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Folter im 21. Jahrhundert
Auf dem Weg in ein neues Mittelalter?
Alexander Bahar
Deutscher Taschenbuch Verlag
EAN: 9783423247139 (ISBN: 3-423-24713-4)
300 Seiten, paperback, 14 x 21cm, 2009
EUR 16,90 alle Angaben ohne Gewähr
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Umschlagtext
Ist die Würde des Menschen antastbar?
»Wir haben die Handschuhe ausgezogen« -, so beschrieb die CIA ihr Vorgehen nach dem 11. September. In Deutschland wird die Folter von einigen populistischen Politikern befürwortet, sogar manch seriöser Jurist oder Politiker hält sie »unter bestimmten Umständen« für anwendbar. »Rettungsfolter«, »verschärfte Vernehmungsmethoden«, »Waterboarding« - solche Euphemismen bemänteln fundamentale Verstöße gegen die Menschenrechte.
Warum ist Folter heute wieder denkbar? Welche politischen und gesellschaftlichen Folgen hätte eine Aufweichung des Folterverbots? Bahar betrachtet das brisante Thema historisch, international und bezogen auf die aktuellen Anlässe, und erklärt, warum Folter unter keinen Umständen zu akzeptieren ist.
Rezension
Ein wichtiges Buch zu einem bedeutsamen Thema! Barack Obama, der neue Präsident der USA, wurde u.a. auch deshalb gewählt, weil es der westlichen Führungsnation nicht gut ansteht, wenn sie selbst Folter betreibt - und damit hinter die eigenen demokratischen Ansprüche zurückfällt; das aber (und noch viel mehr, wie z.B. die Lügen gegen das eigene Volk und die ganze Welt hinsichtlich der Begründung für den Irak-Krieg) hat die Vorgänger-Administration unter G.W. Bush getan; dafür steht der Name Guantanámo als quasi rechtsfreier Raum exemplarisch. Im Kampf gegen den (vermeintlichen) Terror scheint jedes Mittel recht, - "Rettungsfolter", "verschärfte Vernehmungsmethoden", "Waterboarding" - solche Euphemismen bemänteln fundamentale Verstöße gegen die Menschenrechte, - die die USA seit ihrer Gründungsgeschichte doch selbst vehement einfordern ...
Oliver Neumann, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Ist die Würde des Menschen antastbar? Ein erschütternder Bericht über ein Thema, das stark polarisiert.
Alexander Bahar ist promovierter Politikwissenschaftler. Er arbeitet als Redakteur und Publizist. Seine Familie stammt aus dem Iran, Freunde seines Vaters haben dort Folter erleiden müssen.
Inhaltsverzeichnis
Folter ist niemals akzeptabel 9
Vorwort von Barbara Lochbihler, Amnesty International Deutschland
Einleitung: Auf dem Weg in ein neues Mittelalter? 11
Kurze Geschichte der Folter 15
Verbot der Folter im Völkervertragsrecht 29
Folter im Kalten Krieg 37
Vom 11. September nach Guantánamo und Abu Ghraib 57
Die Befehlskette 57
Die Invasion in Afghanistan und die Folgen 68
Guantánamo - »rechtsfreier Raum« und Versuchslabor 82
Der Krieg gegen den Irak und der Folterskandal von Abu Ghraib 104
Ärzte als Foltergehilfen 139
Die Legalisierung der Folter 147
Das Spinnennetz der CIA 179
Die Folterdebatte in Deutschland 195
Schluss: Folter im 21. Jahrhundert 233
Anmerkungen 245
Danksagung 293
Literatur 295
Folter ist niemals akzeptabel
Die Antifolterkonvention von 1984 definiert Folter als jede Handlung,
»durch die einer Person vorsätzlich große oder seelische
Schmerzen zugefügt werden, zum Beispiel, um von ihr oder einem
Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie
für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten
begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern
oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner
Art von Diskriminierung beruhenden Grund.« Amnesty International
hat sich jahrelang für eine solche Konvention engagiert.
Als Amnesty International 1972 die erste große Antifolter-Kampagne
startete, waren Folter und Misshandlung weltweit verbreitet.
Nur langsam verbreitete sich damals die Einsicht, dass Folter und
Misshandlung schwere Menschenrechtsverletzungen darstellen.
Als 1987 die UN-Antifolterkonvention in Kraft trat, verfügte die
Staatengemeinschaft erstmals über eine rechtsverbindliche Konvention
gegen Folter und Misshandlung.
Heute stellen wir fest, dass im Zuge des Kampfes gegen den Terrorismus
Folter neu diskutiert wird und selbst einmal erreichte
Standards gegen Aufweichung verteidigt werden müssen. Das Verbot
der Folter und der grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden
Behandlung ist eines der Menschenrechte, die absolut und
ohne Ausnahme gelten. Neben der Antifolterkonvention von 1987
verbieten auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, das
geltende Völkerrecht und das Kriegsrecht alle Formen von Folter
und Misshandlung. All diese Konventionen erklären, dass Folter
selbst in Notsituationen und in bewaffneten Konflikten nicht erlaubt
ist.
Hinter dem absoluten Verbot von Folter und Misshandlung
steht die Überzeugung, dass solche Methoden verabscheuungswürdig
und unmoralisch sind. Die Erfahrung zeigt, dass die Anwendung
von Folter niemals begrenzt ist. Wenn ein Verfassungsstaat
Folter in eng umgrenzten Ausnahmefällen zulässt, wird das Tor
zu weiterer Folter geöffnet. Wer den Einsatz von Folter oder Misshandlung
in einer spezifischen Situation gestattet, etwa um ein
Bombenattentat zu verhindern, wird bald auch Menschen foltern,
10 Folter ist niemals akzeptabel
die ein Bombenattentat planen könnten oder die jemanden kennen,
der ein Bombenattentat plant. Die Intensität der angewandten
Methoden nimmt in der Regel zu. Wenn Schläge nichts bewirken,
muss der Schmerz verstärkt werden. Eine Grenze ist hier nicht
mehr möglich.
Amnesty International setzt sich gegen jegliche Aufweichung
des Folterverbots ein. Das absolute Folterverbot ist einer der
Grundpfeiler unserer Rechtsstaaten. Wenn Staaten im Kampf gegen
den Terror diese Werte außer Acht lassen, begeben sie sich auf
die Stufe derjenigen, die sie wegen ihrer menschenverachtenden
und menschenrechtsverletzenden Politik bekämpfen.
Barbara Lochbihler, Generalsekretärin von
Amnesty International Deutschland, im August 2008
Einleitung:
Auf dem Weg in ein neues Mittelalter?
›Folter im 21. Jahrhundert. Auf dem Weg in ein neues Mittelalter?‹
lautet der Titel dieses Buches. Um keine falschen Erwartungen
zu wecken, sei vorausgeschickt, dass den Leser keine umfassende
Darstellung oder auch nur ein Überblick über die Verbreitung
von Folter in unserer Zeit erwartet. Hier sei auf die einschlägigen
Berichte und Dokumentationen von Menschenrechtsorganisationen
wie Amnesty International verwiesen. Diese beweisen: Folter
war und ist in weiten Teilen der Welt grausame Realität – in ihrem
Jahresbericht 2008 hat Amnesty International in 81 Staaten Fälle
von Folter oder entwürdigender und unmenschlicher Handlung
dokumentiert. Nicht nur im NATO-Staat Türkei ist Folter nach
wie vor notorisch, auch in den NATO- und EU-Mitgliedsstaaten
Spanien und Griechenland sind politische Dissidenten von Folter
bedroht. Für den zivilisierten und freien Westen war das Foltern
von Menschen bekanntlich nie ein Hindernis, wenn es darum ging,
mit dem folternden Staat Geschäfte zu machen oder sich seiner
etwa als NATO-Vorposten zu bedienen. Im Bedarfsfall erteilte die
westliche Führungsmacht den betreffenden Regimes sogar Nachhilfeunterricht
im zeitgemäßen Quälen und Verschwindenlassen
politischer Gegner oder billigte diese Praktiken stillschweigend,
wenn sie nicht selbst, wie weiland in Vietnam, in großem Stil beim
Foltern und Massakrieren mitmischte. Stets geschah dies jedoch
gewissermaßen unter vorgehaltener Hand, irgendwie heimlich und
im Verborgenen, auch wenn es sich allzu oft kaum verbergen ließ.
Spätestens seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in
New York und Washington, mit den völkerrechtswidrigen Kriegen
gegen Afghanistan und den Irak und der die nationalstaatliche Souveränität
und völkerrechtliche Verträge offen verachtenden Bush-
Doktrin hat sich dies geändert. Praktiken, die bislang offiziell mit
einem Tabu belegt waren, fanden nun ganz offen Aufnahme in das
strafrechtliche, militärische und polizeiliche Arsenal der letzten verbliebenen
Supermacht. Sicher, Folter blieb auch weiterhin verboten
(»diese Regierung foltert nicht«), sie wurde allerdings anders definiert,
und ein Teil davon wurde als »verbesserte Verhörtechniken«,
12 Einleitung
wie es in gut Orwell’schem Neusprech hieß, zwecks Verwendung
im »globalen Krieg gegen den Terror« legalisiert. Die europäischen
Verbündeten der USA waren davon nicht begeistert, genauso wenig
wie von der sublim »extraordinary rendition« genannten Praxis,
Menschen weltweit zu verschleppen, um sie der Folter zuzuführen,
eine Praxis, die der US-Abgeordnete Edward Markey treffend als
»Outsourcing von Folter«2 bezeichnet hat. Aber sie machten mit:
Schließlich habe man sich mit den Verbündeten auf eine »Zusammenarbeit
im Stillen« geeinigt, so der frühere CIA-Europachef Tyler
Drumheller.3
Die Aufweichung des nach 1945 etablierten Foltertabus im herrschenden
Diskurs deutete sich hierzulande erstmals in der Debatte
um die Folterandrohung des Frankfurter Polizeivizepräsidenten
Daschner im Entführungsfall Metzler an. Sie setzte sich fort mit den
Forderungen von »Sicherheits«-Politikern, durch Folter erpresste
Aussagen juristisch verwerten zu dürfen. Dem vorausgegangen
war eine Militarisierung der deutschen Politik (ausgerechnet unter
einer SPD-Grünen-Regierung), die nach außen in der Beteiligung
Deutschlands am NATO-Angriffskrieg gegen Ex-Jugoslawien im
März 1999 gipfelte. Die Militarisierung der Politik aber schlägt auf
die Gesamtgesellschaft zurück, sie spiegelt sich in der Verrohung
der sie konstituierenden und ihr unterworfenen Individuen – die
Folterexzesse bei der Bundeswehr und der Foltermord von Siegburg
sind nur die Spitze eines Eisbergs, der durch die wissentlich
herbeigeführte soziale und mentale Verelendung breiter Bevölkerungsschichten
rapide wächst. Unter diesen Bedingungen findet
die Vernunft, der Kern jedweder Aufklärung, schon seit langem nur
noch als eine instrumentelle Akzeptanz und Duldung. Die »Zerstörung
der Vernunft« (Georg Lukács), wie sie auch dem Aufkommen
des europäischen Faschismus voraus- und mit diesem einherging,
ist ein grassierendes Phänomen, das den – in jüngster Zeit beschleunigten
– Niedergang unserer postbürgerlichen Gesellschaft und ihrer
wirtschaftlichen Basis begleitet. Die sich seit Jahren steigernden
Angriffe auf die Evolutionstheorie (die vielleicht am besten belegte
naturwissenschaftliche Theorie überhaupt) durch kreationistische
Fanatiker christlicher, jüdischer wie muslimischer Provenienz und
ihr Vordringen in die offizielle Forschung und Lehre seien hier
als markantestes Indiz genannt. Das unheilige Bündnis aus radikalen
Neokonservativen und Neoliberalen sowie den Fanatikern
Auf dem Weg in ein neues Mittelalter? 13
der christlichen Rechten und der pro-zionistischen Lobby, das in
der Bush-Regierung ihren adäquaten politischen Ausdruck fand,
war alles andere als ein Zufall. Die gleichen Kräfte sind es im Übrigen,
die seit Jahren auf einen Krieg gegen den Iran hinarbeiten.
Als die indische Schriftstellerin Arundhati Roy im Jahr 2001 Al-
Qaida-Führer Osama Bin Laden als den »dunklen Doppelgänger«
des US-Präsidenten bezeichnete, da brachte sie eine grundlegende
Wahrheit in ein einfaches Bild: den destruktiven Antagonismus
der religiösen Fundamentalismen in Orient und Okzident. So wie
der Westen den islamischen Fundamentalismus nährte und großzog,
indem er seine eigenen Werte mehr und mehr preisgab und
verriet, so diente dessen Erstarken wiederum den fundamentalistischen
Kräften des Christentums zur Labung. Das gilt vor allem für
die USA mit ihren mächtigen evangelikalen Kirchen – es gilt aber
auch für Europa, und im Besonderen auch für die Bundesrepublik
Deutschland. Hier konnte sich das Mittelalter z. B. in Form des
Gotteslästerungs- und Kirchenschutzparagrafen 166 StGB und des
zwischen Nazi-Regime und katholischer Kirche ausgehandelten
Reichskonkordat von 1933 bis heute halten.
Noch nie war die Kluft zwischen dem technisch Möglichen und
der Macht des Faktischen so groß wie heute. Noch nie klafften
die herrschenden Ansichten über die gesellschaftliche Realität und
diese selbst so weit auseinander wie heute. Die globale Wirtschaftsund
Finanzkrise unserer Tage machte diesen himmelschreienden
Antagonismus selbst für den Uninformiertesten sichtbar und führte
unmittelbar zum Einbruch der neoliberalen Hegemonie. Die weitgehende
Selbstentmachtung der nationalen Parlamente zur »Rettung
« der Banken mittels milliardenschwerer Geschenke hat die
dem niedergehenden Kapitalismus innewohnenden Tendenzen zur
Diktaturbildung indes noch verschärft. Wo die herrschenden Meinungen
die Welt nicht (mehr) erklären, da blüht auch das Irrationale,
werden Logik und Vernunft gefoltert. Während einerseits in der
Gefahr, in freier Interpretation des geflügelten Hölderlin-Wortes,
die Möglichkeit der Erkenntnis wächst – Denken entzündet sich
nun mal an Widersprüchen –, wächst andererseits auch die Notwendigkeit
für die Nutznießer des Bestehenden, diese Widersprüche,
wo nicht länger zu leugnen und zu verkleistern, gewaltsam zu
unterdrücken. Am Ende bleibt nur noch die offene und entgrenzte
Gewalt, der letzte Verrat der über sich selbst hinwegtrampelnden
14 Einleitung
bürgerlichen Gesellschaft an den Werten, die schon längst nicht
mehr die ihren sind. In der Folter stellt sich die bürgerliche Gesellschaft
gegen sich selbst. Das Verhältnis zwischen Folterer und
Gefoltertem ist dasjenige nackter Gewalt, in dem beide, Folterer
und Gefolterter, ihres letzten Rests an Würde beraubt sind. Das ist
die Lehre des Faschismus.
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