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Die Zeit der Pädagogik  Zeitperspektiven im erziehungswissenschaftlichen Diskurs Festschrift für Walter Herzog
Die Zeit der Pädagogik
Zeitperspektiven im erziehungswissenschaftlichen Diskurs


Festschrift für Walter Herzog

Marie-Theres Schönbächler, Rolf Becker, Armin Hollenstein, Fritz Osterwalder (Hrsg.)

Verlag Paul Haupt
EAN: 9783258075372 (ISBN: 3-258-07537-9)
302 Seiten, paperback, 16 x 23cm, 2010, 15 Abbildungen und 13 Tabellen

EUR 32,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Zeit ist in der öffentlichen Diskussion über Erziehung eine konstitu­tive Bestimmung. Dabei wird sie sehr unterschiedlich gefasst: Erziehung wird verstanden als ein Prozess, der zeitlich konsekutiv geordnet werden muss. Es wird aber auch von einer Erziehungszeit der Eltern gesprochen und von der Schulzeit im Lebenslauf. Unterricht und Didaktik verlangen von den Lehrpersonen ein Zeitmanagement. Über Schulanfang, Schul­ende und Dauer der Schulzeit wird politisch debattiert. Aber weit dar­über hinaus werden Erziehung und Bildung selbst zum Instrument, mit dem in der Gegenwart die Zukunft, die Zeit des einzelnen Menschen und sogar der ganzen Gesellschaft berechenbar werden sollen. Trotz dieser Zentralität der Dimension «Zeit» ist die theoretische Diskussion darüber wenig entwickelt. Der vorliegende Band diskutiert aus soziologischen, pädagogisch-psychologischen und historischen Perspektiven die Zeit­dimensionen von Erziehung.
Rezension
Kindergartenzeit, Schulzeit, Erziehungszeit, Lehrzeit, Unterrichtszeit, Hausaufgabenzeit, unterrichtliches Zeitmanagement - trotz der Zentralität der Dimension «Zeit» in Erziheung und Pädagogik ist die theoretische Diskussion darüber wenig entwickelt. Die vorliegende Festschrift für Walter Herzog stellt sich diesem Mangel und diskutiert aus soziologischen, pädagogisch-psychologischen und historischen Perspektiven die Zeit­dimensionen von Erziehung. Dabei werden durchaus so heterogene Gebiete bearbeitet wie: Zeitgemässe Sporterziehung oder Unterricht als gemeinsam verbrachte Zeit. Aber es erscheint sinnvoll, sich einmal mit einer so grundlegenden Thematik zu beschäftigen.

Jens Walter, lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
Marie-Theres Schönbächler, Rolf Becker, Armin Hollenstein, Fritz Osterwalder
Die Zeit der Pädagogik – Zeitperspektiven im erziehungswissenschaftlichen Diskurs 7

Erziehungszeit

Simon Bärtschi, Marie-Theres Schönbächler
Unterricht als gemeinsam verbrachte Zeit 13

Rolf Becker
Zeit der Erziehung: Die Rolle gemeinsamer Lebenszeiten für die Reproduktion von Bildungschancen über drei Familiengenerationen in der deutschen Nachkriegszeit 31

Marianne Schüpbach
Ganztägige Bildung von Schulkindern im Wandel der Gesellschaft 57

Markus P. Neuenschwander
Familiäre Bedingungen der Selbstkonzeptentwicklung beim Übergang in die Sekundarstufe II 69

Zeitmodelle der Pädagogik

Hermann J. Forneck
Zur Gouvernementalität schulischer Zeitregimes 87

Karl Weber
Aushandlung von Zeitregimes in der Weiterbildung 103

Susanne Rüegg
Flanieren und Weiterbilden: Zeitpolitik ist Weiterbildungspolitik 119

Silvio Herzog
Zur Bedeutung der Zeit in der Konzeption und Erfassung von Bewältigungsprozessen 129

Jürgen Oelkers
„Zeit verlieren“: Eine Paradoxie Rousseaus 149

Fritz Osterwalder
Die Zeit der öffentlichen Schule: Zeit, Fortschritt und Rechtsgleichheit im Konzept der „Instruction publique“ 165

Erziehung zur und in der Zeit

Claudia Crotti
„Mehr Männer in die Klassenzimmer!“: Lehrtätigkeit – als Frage des ‚richtigen’ Geschlechts – eine zeitlose Debatte? 197

Franziska Bertschy, Christine Künzli David
Aufgaben und Möglichkeiten von Bildungsinstitutionen im Kontext Nachhaltiger Entwicklung 211

Elena Makarova
Das Fremde im pädagogischen Diskurs des 21. Jahrhunderts 227

Kurt Egger
Zeitgemässe Sporterziehung 241

Armin Hollenstein
Hybride Lehre an der Hochschule und in der Nachholbildung für Erwachsene 253

Walter Herzog

Curriculum Vitae 281

Bibliographie 283


Leseprobe:

Einleitung
Die Zeit der Pädagogik
Zeitperspektiven im erziehungswissenschaftlichen Diskurs
Zeit ist in der öffentlichen Kommunikation, im professionellen Diskurs und in der bildungspolitischen
Auseinandersetzung über Erziehung eine konstitutive Bestimmung des
Gegenstandes Erziehung selbst. Dabei wird Erziehung in sehr unterschiedlichen Dimensionen
mit Zeit in Beziehung gesetzt. Erziehung wird verstanden als ein Prozess mit
einem zeitlichen Verlauf, der zeitlich konsekutiv angeordnet werden muss, der einen
Anfang und ein Ende hat. So wird auch gesprochen von einer Erziehungszeit, der Zeit,
die die Eltern der Erziehung widmen, und den Jahren, während derer der junge Mensch
erzogen wird. Unterricht und Didaktik verlangen von den Lehrpersonen ein Zeitmanagement.
Nur als Kontrapunkt zu dieser Zeitdimension von Erziehung konnte der Slogan
über das lebenslange Lernen seine Wirkung überhaupt entfalten. Erziehung wird aber
nicht nur beschrieben als Prozess in einem zeitlichen Verlauf, sondern gleichermassen
ist die zeitliche Dimension wesentlich für die Orientierung von Erziehung. Erziehung
soll bemessen werden an den Anforderungen an den künftigen erwachsenen Menschen.
Erziehung richtet sich nicht nur aus auf die Anforderungen der Gegenwart, sondern sie
setzt Vergangenheit in Tradition fort, ist aber bestimmt durch die Zukunft des zu erziehenden
Menschen. Aber weit darüber hinaus wird Erziehung selbst zum Instrument, mit
dem in der Gegenwart Zukunft gestaltet und berechenbar werden soll. Über Erziehung
soll das künftige Verhältnis der Geschlechter, der künftige Umgang mit unterschiedlichen
Kulturen neu geregelt werden. Dass Investitionen in die Erziehung Investitionen in
die Zukunft seien, ist im Zuge der Vermarktung der öffentlichen Diskussion bereits zum
politisch allseitig verwendbaren Slogan geworden. Zeit, der Umgang mit Zeit und Zeitlichkeit,
soll aber auch ganz generell zur inhaltlichen Bestimmung von Erziehung werden.
Das angeblich ‚zeitlose‘ Kind soll durch Erziehung erst angeleitet werden mit der
sozialen Dimension von Zeit und mit Geschichte umgehen zu können. Erst durch Erziehung
werden demnach Menschen zeitliche Wesen. Die Annahme, dass Kinder ohne
oder jenseits der Zeit, ohne Zeitrhythmus leben, schlafen und essen, zeitlos spielen,
gehört zum festen Inventar westlicher Kindheitsbilder. Erziehung erst unterwirft sie
dem mechanischen Takt der Zeit, bringt ihnen bei, Zeit als knappes Gut zu schätzen und
damit haushälterisch umzugehen.
Diese zentrale Stellung von Zeit im Zuschnitt von Erziehung nimmt Walter Herzog
zum Ausgangspunkt einer pädagogisch-psychologischen Theorie, die er 2002 in dem
8 Herausgeberschaft
opus magnum Zeitgemässe Erziehung: Die Konstruktion pädagogischer Wirklichkeit
vorgelegt hat. Es zeichnet die ganze Arbeit von Walter Herzog in Forschung und Lehre
aus, dass er die Problematik des kommunikativ-konstruktiven und des professionellen
Zuschnitts von Erziehung und Erziehungsprozessen ernst nimmt und in seine Arbeit
einschliesst. Dies erfolgt allerdings nicht im Sinne einer populistischen Anbiederung an
Öffentlichkeit oder Profession – die heute notorisch geworden ist –, sondern im Sinne
einer kritischen Auseinandersetzung. So besteht der Ausgangspunkt seiner Theorie der
Zeitgemässen Erziehung auch in der kritischen Analyse der Zeitdimension in der pädagogischen
Kommunikation. Herzog weist nach, dass diese wesentlich auf einer Raum-
Zeit-Vorstellung beruht, die die Dominanz der Erziehungsperson – also Erziehung als
Wächteramt – nahe legt (vgl. Herzog 2002, S. 31). Zeit wird in diesen Dimensionen als
ein abgeschlossener Raum verstanden, in den wir uns hineinbegeben. Die Zeit der Erziehung
ist der Zeitraum, in dem das Kind überwacht wird. Herzogs Theorie der Erziehung
wählt dementsprechend einen andern temporalen Zuschnitt – eine modale Zeit, in
der Zeit subjektiv und sozial konstruiert wird als Konfrontation mit Neuheit.
Walter Herzogs Theorie der Zeitgemässen Erziehung zeichnet sich – wie seine ganze
Forschung und Lehre – durch die Fähigkeit aus, unterschiedliche Disziplinen interdisziplinär
fruchtbar zusammenzufügen. Während in seiner eigenen Disziplin, der pädagogischen
Psychologie, die beiden disziplinären Perspektiven zwar eine jahrhundertealte
Verbindung feiern, so ist letztlich ihre Durchdringung äusserst dürftig geblieben. In
Walter Herzogs Theorie werden psychologische und pädagogische, aber auch soziologische
und historische Erkenntnisse fruchtbar in eine Perspektive des Werdens und der
Erziehung zusammengefügt.
Im Kontrast zu seiner zurückgezogenen, bescheidenen, fast scheuen Art in der persönlichen
Begegnung sind die Theorien von Walter Herzog, seine Forschung und seine
Lehre intellektuell weit einladend angelegt, was alle, die sich damit beschäftigen wahrnehmen.
Interdisziplinarität bedeutet in seiner Arbeit nicht einfach die Nutzung von
Bestandteilen anderer Disziplinen als Versatzstücke für die Lösung von Problemen, die
der Pädagogik verschlossen bleiben. Vielmehr sucht seine Arbeit auch den Anschluss
an andere Theorien und Forschungen, an die andern Disziplinen im eigenen Feld, an die
Allgemeine und Historische Pädagogik, an die Bildungssoziologie, Didaktik und selbstverständlich
an die Psychologie und ihre Unterdisziplinen.
Als Studierende, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Kolleginnen und Kollegen
erleben wir Walter Herzogs wissenschaftliche Arbeit und ihn als Freund und Kollegen
in diesem Sinne als eine grosse Herausforderung und konstante Einladung, sich mit
diesen Problemen auseinanderzusetzen und zu den Fragen zu äussern, die seine Arbeit
stellt. Mit der Absicht einer ergebnisreichen Konfrontation haben wir ihm zu Ehren die
zentrale Problematik seiner Theorie der Zeitgemässen Erziehung als Thematik eines
Sammelbandes aufgegriffen. Im Zentrum stehen hier die Dimensionen der Zeit in der
Pädagogik, in der Erziehung als sozialem Prozess, in ihrem kommunikativen Zuschnitt
und ihrer wissenschaftlichen Bearbeitung.
Einleitung 9
Dabei halten wir uns nicht eng an die Theorie von Walter Herzog, sondern es geht
darum, die verschiedenen Dimensionen der Zeit, mit denen die pädagogische Forschung
konfrontiert ist oder die sie erarbeitet, zu inventarisieren. Dass einige der dargelegten
Ergebnisse vielleicht kaum in seiner Theorie zu fassen sind oder sich als sperrig erweisen,
soll der Dankbarkeit und der Ehre, die wir Walter Herzog damit erweisen wollen,
keinen Abbruch tun. Im Gegenteil, sie sollen der Einladung von Herzogs Arbeit als
Forscher und Lehrer folgen, mit ihm in eine intellektuell ergebnisreiche Auseinandersetzung
zu treten.
Dafür haben wir drei unterschiedliche Schwerpunkte festgelegt: (1) Im ersten Teil
stellen wir die Beiträge zusammen, die sich mit der Erziehungszeit, der zeitlichen Fassung,
Strukturierung oder Eingrenzung von Erziehung in Theorien und Fallstudien beschäftigen.
(2) Im zweiten Teil geht es um die Ausgangsfrage von Herzogs Theorie, die
Frage nach den Zeitmodellen der Pädagogik. Dabei sollen Zeitmodelle in interschiedlichen
pädagogischen Theorien, in spezifischen historischen Kontexten, die Modellierung
des Zeitfaktors in Untersuchungen und Konzepten, oder spezifische Forschungsergebnisse
in Bezug auf den Zeitfaktor in der Erziehung bestimmt werden. (3) Im dritten Teil
schliesslich wird Erziehung zur und in der Zeit, Zeit als Erziehungsinhalt oder Zeit als
entscheidender Kontext von Erziehung untersucht.
Wir danken allen Kolleginnen und Kollegen, die sich spontan bereit erklärt haben,
in dieser akademisch oder präziser akademisch-verwaltungstechnisch hektischen Zeit zu
dieser Arbeit zu Ehren von Walter Herzog beizutragen. Ganz besonders möchten wir
auch den Assistierenden Nadja Wenger und Michael Gabathuler danken, welche die
Korrektur und das Layout übernommen haben. Schliesslich gebührt dem Haupt-Verlag
Dank dafür, dass er die Festschrift ohne Kostenzuschuss in die Reihe Prisma aufgenommen
hat. Last, but not least sagen wir im Namen von Studierenden, Mitarbeitenden
und Kollegen Walter Herzog Dank für seine grosse Arbeit und die vielen intellektuellen
Anregungen.
Marie-Theres Schönbächler
Rolf Becker
Armin Hollenstein
Fritz Osterwalder
Weitere Titel aus der Reihe Prisma - Beiträge zur Erziehungswissenschaft aus historischer, psychologischer und soziologischer Perspektive