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Die Urkatastrophe Deutschlands. Der erste Weltkrieg 1914-1918
Die Urkatastrophe Deutschlands. Der erste Weltkrieg
1914-1918




Wolfgang J. Mommsen

Klett-Cotta
EAN: 9783608600179 (ISBN: 3-608-60017-5)
400 Seiten, hardcover, 14 x 22cm, 2002, Leinen mit eingel. Titelschild, Fadenheftung, Lesebändchen, ausf. Anhang, Names- und Ortsregister

EUR 32,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
DER ERSTE WELTKRIEG die »Urkatastrophe« Europas steht am Anfang einer Epoche gewaltiger Umwälzungen. In seinem Gefolge ereigneten sich politische und soziale Erschütterungen, die die überkommene bürgerliche Ordnung Europas zerstörten. Die politischen, militärischen und sozialen Ereignisse werden hier ebenso dargestellt wie die Veränderungen der mentalen Strukturen und des kulturellen Systems.



WOLFGANG J. MOMMSEN geb. 1930, Studium in Marburg, Köln und Leeds; 1958 Promotion; 1967 Habilitation. Seit 1968 Professor für Neuere Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, seit 1996 Professor Emeritus. 1978 bis 1985 Direktor des Deutschen Historischen Instituts in London. 1989 bis 1990 Vorsitzender des Verbandes der Historiker Deutschlands. 1990 bis 1991 Fellow am Historischen Kolleg in München. Zahlreiche Gastprofessuren in Cornell Ithaca, NY, Oxford, Cambridge, Washington D.C., London, Ontario, 1996/97 Fellow am Wissenschaftskolleg Berlin.
Rezension
Mit dem neuen Gebhardt wird das bedeutendste Standardwerk zur deutschen Geschichte in 24 Bänden neu aufgelegt. Die zehnte Auflage erscheint inhaltlich völlig neu bearbeitet und in außergewöhnlicher Ausstattung. Vier international renommierte Herausgeber verwirklichen zusammen mit einem neuen Team ausgewiesener Historiker ein Konzept, das den tiefgreifenden Veränderungen der Geschichtswissenschaft gerecht wird. Die vier Großepochen - Spätantike bis zum Mittelalter; Frühe Neuzeit bis zum Ende des Alten Reiches; das 19. und das 20. Jahrhundert - werden in 24 Bänden umfassend dargestellt. Die Leser des Gebhardt werden gründlich über den aktuellsten Stand der Forschung informiert. Die deutsche Geschichte wird nicht mehr nur national, sondern in ihren europäischen und weltumspannenden Zusammenhängen verstanden. Wirtschaft, Gesellschaft, Verfassung, Mentalität und Kultur werden gleichgewichtig vor dem Hintergrund der politischen Ereignisgeschichte erläutert. - Im Laufe eines Jahrhunderts ist der Gebhardt zum bedeutendsten Handbuch der deutschen Geschichte geworden. In ihm resümiert und reflektiert jede Historikergeneration seit dem ersten Erscheinen den Stand der deutschen Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung. Bruno Gebhardt, Gymnasiallehrer in Breslau, veröffentlichte 1891/92 ein zweibändiges Handbuch der deutschen Geschichte, das eigentlich für den Gebrauch in Schulen bestimmt war. Neu ist die Konzeption: Sie folgt einem integrierenden Verständnis von Geschichte und überwindet die Trennung der Teildisziplinen durch eine umfassende Darstellung jedes Zeitabschnittes in seinen wichtigsten Aspekten. - Der hier anzuzeigende Band 17 bietet auf der Basis der Forschungen der letzten Jahrzehnte eine umfassende Gesamtdarstellung des Ersten Weltkriegs aus deutscher Sicht. Neben dem Kriegsausbruch (§ 2) und den politischen und militärischen Entwicklungen (§ 3) liegt der Schwerpunkt der Darstellung auf den Auswirkungen des 1. Weltkriegs (§ 4 und § 6).

Oliver Neumann, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Der neue Gebhardt
Das bedeutendste Standardwerk zur deutschen Geschichte in 24 Bänden - neu aufgelegt.

Der Erste Weltkrieg, die »Urkatastrophe«, steht am Anfang einer Epoche gewaltiger Umwälzungen. In seinem Gefolge ereigneten sich politische und soziale Erschütterungen, die die überkommene bürgerliche Ordnung Europas zerstörten: Mit diesem Niedergang begann der Aufstieg von Faschismus und Nationalsozialismus und die Stabilisierung des sowjetischen Herrschaftssystems.
Inhaltsverzeichnis
Zur 10. Auflage des Gebhardt VII
Vorbemerkung XV
Verzeichnis der Abkürzungen XVII
Allgemeine Quellen und Literatur (1789-1918) XXI

Abschnitt VI
Die Urkatastrophe Deutschlands
Der Erste Weltkrieg 1914-1918
Wolfgang J. Mommsen

Quellen und Literatur 3

§ 1 Forschungsstand und Kontroversen in der Forschung 14

§ 2 Julikrise und Kriegsausbruch 1914 22

§ 3 Die politischen und militärischen Ereignisse 1914-1917 35

a) »August 1914« und »Burgfriede«. Die innere Politik in den ersten Monaten des Krieges 35
b) Das Scheitern des ursprünglichen deutschen Kriegsplans
(August 1914-Herbst 1915) 40
c) Das Ringen um die Haltung der Neutralen, der Kriegseintritt Italiens und die stetige Ausweitung des Krieges 51
d) Die Politik der »Neuorientierung« und die Eskalation der Kriegsziele unter der Kanzlerschaft Bethmann Hollwegs 56
Die veränderte Form des Krieges: mörderische Materialschlachten im Westen, der unbeschränkte U-Boot-Krieg und die Julikrise 1917 66

§ 4 Die deutsche Gesellschaft im Kriege: Hunger, Verelendung und unendliches Leiden 78

a) Die wirtschaftliche Organisation des Krieges 78
b) Überbeanspruchung der Kriegswirtschaft und fortschreitende Verarmung der unteren und mittleren Schichten 87
c) Die Auswirkungen des Krieges auf die gesellschaftlichen Strukturen und die sozialen Gegensätze 97
d) Die kulturellen Eliten und die Kirchen 113
e) Kriegsalltag an der Front und in der Heimat 123

§ 5 Die Peripetie des Krieges 134

a) »Verständigungsfrieden« oder Siegfrieden 1917-1918 134
b) Die russische Oktoberrevolution und der Friede von Brest-Litowsk 138
c) Die große Westoffensive vom März 1918 und die Aushöhlung der Kampfkraft der deutschen Armeen 143
d) Der Zusammenbruch 146

§ 6 Ausblick: Auswirkungen des Ersten Weltkriegs auf die Politik, Gesellschaft und Kultur 150

Anhang 155

Zeittafel (1914-1918) 157
Orts- und Sachregister 173
Personenregister 185



Leseprobe:

Forschungsstand und Kontroversen in der Forschung

In der Geschichtswissenschaft besteht heute weithin Einigkeit darüber, daß der Erste Weltkrieg, wie George Kennan dies formuliert hat, die "Urkatastrophe" des zwanzigsten Jahrhunderts gewesen ist. Der Erste Weltkrieg steht am Anfang einer Epoche gewaltiger Umwälzungen, die erst in den letzten Jahren unseres Jahrhunderts einer neuen, freilich immer noch instabilen Weltgesellschaft Platz gemacht haben. Die politischen und sozialen Erschütterungen des Ersten Weltkrieges unterminierten die überkommene bürgerliche Sozialordnung Europas; sie beschleunigten den Niedergang des Bürgertums als führende gesellschaftliche Schicht; sie setzten neue politische Kräfte frei, welche Europa und die Welt bis zur Unkenntlichkeit veränderten, einerseits den Nationalsozialismus und die faschistischen Bewegungen, andererseits das sowjetische Experiment der Errichtung eines marxistisch-leninistischen Herrschaftssystems zunächst "in einem ( - rückständigen - d.Vf.) Lande" und, teilweise als Folge des Zweiten Weltkrieges, seiner zeitweiligen Ausweitung auf ganz Osteuropa. Darüber hinaus sind die Ausstrahlungen des Marxismus-Leninismus namentlich auf die außereuropäische Welt noch heute wahrnehmbar, wenngleich sie seit längerem rückläufig sind. Der Erste Weltkrieg brachte in der Zwischen Kriegszeit die Kulmination westlicher imperialer Herrschaft über weite Regionen des Erdballs. Gleichzeitig wurden in diesen Jahren die Ansätze gelegt, die dann nach dem Zweiten Weltkrieg in einen weltweiten Prozeß der Dekolonisation einmündeten. Vor allem aber wurden die europäischen Gesellschaften und namentlich die deutsche Gesellschaft durch die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und moralischen Auswirkungen des Ersten Weltkrieges tiefgreifend verändert und destabilisiert; überdies war er die Inkubationsphase der extremen völkischen Nationalismen und des Antisemitismus.

Es ist daher nicht erstaunlich, daß sich die Geschichtswissenschaft seit geraumer Zeit mit steigender Intensität der Erforschung der Geschichte des Ersten Weltkrieges zugewandt hat. Angesichts der politischen Relevanz der Deutungen dieses gewaltigen Geschehens setzten die wissenschaftlichen und mehr noch die publizistischen Veröffentlichungen über den Ersten Weltkrieg schon in den frühen 20er Jahren ein. Die Zeit des Nationalsozialismus brachte in Deutschland eine Unterbrechung ernsthafter Forschung, verbunden mit weitgehender Abschottung gegenüber der westlichen Geschichtswissenschaft. In der Bundesrepublik wurde die Debatte über den Ersten Weltkrieg dann von Fritz Fischer 1959 mit einem Aufsatz in der Historischen Zeitschrift über die deutschen Kriegsziele im Ersten Weltkrieg neu eröffnet. Fischer stellte den in den vergangenen Jahrzehnten nicht ohne Einmischung politischer Faktoren erreichten weitgehenden Konsensus über den Ersten Weltkrieg und seine Ursachen radikal in Frage und setzte damit einen Auseinandersetzung in Gang, die bis in unsere Gegenwart hinein anhält, auch wenn sie inzwischen an Schärfe verloren hat. Fischer, der seine Position im Laufe der Debatte immer mehr verschärfte, vertrat die provozierende These, daß das Deutsche Reich seit 1911 oder doch jedenfalls seit dem sogenannten "Kriegsrat" vom 8. Dezember 1912 zielbewußt auf die Herbeiführung eines europäischen Krieges hingearbeitet habe, allerdings unter der Prämisse, daß Großbritanniens Neutralität gewährleistet sein würde. Insbesondere Gerhard Ritter trat Fischer damals scharf entgegen und mit ihm eine ganze Phalanx von Historikern der älteren Generation. Inzwischen hat sich der Kern der These Fritz Fischers, daß nämlich das Deutsche Reich die Hauptverantwortung für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges trage, im wesentlichen durchgesetzt, während seine These, daß das Deutsche Reich schon in den letzten Vorkriegsjahren konsequent den Krieg vorbereitet habe und eine Kontinuität der deutschen Kriegsziele unter Einschluß der unmittelbaren Vorkriegsjahre bestehe, heute nur noch von einer Minderheit der Forschung vertreten wird. Die internationale Forschung hat inzwischen den Anteil der anderen Großmächte deutlicher herausgearbeitet; Niall Ferguson hat jüngsthin gar die britische Politik als Hauptschuldigen ausmachen wollen. Aber von einem "Hineinschliddern" der europäischen Mächte in den Krieg kann nicht länger die Rede sein.

Die Akzente in der jüngsten Forschung werden unterschiedlich gesetzt. Diplomatiegeschichtlich ausgerichtete Autoren betonen stärker die Erstarrung der sich vor dem Kriege verhärtenden Bündnissysteme, andere Autoren sehen in dem Kriegsentschluß der Reichsleitung, und in geringerem Maße der österreichischen und der zarischen Regierungen, einen Ausweg aus inneren Schwierigkeiten, wieder andere betonen, daß die Kluft, die sich zwischen den traditionellen Führungseliten und den ausgeprägt nationalistisch eingestellten bürgerlichen Schichten aufgetan hatte, die überalterten Führungseliten teilweise wider besseres Wissen zur "Flucht nach vorn" in den Krieg veranlaßt habe. Die Frage, ob die Zustimmung der Sozialdemokratie zu den Kriegskrediten im August 1914 Verrat an der Arbeiterklasse gewesen sei, hat an Bedeutung verloren; ebenso wird die früher verbreitete Auffassung, daß die loyale Haltung der Sozialdemokratie im Kriege Deutschland vor dem Versinken im Bolschewismus bewahrt habe, heute nicht mehr als aktuell angesehen. Der Ansicht, daß der Krieg zu einer Verschärfung der Klassengegensätze innerhalb der deutschen Gesellschaft geführt habe, steht heute eine differenziertere Deutung gegenüber, die davon ausgeht, daß nicht die Arbeiterschaft, sondern der sogenannte alte Mittelstand und die Unterschichten die hauptsächliche Last des dramatischen Verarmungsprozesses der Kriegsjahre getragen haben, mit langfristigen Auswirkungen für die Stabilität der Nachkriegsordnung.