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Das anthropomorphe Gottesbild
Berechtigung und Ursprung aus der Sicht antiker Denker
Marianne Wifstrand Schiebe
Franz Steiner Verlag
EAN: 9783515124195 (ISBN: 3-515-12419-5)
382 Seiten, paperback, 17 x 24cm, 2020
EUR 62,00 alle Angaben ohne Gewähr
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Umschlagtext
Die Auffassungen vom Göttlichen, welche antike Philosophen entwickelten, wurden bekanntlich nur von einer verschwindend geringen Minderheit geteilt. Das traditionelle Gottesbild, von dem sie fast ausnahmslos Abstand nahmen, prägte demgegenüber vollständig das öffentliche Leben. Marianne Wifstrand Schiebe stellt erstmals die Frage, ob sich die Philosophen Gedanken darüber machten, wie es dazu kommen konnte – ein in der Forschung bislang übersehener Zusammenhang, der geläufige Ansichten zum Selbstverständnis antiker Denker und zu ihrer Auffassung von der breiten Bevölkerung und deren Fähigkeiten herausfordert.
Wifstrand Schiebe kann eine ganze Reihe von Theorien zur Entstehung der Vorstellung von menschengestalteten Göttern in der antiken Überlieferung nachweisen. Sie alle weisen ein hohes Maß an Folgerichtigkeit auf, so auch das am häufigsten auftretende Modell, demzufolge das falsche Gottesbild des öffentlichen Kults ein Ergebnis buchstäblicher Deutung eines ursprünglichen metaphorischen Diskurses über die Götter sei. Vor dem Hintergrund des Ansatzes von Wifstrand Schiebe erscheinen Themen wie die philosophische Beurteilung der Götterbilder und das Phänomen des sog. "Euhemerismus", die in der Forschung seit jeher kontrovers diskutiert werden, in einem neuen Licht.
Marianne Wifstrand Schiebe war u.a. als Dozentin an der Universität Uppsala tätig. Forschungsschwerpunkte: Vergil und Vergilrezeption, Annius von Viterbo (Fälscher von antiken Texten), philosophische Theologie des Altertums.
Rezension
In der Antike war es für die breite Masse, aber auch für viele Gebildete, ganz selbstverständlich, dass Gott einen Körper hat. Erst im Mittelalter hat sich die heute geläufige Vorstellung von Gott als einem körperlosen Wesen allgemein durchgesetzt und seit Feuerbach und Freud scheint vollkommen klar, dass nur naive Menschen sich Gott noch anthropomorph vorstellen. Dieses Buch weist eine ganze Reihe von Theorien zur Entstehung der Vorstellung von menschengestalteten Göttern in der antiken Überlieferung nach, u.a. die Vorstellung, derzufolge das falsche Gottesbild des öffentlichen Kults ein Ergebnis buchstäblicher Deutung eines ursprünglichen metaphorischen Diskurses über die Götter sei. Oder ist die anthropomorphe Gottesvorstellung als bewusst erfunden vorzustellen oder gar eine politisch begründete Manipulation? Jedenfalls prägte das traditionelle Gottesbild vollständig das öffentliche Leben. Die Auffassungen vom Göttlichen, welche antike Philosophen entwickelten, wurden bekanntlich nur von einer verschwindend geringen Minderheit geteilt. Wie aber kommt es zu diesem Widerspruch? Das sucht diese Arbeit zu klären. Die Vermenschlichung der Götter war vermutlich nicht als rationalistische Kritik am Mythos gemeint, sondern sollte den Herrscherkult plausibilisieren und politischen Herrschern allgemein einen Anreiz zu einem für das Gemeinwesen vorteilhaften Bestreben um die Beförderung ihres Nachruhms geben.
Thomas Bernhard, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Potsdamer Altertumswissenschaftliche Beiträge
ISSN 1437-6032
Herausgegeben von Pedro Barceló, Peter Riemer, Jörg Rüpke und John Scheid.
Die Reihe Potsdamer altertumswissenschaftliche Beiträge (PAwB) versteht sich als ein internationales Forum für Arbeiten aus unterschiedlichen altertumswissenschaftlichen Disziplinen, die ihre Ergebnisse gerade auch über das eigene engere Fach hinaus bekannt machen und zur Diskussion stellen wollen. Althistorische Arbeiten finden hier ebenso einen Ort wie klassisch-philologische oder archäologische Werke. Einen Schwerpunkt der Reihe bildet die griechische und römische Religionsgeschichte. Eine Vielzahl von Themen aus diesem Gebiet hat im vergangenen Jahrzehnt internationale Aufmerksamkeit gefunden und den Austausch über disziplinäre Grenzen befördert.
Dieser Austausch schließt auch das Überschreiten von sprachlichen Grenzen ein: Französische Bände und italienische Beiträge stehen neben englischen und deutschsprachigen Publikationen und erzielen vergleichbare Verbreitung. Die internationale Zusammensetzung des Herausgeberkreises findet hier – seit dem ersten Band – programmatischen Niederschlag. Offenheit bietet die Reihe auch in den vertretenen Gattungen: Neben Dissertationen, Habilitationsschriften und Monographien treten Handbücher und thematisch zugespitzte und innovative Bände mit Beiträgen mehrerer Autoren. Wo sie für den Dialog der Disziplinen erforderlich sind, finden auch umfangreiche Bildteile Platz, werden spezialistische Abkürzungen aufgelöst und erschließen Indizes die Bände.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 8
1. Einleitung 11
1.1 Das Problem 11
1.2 Schlüsselthema: Die Ursprungsfrage 22
1.3 Präzisierung des Dilemmas und richtungsweisende Klärung der Distinktion Gott –
Personifikation 24
1.4 Methodische und prinzipielle Erwägungen zur einschlägigen modernen Diskussion 30
1.4.1 Zur Entstehung der Allegorese des mythologischen Narrativs 34
2. Das anthropomorphe Gottesbild als Träger buchstäblicher Wahrheit 37
3. Die Ursprungsfrage A 44
3.0 Einleitung 44
3.1 Spontane Entstehung 45
3.1.1 Sekundäre Dekadenzerscheinung 47
3.1.1.1 Die Bedeutung der Ergebnisse von A. A. Long 67
3.1.1.2 Die Ergänzung und Korrektur von Longs These durch G. R. Boys-Stones und die Entstehungsfrage im vorsokratischen Denken 77
3.1.2 Empedokles 85
3.1.3 Die Theorie des Xenophanes 90
3.1.4 ‚Pseudo-spontane‘ Entstehung: Ein problematischer Fall bei Cicero, De natura deorum 1,77 96
3.2 Die anthropomorphe Gottesvorstellung als bewusst erfunden 100
3.2.1 Die anthropomorphe Gottesvorstellung als politisch begründete Manipulation 101
3.2.1.1 Cottas Theorie in De natura deorum 1,77 105
3.2.1.2 Ps.Plutarchos, De Homero 2,113: Homer als Vater der anthropomorphen Darstellungsweise insgesamt 114
3.2.2 Macrobius, Kommentar zu Ciceros Somnium Scipionis 1,2,20:
Das anthropomorphe Gottesbild als theologisch begründete Manipulation 123
4. Vertreter zweier Standpunkte 138
4.0 Einleitung 138
4.1 Varro und das neue Denkmodell 142
4.2 Varros RD: Die zwei Phasen und ihr Bezug zum neuen Denkmodell 145
4.2.1 RD: Die Frühphase 150
4.2.2 Die Spätphase 158
4.3 Varros tria genera theologiae 167
4.4 Varro und der frührömische Kult ohne Götterbilder 177
4.4.1 Der frührömische Kult ohne Götterbilder und die Tradition von den Penatenbildern und dem Palladium 182
4.4.1.1 Die Frage der Authentizität von Fragment 205 Cardauns 185
5. Die Ursprungsfrage B 199
5.0 Einleitung 199
5.1 Zur Frage der Wertung des anthropomorphen Gottesbildes bei Plutarch 205
5.2 Das Kompendium der griechischen Theologie des Cornutus 211
5.2.1. Cornutus und die stoische ‚Allegorese‘ 218
5.3 Porphyrios über die Götterbilder 220
5.4 Sinn und Funktion des anthropomorphen Gottesbildes in der Popularphilosophie 240
5.4.1 Die olympische Rede des Dion von Prusa (or. 12) 241
5.4.1.1 Pheidiasszene 243
5.4.1.2 Blick auf die 12. Rede außer der Pheidiasszene: Ambiguität der Position 257
5.4.1.3 Schlussbemerkung zur 12. Rede Dions 263
5.4.2 Maximos von Tyros 264
5.4.2.1 Dialexis 2: Status und Funktion von ἀγάλματα 266
5.4.2.2 Dialexis 2: Zu einem angedeuteten Grundgerüst einer Entwicklungsgeschichte des Gebrauchs von Götterbildern 270
5.4.2.3 Dialexis 2: Die Begründung der anthropomorphen Darstellungsform und die Theorie des
Schönen 278
5.4.2.4 Die anthropomorphe Darstellungsweise außerhalb der 2. Dialexis 286
5.5 Abschließende Bemerkungen 292
6. Die Ursprungsfrage C 295
6.0 Einleitung 295
6.1 Inhalt und Form der Hiera Anagraphe. Frühere Deutungsvorschläge 297
6.1.1. Die Hiera Anagraphe als Unterstützung des Herrscherkults 303
6.2 Die „ewigen und unvergänglichen Götter“ in der Hiera Anagraphe 316
6.3 Der Status der kultisch verehrten Sterblichen in der Hiera Anagraphe:
Götter oder nur ‚Götter‘? 322
6.4 Reflexionen zum Charakter und Umfang der Kritik an Euhemeros 328
6.5 Exkurs über den „Euhemerismus im weiteren Sinne“ 331
7. Rückblick 336
Bibliographie 343
8. Indices 363
8.1 Allgemeines Register 363
8.2 Stellenregister 368
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