„Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
[…] der Tod ist ein Meister aus Deutschland […]“,
lauten Verse aus Paul Celans (1920-1970) wohl bekanntestem Gedicht „Todesfuge“, in dem er den Holocaust thematisiert. Der jüdische Lyriker musste selbst Zwangsarbeit im Arbeitslager leisten, seine Mutter wurde im Zwangsarbeitslager erschossen, sein Vater starb dort an Typhus. Durch die Aufnahme der „Todesfuge“ in den Lyrikband „Mohn und Gedächtnis“(1952) wurde Celan, der 1960 den Büchner-Preis erhielt, auch in der deutschen Öffentlichkeit wahrgenommen. Er gilt als die deutschsprachige Stimme jüdischer Lyrik des 20. Jahrhunderts. Nach seiner ersten Begegnung mit Martin Heidegger im Juli 1967 verfasste der Dichter das ebenfalls bekannte Gedicht „Todtnauberg“ mit den berühmten Zeilen „auf eines Denkenden kommendes Wort im Herzen“. Damit brachte Celan unmissverständlich die Forderung an Heidegger zum Ausdruck, Stellung zu nehmen zu seinen NS-Verstrickungen und indirekt auch zu seinem Antisemitismus. Celan widerlegte durch sein Œuvre Theodor W. Adornos Diktum, nach dem Holocaust könnten keine Gedichte mehr verfasst werden.
Dem Suhrkamp Verlag kommt das Verdienst zu, 2020 in einem Band alle gedruckten und ungedruckten Gedichte Paul Celans in einer „Neuen kommentierten Gesamtausgabe“ der Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu haben. Herausgegeben wird das Werk von der Literaturwissenschaftlerin und Lehrbeauftragten an der Universität Tübingen, Barbara Wiedemann. Dass sie eine exzellente Kennerin des Gesamtwerks Celans und des Forschungsstands zu ihm ist, demonstriert ihr hervorragender Kommentar zu den einzelnen Gedichten. Deren Entstehung wird werksgeschichtlich kontextualisiert, deren Anspielungen gekonnt aufgezeigt und - sofern vorhanden - deren Selbstkommentierung durch Celan abgedruckt. Dadurch erhalten Studierende der Germanistik und Deutsch-Lehrkräfte grundlegende Informationen zur Interpretation der vielfach komplexen Gedichte, die m.E. aufgrund ihres Beitrags zur Erinnerungskultur und ihrer existenziellen Metaphorik verdienen im schulischen Unterricht mehr gewürdigt zu werden. Oder wie es in Celans Gedicht „Corona“(1948) – in Anspielung an Heideggers „Sein und Zeit“ – heißt: „Es ist Zeit, daß es Zeit wird. Es ist Zeit.“
Fazit: Die „Neue kommentierte Gesamtausgabe“ räumt dem Gedichtwerk Paul Celans den ihm gebührenden Rang in der deutschsprachigen Weltliteratur ein.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbiblothek.de

Paul Celan
Die Gedichte - Neue kommentierte Gesamtausgabe
Mit 25 Radierungen von Gisèle Celan-Lestrange. Herausgegeben von Barbara Wiedemann
Die Gedichte
D: 34,00 €
A: 35,00 €
CH: 45,90 sFr
Erschienen: 20.07.2020
suhrkamp taschenbuch 5105, Taschenbuch, 1262 Seiten
ISBN: 978-3-518-47105-0
Auch als eBook erhältlich
Inhalt
Paul Celans vielfältige Lektüren von Büchern, Zeitschriften und Tagespresse waren ihm ebenso Ausgangspunkt für Gedichte wie persönliche Begegnungen und politische Ereignisse. Als 2003 erstmals eine kommentierte Gesamtausgabe seiner Gedichte erschien, stand die Erschließung solcher Quellen noch am Anfang. Im Zuge der Publikation der bedeutendsten Briefwechsel und der kritischen Werkausgaben sowie der Erforschung von Celans Nachlassbibliothek mit seinen Lesespuren, Anstreichungen und Notaten konnten gegenüber der Ausgabe von 2003 nicht nur knapp 60 Gedichte ergänzt und alle Texte einer sorgfältigen Prüfung unterzogen werden. Der Kommentar ist ebenfalls neu gestaltet und erheblich erweitert, gerade auch durch intensive Recherchen im Bereich von Celans Presselektüren.
Mit der neuen Ausgabe wird dem Leser eine Fülle belegbarer Informationen für das Verständnis von Celans Lyrik an die Hand gegeben: Erst dadurch wird dieser immer noch als ›hermetisch‹ betrachtete Autor in der ganzen Konkretheit und Radikalität seiner Realitätserfahrung erkennbar.

Inhaltsverzeichnis