Die vorliegende Schulausgabe der Ilias gehört wahrscheinlich zu den bewährtesten Textausgaben des altsprachlichen Unterrichts der letzten 30 Jahre. In der Erstauflage 1990 erschienen und immer wieder nachgedruckt, erschien 2019 ein Nachdruck der neusten Auflage aus dem Jahr 2011.
Es seien zunächst einige Vorzüge des Bandes herausgestellt:
Mit dieser Ausgabe wird eine im heutigen Schulunterricht kaum noch geübte Tugend vertieft werden können, nämlich die schlichte Konzentration auf den Text eines Klassikers ohne ablenkendes Beiwerk in Form von Bildern o.ä.. Statt des mittlerweile fast dogmatisch gesetzten Doppelseitenprinzips mit aufgelockerten Texthäppchen bleibt diese Ausgabe bei einer recht enggedruckten Textdarbietung längerer Passagen ohne direkte Kommentierung unter dem Text. Das mag eine Herausforderung sein, bietet aber einen schönen Eindruck, welche Textfülle bis vor einigen Jahren von Schülerinnen und Schülern offenbar noch bewältigt werden konnte. Offenkundig besteht nach wie vor Nachfrage nach dieser Herangehensweise.
Die Auswahl aus insgesamt elf der 24 Gesänge der Ilias ist so reichhaltig, dass jede Lehrkraft eine ansprechende Lektüresequenz daraus zusammenstellen kann. Wer sich wegen der fehlenden Hilfen sorgt: Der ergänzende Kommentarband enthält die erforderlichen Hilfe in ausreichender Menge.
Neben dem Text (S.87-207) muss besonders die Einleitung (S.7-86) gewürdigt werden: Sprachlich verdichtet und doch für Oberstufenschüler bestens geeignet gibt Manfred Kretschmer hier eine umfassende Einführung in die vielfältigen Aspekte des homerischen Werks, wobei auch neueste Kontroversen zu Autor und Werk (z.B. die umstrittenen Thesen von Raoul Schrott) aufgenommen sind. Die hervorragenden Inhaltsangaben der einzelnen Gesänge leisten sowohl als Überblick während der Ilias-Lektüre als auch z.B. im Lateinunterricht bei der Lektüre der Aeneis gute Dienste. Mit diesen Kapiteln kann wissenschaftspropädeutisches Arbeiten bestens erlernt, vertieft und nachhaltig gefestigt werden.
Die zunächst stets hoch erscheinende Hürde der homerischen Sprache kann durch die ausführliche Erklärung des epischen Dialekts deutlich abgemildert werden und während der Lektüre wie ein Glossar benutzt werden. Ebenfalls sind Metrik und Prosodie sowohl grundlegend als auch mit vielen Details mehr als ausreichend erläutert. Hier werden etliche Fachbegriffe wie Apokope (S.84) oder Akephalie (S.85), deren Kenntnis mittlerweile deutlich über das im Schulunterricht erwartete Pensum hinausgeht, gründlich auseinandergesetzt.
Für weitere Studien (z.B. Facharbeiten) bietet das angehängte und in sechs Abteilungen (Bibliographien, Texte und Kommentare, Übersetzungen, Nachschlagewerke, Literatur, Kunstbetrachtung) reichlich Material.
In Summe sei festgestellt, dass diese Ausgabe in Fülle und Qualität deutlich über den Durchschnitt der heute erscheinenden Schulausgaben herausragt und nicht nur für den Schulunterricht, sondern auch für universitäre Kontexte eine ungebrochene Bereicherung darstellt.

J. Groß, www.lehrerbibliothek.de

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