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Wie Religionen mit dem Tod umgehen Grundlagen für die interkulturelle Sterbebegleitung Mit Beiträgen von Peter Antes, Astrid Eisingerich, Yasmin Gunaratnam und Andreas Heller
Wie Religionen mit dem Tod umgehen
Grundlagen für die interkulturelle Sterbebegleitung


Mit Beiträgen von Peter Antes, Astrid Eisingerich, Yasmin Gunaratnam und Andreas Heller

Birgit Heller

Lambertus-Verlag
EAN: 9783784120584 (ISBN: 3-7841-2058-X)
304 Seiten, paperback, 15 x 21cm, 2012

EUR 26,90
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Religionen geben Antworten auf den Tod. Sie deuten den Tod als Übergang in eine andere Existenzform und prägen verschiedene menschliche Sterbekulturen.

Will man Bedingungen für ein menschliches und menschenwürdiges Sterben schaffen, muss man daher die kulturellen und religiös-weltanschaulichen Differenzen zwischen Menschen beachten. Interkulturelle Leitfäden können allerdings das Bemühen um Verständnis und Empathie für den individuellen Menschen nicht ersetzen.

Autoreninfo:

Dr. theol. Dr. phil. habil. Birgit Heller ist Professorin am Institut für Religionswissenschaft der Universität Wien; Lehrbeauftragte im MAS-Studiengang Palliative Care an der Universität Klagenfurt, Graz, Wien. Forschungsschwerpunkte: Religionen und Gender; systematisch-vergleichende Religionswissenschaft; Hindu Religionen; praktische Religionswissenschaft (interreligiöse und spirituelle Dimensionen von Palliative Care).
Rezension
Wenn als eine grundlegende Funktion von Religion(en) die Bewältigung von Kontingenz angesehen werden kann, - und das ist communis opinio - , dann hat Religion u.a. an den wichtigen Übergängen im Leben (den "rites de passages") eine zentrale Aufgabe: die Begleitung und Bewältigung von Krisen und krisenhaften Übergängen. Sterben und Tod stellen den letzten und größten Übergang im menschlichen Leben dar und insofern haben alle Religionen Rituale ausgebracht, wie Sterben und Tod zu begleiten sind. Das hier anzuzeigende Buch zeigt umfassend auf, "Wie Religionen mit dem Tod umgehen" (Titel), aber nicht primär mit religionswissenschaftlichem Interesse, sondern mit einem praktischen Interesse für unsere Gegenwartskultur, indem "Grundlagen für die interkulturelle Sterbebegleitung" (Untertitel) geschaffen werden.

Thomas Bernhard, lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 7

Der Tod hat ein Geschlecht 11
Birgit Heller

Teil 1: Religiöse Antworten auf den Tod

Der Tod ist kein natürliches Phänomen 27
Birgit Heller

Der atman ist jenseits von Geburt und Tod
Sterben, Tod und Trauer im Hinduismus 32
Birgit Heller

Der Tod als Schlüssel zur Befreiung
Sterben, Tod und Trauer im Buddhismus 58
Birgit Heller

Das Leben festhalten mit offenen Armen
Sterben, Tod und Trauer im Judentum 87
Birgit Heller

Der Tod als Durchgang zum ewigen Leben in der Nachfolge Jesu Christi
Sterben, Tod und Trauer im Christentum 115
Peter Antes

Der Tod als Rückkehr zu Gott, der Quelle allen Lebens
Sterben, Tod und Trauer im Islam 139
Astrid Eisingerich

Teil 2: Religionen und Medizinethik am Lebensende

(Wann) trennt sich die Seele vom Körper?
Lebensende, Hirntod und Organspende in interreligiöser Perspektive 169
Birgit Heller

Das Leben ist wertvoll – das Leben ist relativ
Euthanasie in interreligiöser Perspektive 196
Birgit Heller

Teil 3: Palliative Care im Kontext religiös-kultureller Vielfalt

Sterben ist mehr als Organversagen
Spiritualität und Palliative Care 243
Birgit Heller, Andreas Heller

Kultur ist nicht alles
Eine Kritik der Multikulturalität in der Palliative Care 256
Einführung: Birgit Heller
Yasmin Gunaratnam

Kulturen des Sterbens
Widersprüche zum Schema eines guten Todes 283
Birgit Heller

Die Autorinnen und Autoren 299

Kontaktadressen 301


Vorwort
Zu Beginn der 1990er Jahre hat der tibetisch-buddhistische Lehrer
Sogyal Rinpoche (1994: Das tibetische Buch vom Leben und vom Sterben,
251) den Mangel an spiritueller Hilfe für Sterbende in der modernen
westlichen Welt mit den Worten angeprangert: „Was für einen Sinn hat
es, Menschen auf den Mond zu schicken, wenn es uns nicht einmal
gelingt, unseren Mitmenschen zu helfen, in Würde und Hoffnung zu sterben?“
Diese Schieflage hat wohl damit zu tun, dass viele Menschen im
Westen begonnen haben, den Tod als die Endstation des Lebens zu
betrachten. Sterben und Tod haben keinen Platz mehr im Leben des
modernen Menschen, meint der Historiker Arthur Imhof. Für frühere
Generationen ruhte die Welt in Gottes Hand und Gott war Anfang und
Ende, Ursache und Ziel. Moderne Menschen hingegen erklären die Welt,
finden dafür aber keinen Anfang und kein Ende mehr und haben die
Unsterblichkeit verloren. Obwohl Imhof hier sicher treffende Beobachtungen
für die modernen, traditionell vor allem christlich geprägten
Gesellschaften macht, zeigen aktuelle Wertestudien und Umfrageergebnisse
jedoch, dass Religionen und Spiritualität nicht – wie erwartet – aus
dem Leben moderner Menschen verschwunden sind. In der Begleitung
sterbender Menschen und in der Konfrontation mit dem eigenen Tod werden
Religionen und Spiritualität in besonderer Weise bedeutsam. Nicht
selten geraten sie dann in eine Feuerprobe der Bewährung, Veränderung
oder auch des Versagens.
Dieses Buch ist das Ergebnis einer langjährigen sowohl persönlichen als
auch fachlich-interdisziplinären Auseinandersetzung mit verschiedenen
Facetten von Sterben, Tod und Trauer. Es ist die aktualisierte und erweiterte
Fassung des Buches „Aller Einkehr ist der Tod“, das im Jahr 2003
erschienen ist. Eigene Erfahrungen und die Vertiefung in die Vielfalt der
religiösen Deutungsversuche und Umgangsformen mit dem Tod haben
mir deutlich gemacht, dass der religiös-spirituellen Dimension von Palliative
Care keine Randstellung zukommt. Ein großer Teil der Menschen,
die mit dem Tod konfrontiert sind, stellen Fragen nach dem Sinn, dem
Woher und dem Wohin menschlichen Lebens. Bewusstes Abschiednehmen
und rituelle Formen der Sterbe- und Totenbegleitung bilden ein
existentiell-spirituelles Fundament für die direkte oder indirekte Begegnung
mit dem Tod.
7
Vorwort
In den letzten zehn Jahren hat sich viel bewegt. In der Palliative Care hat
das Interesse an interreligiösen und interkulturellen Fragen stark zugenommen
und in derselben Zeit ist ein regelrechter Spiritualitätsboom ausgebrochen.
Spiritualität ist mittlerweile zu einem selbstverständlichen
Thema auf den diversen Fachkongressen geworden oder wird eigenständig
im Rahmen von zahlreichen Fachtagungen behandelt. Die traditionelle
christliche Sterbebegleitung und Seelsorge scheint allerdings für eine
steigende Anzahl von Menschen nicht mehr anschlussfähig zu sein. Das
neue Zauberwort heißt nun Spiritual Care, wobei sich dahinter teils eine
durchaus traditionelle (christliche, islamische, jüdische) Seelsorge verbirgt,
teils der subjektive und ungebundene Charakter von Spiritualität
betont wird. Spiritualität ist – besonders im deutschen Sprachraum – fast
zu einem Gegenbegriff von Religion geworden, wobei Religion fast
immer mit kirchlichem Christentum gleichgesetzt wird. Was dabei meist
übersehen wird, ist, dass Spiritualität und Religionen nicht voneinander
zu trennen sind. In dieser Situation ist es wichtig, die spirituellen Dimensionen
des Sterbens in ihrer ganzen Breite offen zu halten und sie jedenfalls
nicht von einem medizinischen Protektorat überlagern zu lassen. Die
medizinischen Bemühungen um Schmerz- und Symptomkontrolle im
Rahmen der Palliative Care sind wichtig, bleiben als medizinische Interventionen
aber auf die fundamentale existentiell-spirituelle Dimension
des sterbenden Menschen verwiesen und bezogen. Körperliche Schmerzbekämpfung
steht hier immer im Rahmen eines größeren existentiellen
Erfahrungszusammenhangs und muss vom Respekt vor dem (vorläufigen?)
Ende eines konkreten Lebensweges geleitet sein. Spirituelle
Bedürfnisse von sterbenden Menschen und ihren Angehörigen bilden
daher eigentlich die Basis für die Entscheidung, ob und welche Formen
medizinischer Intervention sinnvoll sind.
Die Antworten, die in den Religionen und Kulturen auf den Tod, das
unausweichliche Ende des menschlichen Lebens, gegeben werden, setzen
verschiedene spirituelle Akzente. Der Umgang mit sterbenden und
toten Menschen – von der Art der Begleitung, Behandlung, der Todesfeststellung,
der Sterbehilfe bis hin zur Organentnahme – ist abhängig
davon, wie die Fragen beantwortet werden, was der Tod bedeutet, was ein
gutes Sterben ist, was eigentlich beim Tod passiert oder welche Vorstellungen
über das Weiterleben nach dem Tod existieren. Der Blick auf verschiedene
religiöse Traditionen soll dazu beitragen, das Sterben von
Menschen aus dem engen medizinischen Kontext herauszulösen. Sterben
ist genau so wenig eine Krankheit wie Gebären, daher kann der Medizin
8
9
auch nur – wenn überhaupt nötig – eine begleitende Rolle zukommen, der
tragende Boden ist von anderer Art. Die ähnlichen und voneinander
abweichenden religiösen Deutungen des Todes müssen nicht nur aus
weiter Distanz als fremde Anschauungen betrachtet werden. Als menschliche
spirituelle Grundhaltungen können sie sowohl in dem, was sie verbindet
als auch in dem, was sie unterscheidet, zur Auseinandersetzung
mit dem Tod anregen, zur Ausdifferenzierung der eigenen Einstellungen
beitragen und sie vielleicht auch bereichern. So sehr sich Palliative Care
nur im Kontext religiös-kultureller Vielfalt angemessen verorten kann,
darf darüber aber nicht vergessen werden, dass Kultur nicht alles ist und
die Konzentration auf kulturelle Eigenheiten nicht das persönliche mitmenschliche
Engagement, die Verbundenheit im gemeinsamen menschlichen
Geschick von Krankheit, Leiden und Tod aufhebt. Und dennoch
gewinnt, wer Sterbekulturen im Plural wahrnimmt, die wichtige Einsicht,
dass es kein Schema für ein gutes Sterben, einen guten Tod, geben
kann.
In den Beschreibungen der einzelnen religiösen Traditionen finden sich
auch statistische Angaben, die allerdings nur Annäherungswerte darstellen.
Zuverlässige Daten über die Anzahl der Gläubigen sind aus verschiedenen
Gründen schwierig zu eruieren, weil es unterschiedlich strenge
Formen der religiösen Zugehörigkeit gibt, weil Mehrfachzugehörigkeiten
vorkommen, weil die Volkszählungen teilweise keine Daten mehr zur
Religionszugehörigkeit erheben, weil Kinder oft gar nicht mitgezählt
werden, weil die Bevölkerung in vielen Ländern nicht statistisch erfasst
wird und so weiter. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Daten, die
in diversen Quellen angegeben werden, extrem stark voneinander abweichen
können. Ich beziehe mich unter anderem auf Barrett/Johnson1, auf
Ergebnisse von Volkszählungen und auf Angaben von Behörden für
Statistik beziehungsweise für Migration oder Integration.
Für die Anregung zur Beschäftigung mit dem Thema Tod in den Religionen,
die Einbettung in den Rahmen der Palliative Care und viele wichtige
Diskussionen danke ich meinem Mann, Andreas Heller. Ich bezweifle
allerdings, dass mich mein zunächst überwiegend intellektuelles Interesse
in eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit Sterben, Tod und Trauer
1 David Barrett/Todd Johnson: A Statistical Approach to the World’s Religious Adherents,
2000–2050 C.E. In: Melton, J. Gordon/Baumann, Martin (Hg.): Religions of the World. A
Comprehensive Encyclopedia of Beliefs and Practices. Santa Barbara, Calif. 2000.
Vorwort
10
Vorwort
geführt hätte. Dazu bedurfte es einer existentiellen Erfahrungsbasis, die
mir unsere toten und unsere lebenden Kinder und eine eigene schwere
chronische Erkrankung vermittelt haben. Deshalb widme ich dieses Buch
unseren beiden Söhnen Lucian und Salim, die am Tag ihrer Geburt verstorben
sind, und unseren beiden wunderbar lebendigen Töchtern Dorina
und Milena.
Küb, im Juli 2011 Birgit Heller