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Kirchengeschichte Deutschlands seit der Reformation   6., durchgesehene Auflage 2006 / 1. Aufl. 1973 (Ullstein)
Kirchengeschichte Deutschlands seit der Reformation


6., durchgesehene Auflage 2006 / 1. Aufl. 1973 (Ullstein)

Johannes Wallmann

UTB , Mohr
EAN: 9783825213558 (ISBN: 3-8252-1355-2)
363 Seiten, paperback, 12 x 19cm, 2006

EUR 12,90
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
„Es wird kaum einen evangelischen Theologen geben, der seine Examensvorbereitung ohne Johannes Wallmanns lesbares Kompendium Kirchengeschichte Deutschlands seit der Reformation bewältigt hätte.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20.05.2000
Rezension
Die übersichtliche und überschaubare Kirchengeschichte von Wallmann, - allerdings nur von der Reformationszeit bis heute -, ist seit mehr als 3o Jahren ein kirchengeschichtliches Standardwerk, das in seinem Tiefgang freilich nicht überschätzt werden darf. Für einen ersten Überblick aber ist es jedenfalls geeignet, wenn man berücksichtigt, dass Alte Kirche und Mittelalter nicht behandelt werden. Entsprechend nehmen Pietismus, Aufklärung, 19. und 20. Jhdt. relativ viel Raum ein. Man wird den Wallmann also empfehlen können für ergänzendes Überblickswissen zur Kirchengeschichte der Neuzeit; er ersetzt aber kein grundlegendes kirchengeschichtliches Allgemeinwissen für Prüfungen über diese Zeit hinaus.

Thomas Bernhard, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Rezensionen
Von: Florian Neuhäuser aus Kassel am 03.03.2003

Johannes Wallmann gibt mit seiner Kirchengeschichte einen guten, nicht all zu tief gehenden Überblick über die Kirchengeschichte von der Reformation bis zur Kirche in der DDR und Ökumene der heutigen Zeit. Die Abschnitte sind relativ kurz und prägnant. Man kann dieses Buch daher auch als Nachschlagewerk empfehlen.
Dieses Werk sei nicht nur Studierenden der Theologie, sondern auch interessierten Laien empfohlen, um sich einen groben Überblick über die Strömungen und Personen der Kirchengeschichte zu verschaffen.

Von: Heinrich Kröger aus Der Heidewanderer am 01.05.2002
Zu den bewährten historischen Überblicks-Darstellungen gehört die hier vorliegende Kirchengeschichte des Bochumer Professors Johannes Wallmann. Die erste Auflage erschien 1973 in der Taschenbuch-Reihe "Deutsche Geschichte: Ereignisse und Probleme" des Berliner Ullstein-Verlags. 1985 übernahm Mohr Siebeck die Darstellung in die Reihe der akademischen Studienbücher UTB. Rasch folgten weitere Ausgaben. Die jetzige 5. Auflage ist verbessert und auf Wunsch des Verlegers bis zum Ende des 20. Jh.s erweitert worden. Damit hat das Buch an Aktualität gewonnen und wird seinen Zweck auch auf längere Sicht erfüllen.
Die Fülle des Stoffes wird in sechs Abschnitte gegliedert: 1. Die Reformation in Deutschland (fünf Kapitel); 2. Das konfessionelle Zeitalter (drei Kapitel); 3. Pietismus und Aufklärung (zwei Kapitel); 4. Das 19. Jh. bis zum Ersten Weltkrieg (neun Kapitel); 5. Der Weg der Kirche nach dem Ersten Weltkrieg (vier Kapitel) und 6. Auf dem Weg ins 3. Jahrtausend (vier Kapitel). – Jedes Kapitel beginnt mit einer Einführung, die Interesse am Lesen weckt und gespannt auf das Folgende macht – insgesamt ein Zeitraum von 500 Jahren: Im Sommersemester 1501 lässt sich "Martinus ludher ex mansfelt" an der Universität Erfurt einschreiben, und am 5. September 2000 erscheint in Rom die schroffe Erklärung der "Kongregation für die Glaubenslehre" (Congregatio Fidei) "Dominus Jesus". [...]
Zu den Vorzügen des Buches zählt, dass der Autor seine Überblicks-Geschichte bis an die Jahrtausendwende fortgeführt hat. Bei allen Vorbehalten, die er angesichts des geringen Abstandes selbst hat, ist ihm dies in ansprechender Weise gelungen. Seine Beschreibung der kirchlichen Entwicklung in der DDR hilft zum besseren Verständnis. Auch die Fortschritte und Rückschritte in der Ökumene werden sachlich entfaltet und treffend charakterisiert. Da die Bemühungen um einen Lehrkonsens zwischen Katholiken und Evangelischen an Grenzen gestoßen seien, werde man im 3. Jahrtausend vermutlich andere Wege ökumenischer Verständigung suchen müssen.

Von: Rezensentin/Rezensent aus Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte
Aus Rezessionen zur 4. Auflage:
„So bietet der Band wegen seiner sachlichen und klaren Sprache für den behandelten Zeitraum einen brauchbaren Überblick, nicht nur für Studierende, sondern auch für Pfarrer bei der Vorbereitung kirchengeschichtlicher Themen in Gemeinde und Unterricht.“
Inhaltsverzeichnis
Vorwort V

Erster Abschnitt:
Die Reformation in Deutschland


Einführung 1

I Martin Luthers Werdegang bis zum Durchbruch der reformatorischen Erkenntnis 5

Jugend 5 - Studium und Klosterzeit in Erfurt 6 - In Wittenberg 9 - Die frühen Wittenberger Vorlesungen 10 - Die Entdeckung der Glaubensgerechtigkeit 12 - Die reformatorische Wende als Forschungsproblem 15

II Die Auseinandersetzung mit Rom 1517-1521 17

Der Ablaßstreit 17 - Der römische Prozeß 22 - Luther vor Cajetan in Augsburg 23 - Die Miltitziade 25 - Die Leipziger Disputation 26 - Die großen Schriften des Jahres 1520 28 - Bannandrohung und Bann 31 - Der Reichstag zu Worms 1521 32

III Die Sturmjahre der Reformation bis zur Katastrophe des Bauernkrieges 35

Der Wildwuchs der Reformation 35 - Luther auf der Wartburg 36 - Die Wittenberger Bewegung 1521/22 38 - Neuordnung von Gottesdienst und sozialem Leben 41 - Andreas Bodenstein von Karlstadt 44 - Thomas Müntzer 46 - Huldreich Zwingli und die Schweizer Reformation 48 - Täufer und Spiritualisten 50 - Luther und Eras-mus 53 - Ritterfehde und Bauernkrieg 55

IV Fürstenreformation und Landeskirchentum bis zum Augsburger Reichstag 1530 60

Erste politische Bündnisse 60 - Der Reichstag von Speyer 1526 61 - Die Anfänge des evangelischen Landeskirchentums 61 - Der Abendmahlsstreit 64 - Die Protestation von Speyer 66 - Das Marburger Religionsgespräch 67 - Der Reichstag von Augsburg 1530 68 - Zwinglis Ende 70

V Reich und Reformation bis zum Augsburger Religionsfriede 72

Der Schmalkaldische Bund 72 - Martin Bucer und die Wittenberger Konkordie 73 - Der Siegeszug des Protestantismus 74 - Die Krise der Täuferbewegung 77 - Konzilspläne 79 - Die Ära der Religionsgespräche 81 - Der Schmalkaldische Krieg 82 - Das Interim 83 - Die Fürstenverschwörung unter Moritz von Sachsen 85 - Der Augsburger Religionsfrieden 1555 85

Zweiter Abschnitt:
Das Konfessionelle Zeitalter


Einführung 88

I Das Luthertum 91
Innerlutherische Lehrstreitigkeiten und Konkordienformel 91 - Die altlutherische Orthodoxie 94 - Der Synkretistische Streit 98 - Frömmigkeits- und Reformbewegungen im orthodoxen Luthertum 100

II Der Calvinismus 104
Calvin 104 - der westeuropäische Calvinismus und sein Einfluß auf Deutschland 107 - Der deutsche Calvinismus 112

III Der römische Katholizismus 114
Katholische Reform 114 - Das Konzil von Trient 115 - Die Gegenreformation in Deutschland 118

Dritter Abschnitt:
Das Zeitalter des Pietismus und der Aufklärung


Einführung 123

I Der Pietismus 126
Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus 126 - Der radikale Pietismus 129 - August Hermann Francke und der hallische Pietismus 134 - Der württembergische Pietismus 137 - Der niederrheinische Pietismus 140 - Zinzendorf und die Brüdergemeine 141

II Die Aufklärung 147

Die westeuropäische Aufklärung 147 - Leibniz und die deutsche Aufklärungsphilosophie 150 - Die deutsche Aufklärungstheologie 154 - Übergangstheologie 155 - Johann Salomo Semler und die Neologie 156 - Lessing und der Fragmentenstreit 160 - Immanuel Kant 162 - Supranaturalismus und Rationalismus 164 - Protestantisches Staatskirchentum 165 - Josephinismus und Febronianismus 168

Vierter Abschnitt:
Das 19. Jahrhundert bis zum 1. Weltkrieg


Einführung 172

I Friedrich Schleiermacher 175

Die religiöse Situation um 1800 175 - Schleiermachers Werdegang 176 - Das neue Verständnis der Religion 177 - Die Erneuerung der Theologie 179 - Schleiermachers Glaubenslehre 181

II Der deutsche Idealismus 184

III Die Erweckungsbewegung 188

Wesen und Ursprung der Erweckung 188 - Die Hauptzentren der Erweckung 191 - Die Bibel- und Missionsgesellschaften 196

IV Der Neubau der protestantischen Eandeskirchen 199

Die Einführung der Union in Preußen 200 - Die außerpreußischen Unionen 201 - Der Agendenstreit 202 - Die Rückbildung der Union 203 - Der lutherische Konfessionalismus 204 - Der Kampf um die Kirchenverfassung 206 - Das Revolutionsjahr 1848 207 -Die Einführung der Presbyterial-Synodalordnung 209 - Das kirchliche Parteienwesen 210

V Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert 211

1. Die konservative Theologie 212

Die Erweckungstheologie 212 - Die konfessionelle Theologie 213 - Die biblische Theologie 215

2. Die liberale Theologie 216
Der Rationalismus 216 - Die historisch-kritische Theologie 218 -Die religionsgeschichtliche Schule 221

3. Theologie der Vermittlung 223
Die spekulative Theologie 223 - Die Vermittlungstheologie 224 - Albrecht Ritschl und seine Schule 225

VI Protestantismus und soziale Frage 229

Die Diakonie der Enveckungszeit 229 - Johann Hinrich Wichern und die Innere Mission 230 - Die evangelisch-soziale Bewegung 232

VII Reorganisation und innere Erneuerung der katholischen Kirche 236

Die Reorganisation der deutschen Bistümer 236 - Der religiöse Neuaufbruch im deutschen Katholizismus 239

VIII Die katholische Bewegung im Kampf gegen Staatskirchentum und Liberalismus 243

Der Kölner Mischehenstreit 243 - Katholische Bewegung und Liberalismus 244 - Der Katholizismus vor der sozialen Frage 247

IX Der Sieg des Ultramontanismus und der Kulturkampf 249

Das I. Vatikanische Konzil 249 - Die Entstehung der altkatholischen Kirche 251 - Der Kulturkampf 252

Fünfter Abschnitt:
Der Weg der Kirche nach dem Ersten Weltkrieg


Einführung 256

I Der theologische Umbruch der zwanziger Jahre 258

II Das protestantische Kirchentum nach dem Ende des landesherrlichen Kirchenregiments 262

Das neue Verhältnis von Kirche und Staat 262 - Die Neuordnung der Kirchenverfassung 264 - Die ökumenische Bewegung 266

III Die Kirchen und der Nationalsozialismus 268

Der protestantische Kirchenkampf 268 - Katholische Kirche und Nationalsozialismus 271
IV Die katholische Kirche auf dem Weg vom I. zum II. Vatikanischen Konzil 273

Sechster Abschnitt:
Auf dem Weg ins dritte Jahrtausend


Einführung 278

I Die evangelische Kirche in Deutschland zwischen Restauration und Erneuerung 281

Die Neuordnung der Kirchenverfassung 281 - Das neue Gesicht des deutschen Protestantismus 284 - Christen und Juden 289

II Die katholische Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil 292

III Der Weg der evangelischen Kirche in der DDR 297

Der Kampf gegen die Kirche 297 - Trennung von der EKD und Gründung des Kirchenbundes 303 - Die „Kirche im Sozialismus" 305 - Zwischen SED-Staat und Gruppenbewegung 309 - Wiederherstellung der kirchlichen Einheit 313

IV Auf dem Weg zur Einheit der Christenheit 315

1. Innerprotestantische Ökumene: die Leuenberger Konkordie 315

2. Protestantisch-katholische Ökumene 318

Der Prozeß „Lehrverurteilungen - kirchentrennend?" 319 - Die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre" und die „Gemeinsame offizielle Feststellung" 320
3. Weitere ökumenische Bemühungen 324

Literaturverzeichnis 326
Personenregister 334
Ortsregister 342
Sachregister 347


Leseprobe:

Erster Abschnitt:
Die Reformation in Deutschland
»Reformation der Kirche« – dieser Kampfruf stammt nicht aus der
Bewegung, die mit demWittenberger Augustinermönch Martin Luther
und seinen 95 Thesen begann und im 16. Jahrhundert in
Deutschland und vielen europäischen Ländern zu einer grundlegenden
Neugestaltung der Kirche und zum Abfall von Rom führte.
»Reformation der Kirche« – dies war die Parole der Reformbewegung
des frühen 15. Jahrhunderts. Jener Bewegung, die auf den Konzilien
von Konstanz (1414–1418) und Basel (1431–1449) zugleich
mit der Überwindung des Schismas zwischen Rom und Avignon
auch eine Erneuerung der Kirche an Haupt und Gliedern, eine »reformatio
ecclesiae in capite et membris« erreichen wollte. Aber die
große kirchliche Reformbewegung des Spätmittelalters war gescheitert.
Der Versuch der auf dem Konzil von Basel repräsentierten
abendländischen Gesamtkirche, eine universale, die ganze europäische
Christenheit und das gesamte geistliche und weltliche Leben
umfassende Reformation insWerk zu setzen, wurde von Rom vereitelt.
Denn durch die Reformation wäre das Papsttum aus seiner
monarchischen Stellung verdrängt und das Konzil als höchste kirchliche
Gewalt über das Papsttum gestellt worden. Indem das
Papsttum den Angriff auf seine Machtstellung abschlug und den
Konziliarismus verdammte, trug es den Gedanken der Reformation
der Kirche mit zu Grabe. Für das in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts
vollends verweltlichte Renaissancepapsttum, dessen Interessen
sich ganz auf seinen italienischen Kirchenstaat richten, ist das
Thema »Reformation der Kirche« von der Tagesordnung verschwunden.
Daß es im frühen 16. Jahrhundert wieder auftaucht und
nun zur Parole einer die Einheit der abendländischen Christenheit
spaltenden kirchlichen Revolution wird, geht nicht zuletzt auf die
Versäumnisse und Fehlschläge des Konzilsjahrhunderts zurück.
Die konziliare Reformbewegung des 15. Jahrhunderts war eine
gesamteuropäische Bewegung gewesen. Ihr geistiges Zentrum lag in
der Universität Paris. Die Reformation des 16. Jahrhunderts ist im
Ansatz keine gesamteuropäische Bewegung mehr, sie geht allein von
Deutschland, von einer recht unbedeutenden deutschen Provinz2
universität aus. Das hat seinen Hauptgrund in der letztlich unableitbaren
Tatsache des Auftretens von Martin Luther. Aber niemals hätten
Luthers 95 Thesen eine reformatorische Bewegung in Deutschland
hervorrufen können, wenn nicht gerade hier das Verlangen
nach der Reformation der Kirche so lebendig geblieben wäre wie in
keinem anderen Land.
DieWiederherstellung seiner Macht in der Mitte des 15. Jahrhunderts
hatte das Papsttum mit großen Zugeständnissen an die europäischen
Mächte erkauft. Es mußte zusehen, wie Frankreich in der
Pragmatischen Sanktion von Bourges (1438) seine gallikanischen
Freiheiten gegenüber Rom proklamierte, die Reformdekrete des
Basler Konzils übernahm, die französische Kirche ganz dem kurialen
Einfluß entzog. Noch unmittelbar vor Ausbruch der deutschen
Reformation hat Rom im Konkordat mit Frankreich (1516) dessen
nationalkirchliche Freiheiten anerkennen müssen. Auch die beiden
anderen großen Nationen Westeuropas, England und Spanien, hatten
sich ein hohes Maß von Selbständigkeit gegenüber Rom erkämpft,
waren auf dem Wege, die katholische Kirche in den Staat
einzuordnen. Nur in Deutschland, das durch die Tradition des Heiligen
Römischen Reichs besonders eng mit Rom verbunden war,
hat das Papsttum seinen Einfluß wiedergewinnen und in der nachkonziliaren
Ära sogar noch weiter ausbauen können. Das unter
Kaiser Friedrich III. abgeschlossene Wiener Konkordat von 1448,
das formell bis zum Ende des alten Reiches in Geltung blieb, machte
dem Papst weitgehende Zugeständnisse und vereitelte jede Reform.
Der Papst erhielt maßgeblichen Einfluß auf die Besetzung
der geistlichen Stellen – mehr als die Hälfte der deutschen Stiftspfründen
wurde von Rom vergeben – und er empfing außerordentlich
hohe Einnahmen aus der Besteuerung der deutschen Kirche
(Palliengelder, Servitien, Expektanzen, Annaten usw.). Zwar haben
einzelne deutsche Fürsten in der Folgezeit günstigere Vereinbarungen
mit Rom erzielt, sie haben sich ähnliche landesherrliche Kirchengewalt
zusichern lassen wie die westeuropäischen Monarchen
– hier liegen die Ansätze zum landesherrlichen Kirchenregiment in
Deutschland. Aufs Ganze bleibt Roms Einfluß in Deutschland bedrückend
stark, stärker als in Frankreich, England und Spanien.
Nirgendwo in diesen Ländern hätte ein kuriales Finanzgeschäft abgewickelt
werden können von der Art des die deutsche Reformation
auslösenden Ablaßhandels.
Die Reformation in Deutschland
3
Bald nach dem Abschluß des Wiener Konkordats, auf einem
Frankfurter Kurfürstentag 1456, sind die »Gravamina der deutschen
Nation« zusammengestellt worden, eine Sammlung der Deutschland
durch den römischen Stuhl auferlegten Beschwernisse. Die Gravamina
klagen Rom an, Deutschland nur als Objekt der Ausbeutung zu
betrachten. Sie beklagen die Eingriffe in die Stellenbesetzung, die finanzielle
Aussaugung, die Willkür der päpstlichen Gerichtsbarkeit.
»Nicht die Kirche selbst wird da angegriffen, es ist vielmehr ein einziger
Schrei der Empörung gegen die Ungebühr der Regierung in Rom:
Der Papst ist der Todfeind der deutschen Nation, denn er vernichtet
ihren Reichtum, ihre Freiheit und ihre Ehre« (R. Stadelmann). Auf
den deutschen Reichstagen immer wieder vorgetragen, amVorabend
der Reformation vom nationalbewußten deutschen Humanismus
aufgenommen, haben die Gravamina ein romfeindliches Klima geschaffen,
noch ehe Luther hervorgetreten ist. »Ohne die Gravamina
der deutschen Nation hätte die Nation jenem ersten Ruf Luthers
nicht geantwortet, wäre Luther nicht zum Reformator geworden,
wäre die Reformation nicht gekommen.« (J. Lortz).
Das geistige Klima Deutschlands am Vorabend der Reformation
war romfeindlich, aber es war nicht kirchenfeindlich und schon gar
nicht irreligiös. Im Gegenteil: wohl nie hat kirchliches Leben in
Deutschland so geblüht wie um 1500. Die Kirche ist in allen Schichten
noch fraglos als die geistig führende Macht anerkannt. Die skeptischen
und paganistischen Strömungen der Renaissance, die in Italien
und Frankreich eine höhere Bildungsschicht von Kirche und
Christentum entfremden, fanden in Deutschland kaum Wurzelboden.
Der deutsche Humanismus war, von Einzelgestalten wie Conrad
Celtis abgesehen, eine Bildungsbewegung, die mit ihrer Abwendung
von der Scholastik und Metaphysik und ihrer Hinwendung
zur Philologie und Geschichte allenfalls die Schäden von Theologie
und Kirche kritisierte, doch die religiösen Grundlagen der mittelalterlichen
Kirche nicht verließ. Ja, imWerk des Erasmus von Rotterdam
ging der Humanismus soeben die Verbindung mit der christlichen
Theologie ein, bildete sich zu einem biblischen Humanismus
weiter, dessen reformerische Impulse auf eine innere Erneuerung der
Christenheit im Geist des biblischen Altertums zielten, den Rahmen
der bestehenden Kirche aber nirgendwo sprengten.
Die humanistische Pädagogik verband sich bei den »Brüdern vom
gemeinsamen Leben« mit der von der Tradition der deutschen My-
Einführung
4
stik sich nährenden Frömmigkeit der Devotio moderna zu einer
kräftigen, die Verinnerlichung des religiösen Lebens und seine praktische
Bewährung im Alltag befördernden Reformbewegung, die
um 1500 durch das Schulwesen der Brüder auch Einfluß auf das
deutsche Stadtbürgertum gewann. Die Erfindung der Buchdruckerkunst
kam überwiegend dem Bedürfnis nach religiöser Bildung zu
gute. Wohlfeile Erbauungsbücher erlebten hohe Auflagen. In den
Städten wuchsen die spätgotischen Hallenkirchen empor, Predigtkirchen,
von deren Kanzeln die großen Volksprediger – ein Geiler
von Kaysersberg, ein Thomas Murner – das Volk zur Buße riefen.
Zugleich blühte an den Seitenaltären der Kirchen der Bilderkult; unüberschaubar
der Reichtum an christlicher Malerei und Plastik gerade
aus dieser Zeit. Es wuchsen die Meßstiftungen und mit ihnen die
Zahl der meßlesenden Kleriker, die in manchen Städten schon ein
Zehntel der Bevölkerung ausmachten.
Unersättlich war das religiöse Bedürfnis der Menschen dieser
Zeit, und es ist auffällig, daß es seine Befriedigung durchweg in dem
Angebot der Kirche findet. Die großen ketzerischen Bewegungen
sind um 1500 so gut wie verschwunden. Es sind die kirchlichen Formen
derWallfahrt, desWunderglaubens und des Reliquienkults, der
Heiligenverehrung und der Marienfrömmigkeit, zu denen die Menschen
Zuflucht nehmen. Mönchtum und kirchliche Bruderschaften
brauchen über mangelnden Zulauf nicht zu klagen. Man hat die Zeit
am Vorabend der Reformation ein »Zeitalter der höchsten Steigerung
der Kirchlichkeit« genannt (B. Moeller).
In dieser Atmosphäre einer aufs höchste gesteigerten Kirchlichkeit
zündet nun der Blitz der 95 Thesen. Es ist ein Mann, kaum berührt
vom Geist des Humanismus und vom Romhaß der Gravamina,
ein von der mittelalterlichen Scholastik geprägter, um das Heil
seiner Seele ringender Mönch und Professor der Theologie, von dem
der größte Umbruch in der Geschichte der Kirche ausgeht. Von der
kleinen kursächsischen Universitätsstadt Wittenberg aus bringt er
jene Bewegung in Gang, die nun in einmaligerWeise jenesWort von
der »Reformation der Kirche« auf sich gezogen hat.
Die Reformation in Deutschland
I Martin Luthers Werdegang bis zum
Durchbruch der reformatorischen
Erkenntnis
Jugend
Martin Luther wurde am 10. November 1483 in Eisleben in der im
südöstlichen Vorland des Harzes gelegenen Grafschaft Mansfeld geboren.
Der Vater entstammte einem thüringischen Bauerngeschlecht
aus Möhra bei Eisenach. Als ältester Sohn nach heimatlichem Recht
nicht erbberechtigt, hatte er sich seinen Beruf in dem im 16. Jahrhundert
aufblühenden Kupferbergbau gesucht. In der an Kupferminen
reichen Grafschaft Mansfeld, in die Hans Luther bald nach seiner
Heirat übersiedelte, ist dem strebsamen und tüchtigen Bergmann
der soziale Aufstieg nicht versagt geblieben. Vom einfachen Häuer
hat sich Hans Luther allmählich zu einem kleinen Unternehmer emporgearbeitet,
der am Gewinn von mehreren Schächten und Hütten
beteiligt war. Zur Primiz seines Sohnes konnte er 1507 die stattliche
Summe von 20 Gulden der Klosterküche spenden und mit zwanzig
von ihm freigehaltenen Gästen in Erfurt erscheinen. In Luthers Jugendzeit
wird es noch ärmlich zugegangen sein. Mindestens neun
Kinder hatte die Mutter zu versorgen, deren von Arbeit und Sorgen
ausgemergeltes Gesicht, wie es Lukas Cranach gemalt hat, etwas verblaßt
hinter der kraftvollen, lebensvollen Statur des Vaters.
Die Erziehung der Eltern war streng. »Ihr ernst und gestreng Leben,
das sie mit mir führten, das verursachte mich, daß ich darnach in
ein Kloster lief und ein Mönch wurde.« Man hat aus solchen Äußerungen
auf einen unbewußten Vaterhaß des jungen Luther schließen
wollen und darin das spätere Ringen um den gnädigen Gott verwurzelt
gesehen. Aber wenn Luther sich der elterlichen Strenge erinnert,
so macht er gar keinen Unterschied zwischen Vater und Mutter. Es
ist die Mutter, von der er berichtet, sie habe ihn wegen einer Nuß so
hart geschlagen, daß das Blut floß. Und gerade vom Vater hat sich
ihm eingeprägt, wie, als er einmal den Sohn scheu gemacht hatte, ihm
»bange war, bis er mich wieder zu ihm gewöhnte«.