Angesichts seines 50. Todestages erfährt Theodor W. Adorno (1903-1969) eine Renaissance. So wird etwa seine gesellschaftstheoretisch eingebettete Medienkritik zur genauen Analyse des digitalen Kapitalismus herangezogen. 2019 fand an der Bergischen Universität Wuppertal eine Tagung mit dem Titel „Theodor W. Adorno. Aktualität und Perspektiven seiner Kritischen Theorie“ statt. Deren Beiträge erschienen 2020 in einem Band gleichnamigen Titels, herausgegeben von Heinz Sünker (*1948). Die 16 Aufsätze des im Münsteraner Verlag Westfälisches Dampfboot publizierten Buches - darunter vier englischsprachige - beleuchten differenziert Reaktualisierungs- und Rezeptionsmöglichkeiten von Adornos wissenschaftlichem Werk. Sie stammen primär von Sozialwissenschaftler:innen und Erziehungswissenschaftler:innen.
Studierende, Hochschullehrende, Forschende erhalten durch den Tagungsband fachlich fundierte Antworten u.a. auf folgende Fragen: Dient Adornos Gesellschafts- und Ideologiekritik einem „befreiungstheoretischem Denken“(H. Steinert)? Besitzt der Philosoph und Soziologe einen minimalistischen Fortschrittsbegriff? Welche Kritik lässt sich mit Adorno gegen Niklas Luhmanns Soziologie und gegen die Sozialphilosophie von Jürgen Habermas anbringen? Lassen sich bei der jüngeren Kritischen Theorie, die sich dem Paradigma der Intersubjektivität verpflichtet sieht, gegenüber der älteren blinde Flecken nachweisen? Bedarf Adornos „Negativer Dialektik“ einer Transformation hin zu einer kritischen Metaphysik? Was kann die aktuelle empirische Sozialforschung von Adorno lernen? Bei aller in dem Konferenzband abgedeckten thematischen Breite vermisst man einen eigenen Beitrag zu den Rezeptionsmöglichkeiten von Adornos dialektischer Ästhetik.
Philosophielehrkräfte werden durch die vorliegenden Aufsätze jedenfalls motiviert, sich in ihrem Unterricht mit Adornos kritischer Sozialphilosophie problemorientiert auseinanderzusetzen. Aus eigener unterrichtlicher Erfahrung kann bestätigt werden, dass Oberstufenschüler:innen eines Philosophiekurses durch Zitate des Denkers zu tiefsinnigen philosophischen Reflexionen angeregt werden können (vgl. Adornos Gesellschafts- und Medienkritik. In: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 43 H. 4/2021, S. 97-111).
Fazit: Der Tagungsband „Theodor W. Adorno. Aktualität und Perspektiven seiner Kritischen Theorie“ belegt überzeugend, dass es gute Gründe gibt - angesichts der Panökonomisierung der Lebensbereiche - die „Flaschenpost“ der älteren Frankfurter Schule (wieder) zu öffnen.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de

Aktualität und Perspektiven seiner Kritischen Theorie
Heinz Sünker (Hrsg.)
ISBN: 978-3-8961-053-0
282 Seiten
Preis: 30,00 €
Erschienen: 2020
Adornos 50. Todestag bietet Anlass und Chance, seine Kritische Theorie in ihren vielfältigen Dimensionen und Facetten auf ihre Aktualität hin zu befragen. Vor diesem Hintergrund prüfen und diskutieren in diesem Band Beiträge aus unterschiedlichen nationalen wie internationalen Kontexten die Relevanz seiner Leitmotive und wesentlichen Argumentationen für Fortbestand wie Weiterentwicklung einer Kritischen Theorie, die diesen Namen verdient. Dabei liegt die Betonung auf Adornos Interesse an einer realen emanzipatorischen Veränderung von Gesellschaft im Interesse aller, nämlich den Kapitalismus zu überwinden.Es schreiben u.a. Helga Cremer-Schäfer, Diana Göbel, Neal Harris, Jessica Lütgens, Dirk Michel-Schertges, Christine Resch, Darrow Schecter, Heinz Sünker, Michael Thompson und György Széll.

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