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Nichtidentität und Unbegrifflichkeit Philosophische Sprachkritik nach Adorno und Blumenberg Sebastian Tränkle
Nichtidentität und Unbegrifflichkeit
Philosophische Sprachkritik nach Adorno und Blumenberg


Sebastian Tränkle

Reihe: Weiße Reihe


Vittorio Klostermann
EAN: 9783465045809 (ISBN: 3-465-04580-7)
682 Seiten, kartoniert, 13 x 20cm, Juni, 2022

EUR 39,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Ausgehend von einem Dialog zwischen Adorno und Blumenberg entwickelt die Studie ein eigenständiges Verfahren der philosophischen Sprachkritik. Durch die Konfrontation erarbeitet sie ein Sprachverständnis, das in der Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Begriffs- und der gesellschaftlichen Sprachpraxis gründet. Einerseits wird die von der Sprachphilosophie bis heute oft abgewertete Rhetorik rehabilitiert. Das "Unbegriffliche" erweist sich als unabdingbar für das Denken und Sprechen – besonders für den Ausdruck des "Nichtidentischen". Andererseits wird die unbewusste Orientierungsfunktion von Metaphern problematisiert. Im Rückgriff auf Adornos Gesellschaftstheorie rekonfiguriert der Autor Blumenbergs Metaphorologie als ein ideologiekritisches Verfahren, das an der Sprache abliest, was das Denken und Handeln anleitet. Die Arbeit wurde mit dem "Tiburtius-Preis der Berliner Hochschulen – Anerkennungspreis für hervorragende Dissertationen" ausgezeichnet.

"A remarkably thorough, thoughtful and original piece of work, fully justifying the decision to compare two figures who hitherto have rarely been discussed together."

Martin Jay

Based on a dialogue between Adorno and Blumenberg, this book develops a highly original method of philosophical language criticism. By way of this contrasting juxtaposition, it elaborates an understanding of language that is grounded in the dispute between scientific conceptual and social linguistic practice. On the one hand, rhetoric, which has often been (and even today sometimes is) devalued by the philosophy of language, is being rehabilitated. The "non-conceptual" proves to be indispensable for thinking and speaking – especially for the expression of the "non-identical". On the other hand, the unconscious workings of metaphors in orientation is expounded. Drawing on Adorno's social theory, the study reconfigures Blumenberg's metaphorology as an ideology-critical procedure that takes its cue from language in order to ascertain what guides thought and action. The study was awarded the Tiburtius Prize of the Berlin Universities – Recognition Award for Outstanding PhD Theses.
Rezension
Ludwig Wittgenstein bestimmte als die Aufgabe der Philosophie einen „Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache“ zu führen. Philosophie in Gänze identifizierte er als Sprachkritik. Im gegenwärtigen philosophischen Diskurs wird Sprachkritik primär als Gegenstandsgebiet und Methode der analytischen Philosophie begriffen. Dass auch Philosophen anderer Schulen und Richtungen Sprachkritik als wesentliches Element ihrer Philosophie begreifen und dazu zentrale Beiträge vorgelegt haben, wird in der Öffentlichkeit vielfach übersehen.
Umso verdienstvoller sind daher philosophische Arbeiten, welche nicht-analytische Varianten der Sprachkritik rekonstruieren und sogar eigenständig entwickeln. Dazu zählt zweifelsohne die exzellente an der FU Berlin eingereichte Dissertation von Sebastian Tränkle „Nichtidentität und Unbegrifflichkeit. Philosophische Sprachkritik nach Adorno und Blumenberg“. Sie wurde mit dem Tiburtius-Preis der Berliner Hochschulen ausgezeichnet und 2022 als Buch bei Vittorio Klostermann publiziert. Auf den ersten Blick erscheint es ungewöhnlich, den Gründungsvater der älteren Kritischen Theorie - den Vertreter einer „Negativen Dialektik“ - und den großen Solitär der Philosophie des 20. Jahrhunderts - einen Vertreter einer Phänomenologie - zum Gegenstand einer philosophischen Untersuchung zu machen und dann auch noch ausgehend von beiden ein Konzept einer Sprachkritik vorzulegen, zumal zwischen beiden Philosophen nur ein einziges Mal eine Korrespondenz nachweisbar ist.
Tränkle kann in seiner umfangreichen Doktorarbeit überzeugend aufzeigen, dass sich aus dem Œuvre von Adorno und Blumenberg ein Programm einer Sprachkritik gewinnen lässt, in dessen Zentrum jeweils eine eigene Kritik am Primat des Begriffs steht. Während Adornos „materialistische Sprachkritik“ am Leitbegriff „Nichtidentität“ orientiert ist, ist es bei der „pragmatisch-anthropologischen Sprachkritik“ Blumenbergs der Leitbegriff „Unbegrifflichkeit“. Dieses wird in dem Werk Tränkles in den ersten beiden Hauptkapiteln differenziert herausgearbeitet unter Berücksichtigung des gesamten relevanten Schrifttums der Denker und der philosophischen Forschungsliteratur.
Besondere Erwähnung verdient das dritte Hauptkapitel der Dissertation. In diesem entwickelt Tränkle ausgehend von Adorno und Blumenberg eine genuin eigene Sprachkritik. Blumenbergs Metaphorologie wird von Tränkle durch die Brille Adornos als Ideologiekritik interpretiert. Das Kapitel „Metaphorologie als Ideologiekritik“ unterstreicht die Reaktualisierungsmöglichkeiten der dialektischen Philosophie Adornos, die - angesichts der Panökonomisierung der Lebensbereiche - zurzeit eine Renaissance erfährt. Mit seinem Buch hat Tränkle, der PostDoc Researcher am Exzellenzcluster „Temporal Communities“ an FU Berlin ist, erneut die „Flaschenpost“ der älteren Kritischen Theorie geöffnet. Bereits ein Jahr zuvor erschien der von ihm - zusammen mit Anne Eusterschulte - herausgegebene sehr gute Kommentarband zu Adornos „Ästhetischer Theorie“. Philosophie- und Ethiklehrkräfte erhalten durch die Dissertation Tränkles hervorragende Fachkenntnisse, um sich in ihrem Unterricht fundiert mit Grundlagen der Kritischen Theorie Adornos, mit Blumenbergs Metaphorologie sowie Varianten der Sprach- bzw. Ideologiekritik problemorientiert auseinandersetzen zu können.
Fazit: Sebastian Tränkle hat mit seiner hochreflexiven Arbeit „Nichtidentität und Unbegrifflichkeit“ sowohl einen Beitrag zur Adorno- und Blumenberg-Forschung geleistet, als auch zu einer um Erkenntnisse Blumenbergs vertieften materialistischen Sprachkritik. Diese nicht im Fahrwasser analytischer Philosophie stehende Sprachkritik verdient eine Rezeption im akademischen Diskurs.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Tränkle, Sebastian: Nichtidentität und Unbegrifflichkeit
Philosophische Sprachkritik nach Adorno und Blumenberg
2022. 682 Seiten. Kt 39,00 €
ISBN 978-3-465-04580-9
Klostermann Weiße Reihe 9
Ausgehend von einem Dialog zwischen Adorno und Blumenberg entwickelt die Studie ein eigenständiges Verfahren der philosophischen Sprachkritik. Durch die Konfrontation erarbeitet sie ein Sprachverständnis, das in der Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Begriffs- und der gesellschaftlichen Sprachpraxis gründet. Einerseits wird die von der Sprachphilosophie bis heute oft abgewertete Rhetorik rehabilitiert. Das "Unbegriffliche" erweist sich als unabdingbar für das Denken und Sprechen – besonders für den Ausdruck des "Nichtidentischen". Andererseits wird die unbewusste Orientierungsfunktion von Metaphern problematisiert. Im Rückgriff auf Adornos Gesellschaftstheorie rekonfiguriert der Autor Blumenbergs Metaphorologie als ein ideologiekritisches Verfahren, das an der Sprache abliest, was das Denken und Handeln anleitet. Die Arbeit wurde mit dem "Tiburtius-Preis der Berliner Hochschulen – Anerkennungspreis für hervorragende Dissertationen" ausgezeichnet.
"A remarkably thorough, thoughtful and original piece of work, fully justifying the decision to compare two figures who hitherto have rarely been discussed together."
Martin Jay
Based on a dialogue between Adorno and Blumenberg, this book develops a highly original method of philosophical language criticism. By way of this contrasting juxtaposition, it elaborates an understanding of language that is grounded in the dispute between scientific conceptual and social linguistic practice. On the one hand, rhetoric, which has often been (and even today sometimes is) devalued by the philosophy of language, is being rehabilitated. The "non-conceptual" proves to be indispensable for thinking and speaking – especially for the expression of the "non-identical". On the other hand, the unconscious workings of metaphors in orientation is expounded. Drawing on Adorno's social theory, the study reconfigures Blumenberg's metaphorology as an ideology-critical procedure that takes its cue from language in order to ascertain what guides thought and action. The study was awarded the Tiburtius Prize of the Berlin Universities – Recognition Award for Outstanding PhD Theses.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung - 7
Das Programm einer philosophischen Sprachkritik - 11
Begriffskritik und Metaphernkritik - 15
Nichtidentität und Unbegrifflichkeit - 18
Sprachkritik als Ideologiekritik - 19
Zur Verortung in der Literatur - 21
Zur Textauswahl - 27
Zu Methode, Darstellung und Aufbau - 29
Erster Teil: Nichtidentität
Adornos Kritik am Primat des Begriffs - 35
Exposition: Philosophie als Sprachkritik - 36
Sprachkrise und Sprachkritik - 36
Sprachphilosophie und Sprachkritik - 39
Sprachkritik als Programm - 42
Sprachkritik als Begriffskritik - 45
1. Kapitel: Kritik am Primat des Begriffs über das Nichtbegriffliche — 48
I. Genesis und Geltung des Begriffs - 50
Phylogenetische Konstitution des Primats - 51
Neuzeitliche Reproduktion des Primats - 58
II. Selbstkritik des Begriffs — 63
Logisches und materiales Moment des Begriffs - 63
Traditionelle und Kritische Theorie des Begriffs - 69
Traditionelle und Kritische Praxis: Einpassen versus Begreifen - 73
III. Darstellung des Begriffs oder: Mehr und anders identifizieren - 81
Spekulative Darstellung - 84
Konstellative Darstellung - 92
Subjektiver Eingriff oder: Konstellationen komponieren - 104
2. Kapitel: Die Rettung der Rhetorik - 109
I. Das Versprechen des Namens - in
Name und Begriff - in
Musik und Name - 113
II. Die rhetorische Rettung des Namens - 118
Das rhetorische Moment - 119
Sprachliche Ähnlichkeit -127
Das gebrochene Versprechen des Namens - 134
III. Formen rhetorischer Darstellung - 140
Urteil und Metapher - 141
Metapher und Modell - 149
Parataxis und Essay - 152
IV. Ein rhetorisch erweiterter Sprachbegriff - 162
Das rhetorische Wesen der Sprache - 163
Das begrifflich-unbegriffliche Wesen der Sprache - 167
Der Doppelcharakter der Sprache - 171
3. Kapitel: Kritik am Primat des Begriffs über das Unbegriffliche - 176
I. Der Primat der Kommunikation - 179
Der Prozess sprachlicher Verdinglichung - 180
Der Primat der Klarheit - 188
II. Die Aporien der Kommunikation - 193
Objektive, subjektive und intersubjektive Aporie - 194
Sprachkrise und Erfahrungsverlust - 198
in. Die Rettung der Kommunikation - 201
Sachliche Verständlichkeit - 202
III. Die Kommunikation des Unterschiedenen — 207
Sprachkritik statt Kommunikationstheorie - 211
Resümee: Materialistische Sprachkritik - 217
Zweiter Teil: Unbegrifflichkeit
Blumenbergs Kritik am Primat des Begriffs - 225
Exposition: Philosophische Kritik der Sprachwirklichkeit - 226
Die Krisis der philosophischen Sprachwirklichkeit - 226
Die Krise des Faustischen - 234
Phänomenologisch-hermeneutische Sprachkritik - 241
Philosophiekritik als Begriffskritik - 244
4. Kapitel: Historisch-semantische Kritik am Primat des Begriffs - 251
I. Historische Kritik am Primat des Begriffs - 257
Kritik am diachronen Primat der Definition - 257
Begriffsgeschichte - 263
II. Metaphorologie - 268
Metaphorologie statt Begriffsgeschichte - 269
Die geschichtliche Legitimität der Metapher - 276
III. Systematische Kritik am Primat des Begriffs - 281
Kritik am synchronen Primat der Definition - 281
Die Sagbarkeit des Unsagbaren - 286
Die systematische Legitimität des Unbegrifflichen - 295
5. Kapitel: Die Rehabilitierung der Rhetorik - 297
I. Die Leistung der Metapher - 299
Symbolische oder: metaphorische Darstellung - 300
Metaphorische Prädikation - 310
II. Die Welt der Metapher - 313
Die Welt als Höhle - 314
Gefangenschaft in der Welt der Sprache - 319
Metaphorische Gefangenschaft - 328
Kanalisierung und Orientierung - 333
III. Die Wahrheit der Metapher - 335
Sätze und Sachen - 337
Die Metapher, eine verite s faire - 340
IV. Die Darstellung der Metapher - 346
Der semantische Überschuss - 349
Die poetische Darstellungsfunktion - 356
Die rhetorische Darstellungsfunktion - 363
V. Philosophie der Rhetorik - 364
Philosophiegeschichtliche Hintergründe — 366
Logos und Phantasie - 368
Geschichtsphilosophischer Index - 374
6. Kapitel: Pragmatisch-anthropologische Kritik
am Primat des Begriffs - 376
I. Praktische Rückführung—379
Vorspiel: Die Entdeckung der Selbstbehauptung - 380
Geschichtsphilosophische Situierung - 388
Lebensweltliche Rückführung - 391
Anthropologische Rückführung - 394
II. Anthropologie des animal rhetoricum - 402
Anthropologische Lokalisierung der Rhetorik - 403
Rhetorische Lokalisierung der Anthropologie - 411
Das Prinzip des unzureichenden Grundes - 414
III. Anthropologische Rückführung des Begriffs - 418
Die Geburt des Begriffs aus dem Steinwurf - 420
Die Falle als erster Triumph des Begriffs - 424
Theoretische und ästhetische Selbstüberschreitung - 426
IV. Anthropologische Rückführung des Unbegrifflichen - 430
Benennung und Besetzung mit Bedeutsamkeit - 432
Die adamitische Abkunft des Namens - 437
Die Höhlengeburt der Phantasie - 441
V. Anthropologische Kritik am Primat des Begriffs - 447
Bedeutsamkeit und Bedeutung - 449
Die geschichtliche Legitimität der Bedeutsamkeit - 452
Die systematische Legitimität der Bedeutsamkeit - 456
Resümee: Pragmatisch-anthropologische Sprachkritik - 463
Umwege oder: der ethische Überschuss - 465
Humane Umwegskultur - 468
Die Umwegstruktur der Sprache - 470
Das Unbegriffliche und das Nichtidentische - 475
Dritter Teil: Metaphorologie als Ideologiekritik - 481
Exposition: Philosophische Metaphernkritik — 482
7. Kapitel: Deutung der Metapher - 487
I. Formalismus und Praktizismus - 489
Pragmatisch-anthropologische Sprachtheorie - 490
Materialistische Sprachtheorie - 494
Die negative Wahrheit der Metapher — 498
II. Geschichtsphilosophie und Anthropologie - $02
Negative Geschichtsphilosophie - 507
Negative Anthropologie - 510
Naturgeschichte - 516
Naturgeschichtliche Sprachkritik - 529
III. Mythos und Logos - 533
Die positive Persistenz des Mythos - 539
Die negative Persistenz des Mythos - 542
Dialektik des Mythos - 549
Arbeit an der Aufklärung - 534
IV. Phänomenologie, Hermeneutik und Ideologiekritik - 557
Der physiognomische Blick — 558
Der allegorische Blick - 561
8. Kapitel: Kritik der Metapher - 569
I. Immanente Kritik der Metapher - 575
Pseudo-Transzendenz - 576
Pseudo-Konkretheit - 581
II. Transzendente Kritik der Metapher - $87
Die Aufwertung des Konkreten - 588
Die Abwertung des Abstrakten - 593
III. Kritik der metaphorischen Aktion - 597
Metaphernrealismus - 597
Der Aufbruch der Metapher zur Tat - 602
Die Realisierung der Metapher - 612
9. Kapitel: Metapher als Kritik - 620
Ein Denkmodell — 622
Ein letzter Satz - 629
Schluss: Ohne Leitbild - 635
Danksagung - 646
Literatur - 648
Ausführliches Inhaltsverzeichnis — 677