Mensch 360
5.5 Mensch - philosophisch und theologisch 362
5.6 Werke 366
5.7 Luthers Paulinismus im Ergebnis und in seiner intertextuellen Pragmatik 370

VI Der Paulinismus in der bekenntnismäßigen Ausprägung der lutherischen Rechtfertigungslehre 375

1 Die Bewahrung des Paulinismus Luthers in der lutherischen Kirche 375
1.1 Luther als Paulus 375
1.2 Die Rezeption des Paulinismus Luthers im Konkordienbuch 380
2 Melanchthon und sein Paulinismus 383
2.1 Paulinismus bei Luther und bei Melanchthon 383
2.2 Paulinismus in der Augsburger Konfession und ihrer Apologie 384
2.2.1 Die paulinische Prägung der Rechtfertigungslehre 387
2.2.2 Die Interpretation der Einheit der Kirche in Anknüpfung an Paulus 392
3 Der Paulinismus der Konkordienformel 395
3.1 Von der Gerechtigkeit des Glaubens vor Gott (FC.SD 3) 396
3.2 Von guten Werken (FC.SD 4) 401
3.3 Vom Gesetz und Evangelium (FC.SD 5) 403
3.4 Vom dritten Brauch des Gesetzes Gottes (FC.SD 6) 404
3.5 Von Kirchengebräuchen (FC.SD 10) 406
4 Würdigung des Paulinismus der Bekenntnisschriften 408

VII Paulus, Luther und die Moderne/Postmoderne 413

1 Von Paulus zum Paulinismus Luthers 415
1.1 Paulus 415
1.2 Von Paulus zu Luther 420
1.3 Luthers Paulinismus 423
1.3.1 Der Kampf zwischen Gott und Satan 426
1.3.2 Die beiden Gerechtigkeiten 428
1.3.3 Gesetz und Evangelium 429
1.3.4 Gerecht und Sünder zugleich 433
1.3.5 Das Kreuz Christi und der Christen 434
1.3.6 Konsequenzen 436
2 Paulus und Luther in ihrer Bedeutung angesichts heutiger Herausforderungen 439
2.1 Problemanzeige 439
2.2 Die vierte Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes 1963 in Helsinki 443
2.3 Röm.-kath./luth. Dialog über die Rechtfertigung auf Weltebene 445
2.3.1 Maltabericht. 1972 445
2.3.2 Weitere Arbeit der Studienkommission 448
2.3.3 Rechtfertigung und Kirche. 1993 449
2.3.4 Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre. 1997/1999 449
2.4 Die regionalen Dialoge als Hintergrund 460
2.4.1 Justification by Faith. 1983 460
2.4.2 Lehrverurteilungen — kirchentrennend? 1986 462
2.5 Der moderne Schritt über Paulus und Luther hinaus 466
2.6 Heutige Herausforderungen in der Rechtfertigungsdebatte 468
2.6.1 Schrift- und bekenntnishermeneutische Fragen 468
2.6.2 Menschenbild und Dialogfähigkeit 471
2.6.3 Weltverständnis und eschatologischer Horizont 473
3 Abschließende Reflexion über die Intertextualität des christlichen Glaubens 477

Literaturverzeichnis 481

Register 505