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Die Aufklärung
Die Aufklärung




Damien Tricoire

UTB , Böhlau Wien, Vandenhoeck & Ruprecht
EAN: 9783825260361 (ISBN: 3-8252-6036-4)
372 Seiten, paperback, 15 x 21cm, März, 2023, 16 Abb.

EUR 28,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Die Aufklärung ist für das Selbstverständnis der liberalen Demokratie zentral. Dieses Buch bietet eine grundlegend neue Erzählung der Aufklärungsgeschichte, die sowohl in berühmte Werke (von Leibniz, Voltaire, Rousseau, Kant oder auch Adam Smith) und klassische Themenfelder (politische Theorie, Theologie, Toleranz) als auch in neue Fragenkomplexe (Gender, Rassismus, Kolonialismus) einführt. Kunst- und ideengeschichtliche Aspekte kommen hierbei ebenso zur Geltung wie Fragen der Politik- und Sozialgeschichte, die die Aufklärung als europäisches wie globales Phänomen fassbar werden lassen. Das Ergebnis ist überraschend: Anstatt die geistige Wiege der säkularen und liberalen Moderne zu sein, stand die Aufklärung in der Kontinuität mit der religiösen mittelalterlichen Gedankenwelt.

Damien Tricoire ist Inhaber der Professur für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Trier.
Rezension
Das Ergebnis dieser neuen Darstellung zur Aufklärung entspricht einem Trend in der jüngeren Geschichtswissenschaft, der ehr die Kontinuitäten zum Mittelalter herausarbeitet als die (Um)Brücke:
Anstatt die geistige Wiege der säkularen und liberalen Moderne zu sein, stand die Aufklärung in der Kontinuität mit der religiösen mittelalterlichen Gedankenwelt! Aufklärung meint seit ca. 1700 das gesamte Vorhaben, durch rationales Denken alle den Fortschritt behindernden Strukturen zu überwinden, seit ca. 1780 auch die entsprechende geistige und soziale Reformbewegung. Als wichtige Kennzeichen der Aufklärung gelten die Berufung auf die Vernunft als universelle Urteilsinstanz, der Kampf gegen Vorurteile, die Hinwendung zu den Naturwissenschaften, das Plädoyer für religiöse Toleranz und die Orientierung am Naturrecht. Gesellschaftspolitisch zielte die Aufklärung auf mehr Emanzipation, Bildung, Bürgerrechte, Menschenrechte und das Gemeinwohl als Staatspflicht. Das Plädoyer des Autors für eine weitergehende Historisierung und enge Kontextualisierung der Aufklärung, die eine Distanzierung sowohl gegenüber dem liberaldemokratischen Erinnerungsort „Aufklärung“ als auch gegenüber der postmodernen Aufklärungskritik impliziert, soll nicht als gegenaufklärerische Position missverstanden worden. Wenn er zeigt, wie Voltaire oder Diderot im Dienste von Höflingen arbeiteten oder wie Kant rassistische Ideen entwickelte, bezweckt er damit keine Kritik der Aufklärung. Es gilt, Aufklärung eng zu kontextualisieren und ihre Bedeutung im Rahmen der damaligen Gesellschaft zu zeigen – eine Bedeutung, die sich vielfach von derjenigen unterscheidet, die wir rückblickend hineinprojizieren. Zweitens kann man Kontinuitäten zwischen aufklärerischem Denken und älteren Traditionslinien thematisieren und sich dadurch der Distanz zu unserem modernen Denken bewusst werden. - Das Buch versteht sich einerseits als eine Einleitung in die Geschichte und Ideenwelt der Aufklärung für Studierende, die – wie viele andere Einführungen auch – die meisten berühmten Protagonisten der Aufklärung und ihre Werke präsentiert. Andererseits durchziehen dieses Buch manche Thesen, die nicht zum Standardrepertoire in der universitären Lehre gehören und in der Forschung zum Teil umstritten sind. Diesem Buch liegt, - auch das ein Trend neuerer Geschichtswissenschaft - , die tiefe Überzeugung zugrunde, dass es so etwas wie eine neutrale Erzählung der Aufklärungsgeschichte nicht geben kann.

Jens Walter, lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 9

Einleitung: Neun Fragen zur Aufklärung 15

1 Das Genie im Morgenrock 45

1.1 Die philosophe-Persona 48
1.2 Rousseaus Hund: Der philosophe als Berühmtheit 50
1.3 Aufklärung zwischen Öffentlichkeit und Exklusivität 55
1.4 Philosophen und aufgeklärte Eliten 65
1.5 Repräsentation als aufgeklärte Herrscher 67
1.6 Gab es eine Gegenaufklärung? 72

2 Der Philosoph in der ständischen Gesellschaft 76

2.1 Staat, Hof und der langsame Aufstieg der gens de lettres 76
2.2 Sprachrohre der Granden 78
2.3 Warum Frankreich? 83
2.4 Lebenswege radikaler Aufklärer 90
2.5 Aufklärerinnen 93
2.6 Afrikanischstämmige Autoren im 18. Jahrhundert 96

3 Die Erfindung der Aufklärung 99

3.1 Ist der Mensch verdorben? 100
3.2 Kann Philosophie helfen? 104
3.3 Vom Remonstrantentum zur Aufklärungstheologie 111
3.4 Die Moral-Sense-Philosophie und die Rückkehr der scholastischen Moralphilosophie 116
3.5 Naturrecht und Moral in der lutherischen Welt 122
3.6 Das „Kleine Konzil“ und die Querelle des Anciens et des Modernes 125
3.7 Voltaires Synthese 127

4 Fortschritt 129

4.1 Moderne Gesellschaft und moralische Dekadenz 129
4.2 Zivilisationstheorien 134
4.3 Auf der Suche nach alter Weisheit 139
4.4 Debatten um Rückständigkeit 142

5 Natur 147

5.1 Vom Naturrecht zur Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 148
5.2 Naturrecht, Theokratie und Terror 155
5.3 Die Naturphilosophie als Magd der Religion und Moral 159
5.4 Naturgeschichte, Gotteslob und Moral 165
5.5 Die Entdeckung der Natur 168
5.6 Natürliche Kunst 170
5.7 Empfindsamkeit, Tugend und Natur in der Literatur 172

6 Res publica 175

6.1 Das humanistische Erbe im 18. Jahrhundert 176
6.2 Gemeinwohl und Fürstenherrschaft 178
6.3 Gemeinwohl und Reformen in Monarchien 182
6.4 Patriotismus und Nationalismus 188
6.5 Zwischen Verteidigung ständischer Privilegien und legaler Despotie 192
6.6 Demokratischer Republikanismus 195
6.7 „Gemischte Republik“ in Amerika 198
6.8 Klassisch-republikanische Kultur in der französischen Republik 201

7 Geschlecht 205

7.1 Männlichkeit zwischen Barbarei und Zivilisation 207
7.2 Auf der Suche nach der virilen Tugend 209
7.3 Der Ritter der Aufklärung 213
7.4 Die Frau in aufklärerischen Debatten 215
7.5 Der Ausschluss der Frauen aus Politik und Öffentlichkeit 217
7.6 Der Kampf um eine größere Gleichheit 219

8 Religion 224

8.1 Christliche Aufklärungstheologie 225
8.2 Haskala – die jüdische Aufklärung 229
8.3 Islamische Aufklärung? 231
8.4 Deismus 233
8.5 Der Deismus zwischen Esoterik und Reform in Freimaurerei und Revolution 238
8.6 Pantheismus und Materialismus 241

9 Toleranz 247

9.1 Was ist Toleranz? 248
9.2 War die Frühaufklärung eine Reaktion auf die Konfessionskriege? 248
9.3 Natürliche Religion und die Grenzen der Toleranz 252
9.4 Antijudaismus und Mendelssohns Toleranzlehre 254
9.5 Politik gegenüber religiösen Minderheiten 256

10 Lust und Sex 262

10.1 Rigorismus und Toleranz gegenüber außerehelichem Geschlechtsverkehr im 18. Jahrhundert 263
10.2 Physische Lust und Moral bei Aufklärern 265
10.3 Populationismus und Sexualmoral 269
10.4 Libertinismus und Moral 271
10.5 Pornographische Literatur und Philosophie 273

11 Rassismus 277

11.1 Die Geburt des modernen Antisemitismus 279
11.2 Rassismus und christliches Weltbild 283
11.3 Physiognomik 284
11.4 Monogenismus versus Polygenismus 287
11.5 Rassismus gegenüber Ureinwohnern Amerikas und Highlandern 292
11.6 Angst vor Degenerierung und Aufkommen der Eugenik 294

12 Kolonialismus 297

12.1 Kolonialreformen 299
12.2 Ein aufklärerischer Antikolonialismus? 303
12.3 Abolitionismus 305
12.4 Freiheit und Unfreiheit von Saint-Domingue bis Haiti 311

13 Ausblick: Der Verlust der Ganzheit 317

Abbildungsverzeichnis 324
Quellen 326
Forschungsliteratur 333
Personenregister 366