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Religion und kulturelles Gedächtnis Zehn Studien
Religion und kulturelles Gedächtnis
Zehn Studien




Jan Assmann

Verlag C. H. Beck oHG
EAN: 9783406459153 (ISBN: 3-406-45915-3)
256 Seiten, paperback, 13 x 19cm, 2004

EUR 12,90
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Der Ägyptologe Jan Assmann geht in zehn brillanten Einzelstudien dem Zusammenhang zwischen Religion und Gedächtnis nach. Die Untersuchungen zu Symbolen und Riten, mündlicher Überlieferung und Kanonbildung beschränken sich nicht auf das Alte Ägypten, sondern beziehen die Geschichte des Judentums und die gesamte ”Gedächtnisgeschichte des Abendlandes” mit ein. Als Teile dieser Geschichte und zugleich herausragende Beiträge zur Theorie des kulturellen Gedächtnisses werden Sigmund Freuds Moses-Buch und Thomas Manns Joseph-Roman gewürdigt.
Rezension
Assmanns Buch ist für Theologen vor allem von Interesse, weil er mit dem Begriff des 'kulturellen Gedächtnisses' und seiner Beschäftigung mit Tradition, Überlieferung und Kanonbildung nicht nur im christlichen Horizont wichtige Einsichten in Religionen und ihre Leistungen für Gemeinschaftsbildung, Weitergabe von Wissen und Begründung von Identitäten und Geschichtserzählungen gibt. Der Mensch wird als 'erinnerndes' Wesen verstanden und nur insofern er sich erinnert, kann er jemand Bestimmter sein.

Exemplarisch dafür können der vierte Abschnitt in der Einführung ("Die kontrapräsentische Erinnerung und die normative Vergangenheit: das Deuteronomium") und das dritte Kapitel ("Fünf Stufen auf dem Wege zum Kanon) gelesen werden.

Einen interessanten Querverweis in die Literatur bietet das achte Kapitel, das sich mit dem Josephs-Roman von Thomas Mann und dessen Auffassung vom Mythos auseinandersetzt.

Assmann ist, wie die Beschäftigung mit Thomas Mann oder auch mit Freuds 'Mann Moses' belegen, ein Wissenschaftler, der weit über die Grenzen seiner Fachwissenschaft hinausschaut. Allerdings hat man als Theologe manchmal das Gefühl, dass das leise Aufklärer-Pathos, das in manchen Sätzen mitschwingt ("So wie Halbwachs gezeigt hat, daß der Mensch Bindungen braucht, um ein Gedächtnis auszubilden und sich erinnern zu können, hat Nietzsche gezeigt, dass der Mensch ein Gedächtnis braucht, um sich binden zu können", 15) der Geschichte bestimmter Begriffe und Einsichten nicht gerecht wird. Sind die im Zitat angesprochen Erkenntnisse Halbwachs und Nietzsche zuzuordnen, als ob sie wirklich die ersten gewesen wären, denen das aufgefallen ist?

Aber das nur als Randbemerkung. Tatsächlich stünde die Theologie nämlich vielerorts weit besser da, wenn sie auf dem Niveau von Assmann argumentieren würde. Muss sie sich nicht viel zu oft von außen sagen lassen, was sie selbst wusste, weiß und wissen könnte?

Matthias Wörther, lehrerbibliothek.de

„Dieses Buch ist ganz eindeutig die bisherige Summe von Jan Assmanns Arbeit an einer neuen Theorie der Religion. [...] Herauskommt eine „andere“ Religionswissenschaft, dazu ein Lesevergnügen, denn Jan Assmann muss schreiben, weil er es kann.“ Gesine Palmer, Literaturen, Februar 2001
Verlagsinfo
Religiöse Traditionen sind von einer höchst erstaunlichen Stabilität. Mündliche und schriftliche Überlieferungen können trotz vielfacher gesellschaftlicher Umbrüche über Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende nahezu unverändert bewahrt werden. Der Begriff des kulturellen Gedächtnisses ist ein Schlüssel zur Erklärung dieser Dauerhaftigkeit. Ohne kulturelles Gedächtnis wären individuelle und kollektive Identität nicht vorstellbar.

Der Ägyptologe Jan Assmann geht in zehn brillanten Einzelstudien dem Zusammenhang zwischen Religion und Gedächtnis nach. Die Untersuchungen zu Symbolen und Riten, mündlicher Überlieferung und Kanonbildung beschränken sich nicht auf das Alte Ägypten, sondern beziehen die Geschichte des Judentums und die gesamte „Gedächtnisgeschichte des Abendlandes" mit ein. Als Teil dieser Geschichte und zugleich herausragende Beiträge zur Theorie des kulturellen Gedächtnisses werden Sigmund Freuds Moses-Buch und Thomas Manns Josephs-Roman gewürdigt.

Jan Assmann, geboren 1938, ist Professor für Ägyptologie an der Universität Heidelberg. Er leitet seit 1978 ein Forschungsprojekt in Luxor (Oberägypten) und lehrte als Gastprofessor in Paris, Yale und Jerusalem. 1994/95 verbrachte er einen Forschungsaufenthalt am Getty Research Center in Santa Monica, USA. 1998 erhielt er den Preis des Historischen Kollegs, der als deutscher Historikerpreis vergeben wird. Bei C.H.Beck erschienen bereits: „Ma'at. Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im Alten Ägypten" (2. Aufl. 1995), „Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen" (2. Aufl. 1999) sowie „Weisheit und Mysterium. Das Bild der Griechen von Ägypten" (2000).
Inhaltsverzeichnis
EINFÜHRUNG
Was ist das „kulturelle Gedächtnis"?

1. Die soziale Bedingtheit des Gedächtnisses: das kommunikative Gedächtnis 11
2. Die soziogene Kraft des Gedächtnisses: das kollektive oder Bindungs-Gedächtnis 15
3. Riten der kollektiven und konnektiven Erinnerung 20
a) Das nettassyrische sarsaru-Ritual 20
b) Das Stammesfest der Osagen 23
c) Die Kanopenprozession der Osirismysterien 26
4. Die kontrapräsentische Erinnerung und die normative Vergangenheit: das Deuteronomium 28
5. Die Problematik des Kollektivgedächtnisses 34
6. Das kulturelle Gedächtnis 37

ERSTES KAPITEL
Unsichtbare Religion und kulturelles Gedächtnis

1. Vorbemerkungen 45
2. Unsichtbare und sichtbare Religion im Alten Ägypten: Das „Ägyptische Dreieck" 47
3. Transformationen des kulturellen Gedächtnisses 52
a) Symbolisierung und zeremonielle Zirkulation: schriftlose Gesellschaften 54
b) Kodifikation: der „Traditionsstrom" in frühen Schriftkulturen 55
c) Kanonisierung und Interpretation 56
4. Kanonisierung als Entdifferenzierung 57
5. Schlußbemerkung: Entkanonisierung und Differenzierung des kulturellen Gedächtnisses - Wiederkehr des „ägyptischen Dreiecks" ? 59

ZWEITES KAPITEL
Monotheismus, Gedächtnis und Trauma. Reflexionen zu Freuds Moses-Buch

1. Der archäologische Blick und die Hermeneutik des Mißtrauens 62
2. Kontrapräsentische Erinnerung 67
3. Verdrängung und Trauma 71

DRITTES KAPITEL
Fünf Stufen auf dem Wege zum Kanon. Tradition und Schriftkultur im alten Israel und
frühen Judentum

1. Zwei Vorbemerkungen 81
a) Verschriftlichung 81
b) Kanonisierung 82
2. Fünf Impulse der Kanonisierung 83
a) Die Exkarnation der Gesetze und die Erfindung einer normativen Vergangenheit 83
b) Die Exkarnation der Tradition 87
c) Kanon von oben: die persische „ Reichsautorisation" der Gesetze 89
d) Textgemeinschaften und Kernbibliotheken 91
e) Die Perhorreszierung der Idolatrie und die sprachliche Engführung 96

VIERTES KAPITEL
Erinnern, um dazuzugehören. Schrift, Gedächtnis und Identität

1. Die Schrift als Prinzip der Bewahrung und der Veränderung 101
2. Die Schrift als Speicher und Denkmal 105
3. Das konnektive Gedächtnis 108
4. Die Gedächtniskonzepte von Halbwachs und Warburg 114
5. Die zwanghafte Erinnerung, nach Freud 117

FÜNFTES KAPITEL
Kulturelle Texte im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit

1. Zum Begriff des Textes: Text, Überlieferung und zerdehnte Situation 124
2. Institutionalisierungen der zerdehnten Situation 128
a) Die zerdehnte Situation unter den Bedingungen der Gedächtniskultur. Fest und Ritus als mündliche Institutionalisierungsformen 128
b) Die zerdehnte Situation unter den Bedingungen der Schriftkultur 134
3. Kanon: die Entstehung textueller Kohärenz 142
a) Zentrum und Peripherie im Traditionsstrom: die Kanonisierung der Klassiker 142
b) Die Stillstellung des Traditionsstroms 143
c) Tradition als Sinnpflege und Auslegung 145

SECHSTES KAPITEL
Text und Ritus. Die Bedeutung der Medien für die Religionsgeschichte

1. Von ritueller zu textueller Kohärenz 148
2. Ritus und Immanenz: Strukturwandel des Heiligen 152
3. Ritus, Text und Geheimnis 155
4. Die Fremdsprachlichkeit der heiligen Texte 159
5. Lesemysterien und intellektuelle Rituale 162
6. Schrift und Offenbarung 164

SIEBTES KAPITEL
Officium memoriae: Ritus als Medium des Denkens

1. Kosmologie und Religion: der Fall Echnaton 167
2. Konstellative Kosmologie 170
3. Wissensformen der Welt-In-Gang-Haltung 175

ACHTES KAPITEL
Zitathaftes Leben. Thomas Mann und die Phänomenologie der kulturellen Erinnerung

1. Die „Lehre" Thomas Manns? 185
a) Annäherung 185
b) „Zitathaftes Leben": die Freud-Rede von 1936 188
2. Vertikale Verankerung: Mythos als geistige Lebensform 190
a) Prägung 190
b) Vermittlung 193
c) Zitat und Legitimierung 196
3. Das kulturelle Gedächtnis 200
4. Hat „die Antike so gelebt?" Fünf kritische Einwendungen aus ägyptologischer Sicht 203
a) Nicht alle - vielleicht Einzelne 203
b) Nicht immer, sondern in bestimmten Situationen 204
c) In Israel anders als in Ägypten 205
d) Eine Rückprojektion künstlerischer Strömungen der Moderne? 206
e) Der Mythos von der Einheit des Menschengeistes 207

NEUNTES KAPITEL
Ägypten in der Gedächtnisgeschichte des Abendlandes

Anhang
Anmerkungen 223
Nachweise 250
Namenregister 251
Sachregister 253