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Leben im Ruhestand
Zur Neuverhandlung des Alters in der Aktivgesellschaft
Tina Denninger, Silke van Dyk, Stephan Lessenich, Anna Richter
Transcript
EAN: 9783837622775 (ISBN: 3-8376-2277-0)
456 Seiten, paperback, 15 x 23cm, April, 2014
EUR 29,99 alle Angaben ohne Gewähr
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Umschlagtext
Wir leben in einer Zeit der weitreichenden Transformation des Sozialen: In Politik und Wirtschaft setzt sich ein Menschenbild durch, das von jedem Einzelnen erwartet, sich flexibel und vorsorgend, selbsttätig und eigenverantwortlich zu verhalten. Diese neue politische Ökonomie der Aktivgesellschaft greift dabei auch auf bislang verschonte Lebenssphären und -phasen über. So ist die politische Programmformel des »active aging« längst auch zu einem Teil der Fremd- und Selbstbeschreibung älterer Menschen geworden.
Der Band untersucht den Wandel des politisch-medialen Altersbildes, konfrontiert diesen mit den Erzählungen älterer Menschen zu ihrem Leben im Ruhestand und überführt die Befunde in eine originelle Zeitdiagnose der alternden Gesellschaft.
Rezension
Das Alter ist angesichts der demographischen Entwicklung ins Zentrum des gesellschaftspolitischen Interesses geraten. Der Wandel in der Altersstruktur und die Zunahme des Anteils älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung spätindustrieller Gesellschaften (sinkende bzw. stabil niedrige Geburtenraten einerseits, kontinuierlich steigende Lebenserwartung andererseits) sowie der Strukturwandel des Alters, dass die heutigen Alten "jünger" sind als jene früherer Zeiten, dass sie im Durchschnitt gesünder, besser ausgebildet und vitaler als frühere Generationen sind, sind wesentliche Kennzeichen der Entwicklung. Der demografische Wandel wurde zuletzt von der Bedrohung zur Herausforderung, ja zu einer gesellschaftlichen Chance umgedeutet worden; die Krise der Alterssicherungssysteme wird nun mit Hilfe der "jungen Alten" selbst zu überwinden gesucht. Einer kritischen Phänomenologie eben dieses Wandels ist das vorliegende Buch gewidmet.
Dieter Bach, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Vom Ruhestand zum aktiven Alter – Der Band zeigt, wie die Imperative der Eigenverantwortlichkeit und Aktivität nun auch die Lebensphase des Alters durchdringen und tiefgreifend verändern.
Tina Denninger ist Akademische Rätin auf Zeit an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Silke van Dyk und Stephan Lessenich lehren Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Anna Richter ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Kassel.
Schlagworte:
Alter, Demographie, Lebensführung, Wohlfahrtsstaat, Sozialstaat, Ost-West-Vergleich, Aktivierung, Neoliberalismus, Gesellschaft, Soziologische Theorie, Bevölkerung, Sozialpolitik, Soziologie
Adressaten:
Soziologie, Gerontologie, Kulturwissenschaft, Pädagogik sowie die interessierte Öffentlichkeit und Entscheider/-innen in der (Sozial-)Politik
Autoreninterview
... mit den Herausgebern
1. »Bücher, die die Welt nicht braucht.« Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?
Gerade dieses Buch braucht die Welt tatsächlich – denn in Zeiten demografischen Wandels und steigender Lebenserwartung wird zwar vermehrt über das höhere Lebensalter und "die Alten" gesprochen und diskutiert, sie selbst jedoch kommen äußerst selten zu Wort. Wir haben mit so genannten ›Jungen Alten‹ über ihr Leben, ihr Altern und ihren Ruhestand gesprochen und geben einen Einblick in die heterogenen Sichtweisen und Lebenswelten von Menschen im siebten Lebensjahrzehnt.
2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?
Wir kombinieren die qualitative Interviewstudie mit einer drei Jahrzehnte umfassenden Analyse der öffentlichen Neuverhandlung des Alters, um die Perspektiven der Interviewten im Lichte umfassender gesamtgesellschaftlicher Veränderungsprozesse betrachten zu können. Für die Analyse dieser Verschränkung haben wir – dies für die Experten/-innen – ein eigenes dispositivanalytisches Forschungsprogramm entwickelt, das ausgehend von einer gouvernementalitäts- und praxistheoretischen Rahmung qualitative Methodologien und Methoden in neuer Weise zusammenführt.
3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in den aktuellen Forschungsdebatten zu?
Fragen des höheren Lebensalters und der Demografie sind in kürzester Zeit der wenig beachteten gerontologischen Nische entwachsen und zu einem der wichtigsten Themen der sozialwissenschaftlichen Forschung geworden. Es ist der gerontologischen und alterswissenschaftlichen Tradition geschuldet, dass quantitativ-empirische Arbeiten bislang das deutschsprachige Feld dominieren, während theoretisch interessierte, zeitdiagnostisch orientierte und empirisch-qualitative Herangehensweisen – wie die unsere – noch wenig verbreitet sind.
4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten diskutieren?
Mit Mitgliedern der Fünften und Sechsten Altenberichtskommission der Bundesregierung, die seit vielen Jahren unisono nicht nur die Aktivierung des höheren Lebensalters empfehlen, sondern darüber hinaus den Wunsch ›der Alten‹ nach produktiver Aktivität propagieren. Unsere Ergebnisse weisen jedoch in eine ganz andere Richtung: So begegnen wir zum Beispiel äußerst zufriedenen Ruheständlern, die ihre Entpflichtung genießen – und zugleich agilen weiblichen Unruheständlerinnen, die endlich ihren eigenen Interessen nachgehen und nicht mehr für das Wohl anderer in die Pflicht genommen werden wollen. Es wäre viel wert, wenn diese soziale Realität des Alters auch in der politiknahen Wissenschaft Widerhall fände.
5. Ihr Buch in einem Satz:
Der Band untersucht den Wandel des politisch-medialen Altersbildes, konfrontiert diesen mit den Erzählungen älterer Menschen und überführt die Befunde in eine originelle Zeitdiagnose der alternden Gesellschaft im flexiblen Kapitalismus.
Inhaltsverzeichnis
1. Die Neuverhandlung des Alters in der Aktivgesellschaft | 9
2. Die Regierung des Alters: Analysen im Spannungsfeld von Diskurs und Dispositiv, Disposition und Disruption | 25
3. Methodologische Fundierung und methodisches Vorgehen | 47
4. Vom Ruhestand zum Produktiven Alter? Altersdispositive im Wandel | 63
4.1 Eine kurze Geschichte des Rentner-Daseins: Alter, Arbeit und Alterssicherung in Deutschland vor 1980 | 63
4.2 Sicherheit, Kompetenzen, Potenziale: Das Alter in wissenschaftlich-politischen Schlüsseltexten | 74
4.3 Vom Ruhestand zum »Unruhestand« | 86
4.4 Das Dispositiv des Produktiven Alters | 127
4.5 »Veteranen der Arbeit«: Das Altersdispositiv der späten DDR | 163
4.6 Fazit: Dispositive des Alters im Wandel | 180
Miniaturen
Süchtig nach »Käsekuchen-Kapitalismus« oder »Die ewige Kaffeefahrt« | 89
Ursula Lehr oder die Fusion von Wissenschaft, Medien und Politik | 97
»Jopie« Heesters oder »Die Abschaffung des Sterbens« | 110
Ihr bleibt anders: Die Alten in der tageszeitung | 116
Henning Scherf: Was im Alter möglich ist | 120
Brecht vs. Precht: Unwürdige Greise, gestern und heute | 153
Mitten im Kollektiv-Leben: Für Dich und das Alter | 174
Jungvolk ohne Hörraum: Der Generationenkampf im Kleinformat | 185
5. Junge Alte im Interview | 201
5.1 Erzähltes Leben | 201
5.2 Die Interviewten | 206
5.2.1 Kurzcharakterisierung der Interviewten und ihrer Generationenlagerung | 206
5.2.2 Die Aktivität(en) der Interviewten | 211
5.3 Die späte Freiheit des Ruhestands und die vita activa | 216
5.3.1 Die Freiheit des Nacherwerbslebens | 217
5.3.2 Das passive Ruhestandsleben der Anderen und die Ruhestandsmoderierung | 224
5.3.3 Die vita activa | 242
Die Ausnahmegruppen | 248
(1) Ruhestand – na und? | 248
(2) Ausgrenzung statt späte Freiheit | 249
(3) Das Eingeständnis von Langeweile | 251
(4) Zeitwohlstand genießen | 252
(5) Passivität und lazy talk | 254
5.4 Die vielen Welten des Nacherwerbslebens | 257
5.4.1 Der zufriedene Ruhestand | 260
5.4.2 Der geschäftige Ruhestand | 265
5.4.3 Der verhinderte Ruhestand | 269
5.4.4 Der Unruhestand | 272
5.4.5 Das produktive Alter | 278
5.4.6 Das gebremste Alter | 286
5.4.7 Der Aktivitätsgrad der Interviewten im Lichte der Typisierung | 294
5.4.8 Untypisches und »Anders-Typisches« durch Perspektivwechsel | 296
Essays über Ost/West-Unterschiede | 301
(1) Die altersfeindlichen Alternativen | 302
(2) Die produktiven SystemkritikerInnen | 306
(3) Entwurzelte und neu Verankerte | 312
(4) Die Diskriminierungssensiblen | 316
5.5 Die Interviewten und das Produktivitätsdispositiv | 321
5.5.1 Die KritikerInnen der Produktivitätserwartung | 323
5.5.2 Die Interviewten und das Aufwertungsversprechen | 331
5.5.3 Reaktionen der Interviewten auf die Altenberichtsrhetorik | 334
5.6 Fazit | 339
Miniaturen
Das Frühstück – ein frühes Stück später Freiheit | 220
»Also muss ich auch ehrlich sein, Mittagsschläfchen mach ich« | 255
6. Leben im Ruhestand | 359
7. Literatur | 383
8. Anhänge | 421
Anhang I Korpus Dispositivanalyse | 421
Zeitungen und Zeitschriften 1983-2009 | 421
Zeitungen und Zeitschriften 2009-2011 | 447
Partei- und Wahlprogramme | 448
Anhang II Die InterviewpartnerInnen | 450
Anhang III ExpertInneninterviews | 453
Anhang IV Leitfaden der Interviewauswertung | 454
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