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Wörterbuch des Aberglaubens
Wörterbuch des Aberglaubens




Dieter Harmening

Reclam Stuttgart
EAN: 9783150105535 (ISBN: 3-15-010553-6)
520 Seiten, Festeinband mit Schutzumschlag, 10 x 16cm, 2005

EUR 16,90
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
In über 1000 Stichworten wird die Welt des Aberglaubens erstmals in Anbindung an die neuere Forschung umfassend dargestellt. Von einem kultur- und religionswissenschaftlich fundierten Aberglaubensbegriff ausgehend legt das Lexikon großen Wert auf quellenkritischen Umgang mit den Belegen und auf eine weder unkritische noch verdammende Haltung zu Magie und Geisterglauben.



Der Aberglauben mag als Kuriositätensammlung aus dunkler Vorzeit erscheinen, bei näherem Hinsehen entpuppt er sich als ein Reservoir von Vorstellungen über die Welt, die nach Regeln der Symbolik, Ähnlichkeit, Sympathie und Antipathie organisiert sind, und nicht nach denen der Kausalität und der Naturwissenschaften. Dieses Lexikon legt besonderen Wert auf eine quellenkntische Sichtung der Belege. Es betont die Verbindung des Aberglaubens zur Antike und zur christlichen »Hochreligion«, und es eröffnet eine bei aller Faszination kritische Perspektive auf magische Denkweisen und Geisterglauben.
Rezension
Der Aberglaube entpuppt sich unter den Bezeichnungen Okkultismus, Satanismus oder Magie als geradezu "magischer" Renner im Religionsunterricht: Hokuspokus (entstanden aus der in der lateinischen Messe "Hoc est corpus meus" für das analphabetische Publikum unverständlichen Konsekrationsformel "Das ist mein Leib") fasziniert Mensch und Schüler auch oder insbesondere in Zeiten der (Post-)Moderne ... Astrologie und Horoskop, Schwarze Messen und Zeichendeutung, Tischerücken und Pendeln, Katze von links und Schornsteinfeger von rechts, 666 and the number of the beast haben ungeahnte Konjunktur ... Dem korrespondiert eine auffällige Ignoranz von Theologie und Religionswissenschaften gegenüber dieser Form von Volksreligiosität, - so dass der/die Religionpädagoge/in oft einigermassen hilflos vor der von Schüler/inne/n geforderten Thematik steht ... Hier hilft dieses neue Wörterbuch mit Artikeln zu "Okkultismus", "Runen", "Luzifer" u.ä. ein gutes Stück weiter.

Jens Walter, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Pressestimmen

Dieter Harmening hat sein handliches "Wörterbuch des Aberglaubens" mit wissenschaftlicher Akribie konzipiert. Er gestattet einen umfassenden Einblick in eine sinistre und magische Welt. Man findet viel spannenden Lesestoff in diesem kundig zusammengestellten Nachschlagebuch.
Rhein-Neckar-Zeitung

Das "Wörterbuch des Aberglaubens" ist ein handliches, umfassendes und spannendes Nachschlagewerk, das von Abracadabra bis Zauberspruch kaum einen Begriff auslässt, der irgendwann im Zusammenhang mit Magie und Volksglauben stand. Empfehlenswert!
www.netzmagazin.che
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 7

Abkürzungen 19

Wörterbuch des Aberglaubens von A bis Z 21

Quellen- und Literaturverzeichnis 479


Leseprobe

Aberglaube. (1) Systematisch: A. heißt jener Glaube, der hinter u. in den Dingen verborgene, rational nicht begründbare, anonyme o. personifizierte Kräfte vermutet, die zum Zwecke der Zauberei u. des Wahrsagens aktiviert werden können. Auf den Bereich der Magie u. des Wahrsagens bezogen, unterscheidet sich der Begriff von dem des Volksglaubens u. der Volksfrömmigkeit.
(2) Historisch: Vergleichbar ähnlichen mhd. Wortbildungen wie ›Abergunst‹ für Mißgunst, ›Aberwitz‹ für Unklugheit, bedeutet A. ursprünglich ›Mißglaube‹, ›verkehrter Glaube‹. Das Wort erscheint im 15. Jh. u. setzt sich im 16. Jh. als Ersatz für das lat. superstitio durch, das psychische Überspannung, Exaltation, ängstliche Übererregung angesichts des Jenseitigen bezeichnet. Polemisch verweist der Begriff sowohl auf ein intellektuelles als auch ein moralisches Manko, auf einen falschen Glauben u. eine überängstliche moralisch-psychische Fehlhaltung in religiösen Dingen. In diesem Sinn wird der Begriff in der Auseinandersetzung mit der antiken Religion gebraucht (Augustinus). Der Abergläubische wird als der durch den biblischen Sündenfall in seiner Vernunft verdunkelte, unwissende Mensch begriffen, A. somit von der versehrten Natur des gefallenen, unerlösten Menschen her gedeutet. Polemisch aufgeladen, erscheint der Begriff zum wissenschaftlichen Gebrauch ungeeignet. Definiert man ihn jedoch streng inhaltlich, so umgreift er die Techniken der Wahrsagung (Divination), der Glücksgewinnung u. Schadensabwehr (Observation) sowie die Praktiken der Magie u. Zauberei. Die christliche Theologie des MA u. der Neuzeit erklärt die verschiedenen abergläubischen Manipulationen, Worte, Gebräuche u. Riten als Elemente einer Sprache mit Dämonen, über deren semantischen Gehalt prinzipiell Übereinkunft zwischen Menschen u. Dämonen getroffen werden müsse. Diese Übereinkunft (›pactum‹) kann stillschweigend vorausgesetzt o. ausdrücklich gemacht werden. Immer jedoch setzt, unter diesen Aspekten, abergläubische Praxis, die demzufolge keine kausative, sondern semantische Funktion hat, einen Dämonen- bzw. Teufelspakt voraus. Unter der Voraussetzung, daß alles, was sichtbar in der Welt geschehe, auch durch Dämonen bewirkt werden könne (Thomas v. Aquin), wurde A. zu einer umfassenden Bedrohung gemacht, als welche ihn der Hexenglaube des späten Mittelalters u. der Neuzeit auch empfunden hat. Die Philosophie der Aufklärung u. die wissenschaftliche Weltanschauung des 19. Jh. begreifen A. nicht als Folge der Sünde, sondern als Ausdruck eines noch unfreien, unmündigen u. in überkommene Vorurteile verstrickten Bewußtseins. Die Ethnographie u. die Mythologie-Forschung des 19. Jh. studieren Formen des A. weitgehend unter einem evolutionistischen Gesichtspunkt als fossiles Relikt untergegangener religiöser Welten u. mythischer Weltbilder. Die gegenwärtige volkskundliche Forschung begreift unter A. alle Formen der Zauberei bzw. Magie u. des Wahrsagens. Nach Oberbegriffen eingeteilt, unterscheidet sie zwischen ›Observation‹ (Beachten vorbedeutender Zeichen u. [un]günstiger Zeiten; Befolgen herkömmlicher Regeln), ›Divination‹ (wissenschaftlich-technische Wahrsagekunst: Astrologie, Chiromantie u. ä.) u. ›Zauberei‹ (Magie). Ziel der Forschung ist, die Herkunft des A. aus früheren Glaubens- u. Wissenssystemen zu verstehen, ihn als geschichtliches Phänomen zu begreifen. Spätantik-neuplatonische Kosmologie, mittelalterliche Dämonologie, jüdische Kabbala, renaissancezeitliche Astrologie, Alchemie, Magie u. naturphilosophische Spekulation, moderne physikalische, medizinische u. pharmazeutische Forschung gehören zu den zahlreichen Wissensbereichen, denen sich superstitionsgeschichtliche Herkunftsforschung zuzuwenden hat. Weiterhin verfolgt sie Fragen nach ethnischer u. sozialer Bindung des A. nach seiner sozialen Funktion u. soziokulturellen Bedeutung.

Böser Blick, lat. ›fascinatio‹, ›Verhexung‹ durch neidische Blicke; griech. ›baskanía‹ (eigtl. ›Neid, Mißgunst‹); ital. ›mal’occhio‹; engl. ›evil eye‹. Das Auge ist nicht nur ein empfangendes, sondern im Glauben der Völker auch ein sendendes Organ, dem schädliche, gefährliche, giftige, tödliche Strahlungen zu entströmen vermögen. Er wird v. a. als Neidblick empfunden. Kinder sind besonders gefährdet von ihm; aber auch Bräute, Schwangere, das Gelingen bestimmter Arbeiten (Buttern, Kochen, Backen). Selbst Gegenstände, etwa Waffen, werden durch ihn untauglich zum Gebrauch gemacht. Redewendungen von ›stechenden‹, ›bohrenden‹, ›giftigen‹ o. ›tödlichen‹ Blicken können auf ihn verweisen. Fahrende, Zauberer, Hexen u. Huren besitzen ihn; ebenso Hebammen; Gelehrte, Geistliche u. alte Frauen; einzelnen Familien ist er eigen, ganzen Völkern (Illyrier, Skythen), Geistern, Dämonen, dem Teufel natürlich u. besonderen Tieren (Basilisk). Man erkennt ihn an starren, schielenden, zitternden, roten, entzündeten Augen, an den Farben der Iris, doppelten Pupillen, an Augenflecken, an zusammengewachsenen o. buschigen Augenbrauen. Er bewirkt Kopfschmerzen, Krämpfe, Lähmungen, Ohnmachten, Impotenz, Sterilität, Schwindsucht, Irresein und Tod: »Häuser stürzen ein, Spiegel zerspringen, Kronleuchter und Bilder fallen herab, Kleider fangen an zu brennen, Steine zerspringen, Quellen versiegen, ja selbst die Erde fängt an zu beben, Vulkane speien Feuer und der Himmel kann zerbrechen; kurz, die gesamte Natur ist dem bösen Blick untertan« (S. Seligmann: HDA 1,688). Aus der Antike stammen erste Versuche einer rationalen Erklärung des Phänomens. Plutarch sieht seine Gefahren in einem ›Fluß‹ (›reúma‹) gegründet, in dem der Neidblick entströmt; und daß besonders Kinder von ihm gefährdet seien, liege daran, daß sie eine »weichliche Konstitution« besäßen, während ältere Menschen »feste und dichte Körper« hätten (Quaestionum convivalium libri 5,7). Konrad v. Megenberg vertritt u. a. die Überlieferung, der Blick menstruierender Frauen beflecke Spiegel: »daz aug versêrt oft den luft und die tier, die ez ansiht, dar umb daz in dem leib des augen fauleu fäuhten ist und vergifter dunst. alsô seh wir an frawen, die irn mônâtganch habent, daz si di newen spiegel fleckot machent« (Buch der Natur 1,5). Unter Einfluß arabisch-neuplatonischer (Neuplatonismus) Vorstellungen wird dann seit dem 13. Jh. der B. B. analog zu den Einflüssen der Planeten o. den Strahlen der Sonne erklärt (Roger Bacon; bei Thorndike, History 2, 667). Neuere Erklärungen verweisen auf Hypnose u. Suggestion, auf einen spezifischen Magnetismus (Mesmer), der den Blicken entströme, auf Elektrizität o. auch auf eine gewisse Radioaktivität des Auges. Gegen den B. B. hilft der Beifuß (Ps.-Apuleius, De herbarum virtutibus 10,5: »avertit oculos malorum hominum«) u. schützen Spiegel u. Amulette mit Abbildungen von Augen, Händen o. Phalloi; man spuckt gegen ihn aus (Speichel) o. zeigt die ›Feige‹ (Daumen). Zahlreiche Segen gelten den kleinen Kindern: »Hat dich der Teufel angesehen Mit seinen Bösen augen So seh dich kind Mutter Maria Mit ihren Guten Augen an« (frühes 19. Jh.; Spamer, Romanusbüchlein 113).

Kobold, mhd. kóbold u. kobólt, wohl aus den Bestandteilen koben, koven ›Verschlag‹, ›Stall‹, ›Hütte‹, ›Gemach‹, u. hold wie in ›Unhold‹ gebildet; Name für ›Hausgeist‹. K.e sind dämonische Wesen, die sich zumeist ständig im Haus aufhalten. Sie besitzen menschliche o. tierische Gestalt o. sind unsichtbar. Sie bringen Wohlstand, arbeiten hilfreich u. heimlich, treiben aber auch Schabernack, kichern u. lachen. Man darf sie nicht beleidigen, sonst rächen sie sich grausam o. lärmen (Lärm) u. poltern (Klopfen). Man kennt sie mit Namen: Bobbele, Popel, Butz(ele), Schrägele, Schräkel, Schrezlin (15. Jh., bei Michel Beheim), Jokele, Käsperle, Stoffel, Klopfer(le), Hänschen, Heinzlein (Luther, Tischreden 6,6833: »Von einem Teufels-Heinzlein«), Heinzelmann, Heinzelmännche. Sie werden als alte Herdgottheiten (Penaten) gedeutet (Grimm, Mythologie 1,413 f.), als Ahnengeister, Wiedergänger o. als Naturdämonen (Dämonen). Man darf K.e für ihre Dienste nicht beschenken (Kleider, Schuhe), sonst fühlen sie sich ›ausgelohnt‹ u. verschwinden für immer. Andererseits wird man ihrer ledig durch Gebet u. Weihwasser (Thietmar v. Merseburg, Chronik 7,68), durch Bann, Fluch, durch Auskehren mit einem neuen Besen (vgl. Lk 11,24 ff.), durch Läuten von Glocken, durch Niederbrennen des Hauses (Grimm, Sagen 1,72) o. mit Hilfe eines Bären, wovon die mittelalterliche Erzählung vom Schrätel und Wasserbär berichtet (ed. GA 3,261–270).


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