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Über die Freiheit  Auf der Grundlage der Übersetzung von Else Wentscher neu herausgegeben von Horst D. Brandt
2., verbesserte Auflage 2011
Über die Freiheit


Auf der Grundlage der Übersetzung von Else Wentscher neu herausgegeben von Horst D. Brandt

2., verbesserte Auflage 2011

John Stuart Mill

Meiner Hamburg
EAN: 9783787321940 (ISBN: 3-7873-2194-2)
183 Seiten, paperback, 12 x 19cm, 2011

EUR 14,90
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
In diesem Essay von 1859, seinem Hauptwerk, streitet John Stuart Mill (1806–1873) für das Recht jedes einzelnen, seine Überzeugungen frei zu bilden und das eigene Leben nach diesen Überzeugungen frei zu gestalten. Für ihn gibt es daher nur einen Grund, der es Staat und Gesellschaft erlaubt, dieses Recht auf individuelle Selbstbestimmung zu beschneiden, und den sieht er in dem Grundsatz, "daß der einzige Zweck, um dessentwillen man Zwang gegen den Willen eines Mitglieds einer zivilisierten Gemeinschaft rechtmäßig ausüben darf, der ist: die Schädigung anderer zu verhüten".

Dieser Essay Mills bleibt – ganz unabhängig davon, ob man seine Verteidigung des Utilitarismus teilen kann oder nicht – ein Meilenstein in der Geschichte der philosophischen Begründungen des Rechtes auf Selbstbestimmung, das jedem einzelnen zugestanden werden muß.
Rezension
John Stuart Mill (1806–1873) legt als Vertreter des Qualitativen Utilitarismus mit diesem Essay "On Liberty" eine klassische philosophische Begründung des Rechtes auf Selbstbestimmung vor; das einzige Recht zur Beschneidung individueller Selbstbestimmung sieht Mill in dem Grundsatz, "daß der einzige Zweck, um dessentwillen man Zwang gegen den Willen eines Mitglieds einer zivilisierten Gemeinschaft rechtmäßig ausüben darf, der ist: die Schädigung anderer zu verhüten". Die "Philosophische Bibliothek" des Felix Meiner Verlags aus Hamburg bietet Primärtexte für das Studium - und so werden bedeutende Werke der Philosophie in Neuausgaben und Reprints zu erschwinglichem Preis verlegt. Dazu zählt unbedingt der hier anzuzeigende Essay "Über die freiheit" von John Stuart Mill aus dem Jahre 1859.

Jens Walter, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Felix Meiner (gegr. 1911 in Leipzig; seit 1951 in Hamburg) ist einer der führenden wissenschaftlichen Verlage Deutschlands mit dem Fachgebiet Philosophie. Zentral für die Verlagsarbeit ist die seit 1868 erscheinende Philosophische Bibliothek, die kontinuierlich erweitert und deren Ausgaben bei Neuauflagen laufend dem jeweiligen Forschungsstand angepaßt werden. Derzeit sind rund 350 Texte aus 2400 Jahren Philosophiegeschichte lieferbar.
Inhaltsverzeichnis
John Stuart Mills Plädoyer für die Freiheit
Von Horst D. Brandt vii

Editorische Bemerkung xiii

John Stuart Mill
Über die Freiheit

i. Einleitung 4
ii. Von der Freiheit des Denkens und der Rede 23
iii. Über die Freiheit des Einzelnen als eine der Grundlagen der Wohlfahrt 78
iv. Über die Begrenzung der Macht der Gesellschaft über den Einzelnen 106
v. Folgerungen 133

Daten zu Leben und Werk 164
Bibliographie 166
Namenregister 170


Leseprobe:

JOHN STUART MILLS PLÄDOYER
FÜR DIE FREIHEIT
Mills Essay On Liberty ist kein philosophischer Traktat – und
dennoch ein großer Text unter den Texten der Philosophie
des 19. Jahrhunderts. Und dies nicht nur aus historischer
Sicht, sondern auch unter dem Aspekt seiner Bedeutung
für den Dis kurs über den Wert der Freiheit des Einzelnen
überhaupt.
Ein philosophischer Traktat ist er schon darum nicht, weil
er gar nicht antritt mit dem Anspruch, den Begriff von Freiheit,
den er im Titel führt, näher zu untersuchen, schlüssig
zu defi nieren und eindeutig zu etablieren. Die Frage, ob
Frei heit möglich sei oder nicht, und wenn ja, in welchem
Sinne und in welchem Umfang, stellt sich für Mill nicht:
Er setzt es als gegeben und unumstritten voraus, daß der
Einzelne die Möglichkeit und ein ursprüngliches Interesse
daran hat, frei zu denken und selbstbestimmt zu handeln,
d. i. seine Dinge aus eigener Bestimmung und eigenem Antrieb
zu beordnen, solange und soweit niemand berechtigt
ist, ihn aus guten Gründen daran zu hindern. Ihm genügt
der Rekurs auf diesen eher vage umrissenen Begriff von
Freiheit, weil sein großes Thema keine nähere Bestimmung
des Begriff s verlangt: Denn Freiheit steht hier allein für das
Recht des Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft aller, bzw.
für die Rechtstellung der Person innerhalb der zivilisierten
Gesellschaft, d. i. der historisch gewachsenen und ausgebildeten
geregelten Formen des Mit- und Gegeneinanders der
Mitglieder der Gemeinschaft aller.
Und weil das so ist, hat der Essay eine in Struktur und
Aufbau eher ungewöhnliche Gestalt: Hier steht der erste
Abschnitt, von Mill als ›Einleitung‹ übertitelt, nicht für die
VIII Horst D. Brandt
Exposition der Fragestellung, die dann in den anschließenden
Teilen des Essays erörtert wird; sondern: Mill kommt in
diesem ersten Abschnitt seines Essays sofort auf den Punkt
und präsentiert seine These und Forderung, nach der das
Freiheitsrecht des Einzelnen Vorrang habe vor allen Einschränkungen
seitens der herrschenden Regierung und seitens
der gerade en vogue seienden öff entlichen Meinung:
»Das Ziel dieses Essays ist es, ein sehr einfaches Prinzip in
Geltung zu setzen, das allein und ausschließlich (absolutely)
das Eingreifen der Gesellschaft in die Angelegenheiten des
Einzelnen rechtfertigt […] Dieser Grundsatz lautet: Der
einzige Grund, aus dem es der Gemeinschaft aller (mankind)
gestattet ist, einzeln oder vereint, eines ihrer Mitglieder in
der Freiheit seines Tuns zu beschränken, ist der Selbstschutz.«
(S. 16)
In den nachfolgenden Abschnitten II bis IV seines Essays
geht es Mill nicht darum, diese Eingangsthese zu begründen,
sondern allein darum, sie gegen mögliche Einwände zu
verteidigen. Geordnet nach drei Gesichtspunkten werden
anhand von Fallbeispielen Argumente vorgetragen und zu -
rückgewiesen, die der Eingangsthese entgegengehalten werden
könnten, nach der die Freiheitsrechte des Individuums
nur in den Fällen beschnitten werden dürfen, in denen
die Ausübung der freien Handlung des Einzelnen anderen
Schaden zufügt; und im Abschnitt V des Essays zieht Mill
dann die Folgerungen daraus für eine richtige Gestaltung
der gesellschaftlichen Ordnung, wiederum nicht allgemein,
sondern bezogen auf konkrete Einzelfragen und deren rechtlicher
Beordnung in einer bestehenden Gesellschaft bzw.
einem historisch gewachsenen Rechtsstaat. In einem Satz:
Mills Essay beschreibt eine absteigende Kurve – er exponiert
gleich zu Anfang seine These, der er Gültigkeit zuschreibt,
und führt dann in den folgenden Teilen die Gründe an, aus
denen die möglichen Einwände gegen diese These nicht
Horst D. Brandt IX
stichhaltig seien und auch dann nicht greifen, wenn man sie
aus pragmatischen Gründen für angebracht hält.
Diese Argumentationsstrategie konnte Mill nur wählen,
weil er es strikt vermeidet, den von ihm vertretenen und
eingeforderten Anspruch des Einzelnen auf das Recht frei
zu denken und frei zu handeln mit einem Freiheitsbegriff
zu verbinden, der positiv aufgeladen ist. So wird z. B. das
Recht auf Eigentum und dessen Besitz von Mill nicht als ein
positives Recht des Einzelnen festgeschrieben, daß von den
Herrschenden oder der Gesellschaft stets zu respektieren sei;
sondern er fordert nur, daß Eingriff e in die freie Verfügung
des Individuums über sein Eigentum nur dann zulässig sind,
wenn die Beschränkung erforderlich ist, um die Schädigung
anderer oder die Gefährdung des Gemeinwohls abzuwenden.
Mill geht es nicht um die Sicherung von Ansprüchen des
Individuums, die dann in einem Kanon von positiven Freiheitsrechten
inhaltlich werden könnten und sollten, sondern
lediglich und konsequent, um die Abwehr von Einschränkungen
der Freiheit des Einzelnen, die aus pekuniären oder
ideologischen Gründen von der Gesellschaft vorgenommen
werden, ohne daß ihr durch die Unterlassung dieser Beschränkung
ein nachweislicher Schaden entstünde.
Der Freiheitsbegriff , den Mill hier vertritt, ist rein negativ
bestimmt: Solange der Gesellschaft daraus kein Schaden entsteht,
soll der Einzelne tun und lassen können, was immer er
will – und sei es auch zu seinem eigenen Nachteil (z. B. wenn
er aus Spielsucht all sein Hab und Gut verspielt). Zwar führt
Mill zur Stützung seiner Forderung unter anderem an, daß
der Gemeinschaft aller aus dem Respekt vor dieser Freiheit
des Individuums, auch starken Trieben und ungewöhnlichen
Neigungen zu folgen, größerer Nutzen entstehen kann als
aus der Gängelung des Einzelnen, da nur so neue Entdekkungen
und Erkenntnisse möglich werden können, die dann
allen zu Gute kommen: »Darum tut die Gesellschaft ihre
X Horst D. Brandt
Pfl icht und dient ihren eigenen Interessen, wenn sie diese
Naturen schützt, nicht aber, wenn sie den Stoff verwirft,
aus dem Helden gemacht werden« (S. 85); aber dies führt er
nur sekundär und hilfsweise an, um für die Anerkennung
seines Kernarguments zu werben, das allein darauf zielt, das
Recht auf Selbstbestimmung des Einzelnen als erstes und
grundlegendes Konstituens seiner Würde als Person herauszustellen.
Zeitbedingt geht es Mill ganz vorrangig um die Abwehr
ideologisch bedingter Einschränkungen der Freiheit des Einzelnen
in der Gestaltung seines individuellen Lebens und
seiner Handlungen, insbesondere solcher, die aus überkommener
Sitte oder aus theologischer Engstirnigkeit entweder
von der herrschenden Öff entlichen Meinung oder von der
etablierten herrschenden Macht vorgenommen werden;
seine Forderung, die Freiheitsrechte des Einzelnen nicht
ohne zureichenden Grund willkürlich zu beschränken, behält
aber auch unter den gewandelten heutigen Bedingungen
ihr Recht, unter denen nicht so sehr ideologische sondern
mehr und mehr wissenschaftlich fundierte Argumente allgemeiner
Art dafür ins Feld geführt werden, die Freiheitsrechte
des Einzelnen unter Berufung auf das Wohlergehen aller zu
beschränken.
Besondere Aufmerksamkeit verdient die Widmung, die
John Stuart Mill seinem Essay voranstellt; denn hier erklärt
er – und dies zu Zeiten, in denen der Rang der Frau in der
Gesellschaft noch ganz darauf beschränkt war, allenfalls als
züchtige Gattin ihres Ehemanns zu brillieren – mit emphatischem
Nachdruck, daß er sein Werk ohne die ermunternde
und kluge Inspiration seiner frühen Freundin und späteren
Ehefrau Harriet Taylor nicht so hätte zustande bringen können,
wie es ihm gelang – denn die Autorschaft an diesem
Werk gebühre ihr zu gleichen Teilen wie ihm. Dieses Bekenntnis
ist nicht Ausdruck einer sentimentalen Regung, die
Horst D. Brandt XI
ihn – ein Jahr nach dem Tod seiner Frau – bewogen hat, ihr
den Essay On Liberty zu widmen, sondern es ist – auch bezeugt
durch seine posthum publizierte Autobiography – eine
aufrichtige Erklärung: Harriet Taylor war nicht nur seine ihn
ermunternde Freundin und Gattin, sondern die kompetente
und in den Inhalten zielgebende zweite Kraft in all seinen
Werken und Taten. Nicht ihr zuliebe oder in trauerndem
Gedenken an die früh verlorene Gattin brachte Mill 1867
einen – gescheiterten – Antrag zur Stärkung der Rechte der
Frauen im Parlament zu Westminster ein, und nicht aus sentimentalen
Gründen publizierte er als seine letzte Schrift zu
Lebzeiten 1869 den 1861 verfaßten Traktat The Subjection of
Women, eine Streitschrift zur Durchsetzung der rechtlichen
Gleichstellung der Frau – sondern aus der Einsicht, daß die
von ihm geforderte Anerkennung der Freiheitsrechte des
Einzelnen gegenüber den Forderungen der Gesellschaft natürlich
auch die Anerkennung der Freiheitsrechte der Frauen,
deren Recht auf Selbstbestimmung impliziert. Einmal abgesehen
davon, daß Mill im Abschnitt V. seines Essays als einen
Fall der von ihm eingeforderten Freiheitsrechte des Individuums
ausdrücklich das Recht beider Partner einer Ehegemeinschaft
auf Einforderung der Scheidung reklamiert,
wenn die wechselseitigen Gefühle nicht mehr so sind, wie
sie sein sollten – eine zur damaligen Zeit geradezu umstürzende
Forderung, die er dann allerdings zugleich insoweit
besonnen einschränkt, daß der oder die Scheidungswillige
in seiner oder ihrer Entscheidung an die Verpfl ichtungen
gebunden bleibt, die ihm oder ihr aus der Verantwortung für
das Wohlergehen der gemeinsamen Kinder entstanden ist – ,
nimmt er mit der Voranstellung der Widmung, in der er
seiner Frau – gegen alle Usancen der Zeit – explizit das Verdienst
zuspricht, sein Werk zu gleichen Teilen mitgestaltet zu
haben, in entschiedener und freier Weise all das vorweg, was
er in seinem Essay On Liberty dann anschließend einfordert:
XII Horst D. Brandt
Denn kühner als durch das Lob der Freundin und Gattin, die
ihn zu dem Besten bewegt habe, das er in seinen Schriften
vollbrachte, konnte Mill in einer Zeit, in der der Stellung
und dem Rang einer Frau in der Gesellschaft nur ein beiläufi
ger und untergeordneter Wert zugewiesen wurde, seiner
Forderung, daß die Freiheit des Einzelnen von den Herrschenden
und von der Gemeinschaft aller respektiert und
garantiert werden müsse, keinen Ausdruck verleihen!
All denen, die sich – aus welchen Gründen auch immer –
dazu berufen sahen und noch sehen, den Einfl uß von Harriet
Taylor auf die Ausgestaltung des Werks von John Stuart Mill
»kleinzuschreiben«, weil sich keine Aufzeichnungen oder
Briefe von ihrer Hand haben fi nden lassen, die diesen Einfl uß
auch dokumentarisch belegen, ist entgegenzuhalten, daß sie
sich auf der falschen Ebene bewegen. John Robson, der Herausgeber
der Collected Works von John Stuart Mill, hat die
Bedeutung, die Mill seiner Ehefrau zumaß und um deretwillen
er ihr mit der dem Essay On Liberty vorangestellten Widmung
ein Denkmal setzte, richtig gesehen und in seiner
Schrift The Improvement of Mankind (Toronto 1968) in die
einfachen Worte gefaßt: »[I]n what we have of her writ ings,
Harriet constantly has her eye on the future, even when cri ticizing
the present; she was a woman of dreams and aspirations,
and she must constantly have breathed into Mill a
hope ful and expansive view of human possibilities«.
EDITORISCHE BEMERKUNG
Die vorliegende Ausgabe von John Stuart Mills Essay On
Liberty in deutscher Übersetzung bietet den Text in einer
durchgängig revidierten und überarbeiteten Fassung der
1928 von Else Wentscher erstmals als Band 202 der Philosophischen
Bibliothek vorgelegten Übertragung, die unter den
Aspekten der Prägnanz in der Erfassung der Inhalte und der
sprachlichen Eleganz in der Wiedergabe der Argumentation
des Originals im Deutschen noch heute derart überzeugend
daherkommt, daß ich mich als Herausgeber der Neuausgabe
darauf beschränken konnte, nur gelegentlich veraltete Ausdrücke
zu eliminieren und – dies allerdings häufi ger – mißverständliche
oder leicht verunglückte Passagen neu zu fassen,
in denen Else Wentscher in ihrem Bemühen, die Leichtigkeit
und Eleganz des Originals zu treff en, hie und da dann
doch daneben gegriff en hatte. Grundlage für die Revision
der Übersetzung war die Edition des englischen Textes von
On Liberty durch R. Wollheim, in: John Stuart Mill, Three
Essays, Oxford 1975, die den Text nach der Erstausgabe von
1859 reproduziert. Einschübe in [ ] Klammern kennzeichnen
ergänzende Einfügungen des Herausgebers, Einschübe in ( )
Klammern geben in einigen Fällen, in denen dies hilfreich
sein mag, den englischen Begriff für den in der deutschen
Übersetzung gebrachten Ausdruck oder die Übersetzung
einer lateinischen Wendung, die Mill in seinem Text anführt.
Dem Text von Mill vorangestellt ist in dieser Ausgabe
das aus Humboldts Schrift »Ideen zu einem Versuch, die
Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen« entlehnte
Motto, das Else Wentscher in ihrer Ausgabe von 1928
nicht angeführt hatte.

John Stuart Mill
Über die Freiheit