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"Das Wunder des Verstehens"
Ein interdisziplinärer Blick auf ein 'außer-ordentliches' Phänomen




Hans-Ulrich Lessing, Kevin Liggieri (Hrsg.)

Verlag Karl Alber
EAN: 9783495487938 (ISBN: 3-495-48793-X)
336 Seiten, kartoniert, 14 x 22cm, Juli, 2018

EUR 40,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
"Widerlegt zu werden, ist keine Gefahr, wohl aber, nicht verstanden zu werden."

Immanuel Kant



Verstehen ist nicht nur ein Grundbegriff menschlicher Lebensführung und Lebenswelt, sondern besitzt auch in der Philosophie und den verschiedenen Wissenschaften eine zentrale Bedeutung. Der interdisziplinäre Band thematisiert die Vieldimensionalität des Verstehens und fragt nach Funktion, Leistung und Grenzen des Verstehens vor allem in Philosophie, Geistes- und Naturwissenschaft.
Rezension
„Verstehen ist das Wiederfinden des Ich im Du.“, schreibt der Philosoph Wilhelm Dilthey. Was ist Verstehen? Grundbegriff der Lebenswelt, Grundbegriff der Hermeneutik, die Methode der Geisteswissenschaften oder im Sinne Heideggers ein Existential. Differenzierte Antworten auf diese Frage zur philosophischen Kartographie des Verstehens gibt der interdisziplinäre Sammelband „Das Wunder des Verstehens“, herausgegeben von den an der Ruhr-Universität Bochum am Institut für Philosophie tätigen Wissenschaftlern Hans-Ulrich-Lessing und Kevin Liggieri. Die Beiträge des Buches stammen von der gleichnamigen Bochumer Tagung vom Februar 2015, wobei der Titel auf ein mehrfach von Hans-Georg Gadamer benutztes Zitat zurückgeht, das sich u.a. in seinem Hauptwerk „Wahrheit und Methode“ findet.
Der Sammelband zur Wissenschaftstheorie und Kulturphilosophie überzeugt durch seine vielfältige, fachwissenschaftlich fundierte Beleuchtung der Formen, Funktionen und Grenzen des Verstehens. In den einzelnen Aufsätzen finden sich sowohl klassische Philosophen der Hermeneutik als auch weniger im Fokus des wissenschaftlichen Diskurses stehende berücksichtigt. Beispielhaft seien vier im Sammelband elaborierte Erkenntnisse der Philosophie des Verstehens herausgegriffen, die meines Erachtens im „Zeitalter postfaktischer Theorien“ (Neiman) besondere Beachtung verdienen. Gunther Scholtz, emeritierter Professor für Philosophie, bekannt u.a. durch seine Arbeiten zu Schleiermachers Hermeneutik und zur Wissenschaftstheorie der Geisteswissenschaften, weist in seinem Aufsatz anhand einer Analyse klassischer Hermeneutik darauf hin, dass eine Explikation von bestimmten Gedanken ein genaues Verstehen dieser voraussetzt. Gudrun Kühne-Bertram, Mitarbeiterin an der Bochumer Dilthey-Stelle und Herausgeberin von Georg Mischs „Aufbaus der Logik“, elaboriert in ihrem Beitrag zu Diltheys Verstehensbegriff, dass Verstehen keine ausschließlich kognitive Leistung ist und damit logisch nicht vollständig einholbar ist. Hans-Ulrich Lessing, außerplanmäßiger Professor für Philosophie, ausgewiesener Dilthey-Editor und –Forscher, deckt in seinem Text „Verstehen als Geschehen“ auf, dass Gadamers ontologische Hermeneutikvariante entgegen ihrem Selbstverständnis einen Rückschritt gegenüber Diltheys lebensphilosophischer Hermeneutik darstellt, da der Heidegger-Schüler eine unkritische, „antiaufklärerische Hermeneutik“ (S. 103) entwirft. Volker Steenblock, Professor für Philosophiedidaktik und Kulturphilosophie, Mitherausgeber der „Zeitschrift für Didaktik und Philosophie“, einer der profiliertesten deutschen Philosophiedidaktiker, begreift in seinem Beitrag zur Wissenschaftstheorie der Kulturwissenschaften Hermeneutik als Kulturphilosophie, die gegenüber naturalistischen Konzepten als „Anwältin der Mehrdimensionalität kultureller Erfahrung“ (S. 240) auftritt.
Fazit: Die Lektüre des Sammelbandes über das „Wunder“ Verstehen, erschienen im Verlag Karl Alber, liefert furchtbare fachliche Anregungen für alle Philosophie-Lehrkräfte, die sich in ihrem Unterricht fundiert mit philosophischer Hermeneutik oder Kulturphilosophie auseinander setzen möchten.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Lessing, Hans-Ulrich/Liggieri, Kevin (Hrsg.)
"Das Wunder des Verstehens"
Ein interdisziplinärer Blick auf ein 'außer-ordentliches' Phänomen
336 Seiten, Kartoniert
€[D] 40,-
ISBN: 978-3-495-48793-8

Verstehen ist nicht nur ein Grundbegriff menschlicher Lebensführung und Lebenswelt, sondern besitzt auch in der Philosophie und den verschiedenen Wissenschaften eine zentrale Bedeutung. Die Frage nach der Möglichkeit von Verstehen ist dabei immer auch die Frage nach dem Subjekt und Objekt des Verständnisses. Wer versteht wen oder was? Ist „Verstehen“ also nur rationales Erfassen, Erkennen tieferer Einsichten und komplexerer Zusammenhänge oder impliziert es mehr? Versteht man den Anderen, den Fremden, aber auch den Text wirklich so einfach? Und wenn ja, wie strukturiert sich dieses Verstehen? Es soll in dem interdisziplinären Band versucht werden, mit den genannten Fragen Anschlussfähigkeit zu evozieren, so dass die Vieldimensionalität des Verstehens thematisiert und nach Funktion, Leistung und Grenzen des Verstehens vor allem in Philosophie, Geistes- und Naturwissenschaft gefragt werden kann.

Mit Beiträgen von Christina Brandt, Selin Gerlek, Julia Gruevska, Felix Hüttemann, Bernhard Irrgang, Gudrun Kühne-Bertram, Hans-Ulrich Lessing, Kevin Liggieri, Käte Meyer-Drawe, Sabine Ohlenbusch, Tobias Schlicht, Gunter Scholtz und Volker Steenblock.

Inhaltsverzeichnis
Einleitung: „Das Wunder des Verstehens“ – Ein interdisziplinärer Blick auf ein ‚außer-ordentliches‘ Phänomen 9
Hans-Ulrich Lessing, Kevin Liggieri

I. Klassische und aktuelle Positionen
Das Verstehen in der klassischen Hermeneutik 21
Gunter Scholtz

Der Verstehensbegriff Wilhelm Diltheys 41
Gudrun Kühne-Bertram

Zum Sinn verdammt. Heidegger und Merleau-Ponty zum menschlichen Verstehen 63
Käte Meyer-Drawe

Verstehen als Geschehen
Zu Hans-Georg Gadamers Hermeneutik der Zugehörigkeit 80
Hans-Ulrich Lessing

„Natürliches Verstehen“. Phänomenologie und Methode im Denken Helmuth Plessners und Frederik Buytendijks 104
Julia Gruevska

Eine Hermeneutik der Lebenswissenschaften? Eine wissenschaftstheoretische Relektüre von Hans Blumenbergs „Die Lesbarkeit der Welt“ im Zeitalter des Digitalen 126
Christina Brandt

Kognition und Bewusstsein 152
Tobias Schicht

Begriffenes Verstehen?
Deleuzes Schnitt durch das Chaos 181
Selin Gerlek

II. Systematische Perspektiven
Chancen des Verstehens. Die Hermeneutik unter den Theorieformen der Kulturreflexion 205
Volker Steenblock

Verstehen und Verständnis. Hermeneutische Operatoren bei Richard von Krafft-Ebing 242
Sabine Ohlenbusch

Kognitives Verhalten als Wurzel des Verstehens und impliziten Wissens. Eine hermeneutisch-epistemologische Interpretation Evolutionärer Erkenntnistheorie, kognitiver Ethologie und des Neodarwinismus 267
Bernhard Irrgang

„Ein eigentümlicher Apparat“ oder „Wenn es der Wahrheitsfindung dient!“ Polygraph, Affective Computing und Mensch-Maschine-Verstehen 284
Felix Hüttemann

Verstehen und Gestalten. Zur Produktiven Problematik des Mensch-Maschine-Interface 305
Kevin Liggieri

Autorenverzeichnis 333