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Hans Blumenberg Ein philosophisches Portrait Jürgen Goldstein
Hans Blumenberg
Ein philosophisches Portrait


Jürgen Goldstein
Matthes & Seitz
EAN: 9783957577580 (ISBN: 3-9575775-8-6)
624 Seiten, hardcover, 15 x 22cm, Juli, 2020

EUR 34,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Die große intellektuelle Biographie von Hans Blumenberg, der antrat, in der Geschichte des Denkens nach den Spuren des Menschlichen zu suchen. Ein faszinierendes philosophisches Portrait des vielleicht letzten wirklichen Gelehrten.
Rezension
„Die Legitimität der Neuzeit“(1966), „Die Genesis der kopernikanischen Welt“(1975), „Arbeit am Mythos“(1979), „Die Lesbarkeit der Welt“(1981), „Lebenszeit und Weltzeit“(1986), „Matthäuspassion“(1988) oder „Höhlenausgänge“(1989) sind voluminöse Bücher des Philosophen Hans Blumenberg (1920-1996). Der von 1970 bis 1985 an der Universität Münster wirkende Philosophieprofessor gilt als der „unsichtbare Philosoph“, so der Titel einer 2018 erschienenen filmischen Dokumentation. Ab 1978 gab Blumenberg keine Seminare mehr an der Universität - nur noch Vorlesungen, er zog sich lieber an seinen Schreibtisch in Altenberge zurück, um seine philosophischen Schriften zu verfassen. Sein facettenreiches Œuvre umfasst nämlich nicht nur Bücher und Aufsätze, sondern auch zahlreiche, zuerst unter Pseudonym verfasste, Artikel für (überregionale) Tageszeitungen. In seinem Nachlass im Deutschen Literaturarchiv Marbach liegen u.a. 10000 Typoscriptseiten. Auch wenn Blumenbergs Schriften beim ersten Lesen oftmals nicht leicht zugänglich sind, enthalten sie doch zahlreiche einprägsame, brillante, von Sprachgewandtheit zeugende Formulierungen. Deshalb erhielt der Philosoph 1980 von der Deutschen Akademie für Sprache den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa verliehen.
Als Hauptthema des Blumenberg`schen Gesamtwerks lässt sich die Auseinandersetzung des neuzeitlichen Menschen mit der von Sinnverlusten geprägten Welt identifizieren. Ausgehend von tiefschürfenden geistes- und wissenschaftsgeschichtlichen Studien elaboriert der Philosoph eine Phänomenologie der Weltstellung des modernen Menschen. Blumenberg untersucht in seinen Schriften die Empfänglichkeit des Menschen für Geschichten, seine Angewiesenheit auf symbolische, mythische und religiöse Deutungssysteme, sowie seinen Rückgriff auf Technik im „Absolutismus der Wirklichkeit“, um in dem sinnfreien Kosmos Weltbehagen und Sicherheit zu erreichen. Dazu entwickelt der Philosoph eine Anthropologie, eine Theorie der Lebenswelt, eine Theorie der Bedeutsamkeit und eine Metaphorologie. Blumenbergs tiefsinnige Erkenntnisse systematisch aus seinem umfangreichen Œuvre herauszukristallisieren ist ‚harte Arbeit‘.
Genau dieses leistet Jürgen Goldstein (*1962) in seiner umfangreichen Monographie „Hans Blumenberg. Ein philosophisches Porträt“, die zum 100. Geburtstag des Philosophen bei Matthes & Seitz erschienen ist. In seiner „Denkbiographie“ gelingt es dem Professor für Philosophie an der Universität Koblenz-Landau sehr gut, die nachmetaphysischen Denkbewegungen Blumenbergs nachzuzeichnen, so dass auch schwierige Textstellen verständlich werden. Goldstein konnte bei Blumenberg noch die legendären Freitagsvorlesungen hören und hat sich bereits in seiner Dissertation „Nominalismus und Moderne. Zur Konstitution neuzeitlicher Subjektivität bei Hans Blumenberg und Wilhelm von Ockham“(1998) intensiv mit dem Philosophen auseinandergesetzt. In seiner Biographie beleuchtet Goldstein zahlreiche Facetten von Blumenbergs Werk auf der Basis aller gedruckt vorliegenden Originalschriften inklusive der aus dem Nachlass veröffentlichten; Sekundärliteratur wird von ihm (zu Recht) nur sporadisch herangezogen. Er identifiziert als zentrales philosophisches Anliegen Blumenbergs den „Schutz vor Visibilität“. Nebenbei erfährt man auch noch von Blumenbergs Humor, gestand dieser doch, dass es auch für ihn schwierig sei, an den Ständen mit den Rollmöpsen auf dem Send vor dem Münsteraner Schloss vorbeizugehen. Goldsteins intellektuelle Biographie überzeugt nicht nur in inhaltlicher Sicht, sondern auch durch sprachliche Eleganz. Davon zeugten schon Goldsteins lesenswerte Bücher „Georg Forster. Zwischen Freiheit und Naturgewalt“(2015) und „Blau. Eine Wunderkammer seiner Bedeutungen“(2017).
Philosophie-Lehrkräfte erhalten durch Goldsteins neues Werk einen hervorragenden Zugang zur Philosophie Hans Blumenbergs, bietet diese doch produktive Bausteine für kritische Reflexionen über gesellschaftliche und technische Entwicklungen in der Spätmoderne. Anhand von Schriften, Textausschnitten und Zitaten aus dem Werk des Philosophen lässt sich zum Beispiel mit Schülerinnen und Schülern über die Stellung des Menschen, über die Funktion von Technik, über Kontingenz, über Lebenssinn, über die Rolle von Religion oder über die Verständlichkeit der Welt philosophieren. Außerdem fördert das genaue Lesen der Blumenberg`schen Texte eine Haltung der Nachdenklichkeit, die für den „Arbeit[er] am Logos“ ein genuines Merkmal der Philosophie bildete.
Fazit: Jürgen Goldstein liefert mit seiner überaus lesenswerten Biographie „Hans Blumenberg. Ein philosophisches Portrait“ einen wichtigen Beitrag zur Kartographie des philosophischen Denkens von Blumenberg und damit zur Sichtbarmachung eines Philosophen, dessen Schriften verdienen gerade im digitalen Zeitalter gelesen und rezipiert zu werden.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Elegant und klar formuliert – ein Lesegenuss
Das Werk Hans Blumenbergs steht wie ein Monolith in der philosophischen Landschaft. Während er immer mehr als einer der wichtigsten deutsch­sprachigen Philosophen des 20. Jahrhunderts entdeckt wird, erscheinen seine Bücher als ungemein faszinierend und schwer zu lesen, äußerst anregend und zumeist umständlich sowie überaus stilbewusst und oftmals sehr um­ fangreich. Jürgen Goldstein, der selbst bei Blumenberg studierte, zeichnet ein philosophisches Portrait dieses Autors, indem er dessen geistige Physiogno­mie hervortreten lässt: Meisterhaft und anschaulich folgt er als ausgewiesener Kenner den Gedankenlinien des reichhaltigen Werkes, von den frühesten akademischen Schriften über die klassischen Bücher bis zu den essayistischen Miniaturen der späten Jahre und den bereits aus dem Nachlass gehobenen Schriften. Dabei wird nicht nur beleuchtet, was Blumenberg dachte, sondern auch, wie er es tat. So eröffnet seine Denkbiografie nicht nur Eingeweihten des Werks neue Perspektiven, sondern dient auch als Handreichung für jene, die bei einem seiner Bücher ins Stocken geraten sind. Auf diese Weise wird dem Gelehrten, der zeit seines Lebens den Zugriff auf seine Person scheute, Genüge getan: denn Blumenberg wollte nicht durchschaut, er wollte gelesen werden.
Inhaltsverzeichnis
9 Vorwort
Portrait eines sich Verbergenden
15 Einleitung
15 Der Zettelkasten
27 Sinn und Form: Von der Humanität der Umständlichkeit
37 Eine diskrete Anthropologie
47 Destruktionen
47 Frühe Einstimmung: Das Schweigen der Welt
55 Tradition und Ursprünglichkeit
76 Die Geschichtlichkeit der Geschichte
96 Das Verfolgen der Phänomene: Anmerkungen zur Methode
113 Dem literarischen Nihilismus auf der Spur
133 Grundlegungen
133 Frühes Scheitern: Eine Geistesgeschichte der Technik
153 Die Wende zur Lebenswelt
175 Eine Kritik der reinen Rationalität: Metaphorologie
198 Der Selbstzweck der Quellen
203 Klassizität
203 Das versöhnende Glück der Theorie
217 Spätmittelalterliche Gotteseskalation
238 Die Kunst der Auslegung
262 Eine Bewusstseinsgeschichte der Neuzeit: Kopernikanismus
290 Versatzstücke einer großen Metaphorologie
324 Die Bedeutsamkeit des Mythos
346 Wenn Einer vollendet, was allen möglich ist: Goethe
369 Verteidigung der Deutungshoheit
387 Die bitterste aller Entdeckungen
397 In der Gelehrtenhöhle
431 Nachdenklichkeiten
431 Erhöhte Freiheitsgrade
443 Die Kunst der kleinen Form: Anekdoten
458 Gang zwischen Meistern
471 Horizontanreicherung der Matthäuspassion
487 Paradigmen zu einer ausdrücklichen Anthropologie?
515 Schluss
Die Sichtbarkeit Hans Blumenbergs
529 Nachwort
Philosophieren in der Johannisstraße 12–20, Münster
533 Anmerkungen
607 Chronologisches Verzeichnis der herangezogenen Schriften
Hans Blumenbergs