lehrerbibliothek.deDatenschutzerklärung
Der absolute Leser Hans Blumenberg - Eine intellektuelle Biographie Rüdiger Zill
Der absolute Leser
Hans Blumenberg - Eine intellektuelle Biographie


Rüdiger Zill
Suhrkamp
EAN: 9783518587522 (ISBN: 3-518-58752-8)
816 Seiten, hardcover, 15 x 22cm, Juni, 2020

EUR 38,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
„Der absolute Autor schreibt an seinen sämtlichen Werken, damit der ihn verfallene Leser sein Leben lang nichts anderes zu tun haben kann, als in diesen zu lesen.“

Hans Blumenberg
Rezension
Der Philosoph Hans Blumenberg (1920-1996) wird im Jahr seines 100. Geburtstag von seinem Hausverlag Suhrkamp mit drei Büchern gewürdigt, die zufälligerweise alle am gleichen Tag erschienen, nämlich mit der Buchausgabe seiner 1947 an der Universität Kiel eingereichten Dissertation „Beiträge zum Problem der Ursprünglichkeit der mittelalterlich-ontologischen Scholastik“, mit neun tiefschürfende Nachlass-Texten zu „Realität und Realismus“ und mit der umfangreichen Blumenberg-Biographie von Rüdiger Zill (*1958).
Diese trägt den passgenau gewählten Titel „Der absolute Leser. Hans Blumenberg – Eine intellektuelle Biographie“. Dazu hat Zill den 10.000 Typoscriptseiten umfassenden Nachlass Blumenbergs, der zahlreiche bisher ungedruckte Manuskripte, Briefwechsel und aufschlussreiche Dokumente wie seine drei Hefte umfassende Leseliste enthält, gesichtet. Außerdem basiert das Buch Zills auf der gesamten gedruckten Primärliteratur Blumenbergs, der Sekundärliteratur zu dem Philosophen und intensiven Recherchen in verschiedensten Archiven. Bei seiner Biographie handelt es sich um die erste quellengesättigte Darstellung von Leben und Werk des Philosophen, der nach Professuren in Gießen und Bochum von 1970 bis 1985 an der Universität Münster wirkte. Ab 1976 erfüllte Blumenberg seine Lehrverpflichtungen durch das Abhalten von Vorlesungen, verfasste an seinem Schreibtisch in Altenberge voluminöse Bücher wie „Die Genesis der kopernikanischen Welt“(1975), „Arbeit am Mythos“(1979), „Die Lesbarkeit der Welt“(1979), „Lebenszeit und Weltzeit“(1986), „Matthäuspassion“(1988) oder „Höhlenausgänge“(1989), ergänzte sein erstmals 1966 erschienenes Werk „Die Legitimität der Neuzeit“ um drei weitere Teile, schrieb Beiträge für die Literaturzeitschrift „Akzente“ und einige Artikel für überregionale Zeitungen wie die NZZ und die FAZ.
In seiner auf mehrjährigen Recherchen basierenden Denkbiographie gelingt es Zill hervorragend, die Genese und Entwicklung der Blumenberg`schen Philosophie mit ihren unterschiedlichen Pfaden zu rekonstruieren. Das philosophische Denken Blumenbergs deutet der wissenschaftliche Referent am Einstein Forum in Potsdam zu Recht als ein „experimentierendes, ein Denken in Bewegung“. Dem Biographen ist bei seinen Ausführungen die Freude anzumerken, unterschiedliche Verästelungen in dem Werk des Philosophen aufzuzeigen. Es ist ein besonderes Verdient des Blumenberg-Experten, Leserinnen und Lesern die vielfältigen Denkbewegungen Blumenbergs - unter Berücksichtigung seiner zentralen Bezugsautoren, und von institutionellen Konstellationen und Netzwerken – zu verdeutlichen. Zills gekonnte Zitatauswahl – vielfach aus den ungedruckten Nachlass-Schriften - zeugt von exzellenter Werkkenntnis. So erhalten auch die mit der Philosophie Blumenbergs bisher wenig Vertrauten einen fundierten Einblick in dessen Anthropologie, Theorie der Lebenswelt, Theorie der Bedeutsamkeit und in dessen Metaphorologie. Blumenberg verkörpert für Zill einen Vertreter einer (vergangenen) philosophischen Lebensform, als dessen Grundfigur er den „absoluten Leser“ identifiziert. Der von Blumenberg selbst stammende Begriff fungiert in Zills meisterhafter Biographie als Klammer für die Einheit von Leben und Werk des Philosophen. So verarbeitete Blumenberg beispielsweise die Lektüre eines Maigret-Krimis von Georges Simenon in seinem bislang unveröffentlichten Text „Bilder, die es nicht mehr gibt“. In seiner Biographie fördert Zill unbekannte biblio-biographische Details zu Blumenberg ans Licht. Außerdem sind in ihr einige erstmals von der Familie zur Verfügung gestellte private Photographien Blumenbergs abgedruckt.
Philosophie- und Ethik-Lehrkräfte erhalten durch Zills elegant verfasstes Werk einen sehr guten Zugang zum philosophischen Denken Blumenbergs. Dessen Œuvre enthält tiefsinnige Reflexionen in brillanten Formulierungen, die verdienen Gegenstand des Philosophie- und Ethikunterrichts zu werden, regen sie doch zur kritischen Reflexion an: über die Weltstellung des (spät)modernen Menschen, über seine Empfänglichkeit für Geschichten, über seine Angewiesenheit auf symbolische, mythische und religiöse Deutungssysteme, sowie über seinen Rückgriff auf Technik im „Absolutismus der Wirklichkeit“, um in dem sinnfreien Kosmos Weltbehagen und Sicherheit zu erreichen. Die Auseinandersetzung mit den Schriften Blumenbergs fördert zudem eine Haltung der Nachdenklichkeit.
Fazit: Rüdiger Zill hat mit seiner monumentalen Denkbiographie „Der absolute Leser“ dem Philosophen Blumenberg ein würdiges Denkmal gesetzt, dass dazu motiviert, dessen vielschichtiges Werk zu entdecken und anverwandelnd zu lesen.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Sachbuch-Bestenliste
Inhalt
Hans Blumenberg wollte allein durch seine Philosophie sprechen. Seine Person sollte den Blicken der Öffentlichkeit entzogen bleiben. Und doch ist die Lesbarkeit seiner Welt nur durch das Licht seiner Zeit und ihrer Kämpfe möglich. Unter dem Nationalsozialismus wegen seiner jüdischen Mutter verfolgt, geprägt vom katholischen Milieu seines Vaters und einem humanistischen Elitegymnasium in der Hansestadt Lübeck, ist er am Ende ein typischer Vertreter der alten Bundesrepublik. Seit frühester Jugend ein obsessiver Leser, hat er Literatur, Philosophie, Theologie, Naturwissenschaften und Zeitgeschichtliches gleichermaßen aufgesaugt und daraus ein herausragendes Werk geschaffen.
Im Rückgriff auf bisher unerschlossene Archivquellen legt Rüdiger Zill in seinem reich bebilderten Buch die lebensgeschichtlichen Wurzeln dieses Werks frei und zeigt, dass es keineswegs so monolithisch ist, wie es auf den ersten Blick erscheint. Vielmehr versteht man es nur, indem man seine Wege und Umwege nachvollzieht sowie die Vernetzungen mit den Wissenschaften in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der absolute Leser gewährt erstmals einen umfassenden Einblick in die Werkstatt eines Autors, der wie kein zweiter die Entwicklung seiner Arbeit akribisch dokumentiert hat. Hans Blumenberg beim jahrzehntelangen Lesen, Entwerfen und Formulieren über die Schulter zu sehen heißt auch, etwas über das faszinierende Handwerk des Denkens selbst zu lernen.
Inhaltsverzeichnis
Die Lesbarkeit des Denkens: Ein Prolog 7
I. Beschreibung des Lebens
1. Von der Schwierigkeit, erwachsen zu werden 37
2. Von der Schwierigkeit, sein Brot zu verdienen 114
3. Von der Schwierigkeit, ein Gespräch zu führen 235
II. Arbeit am Werk
1. Von der Schwierigkeit, einen Verleger zu finden 365
2. Von der Schwierigkeit, eine Form zu finden 379
III. Der Prozess einer philosophischen Neugierde
1. Nicht selbstverständlich 415
2. 1949: Orientierungsversuche nach dem Krieg 422
3. 1961: Auch eine Kritik der reinen Rationalität 465
4. 1970: Eine Philosophie der Distanz 504
5. 1980: Vom Lob des Umwegs als Antimethodologie 536
6. »Das Ende ist es, was an den Anfang denken läßt« 573
Anmerkungen 585
Chronologie 711
Primärliteratur 725
Archivalien 750
Sekundärliteratur 760
Bildnachweise 793
Dank 794
Namenregister 799