lehrerbibliothek.deDatenschutzerklärung
Was für Schulen! (Der Deutsche Schulpreis 2012) Vom Umgang mit Vielfalt - Beispiele guter Praxis Für die Robert Bosch Stiftung und die Heidehof Stiftung
herausgegeben von Michael Schratz, Hans Anand Pant und Beate Wischer
Was für Schulen! (Der Deutsche Schulpreis 2012)
Vom Umgang mit Vielfalt - Beispiele guter Praxis


Für die Robert Bosch Stiftung und die Heidehof Stiftung

herausgegeben von Michael Schratz, Hans Anand Pant und Beate Wischer

Michael Schratz, Hans Anand Pant, Beate Wischer (Hrsg.)

Kallmeyersche Verlagsbuchhandlung GmbH , Klett
EAN: 9783780049568 (ISBN: 3-7800-4956-2)
144 Seiten, paperback, 22 x 23cm, 2012

EUR 24,95
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Der deutsche Schulpreis 2012 - gute Schulen in Deutschland

Schule! An kaum einem anderen Ort treffen sich Kinder und Jugendliche so selbstverständlich wie in Klassenzimmern und auf Pausenhöfen. Hier sind die großen Themen unserer Zeit - Vielfalt und respektvolles Miteinander - äußerst lebendig. Sie gehören zum Alltag der Lernenden und Lehrenden: pragmatisch und immer wieder anders, anspruchsvoll. Wer hinsieht, erkennt, dass der produktive Umgang mit Vielfalt zu den herausragenden Leistungen guter Schulen gehört.

Das ist es, was die Robert Bosch Stiftung und die Heidehof Stiftung, die Initiatoren des Deutschen Schulpreises, erreichen wollen: Den Blick der Fachleute, der Öffentlichkeit und der Politik auf die Leistung und Bedeutung guter Schulen lenken und möglichst viele andere dazu ermutigen, sich anstecken und anregen zu lassen.

Der Deutsche Schulpreis hat sehr rasch große Beachtung gefunden; weit über tausend Schulen haben sich bei den bisherigen Ausschreibungen beteiligt, Schulen aller Bundesländer und Schularten. In diesem Jahr blickt der Preis bereits auf sechs Jahre Geschichte zurück. 122 Schulen konnten diesmal in das Juryverfahren aufgenommen werden; 20 Schulen wurden von Expertenteams besucht, 15 Schulen für den Schulpreis nominiert, 6 mit Preisen bedacht.

Mit Konzept, Augenmaß und großem Engagement am Miteinander gestalten die ausgezeichneten Schulen ihren pädagogischen Alltag. So entsteht in bewusster Auseinandersetzung mit der Vielfalt von Schülern und Lehrenden das, was Schule im besten Sinne sein soll: Vorbereitung auf das Leben. Die Schulporträts, Interviews und der Materialteil in diesem Buch zeigen, wie dies gelingen kann.

Was für Schulen!

Herausgeber:

Prof. Dr. Michael Schratz lehrt am Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung der Universität Innsbruck. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Bildung, Gesellschaft und Lernen, Leadership und Qualitätsentwicklung. Er ist Mitglied zahlreicher internationaler Kommissionen, darunter auch Jurymitglied des Deutschen Schulpreises.

Prof. Dr. Hans Anand Pant ist Direktor des Instituts zur Qualitätssicherung im Bildungswesen und lehrt an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Prof. Dr. Beate Wischer ist Professorin für Schulpädagogik mit dem Schwerpunkt Schultheorie und Schulforschung an der Universität Osnabrück.
Rezension
Angesichts einer immer größeren Multikulturalität unserer Gesellschaft wächst auch in den Schulen die Bedeutung des Umgangs mit Vielfalt, der im Jahr 2012 im Mittelpunkt des Deutschen Schulpreises stand. Seit mehr als sieben Jahren gibt es nun den Deutschen Schulpreis, der schnell große Beachtung gefunden hat; über tausend Schulen aller Bundesländer und Schularten haben sich an den bisherigen Ausschreibungen beteiligt. Und dies ist das Buch zum Deutschen Schulpreis 2012: Schulen, die den Umgang mit Vielfalt in Beispielen guter Praxis vorführen. Dieses Buch zeigt: So stark und spannend sind Deutschlands gute Schulen; sie wurden gesucht und ausgezeichnet: Schulen, die dem Lernen Flügel verleihen und Wege zur Schulqualität sichern. Mit Porträts der Preisträgerschulen und der nominierten Schulen sowie Steckbriefen aller Schulen, die sich 2012 um den Deutschen Schulpreis beworben haben. Nicht nur geeignet für Schulleiter und Lehrer, die ihre Schule weiterentwickeln möchten, sondern auch für Eltern, die die richtige Schule für ihr Kind suchen.

Oliver Neumann, lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 5
Bundespräsident a.D. Roman Herzog zum Deutschen Schulpreis 2012 6
Einführung der Herausgeber: Vielfalt – Blick auf einen schillernden Begriff 7
Interview: „Aus Träumen leiten sich Ziele ab …“ 16
Der Deutsche Schulpreis 2012 – Laudationes für die Preisträgerschulen 18

Porträts der nominierten Schulen

Evi – „Lehren ohne Liebe macht müde“
Hauptpreisträger: Die Evangelische Schule Neuruppin 20

Erstaunlich! Oder: So gelingt der Wandel
Preisträger: Die Erich Kästnerschule, Bochum 30

Jeder Schüler konsequent im Mittelpunkt
Preisträger: Die Paul-Martini-Schule, Bonn 38

Chancen der Vielfalt: verstanden, gewürdigt, umgesetzt
Preisträger: Die Schule am Pfälzer Weg, Bremen 46

Ein filigranes System von kleinen Chefinnen und Chefs
Preisträger: Die Schule Rellinger Straße, Hamburg 54

Hauptschule: Herausforderung angenommen, mustergültig umgesetzt
Preis der Jury: Die August-Claas-Schule, Harsewinkel 62

Die Vielfalt vor der eigenen Haustür bewahren
Das Alexander-von-Humboldt-Gymnasium, Hamburg 70

Inklusion durch Ausbildungserfolge
Die AsiG Berufsfachschule, Berlin 76

Jeder Mensch zählt
Die Bertolt-Brecht-Gesamtschule, Bonn 82

Unspektakulär – und doch so ganz besonders
Die Erich Kästner Schule, Hamburg 88

Zeit für Beziehungen in einem komplexen System
Die Gewerblichen und hauswirtschaftlich-sozialpflegerischen Schulen Emmendingen 94

Inklusion – lebenswert für alle
Die Grundschule am Barbarossaplatz, Berlin 100

Schulgebäude nach dänischem Vorbild: ein Glücksfall
Die Grundschule Südschule, Lemgo 106

Kulturschule oder: die Suche nach dem Umgang mit dem Anderen
Die Klosterschule, Hamburg 112

Schulentwicklung in soliden Schritten
Die Markgraf-Georg-Friedrich Realschule, Heilsbronn 118

Materialseiten der nominierten Schulen 124
Die Bewerberschulen im Überblick 138
Der Deutsche Schulpreis 142
Die Jury des Deutschen Schulpreises 2012 / Die Autorinnen und Autoren 143 / 144


Vorwort
Vielstimmigkeit und Vielfalt prägen die gesellschaftliche
Wirklichkeit: Wir sind konfrontiert
mit unterschiedlichen Lebensstilen und Soziallagen,
Glaubens- und Wertvorstellungen sowie
kulturellen Orientierungen. Arbeits- und
Erwerbsformen differenzieren sich weiter aus
und auch die Möglichkeiten der Information und
Kommunikation sind vielfältiger geworden. Wie
man die vorhandene Vielfalt wahrnimmt und
wie man ihr im Leben und Lernen begegnet,
ist die entscheidende Frage – auch für Schulen.
Denn in jedem Klassenzimmer kommen höchst
unterschiedliche Schülerinnen und Schüler zusammen.
Sieht man vor allem die Herausforderungen
im Umgang mit Vielfalt, dann kann sie
belastend wirken, sieht man in Vielfalt aber die
Chance auf Bereicherung, dann kann sie auch
beflügeln.
„Vom Umgang mit Vielfalt – Beispiele guter
Praxis“ lautet der Untertitel dieses Buches. Gute
Schulen individualisieren den Unterricht und
fördern das Lernen aller Kinder entsprechend
ihrer unterschiedlichen Voraussetzungen. Gute
Schulen beziehen Schüler in Entscheidungen
ein, die ihr Lernen betreffen und arbeiten gemeinsam
mit ihnen an individuellen Fortschritten.
Gute Schulen finden Wege, um produktiv
und achtungsvoll mit vielfältigen Begabungen,
Interessen und Leistungsmöglichkeiten, mit Unterschieden
der kulturellen und nationalen Herkunft
und des Geschlechts umzugehen. Das Ziel
einer guten Schule ist immer, allen Kindern optimale
Entwicklungsmöglichkeiten zu eröffnen.
Um diese Schulen auch für andere sichtbar zu
machen und ihre Leistung zu würdigen, schreiben
die Robert Bosch Stiftung und die Heidehof
Stiftung in Kooperation mit dem stern und der
ARD seit 2006 den Deutschen Schulpreis aus. In
den vergangenen sechs Wettbewerbsjahren haben
sich bereits über 1 000 Schulen aller Schularten
aus ganz Deutschland beworben, 37 Schulen
wurden ausgezeichnet.
Um Beispiele guter Praxis und nachahmenswerte
Konzepte an möglichst viele weiterzugeben,
nahm 2007 die Akademie des Deutschen
Schulpreises ihre Arbeit auf. Sie dient der Zusammenarbeit
und dem Erfahrungsaustausch
zwischen den Preisträgern und allen Schulen,
die aus eigener Initiative gute Schule gestalten
wollen und sich auf den Weg der Schulentwicklung
begeben haben. Zu den Angeboten der
Akademie gehören neben unterschiedlichen
Veranstaltungsformaten auch Hospitations- und
Fortbildungsmöglichkeiten sowie das Förderprogramm
SchulLabor, in dem Schulen gemeinsam
innovative Schul- und Unterrichtskonzepte
entwickeln. Alle Aktivitäten stehen auf einem
Fundament: den sechs Qualitätsbereichen des
Deutschen Schulpreises.
Der sechste Band innerhalb der pädagogischen
Reihe zum Schulpreis versammelt die
Erträge der Ausschreibung 2012, um die Erfahrungen
und Erkenntnisse guter Schulen für die
Diskussion in Fachkreisen und Öffentlichkeit,
vor allem aber für die breite pädagogische Praxis
fruchtbar zu machen. Wir danken dem Verlag
Klett-Kallmeyer, den Herausgebern Michael
Schratz, Hans Anand Pant und Beate Wischer
sowie den Autoren des vorliegenden Bandes für
ihre Beiträge. Besonderer Dank gilt aber allen
pädagogischen Mitarbeitern, Eltern und Schülern,
die sich von Vielfalt beflügeln lassen und
dadurch gute Schule in Deutschland ermöglichen.
Wir hoffen, dass diese Publikation ihnen
zusätzliche Anregungen gibt und viele Schulen
dazu motiviert, sich ebenfalls auf den Weg zu
machen.
Dr. Eva Madelung, Heidehof Stiftung
Dr. Ingrid Hamm, Robert Bosch Stiftung



Vielfalt –
Blick auf einen schillernden Begriff

Dieses Buch nimmt erstmals eine Schwerpunktsetzung
auf einen der insgesamt sechs Qualitätsbereiche
des Deutschen Schulpreises vor (vgl. S.
13). Mit dem Thema „Umgang mit Vielfalt“ greifen
wir eine Herausforderung auf, die nicht nur
von hoher gesellschafts- und bildungspolitischer
Bedeutung ist. Die aktuellen und intensiv geführten
Debatten zu diesem wesentlichen Qualitätsbereich
des Deutschen Schulpreises können
vielmehr deutlich machen: Die damit verknüpften
Frage- und Problemstellungen sind komplex
und vielschichtig – und die konkreten An- und
Herausforderungen sind alles andere als einfach
zu bestimmen oder gar umzusetzen. Betrachten
wir kurz die mit Vielfalt einhergehende
Komplexität:
• Vielfalt ist ein schillernder Begriff, hinter dem
sich selbst wiederum eine immense Vielfalt
an Dimensionen und möglichen Perspektiven
verbirgt: Es gibt diverse und unendlich erweiterbare
Kriterien – Geschlecht, Leistung,
sozialer Hintergrund usw. – für Vielfalt, dahinter
steckt aber nicht nur Verschiedenes,
sondern auch problematisches Ungleiches;
und Unterschiede zwischen den Schülerinnen
und Schülern werden nicht nur in die
Schule mitgebracht; sind also keineswegs als
Eigenschaft einfach vorhanden: Differenzen
werden auch sozial erzeugt und hergestellt;
und gerade daran ist auch die Schule in umfassender
Weise beteiligt.
• Vielfalt darf nicht ignoriert werden, wenn
Bildungs- und Erziehungsprozesse erfolgreich
gestaltet werden sollen; das Lernen –
so hatten Fauser/Prenzel/Schratz (2009, S.
20) im Einleitungstext zu „Was für Schulen!“
formuliert – sei „individuell, die Individualisierung
der Lernförderung die wichtigste
Konsequenz“. Dem gegenüber steht jedoch,
dass die Schule traditionell gerade darauf
nur wenig eingestellt ist. Man könnte sogar
zugespitzt argumentieren: Individualbedürfnisse
haben in der Schule kaum Platz. Deren
Berücksichtigung ist strukturell nicht vorgesehen,
sie steht sogar im direkten Widerspruch
zur Grammatik der Schule als einer
gesellschaftlichen Institution und Organisation:
Organisationen – dazu z.B. ein provokativer
Hinweis – zeichnen sich gemeinhin
dadurch aus, dass sie vom Einzelfall bzw. von
den konkreten Subjekten abstrahieren und
stattdessen „eine Vielzahl von individuellen
Bedürfnissen, Wünschen oder Problemlagen
bündeln und typisieren und dann nach demselben
Schema abarbeiten“ (Preisendörfer
2008, S. 161).
• Schließlich ist auch gar nicht so einfach zu
beantworten, welche Ziele im Umgang mit
Vielfalt eigentlich angestrebt werden sollen,
woran also ein erfolgreicher Umgang
mit Vielfalt im Ergebnis zu bestimmen wäre.
Ein Maßstab sind zweifellos die erzielten
Schülerleistungen. Sie stellen in den meisten
Bildungssystemen ein zentrales Erfolgskriterium
dar, zumal sie weltweit das hauptsächliche
Messkriterium für Schulqualität sind.
Hierbei geht es allerdings nicht einfach nur
um generelle Leistungsmaximierung, also
nur um ein hohes Leistungsniveau („excellence“),
sondern auch um den Ausgleich
ungleicher Chancen („equality“). Und neben
fachlichen Leistungen sind immer auch
– wie beim Deutschen Schulpreis für das
Qualitätskriterium „Leistung“ ausdrücklich
vorgesehen – besondere Erfolge in anderen
Bereichen (Projekte, Vorführungen, Auszeichnungen,
Wettkämpfe u.a.m.) einzubeziehen.
Kurz: Die Bestimmung von Erfolg im
Umgang mit Vielfalt ist vor dem Hintergrund
„one size does not fit all“ im Spannungsfeld
von Chancengleichheit und -gerechtigkeit
zu sehen.
Diese hier nur schlaglichtartig genannten Herausforderungen
heben den Anspruch des Deutschen
Schulpreises, aber auch die Zielstellung dieses
Buches besonders hervor: Es geht nicht allein
darum, Schulen in ihren Entwicklungen zu bestärken
und ihre Arbeit öffentlich zu honorieren.
Bedeutsamer ist vielmehr die für Schulen, Wissenschaft
und Bildungspolitik gleichermaßen
zentrale Frage: Was können wir von der Arbeit
und Entwicklung guter Schulen lernen? Ganz
konkret: Welche Strategien haben Schulen entwickelt,
um den vielfältigen Ausgangslagen, Interessen
und Bedürfnissen ihrer Schülerinnen
und Schüler gerecht zu werden? Wie werden
die zahlreichen Spannungsfelder – z.B. zwischen
Gleichheit und Differenz, zwischen optimaler
Leistungsentwicklung und Chancenausgleich –
ausbalanciert? Welche organisatorischen und
methodischen Lösungswege lassen sich aufzeigen,
um entgegen der problematischen Grammatik
der Schule als Institution Vielfalt produktiv
zu nutzen?
Um zu zeigen, wie „Vielfalt geht“, wurde
erstmals eine Auswahl an Arbeitsblättern
der nominierten Schulen in einen Materialteil
(S. 124 ff.) aufgenommen, der auch zum Download
angeboten wird (siehe Code auf der hinteren
Umschlagseite). Diese Materialien haben sich
bereits in der Praxis bewährt und veranschaulichen,
wie vielfältig Vielfalt umgesetzt werden
kann. Empfohlen sind sie zur Anregung und
Nachahmung auch für andere Schulen, die sie
auf ihre spezifische Situation hin adaptieren und
weiterentwickeln können.
Einen guten Einblick in die Arbeit der Schulen
geben aber vor allem die nachfolgenden ausführlichen
Porträts (S. 20 ff.), in denen die einzelnen
Schulen jeweils in ihrer gesamten Arbeit
gewürdigt werden. Auch wenn, beziehungsweise
gerade weil hier nicht allein der Umgang mit
Vielfalt im Fokus steht, wird dadurch bereits ein
zentraler Aspekt dieses Qualitätskriteriums hervorragend
dokumentiert: Der Umgang mit Vielfalt
lässt sich weder auf einzelne Bausteine oder
Maßnahmen noch auf nur ein einzelnes schulisches
Handlungsfeld reduzieren! Der Umgang
mit Vielfalt ist vielmehr eine Querschnittsaufgabe,
die die Schule als Ganzes – ihre Bildungsund
Organisationsqualitäten – betrifft. Im engen
Zusammenhang dazu steht aber auch: Es kann
keine für alle verbindlichen Patentrezepte geben!
Schulen müssen jeweils eigene Lösungen
finden, die zu ihrer spezifischen Ausgangslage
(Personal, Entwicklungsgeschichte etc.), ihrer
Schülerschaft und den regionalen und lokalen
Besonderheiten passen.
Es gilt also, worauf in den Büchern der vergangenen
Jahre bereits mehrfach aufmerksam
gemacht wurde: Die Güte der einzelnen Schulen
erschließt sich nicht über die isolierte Betrachtung
einzelner Qualitätsbereiche oder formaler
Organisationsmuster, sondern über die Betrachtung
der einzelnen Schule als „Kultur“. Anders
formuliert: „Wenn man verstehen will, wie Schule
‚gemacht‘ wird“, dann muss man verstehen,
wie das „Gesamtgeflecht von miteinander verschränkten
oder abgestimmten Erwartungen,
Routinen, von Handlungsverhältnissen, von
Zuständigkeiten, Gruppen und Grenzen entsteht
und wie es sich verändern lässt“ (Fauser/
Prenzel/Schratz 2009, S. 13).
In diesem Text soll nun der Blick auf einige
ausgewählte und konkrete Herausforderungen
gelenkt werden, die mit dem Umgang mit Vielfalt
grundsätzlich verbunden sind. Wir schließen
dabei an die in den bisherigen Büchern zum
Deutschen Schulpreis verhandelten Fragen zum
Umgang mit Vielfalt an:
1. Welche „Philosophie“ von Diversität bestimmt
das Handeln an der Schule? Welches Verständnis
bestimmt den Umgang mit Vielfalt in
den strukturellen und unterrichtlichen Maßnahmen,
die an der Schule gesetzt werden?
2. Welche praktischen Konsequenzen werden
aus (1), dem Verständnis von Vielfalt,
gezogen? Wie gehen die Schulen mit dem
Problem um, dass Schülerinnen und Schüler
ganz „uneinheitliche Subjekte“ darstellen
und über unterschiedliche Formen der Differenzierung
pädagogisch sinnvoll gruppiert
werden?
3. Was bedeuten (1) und (2) für die Professionalität
von Lehrerinnen und Lehrern heute?
Welches professionelle Selbstverständnis
setzt der Umgang mit Vielfalt an der Schule
voraus?
Wir skizzieren jeweils zunächst einige hinter
diesen angesprochenen Bereichen stehende
Problemlagen und Fallstricke, um anschließend
exemplarisch auf die von den einzelnen
Schulen gefundenen Lösungsstrategien näher
einzugehen.
1. Verständnis von Diversität
Diversität, Vielfalt oder auch Heterogenität –
unter diesen zumeist synonym, bisweilen auch
schlagwortartig verwendeten Begriffen werden
derzeit die vielfältigen Herausforderungen rund
um die Verschiedenheit von Schülerinnen und
Schülern diskutiert. Dabei ist allen an Schule beteiligten
Akteuren nur allzu bewusst, dass junge
Menschen unterschiedliche Voraussetzungen
für die Schule mitbringen, unterschiedliche Biografien
haben, unterschiedliche familiäre Kontexte
erleben, unterschiedliche Strategien des
Lernens entwickelt haben und vor diesem Hintergrund
„uneinheitliche Subjekte“ sind, dass
sie also alle „anders anders“ sind (vgl. Arens/
Mecheril 2010). Bei näherer Betrachtung tun
sich allerdings komplizierte Fragen auf: Was
kann dies konkret bedeuten? Von welchen Dimensionen
ist die Rede? Auf welche Kriterien
aus dem gleichsam unendlichen Spektrum möglicher
Unterscheidungsoptionen kommt es an?
Und welche Unterschiede sind dann speziell
im schulischen Kontext relevant? Die aktuellen
Diskurse liefern dazu durchaus unterschiedliche
Antworten (vgl. ausf. Trautmann/Wischer 2011).
Betrachtet man Schule zunächst „nur“ als
einen Ort der systematischen Organisation
von Lehr-Lernprozessen, dann findet man
etwa wichtige Hinweise in der empirischen
Lehr-Lern-Forschung, die Lernermerkmale in
ihren Einflüssen auf die (vor allem fachlichen)
Lernleistungen untersucht. Für eine effektive
Unterrichtsgestaltung wären demnach in erster
Linie das Vorwissen, die kognitiven Grundfähigkeiten
und ausgewählte motivationale und
affektive Dimensionen zu berücksichtigen. Eine
derartige Konzentration auf Lernermerkmale
und Lernleistungen bildet zwar zweifellos einen
entscheidenden Auftrag der Schule ab, sie
geht aber keineswegs allein darin auf; zumal zu
berücksichtigen ist, dass solche Lernermerkmale
nicht einfach vorhanden sind, sondern auch sozial
erzeugt werden. Auf dieses Problem weisen
vor allem sozialwissenschaftliche Diskurse
sehr eindrücklich hin. Sie stellen die Frage nach
den Konstruktionsprinzipien von Differenzlinien
(wie Geschlecht, Nationalität oder Behinderung)
und den damit verbundenen Ungleichheiten in
den Mittelpunkt. Unterschiede gelten in dieser
Perspektive als historisch und gesellschaftlich
bedingte – allerdings nicht grundsätzlich zu
vermeidende! – Konstruktionen, in die Vorstellungen
von Normalität und Abweichung, Dominanz,
Hierarchie und Unterdrückung eingebaut
sind.
Bildungspolitisch verortet sich der Umgang
mit Vielfalt im Kontext der aktuellen Debatte
um Inklusion – im Gegensatz zur Exklusion, der
Ausgrenzung bestimmter Gruppen von gesellschaftlicher
Teilhabe. Schule ist so betrachtet
also nicht nur ein institutioneller Ort, der Lernen
möglichst effektiv anbahnen und hervorbringen
soll. Schule soll alle jungen Menschen unabhängig
von ihrer Herkunft auf die gesellschaftliche
Teilhabe vorbereiten. Dabei geht es nicht mehr
um die Integration der „Anderen“, etwa der
sogenannten „behinderten“ Schülerinnen und
Schüler, der Kinder mit sogenanntem „Migrationshintergrund“,
sondern um den reflektierten
Umgang mit der Differenz, die über die Heraushebung
des Andersseins (Behinderte, Migranten
etc.) geschaffen wird.
Eine differenzsensible Schul- und Unterrichtskultur
erfordert einen neuen Blick auf die
Schülerinnen und Schüler. Gleichzeitig aber –
und mindestens so wichtig – „müssen sich pädagogische
Institutionen und pädagogisch Handelnde
fragen, inwiefern sie selbst am ‚doing difference‘
beteiligt sind, welche Zuschreibungen
sie vornehmen, wie sie in ihrer täglichen und
notwendig anerkennenden Arbeit durch Anreden,
Zuordnungen, Diagnosen, räumliche
Settings etc.