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Gute Unterhaltung Eine Dekonstruktion der abendländischen Passionsgeschichte
Gute Unterhaltung
Eine Dekonstruktion der abendländischen Passionsgeschichte




Byung-Chul Han

Matthes & Seitz
EAN: 9783957572752 (ISBN: 3-9575727-5-4)
176 Seiten, paperback, 10 x 18cm, Dezember, 2017

EUR 16,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
"Durch die Ubiquität der Unterhaltung hindurch kündigt sich derzeit etwas grundsätzlich Neues an. Es bahnt sich eine fundamentale Veränderung hinsichtlich des Welt- und Wirklichkeitsverhältnisses an. Die Unterhaltung erhebt sich zu einem neuen Paradigma, ja zu einer neuen Seinsformel, die darüber entscheidet, was weltfähig ist und was nicht, ja was überhaupt ist. So präsentiert sich die Wirklichkeit selbst als eine besondere Wirkung der Unterhaltung."
Rezension
Kann man über Unterhaltung philosophieren? Spätestens seit Theodor W. Adornos „Kulturindustrie“-Kapitel aus der zusammen mit Max Horkheimer verfassten „Dialektik der Aufklärung“(1944) wird man diese Frage mit „Ja“ beantworten. Der Vertreter der älteren Kritischen Theorie arbeitet den Warencharakter aller kulturellen Produkte heraus und stellt sie grundsätzlich unter Ideologieverdacht. Während im Alltag Unterhaltung ähnlich mit einer trivialisierten, kognitiv nicht aktivierenden Freizeitbeschäftigung assoziiert wird, beleuchtet der Philosoph Byung-Chul Han in seinem zuerst 2006 erschienenen und 2018 bei „Matthes & Seitz“ neu aufgelegten Essay „Gute Unterhaltung“ das Phänomen ideen - und kulturgeschichtlich, wobei er eine ganz andere Perspektive als die vorherrschend unterhaltungsfeindliche gewinnt.
In der Omnipräsenz von Unterhaltung, deutlich werdend an Neologismen wie "Infotainment", "Histotainment" oder "Edutainment", erblickt der an der Hochschule der Künste Berlin lehrende Professor für Philosophie und Kulturwissenschaft ein neues Paradigma. Nur den Entitäten kommt Realität zu, die das Kriterium der Unterhaltung erfüllen, mit anderen Worten: Unterhaltung ist weltkonstitutiv. Negativ formuliert, dasjenige, das nicht unterhaltsam ist, gehört auch nicht zur Welt. Abgrenzungen zwischen „realer Realität“ und „fiktionaler Realität“ sowie zwischen Arbeit und Freizeit verflüchtigen sich im Zeitalter der Unterhaltung. Insbesondere die durch Dichotomien geprägte Auffassung von Kunstproduktionen, zum Beispiel als Ausdruck von Passion, von Leiden, oder Immanuel Kants Reduktion von Unterhaltung auf einen sinnlich-affektiven Vorgang ohne kognitive Dimension, werden von dem Philosophen anhand zahlreicher Belege widerlegt, u.a. durch den Verweis auf das Haiku, das japanische Scherzgedicht, den japanischen Holzschnitt Ukiyo-e, die moralischen Wochenzeitschriften der Aufklärung, eine überzeugende Deutung von Johann Sebastian Bachs Matthäus-Passion oder eine etwas ungewöhnliche Interpretation von Franz Kafkas Erzählung „Ein Hungerkünstler“. Besondere Erwähnung verdient zudem Hans aufschlussreiche Darstellung von Martin Heideggers Medienkritik.
Han gelingt es in seiner Schrift durch philosophische Reflexionen überzeugend eine Rehabilitation von Unterhaltung, wobei er sich für ein „Cognitainment“, einen Hybrid von Wissen und Unterhaltung ausspricht. Diese Idee verdient eine produktive Rezeption in der Didaktik und schulischen Praxis, in der z.T. wieder verstärkt von Lernen als Leiden, Passion ausgegangen wird. Damit soll allerdings keiner Gamefication schulischen Unterrichts das Wort geredet werden, die nicht zur kognitiven Aktivierung der Schüler beitragen wird.
Auch wenn Hans Abhandlung über Unterhaltung an philosophischer Tiefe und stilistischer Prägnanz nicht an seinen meisterhaften Essay „Duft der Zeit“(2009) heranreicht, ist er doch aufgrund seiner philosophischen Anregungen, die zudem noch unterhaltsam dargeboten werden, also im besten Sinne „Cognitainment“ sind, eine empfehlenswerte Lektüre für alle Philosophie- und Medieninteressierte, genauso wie beispielsweise seine Schriften „Müdigkeitsgesellschaft“(2010), „Im Schwarm“(2013) oder „Psychopolitik“(2014). Der Essay „Gute Unterhaltung“ ist außerdem für alle Lehrkräfte der Philosophie sehr hilfreich, die sich in ihrem Unterricht fundiert mit Medien- oder Kulturphilosophie auseinandersetzen möchten.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Unbeobachtet findet Unterhaltung heute ihren Weg aus Brettspielen und Fernsehsendungen in alle Bereiche unseres Alltags und wird zum machtvollen Modus der Kommunikation. Wie ist dieses Phänomen zu deuten und woher stammt die weitverbreitete Unterhaltungsfeindlichkeit im abendländischen Denken? In seinem weitsichtigen und originellen Essay liest Byung-Chul Han die zahlreichen Ausgestaltungen von Unterhaltung ausgehend von der christlichen Passionsgeschichte als Anti-Emanzipation in der okzidentalen Philosophie: ob Gottlosigkeit, schlechte Kunst, Unmündigkeit, politische Unterwerfung oder Entfremdung, Unterhaltung wird als Symptom verschiedensten Unheils gezeichnet. Von Kant, Hegel, Nietzsche, Heidegger über Adorno, Luhmann bis hin zu Rauschenberg – "Gute Unterhaltung" ist ein faszinierendes Poesiealbum der Ideengeschichte.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort zur Neuauflage 7
Vorwort 9
Süßes Kreuz 11
Schmetterlingsträume 35
Über den Luxus 51
Satori 63
Moralische Unterhaltung 77
Gesunde Unterhaltung 91
Sein als Passion 105
Ein Hungerkünstler 129
Gelassenheit zur Welt 141
Eine Meta-Theorie der Unterhaltung 149
Anmerkungen 159