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Palliativgesellschaft Schmerz heute
Palliativgesellschaft
Schmerz heute




Byung-Chul Han

Matthes & Seitz
EAN: 9783957572691 (ISBN: 3-9575726-9-X)
87 Seiten, kartoniert, 10 x 18cm, Juli, 2020

EUR 10,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
„Schmerzen sind Chiffren. Sie enthalten den Schlüssel zum Verständnis der jeweiligen Gesellschaft. So hat jede Gesellschaftskritik eine Hermeneutik des Schmerzes zu leisten. Werden Schmerzen allein der Medizin überlassen, so verfehlen wir ihren Zeichencharakter.“
Rezension
Mittlerweile sind einige Werke auf dem Buchmarkt erschienen, die sich der Corona-Pandemie widmen. Neben medizinischen, ökonomischen, politischen, soziologischen und literarischen Bänden zu Covid-19 und seinen Auswirkungen wurden ebenso Bücher von Philosophinnen und Philosophen zu der Thematik publiziert. Dazu zählen u.a. die Schrift „Covid-19: Was in der Krise zählt. Über Philosophie in Echtzeit“ von Nikil Mukerji und Adriano Mannino, sowie der philosophische Essay „Souveränes Virus? Die Atemnot des Kapitalismus“ von Donatella Di Cesare. Thematisiert wird die Corona-Krise von Byung Chul-Han (*1959) auch in seinem aktuellen Essay „Palliativgesellschaft. Schmerz heute“, veröffentlicht bei Matthes & Seitz Berlin, auch wenn er explizit nur von dem „Virus“ und der „Pandemie“ spricht.
Wie seine anderen Essays bzw. Essaysammlungen „Gute Unterhaltung“(2006/2018), „Duft der Zeit“(2009), „Müdigkeitsgesellschaft“(2010), „Transparenzgesellschaft“(2012), „Im Schwarm“(2013), „Psychopolitik“(2014) oder „Kapitalismus und Todestrieb“(2019) zeugt auch Hans neuer Text von seinem Selbstverständnis als Philosoph. Er begreift nämlich Philosophie als eine kritische Reflexionsinstanz, die versucht gedanklich alternative Lebensformen zu entwerfen und zu prüfen. Gegenstand seiner jüngsten Kritik ist die „Palliativgesellschaft“, die Negativität verdrängt, wozu insbesondere auch die Schmerzen gehören. Zur kritischen Analyse der von „Daueranästhesierung“ geprägten Leistungsgesellschaft bedarf es nach Han einer „Hermeneutik des Schmerzes“, weil Schmerzen – so der Philosoph - den Schlüssel zum Verständnis von Gesellschaften liefern. Deshalb reflektiert der ehemalige Professor für Philosophie und Kulturwissenschaften an der Universität der Künste Berlin in seinem Essay über erkenntnistheoretische, ontologische und ethische Aspekte von Schmerzen.
Seine Phänomenologie des Schmerzes beschließt Han mit einer Kritik an den von Transhumanisten propagierten Visionen von menschlicher Schmerzfreiheit und Unsterblichkeit, denn zu einem menschlichen Leben gehören für ihn unabdingbar Schmerz und Tod. Bei seiner kritischen Auseinandersetzung mit dem digitalen Kapitalismus warnt Han auch davor, dass die Corona-Pandemie zum Anlass genommen wird, unter dem Deckmantel des Gesundheitsschutzes ein „biopolitisches Überwachungsregime“ zu installieren, welches einen uneingeschränkten Zugriff auf den Körper ermöglicht. Durch die tiefsinnigen Reflexionen Hans werden Philosophielehrkräfte angeregt, in ihrem Unterricht mit Schülerinnen und Schülern über den Sinn von Schmerzen zu philosophieren und sich kritisch mit der Psycho- bzw. Biopolitik des digitalen Zeitalters auseinanderzusetzen.
Fazit: Byung-Chul Han ist mit seinem neuen, zeitkritischen Essay „Palliativgesellschaft. Schmerz heute“ eine philosophische Krisendiagnose der neoliberal geprägten Optimierungsgesellschaft gelungen.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Ein kompromissloser Blick auf unseren Umgang mit dem Schmerz und die heutige Gesellschaft
Heute herrscht überall eine Algophobie, eine generalisierte Angst vor Schmerzen. Jeder schmerzhafte Zustand wird vermieden. Verdächtig sind auch Liebesschmerzen. Die Schmerztoleranz sinkt rapide. Die Algophobie hat eine Daueranästhesierung zur Folge. Wie bereits in seinem Essay Müdigkeitsgesellschaft geht Han in seiner Analyse von einem grundlegenden Paradigmenwechsel unserer Gesellschaft aus. Auch die Psychologie folgt dieser Entwicklung und geht von der negativen Psychologie als Psychologie des Leidens zur Positiven Psychologie über, die sich mit Wohlbefinden, Glück und Optimismus beschäftigt. Der Essay zeigt, wie sich die Algophobie ins Gesellschaftliche verlängert. Konflikten und Kontroversen, die zu schmerzhaften Auseinandersetzungen führen können, wird immer weniger Raum gegeben. Die Algophobie erfasst auch die Politik. Konformitätszwang und Konsensdruck nehmen zu. Eine Postdemokratie macht sich breit. Sie ist eine palliative Demokratie. Der Essay bezieht aktuelle Ereignisse wie die US­-amerikanische Opioid­ Krise oder auch die Corona­-Pandemie in seine Analyse ein. Angesichts der Pandemie erweist sich die Palliativgesellschaft als eine Gesellschaft des Überlebens.
Pressestimmen
»Han schreibt sich erneut tief in die finsteren Abgründe der digitalen Marktgesellschaft ein.«
Björn Hayer, Der Spiegel
Inhaltsverzeichnis
Algophobie 7
Zwang zum Glück 14
Überleben 23
Sinnlosigkeit des Schmerzes 29
List des Schmerzes 37
Schmerz als Wahrheit 43
Poetik des Schmerzes 48
Dialektik des Schmerzes 53
Ontologie des Schmerzes 58
Ethik des Schmerzes 68
Der letzte Mensch 74
Anmerkungen 82