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versprechen Das fragwürdige Ende der Zeit
versprechen
Das fragwürdige Ende der Zeit




Hans-Joachim Höhn

Echter
EAN: 9783429023072 (ISBN: 3-429-02307-6)
127 Seiten, kartoniert, 12 x 21cm, 2003

EUR 12,80
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
„Die moderne Welt hat Gott verloren und sucht ihn“ (Alfred N. Whitehead). Doch auf diese grundlegende Erfahrung angemessen zu reagieren fällt der Theologie auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts schwer. Mit der Reihe GlaubensWorte nehmen Hans-Joachim Sander und Hans-Joachim Höhn diese Herausforderung an. In ihr stellen sie eine neue Sprachform für die Rede von Gott vor. Ihre Grundeinsicht lautet: Hinter den Substantiven, mit denen die Theologie traditionell von und über Gott redet, sind Verben zu entdecken, welche Gott als Ereignis einer bestimmten Praxis buchstabieren. Kurt Marti hat daraus einmal den Wunsch formuliert, „daß Gott ein Tätigkeitswort werde“.



In sechs Essaybänden spüren Sander und Höhn diesen Tätigkeitsworten nach. Dabei orientieren sie sich an den zentralen Themen der Systematischen Theologie, die sie in ihrer Bedeutung für unser Leben erkennbar werden lassen:



nicht verleugnen

Die befremdende Ohnmacht Jesu



zustimmen

Der zwiespältige Grund des Daseins



nicht ausweichen

Die prekäre Lage der Kirche



spüren

Die ästhetische Kraft der Sakramente



nicht verschweigen

Die unscheinbare Präsenz Gottes



versprechen

Das fragwürdige Ende der Zeit



Hans-Joachim Höhn, Dr. theol., geb. 1957; Professor für Systematische Theologie und Religionsphilosophie an der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln.


Rezension
Thema des Bandes von Höhn sind die Zeit und die absolute Zukunft, die der Glaube verheißt. Im ersten Abschnitt werden kulturkritisch der gegenwärtige Umgang mit der Zeit und die moderne Zeiterfahrung beschrieben und analysiert. Charakteristisch dafür sind die Beschleunigung und das effiziente Ausnutzen der zur Verfügung stehenden Zeit bei gleichzeitigem Erleben von Zeitnot: "Das Gebot der Stunde heißt ...: 'Alles zu jeder Zeit'." (31) Der Einzelne kann mit den Möglichkeiten der Welt nicht mehr Schritt halten: "Sein Anteil an der Erfahrbarkeit seiner Welt schrumpft trotz der technischen Möglichkeiten des Zeitgewinns und des Aufholens von Erlebnisrückständen. Die Kongruenz von Lebenszeit und Weltzeit bleibt Utopie, ihre Divergenz erweist sich als unerbittliche Realität." (39)
Deshalb entwirft das zweite Kapitel Eschatologie als eine 'KinEthik', der es darum zu tun ist, das Verhältnis zur eigenen Zeit unter ethischen Gesichtspunkten zu betrachten. Es geht um die Suche nach Orten, an denen die Zeitmodi Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in einer Weise aufeinander bezogen sind, dass der Sinn von Sein und Zeit aufscheint (58). Zeit wird dann als erfüllte Zeit erlebt. Voraussetzung dafür ist ein Sinnapriori, das die Existenz als zustimmungsfähig begreift: "Die Annehmbarkeit des Lebens ist nicht nur das mögliche Resultat unserer Versuche der Daseinsoptimierung, sondern auch deren Ursprung und Ermöglichungsbedingung." (59)
Schöpfung und Eschatologie sind deshalb aufeinander bezogen. Das Versprechen für die Zukunft macht nur Sinn, wenn die Möglichkeit der Vollendung im Anfang grundgelegt ist, d.h. "...daß das christliche Verhältnis zur Zukunft im Modus des Vertrauens und der Hoffnung sich auf ein Versprechen gründet, das die schöpfungstheologischen Aussagen der Bibel bezeugen ..." (63) Angesichts der Unausweichlichkeit des Todes, die die Moderne vielleicht verdrängen, aber nicht bestreiten kann, stellt sich die Frage nach der Glaubwürdigkeit des Versprechens, daß das Leben weiter gehen und nicht ins Nichts stürzen wird.
Teil 4 beschäftigt sich in der Konsequenz mit der Diskrepanz zwischen der theoretischen Vernunft, die nichts über die Zukunft wissen kann, und der praktischen Vernunft, die eine Zukunft über den Tod hinaus denken und fordern muss, um den Eigenwert der Opfer der Geschichte behaupten zu können, nämlich "...daß menschlichem Dasein, seinem Wert und seiner Würde über den Tod hinaus ein Moment der Unzerstörbarkeit zukommt ..." (87).
Teil 5 schließlich fragt danach, wie die Vollendung des Menschen zu denken ist, vor allem auch unter dem Aspekt des guten und bösen Handelns. Wie kann sich Gott gegenüber denjenigen verhalten, die in menschlicher Freiheit zu Tätern geworden sind, aber dennoch auch das Versprechen seiner Barmherzigkeit und Liebe besitzen? Wie ist Gerechtigkeit zu denken, ohne einer Vergeltungslogik zu verfallen?

Für mich am interessantesten in diesem Band der Reihe 'GlaubensWorte' ist die Analyse der gegenwärtigen Beschleunigung des Lebens und die klare Auskunft, dass sich ungeachtet der Vermehrung der Lebensmöglichkeiten an der Befristung des menschlichen Lebens grundsätzlich nichts ändern wird. 'Vollendung', 'Fülle des Lebens', 'Gerechtigkeit' usw. können deshalb zwangsläufig nur jenseits der empirisch begrenzten Spanne eines jeden Lebens gedacht werden. Eschatologie verweist deshalb direkt zurück auf den Glauben an die durch die Schöpfung Gottes begründete Zustimmungsfähigkeit des Lebens, auf Gottes Versprechen der Rettung. Durch diesen Rückbezug steht die Rede von 'Jenseits', 'Hölle', 'Fegefeuer' usw. sowohl im Horizont der menschlichen Freiheit als auch dem der göttlichen Barmherzigkeit und des Erlösungswillens Gottes. Glaubenspraxis als 'Praxis einer Hoffnung' zu formulieren "daß im Reich des Todes nur der Tod, aber nicht die Toten, und in der 'Hölle' nur das Unmaß der Sünde, aber nicht die Sünder" (113) verbleiben, versucht jedenfalls Gott größer als einen am Ende der Zeiten pedantisch rechtenden Buchhalter zu denken, auch wenn es uns nicht vorstellbar ist, wie er mit jenen im Sinne seines Erlösungswillens umgehen wird, die seine gute Schöpfung mit monströsen Taten in eine Hölle verwandelt haben.

Matthias Wörther
Inhaltsverzeichnis
1. 'Zukunftsungewißheit': Die Beschleunigung des Lebens und die Befristung der Zeit ... 17
1.1. 'Tempo, Tempo!' Der kinetische Imperativ der Moderne ... 19
1.1.1. Aufklärung als Aufbruch: Die vernünftige Zeit ... 20
1.1.2. Modernisierung als Mobilisierung: Die beschleunigte Zeit ... 23
1.1.3. Fortschritt als Entgrenzung: Die synchronisierte Zeit ... 26
1.2. Die Dialektik der Beschleunigung: Zeitgewinn und Zeitverlust ... 29
1.2.1. Rasender Stillstand: Bewegung ohne Ziel ... 30
1.2.2. Der Verlust der Utopie: Geschichte im Leerlauf ... 32
1.2.3. Säkulare Hoffnungen: Dekonstruktion der Sterblichkeit ... 34

2. Lebenszeit - Weltzeit - Endzeit: Eschatologie als 'KinEthik' ... 40
2.1. 'Endlich Leben!' Konturen eines ethisch-religiösen Zeitverhältnisses ... 41
2.1.1. Sinn und Sein: Die Zeitsignatur des Rleigiösen ... 44
2.1.2. Sein und Sollen: Die Zeitsignatur des Ethischen ... 47
2.2. Erinnern - erleben - erwarten: Christliche Einstlellungen zu Sein und Zeit ... 50
2.3. 'Was fehlt und paßt': Über die Kunst, sich auf die Zukunft einzustellen ... 53

3. Die Zukunft der Schöpfung: Zur Logik eschatologischer Zeitansage ... 60
3.1. Die Welt als Schöpfung Gottes: Der Versprechenscharakter der Wirklichkeit ... 63
3.2. Gottes Wort in der Zeit: Die Bewährung des Versprechens ... 68
3.3. Der Einspruch der Zeit: Das gebrochene Wort? ... 71

4. Leben in der EInheit von Leben und Tod: Fluchtlinien des Glaubens ... 77
4.1. Der Widerstreit von Vernunft und Zeit: Moralität und Endlichkeit ... 78
4.2. Die Überwindung der Endlichkeit: Postulat der Vernunft - Hoffnung des Glaubens ... 82
4.3. Die Entmachtung des Todes: Hoffen auf Gott ... 93

5. Über den Tag hinaus: Gottes Wort halten ... 99
5.1. Diesseits und jenseits des Todes: Vom Glauben, Hoffen und Lieben ... 101
5.2. Zur Wahrheit finden: Vollendung als 'Verifikation' des Menschen ... 104
5.3. Der erlösende Gott und der erlöste Gott: Das fragwürdige Ende der Zeit ... 109