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Am Beispiel meines Bruders  15. Auflage 2020
Am Beispiel meines Bruders


15. Auflage 2020

Uwe Timm

Deutscher Taschenbuch Verlag
EAN: 9783423133166 (ISBN: 3-423-13316-3)
160 Seiten, paperback, 12 x 19cm, 2020

EUR 9,90
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
»Die Jungen sollten es lesen, um zu lernen, die Alten um sich zu erinnern, und alle, weil es gute Literatur ist.« Elke Heidenreich

»Abwesend und doch anwesend hat er mich durch meine Kindheit begleitet, in der Trauer der Mutter, den Zweifeln des Vaters, den Andeutungen zwischen den Eltern. Von ihm wurde erzählt, das waren kleine, immer ähnliche Situationen, die ihn als mutig und anständig auswiesen. Auch wenn nicht von ihm die Rede war, war er doch gegenwärtig, gegenwärtiger als andere Tote, durch Erzählungen, Fotos und in den Vergleichen des Vaters, die mich, den Nachkömmling, einbezogen.« Wer war dieser Karl-Heinz Timm, geboren 1924 in Hamburg, gestorben 1943 in einem Lazarett in der Ukraine? Warum hat er sich freiwillig zur Waffen-SS gemeldet? Wie ging er mit der Verpflichtung zum Töten um? Welche Optionen hatte er, welche Möglichkeiten blieben ihm verschlossen? Wo ist der Ort der Schuld, wo der des Gewissens bei den Eltern, die ihn überlebt haben?

Uwe Timm wurde 1940 in Hamburg geboren. Geschichten faszinierten Uwe Timm von klein auf: Er lauschte dem »Seemannsgarn« seines Großvaters, einem Kapitän, schlich immer wieder zu seiner Tante ins Hafenviertel, in deren Küche sich Leute aus dem Rotlichtmilieu trafen, und schrieb schon als Schuljunge eigene Geschichten. Nach dem Tod des Vaters leitete er drei Jahre lang das Kürschnergeschäft, machte dann am Braunschweig-Kolleg sein Abitur und studierte in München und Paris Philosophie und Germanistik. Er promovierte mit einer Arbeit über Albert Camus. Anschließend studierte er Soziologie und Volkswirtschaftslehre.

Den Aufbruch Ende der sechziger Jahre erlebte Uwe Timm als Student aktiv mit. Er zählt zu den wichtigsten Vertretern der 68er-Generation; die Aufarbeitung dieser Zeit zieht sich durch sein gesamtes Werk.

Der Vater von vier Kindern verfasste auch vier Kinder- und Jugendbücher. Außerdem arbeitete er als Drehbuchautor. Für seine Romane und Erzählungen erhielt Uwe Timm zahlreiche Auszeichnungen und Preise: 2001 den Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und den Tukanpreis der Landeshauptstadt München, 2002 den Literaturpreis der Landeshauptstadt München, 2003 den Schubart-Literaturpreis und den Erik-Reger-Preis der Zukunftsinitiative des Landes Rheinland-Pfalz. 2006 wurde Uwe Timm mit dem Premio Napoli sowie dem Premio Mondello ausgezeichnet, 2009 erhielt er den Heinrich-Böll-Preis und 2012 die Carl-Zuckmayer-Medaille. 2013 wurde Uwe Timm der Kulturelle Ehrenpreis der Landeshauptstadt München verliehen, 2018 der Schillerpreis und das Bundesverdienstkreuz.

Uwe Timm lebt in München und Berlin.
Rezension
In bereits 15. neu durchgesehener TB-Auflage 2020 liegt nun diese zuerst 2003 bei Kiepenheuer & Witsch in Köln erschienene Erzählung von Uwe Timm (geb. 1940) vor, in der er seine Familiengeschichte über seinen sechzehn Jahre älteren Bruder Karl Heinz Timm (1924-1943) aufgearbeitet hat, der sich 1942 freiwillig zur SS-Totenkopfdivision gemeldet hatte und nicht mehr zurückkehrte. Nach dem Krieg lebt der Neunzehnjährige weiter in der Trauer der Eltern, ihren Erzählungen, den sprachlichen Wendungen, die für sein Schicksal bemüht wurden, aber auch in den Träumen des jüngeren Bruders, der kaum eigene Erinnerungen an ihn hat. Erst nach dem Tod der Mutter war Uwe Timm in der Lage, sich dieser Erinnerungen zu stellen: die Frage nach familiären Prägungen, nach Werten und Erziehungszielen, nach Liebe, Nähe und Respekt unter den Bedingungen des nationalsolistischen Zivilisationsbruchs. Warum hat sich der Bruder freiwillig zur SS gemeldet? Wie ging er mit der Verpflichtung zum Töten um? In dem Buch spiegelt sich eine typische deutsche Familiengeschichte des 20. Jhdts, die Suche nach dem unbekannten Bruder und die Frage nach der Schuld. Jahrzehntelang wurde in der Familie der Tod des Bruders betrauert und seine nationalsozialistische Orientierung kollektiv beschwiegen.

Oliver Neumann, lehrerbibliothek.de