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Die Schrift erfinden Beobachtungshilfen und methodische Ideen für einen offenen Anfangsunterricht im Schreiben und Lesen
Die Schrift erfinden
Beobachtungshilfen und methodische Ideen für einen offenen Anfangsunterricht im Schreiben und Lesen




Hans Brügelmann, Erika Brinkmann

Libelle Verlag
EAN: 9783909081851 (ISBN: 3-909081-85-1)
200 Seiten, paperback, 17 x 24cm, 1998, 141 Abb.

EUR 14,90
alle Angaben ohne Gewähr

Rezension
"Die Schrift erfinden" ist der Nachfolgeband zu dem jahrlangen Bestseller der Deutschdidaktik-Bücher "Die Schrift entdecken". Hinzu kommen viele Auszüge aus der Ideenkiste Schriftsprache, die den Praxisteil des Bandes bereichern. Wie der Titel schon vermuten lässt, handelt es sich bei dem vorliegenden Buch nicht um einen Ergänzungsband, sondern um eine Überarbeitung des ersten Bandes. Schon optisch sieht man, dass die völlig überarbeitete Neuauflage nicht einfach bloß eine neue Auflage ist. Auch inhaltlich stark erweitert scheint den Kindern nun noch mehr Eigenaktivität am Schriftspracherwerb zugesprochen zu werden, als bisher ohnehin schon geschehen.
Grundidee ist der Gedanke, dass Kinder Schreiben und Lesen nicht erst in der Schule lernen und nicht durch ein Lehrwerk systematisch erlernen. Eine Erkenntnis, die sich mittlerweile herumgesprochen haben sollte, die sich aber stark von den eigenen Schulerfahrungen heutiger Lehramtsstudentinnen und -studenten unterscheidet. Sie alle haben die Schriftsprache noch durch einen Fibellehrgang gelernt. Hat früher ein Kind mit drei Jahren lernfreudig bekundet, es möge nun "endlich" Lesen lernen (ja, solche Kinder gibt es, sogar sehr viel häufiger als wir vermuten, ich höre den Satz fast täglich von meiner gerade drei Jahre alten Tochter!), so sagte man dem Kind: "Warte nur, bis du in die Schule kommst!", ja, man musste es sogar sagen, denn spätestens bei den Vorgesprächen mit der Grundschule wurden interessierte Eltern gewarnt, dem Kind schon früher Einblicke in die Schriftsprache zu gewähren, würde es sich ja sonst nur langweilen und eventuell sogar zum Problemschüler wandeln. Gewandelt hat sich einiges. Gott sei Dank! Aber nicht die Kinder, die schon vor der Schule schreiben und lesen lernen dürfen, sondern die Einstellung der Schule zur eigenen Aufgabe. Der Trend geht weg vom Lehrgang, zum Abholen der Schüler dort, wo sie stehen. Wir wären ja auch blind, würden wir allen Ernstes glauben, wir könnten Kindern sechs Jahre lang die spannendste Sache der Welt, das Geheimnis gegen Langeweile, die Geheimsprache der Erwachsenen, vorenthalten! Es gelingt uns ja nicht einmal, die Weihnachtsgeschenke vor den neugierigen und erkundungsfreudigen Augen unseres Nachwuchses zu verbergen. Wie sollten wir da die Schriftzeichen, die Kindern täglich beim Vorlesen, beim Spazierengehen, im Auto, beim Einkaufen und selbst im Badezimmer begegnen, vorenthalten?!
Kinder entdecken die Schrift, wohin sie nur gehen. Versuchen Sie einmal, Ihrem Kind einen Tag lang keinerlei Buchstaben zu zeigen. Sie müssten Ihre komplette Wohnung leer räumen, die Türe abschließen und die Fensterläden geschlossen, vor allem aber auch den Fernseher ausgeschaltet lassen!
Meine Tochter lernte ihren ersten Buchstaben im Badezimmer! Sie wollte wissen, was da auf der Shampoo-Flasche geschrieben steht. Am interessantesten war für sie das "O", vielleicht weil es am markantesten ist. Es hat schließlich weder Anfang noch Ende, sieht immer gleich aus, egal, ob die Shampoo-Flasche nun auf dem Kopf steht oder das Etikett durch die Rückseite hindurch gelesen wird. Also lernte meine Tochter das "O, wie Oma und Opa". Oma und Opa liebt sie sehr und so gewann sie schon zu ihrem zweiten Geburtstag das O lieb, erkannte es in allen Variationen und sah es an jeder Straßenecke. Irgendwann gaben unsere Shampoo-Flaschen keine interessanten Buchstaben mehr her, aber die geschulten Augen meiner Kleinen fanden neue Schriftzeichen. Diesmal waren es die Buchstaben auf dem Straßenschild, an dem wir so oft vorbeigingen. Von nun an durften wir nicht mehr vorbei gehen, sondern blieben jedes Mal am gleichen Schild stehen. War es nun die Gelegenheit eine Pause beim Spazieren einlegen zu dürfen oder die Faszination der überdimensional großen Buchstaben in Augenhöhe, es dauerte fast ein Jahr, bis wir wieder an dem Schild vorbeilaufen konnten, ohne eine Pause einlegen zu müssen.
Inzwischen ist meine Tochter drei Jahre. Es reicht ihr nicht mehr, die Schriftzeichen nur zu erkennen. Sie ist in dem Alter, in dem sie sich allen und jedem mitteilen möchte. Klar, dass sie nun auch selbst Buchstaben zeichnen möchte. Sie kann noch nicht einmal malen, außer "Kritzelbilder", wie sie nach einem Kindergartentag stolz erzählte, ihre Bilder sehen alle aus wie ein Wust abgewickelter Wollknäuel. Manchmal, wenn sie Lust hat, malt sie auch Regentropfen, die kann sie nun auch. Aber immer malt sie den ersten Buchstaben ihres Namens. Ebenso ist es auch beim Ausschneiden. Kühe, Menschen, Häuser, die sie ausschneidet, haben stets fehlende Köpfe oder Gliedmaßen. Doch kommt es durchaus vor, dass sie in ihren Schnipseln ein eindeutiges "L" herausfiltert und stolz präsentiert.
Nach dem "L" begann meine Tochter mit dem nächsten Buchstaben. Alles zu seiner Zeit. Klar, dass es der zweite Buchstabe in ihrem Namen war. Ein "E" sieht aus, wie ein Kamm. Da ein Kamm aber viele Zacken hat und da unsere Dreijährige endlich 5 Jahre alt sein möchte, denn so alt ist ihre Freundin (fast), malt sie ihr "E" auch stets mit mindestens 5 Zacken.
So spannend, wie dieser kleine Bericht über die Lernfortschritte einer Dreijährigen, so spannend ist das vorliegende Buch. Es macht Spaß das Buch zu lesen und es ist eine Pflichtlektüre für alle, die sich gerade neu mit dem Schriftspracherwerb befassen und vor allen Dingen für alle, die in einer ersten oder einer zweiten Klasse Deutsch unterrichten möchten. Denn nur, wer Kinder versteht, kann sie begleiten. Und so ende ich mit einem kleinen Zitat einer Dreijährigen gestern Abend beim Einschlafen:

"und morgen geh' ich in die schule!"

Viel Freude beim Lesen, beim Unterrichten oder beim Begleiten ihrer eigen Kinder auf dem Weg zur Schrift wünscht Ihnen

Regina C. Lussnig
Verlagsinfo
Das Buch
Der völlig überarbeitete, stark erweiterte Praxis-Band zu »Kinder auf dem Weg zur Schrift«.
Gezeigt wird, wie Aktivitäten des Unterrichts an den schriftsprachlichen Erfahrungen der Kinder anknüpfen und diese erweitern können. Dies alles im Rahmen von Stufenmodellen des Lesens und Schreibens, die Entwicklungsfortschritte von Kindern erkennen lassen.
Ein vielseitig bebildertes, unterhaltsam und anschaulich geschriebenes Buch, in dem Erkenntnisse über psychologische Aspekte des Schreibens und Lesens so aufbereitet und weitergegeben werden, dass die Lust auf neue Erfahrungen in der Praxis gestärkt wird ...


Die Autoren

Erika Brinkmann
Jahrgang 1952, ist Professorin für deutsche Sprache und Literatur und ihre Didaktik mit dem Schwerpunkt Grundschule an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd und Herausgeberin der Zeitschrift »Grundschule Deutsch« bei Kallmeyer

Hans Brügelmann
Jahrgang 1946, war nach Forschungsarbeiten zur Curriculum-Reform und Grundschul-Evaluation in Konstanz, Norwich, Toronto und Münster von 1980 bis 1993 Professor für Anfangsunterricht mit dem Schwerpunkt Erstlesen/ Erstschreiben an der Universität Bremen.
Während dieser Zeit veröffentlichte er bei Libelle u. a. sein Grundlagenwerk (»Kinder auf dem Weg zur Schrift«, derzeit 7. Auflage) und begründete die Jahrbücher »Lesen und Schreiben«, die er bis 1995 mitherausgab.
Seit 1993 ist er Professor für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Grundschulpädagogik und -didaktik an der Universität/Gesamthochschule Siegen sowie Berater von Ministerien und auf internationaler Ebene. Die publizistische Hysterie um die PISA-Studien hat er mit entschiedenen Gegenpositionen begleitet.
Auch seine Erfahrungen aus zahlreichen Seminaren zur Lehrerfortbildung und aus dem Forschungsprojekt »Lernbiografien im schulischen und außerschulischen Kontext (LISA&KO)« bestimmen die Vielfalt der Aspekte in seinem neuen Buch.
Inhaltsverzeichnis
Rückblick auf einen Vorgänger

Kapitel 1
Lehrgänge sind Krücken

Kapitel 2
»KABA schreibt man so: K-A-K-A-O« oder: Kindliche Theorien über Wörter und Buchstaben

Kapitel 3
Wie lang ist der Schwanz des Pumas?
Acht kritische Einsichten in den Aufbau des alphabetischen Schriftsystems anhand eines Selbsterfahrungstests für Schriftkundige

Kapitel 4
Kinder entdecken die Schrift? Kinder erfinden die Schrift - in 4 statt in 4000 Jahren!

Kapitel 5
Öffnung des Unterrichts:
Es geht nicht um eine neue Methode, die Pädagogik muss sich ändern

Kapitel 6
Ben und Lisa - zwei Fallgeschichten zum Schriftspracherwerb
Ben - das Kind, das vor allem rechnen wollte
Lisa - eine Spontanschreiberin, die in der Schule nicht mehr schreiben wollte

Kapitel 7
Schwierige Verwandte: Gemeinsamkeiten mit und Unterschiede zu anderen Didaktikerinnen

Kapitel 8
Die didaktische Landkarte und ihre acht Lernfelder
Z wie Zeichenverständnis
F wie Funktionen der Schrift
V wie Verfassen und Verstehen von Texten
B wie Buchstabenkenntnis
L wie Lautanalyse
A wie Aufbau der Schrift
S wie Sichtwortschatz
G wie Gliederung der Schrift in Bausteine

Kapitel 9
Die ersten Wochen in der Schule -Gedanken zum Schulbeginn

Kapitel 10
Ein Lehrgangsöffner für Ihre Fibel

Kapitel 11
Statt einer Zusammenfassung - acht kurze Antworten auf häufig gestellte Fragen

Literaturverzeichnis