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Heimat finden
Vom Leben in einer ungewissen Welt
Wilhelm Schmid
Suhrkamp
EAN: 9783518429785 (ISBN: 3-518-42978-7)
480 Seiten, hardcover, 15 x 22cm, März, 2021
EUR 24,00 alle Angaben ohne Gewähr
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Rezension
Was ist Heimat? Eine „Leerformel“, eine Illusion, ein menschliches Grundbedürfnis, ein Gefühl, ein Imaginationsraum, ein Schlüsselwort der Spätmoderne, ein „Resonanzhafen“(Hartmut Rosa), eine Utopie, eine „Retrotopie“(Bauman), ein Reizwort, ein politischer Kampfbegriff oder einfach medialer Kitsch? Für Wilhelm Schmid (*1953) ist Heimat ein „Element der Lebenskunst“. Diese Position vertritt der philosophische Autor, bekannt u.a. durch seine Werke „Philosophie der Lebenskunst“(1998), „Mit sich selbst befreundet sein“(2004), „Liebe“(2011/2021) oder „Gelassenheit“(2014), in seinem neuen Buch „Heimat erfinden. Vom Leben in einer ungewissen Welt“, erschienen im Suhrkamp Verlag.
In ihm wendet sich Schmid gegen ein eindimensionales Verständnis von Heimat als einem bestimmten Raum. Heimat charakterisiert er als ein „Basislager des Lebens“, das überall sein kann, „wo Beziehung ist“. Ein solcher Heimat-Begriff erinnert an die resonanztheoretische Deutung von Heimat des Soziologen Hartmut Rosa, ohne dass dessen Sozialphilosophie im Buch Schmids Erwähnung findet. Mit guten Gründen macht sich Schmid für die Benutzung des Begriffs „Heimaten“ stark. Von ihnen erstellt er eine Typologie: „soziale, mentale, räumliche und temporäre“. So werden von ihm unterschiedliche Heimaten beleuchtet, u.a.: „Wohnheimat“, „körperliche Heimat“, „seelische Heimat“, „geistige Heimat“, „ökologische Heimat“, „musikalische Heimat“, „digitale Heimat“, „familiäre Heimat“, „Ankunftsheimat“, „Herkunftsheimat“, „Begleitheimat“, „museale Heimat“, „Heimat in der Zeit“, „phantastische Heimat“, „Seinsheimat“ oder „absolute Heimat“. Diese Arten von „Heimaten“ erläutert Schmid anhand von autobiographischen Erfahrungen sowie von kulturellen Zeugnissen der Literatur, Philosophie, Kunst und Musik. So ergibt sich von Heimat, genauer von „Haupt- und Nebenheimaten“, ein vielstimmiges „Mosaik“, wie der Philosoph der Lebenskunst selbst schreibt.
Schmid gelingt es in seinem Buch, anschaulich anhand gekonnt ausgewählter Beispiele aufzuzeigen, wie der Mensch im „Zeitalter der Disruption“ Heimat(en) finden, konstruieren und pflegen kann. „Heimatpflege“ ist für den Philosophen „Carework“, „Sorgearbeit“, die aktives Bemühen des Individuums um sein „Heimatmosaik“ erfordert. Zurecht berücksichtigt Schmid dabei auch die Heimat von Demenzkranken. In diesem Kontext rekurriert der Philosoph auf bestimmte metaphysische Positionen - wie einem energetischen Seelenbegriff und die Existenz einer „Weltseele“-, deren Plausibilität fragwürdig ist. Lehrkräfte der Fächer Philosophie und Ethik werden jedenfalls durch Schmids gut verständlich geschriebenes Buch angeregt, sich mit der komplexen Thematik „Heimat“ in ihrem Fachunterricht oder in einem fächerübergreifenden Projekt problemorientiert auseinanderzusetzen.
Fazit: Wilhelm Schmid leistet mit seinem neuen Werk „Heimat finden“ einen wichtigen Beitrag zur Etablierung einer pluralen und performativen Auffassung von Heimat.
Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Wilhelm Schmid
Heimat finden
Vom Leben in einer ungewissen Welt
Menschen suchen vermehrt nach Heimat in einer Welt, die ungewiss erscheint, und in einem Leben, das sich schneller ändert, als es zu verstehen ist. Mehr als je zuvor sehen sich auch diejenigen mit Heimatlosigkeit konfrontiert, die eigentlich wohlbeheimatet sind. Heimat wird zum flüchtigen Gut in der Epoche des Globalwerdens von Menschen und Dingen. Im permanenten Hin und Her zwischen den Welten werden die Menschen selbst flüchtig und beginnen sich zu fragen: Wo bin ich wirklich daheim? Wo war ich es? Wo wird Heimat künftig möglich sein?
Die Heimat hat eine große Zukunft, aber nicht mit dem Modell der Vergangenheit. Eine Erweiterung des Heimatbegriffs ist nötig, denn Heimat ist mehr als nur ein Ort. Sie kann als Basislager des Lebens gelten, von dem aus Erkundungen ins Ungewisse möglich sind. Anders als es zunächst den Anschein hat, gibt es zahlreiche Möglichkeiten, Heimat zu finden. Die Vielfalt wird in der Diskussion über »die Heimat« oft aus den Augen verloren. Sie wird im Fokus dieses Buches stehen.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 9
Heimat ist überall, wo Beziehung ist 17
Wie die Liebe jeden Ort zur Heimat macht 17
Von der Schönheit der Heimat in den Augen ihrer Betrachter 23
Wohnheimat: Vertraute Welten zwischen vier Wänden 31
Körperliche Heimat: Vom Leben in Sinneswelten 37
Seelische Heimat: Vom Leben in Gefühlswelten 46
Geistige Heimat: Vom Leben in Gedankenwelten 54
Perspektive: Wie der Blick in die Welt zur Heimat in ihr wird 63
Können Menschen auch im Reich der Schatten beheimatet sein? 71
Heimat fühlen Menschen in der Natur 79
Wohnen im Gewächshaus: Ökologische Heimat 79
Heimat unter einem Himmel: Wolkenlandschaften 88
Wolkenloser Himmel: Nietzsches Suche nach Heimat 96
Frühlingsglück: Niemand ist eine Insel, aber alle wollen dorthin 103
Sommerhitze: Heimat im Strandkorb und unter Platanen 111
Herbstmelancholie: Wenn die Welt im Nebel verschwindet 119
Winterlandschaft: Warum die Welt im Schnee so anheimelnd ist 126
Rund um den Vulkan: Heimat im Garten am Rande des Abgrunds 134
Heimat wird geschaffen mit Kunst und Kultur 142
Außer mir: Heimat in Menschenlandschaften 142
Durch mich hindurch: Heimat in Klanglandschaften 148
Heimat im Bild: Die lodernden Landschaften Vincent van Goghs 156
Bücherlandschaften: Heimat in den Katakomben des Geistes 162
Eine Handvoll Heimat: Von der Telefonzelle zum Smartphone 169
Aufbruch ins Neuland: Auf Bildschirmen beheimatet 176
Abschied von der Zeitung: Wo ist meine mediale Heimat? 187
Meinungen und Parteien: Heimat in politischen Landschaften 194
Was tun, wenn die vertraute Heimat fremd wird? 200
Zerstörung von Heimat: Landschaften in Zeiten des Krieges 206
Menschen auf der Flucht: Heimat und Menschenwürde 212
Heimat ist das ruhige Leben auf dem Land 221
Heimat in Raum und Zeit: Ruralität und Urbanität 221
Raus aufs Land, wo die Heimat der Heimat ist 228
Heimatgefühle? Wanderungen durch die Marke Brandenburg 234
Wahres Leben auf dem Land und kulturelle Unterschiede 242
Die Neuordnung der Idylle, die es nie gab: Landschaftspflege 251
Meine Heimat: Unterwegs in idyllischer Landschaft 258
Heimat pflanzen, den Garten bestellen: Land in der Stadt 266
Warum immer mehr Menschen sich in Bienenkästen einnisten 274
Heimat ist das vibrierende Leben in der Stadt 282
Stelldichein am Tempel der Glücksgöttin des heutigen Tages 282
Eine Heimat in der Stadt finden: Urbane Lebenskunst 288
Eine neue Heimat bauen: Sonnenstadt in smartem Grün 296
Zauber der Stille in der Stadt und eine Heimat im Lärm 304
Geborgenheit am Platz: Wo die Stadt zum Dorf wird 311
Lieblingsplatz: Auf einen Kaffee mit Walter Benjamin 318
Heimat to go or to stay? Das Café als Basislager 327
Im Orbit. In 60 Minuten um die Stadt, in 6 Stunden um die Welt 336
Heimat entsteht beim Unterwegssein in Raum und Zeit 344
Euphorie des Aufbruchs, Tristesse der Ankunft 344
Heimat am Tor zur Welt: Die Sehnsucht nach Ferne 352
Heimat im Transitraum: Abheben und ganz woanders sein 360
Heimat aus dem Koffer: Einsam und gemeinsam im Hotel 367
Planetares Driften: Die globale Heimat digitaler Nomaden 373
Museale Heimat: Die Aufbewahrung der Zeit im Raum 381
Woher kommen wir? Vertraut werden mit der Geschichte 388
Wohin gehen wir? Heimatgefühle in Gräberlandschaften 393
Unsterblichkeit? Vom Verschwinden der Heimat in der Zeit 401
Nicht in Raum und Zeit: Wo sind Menschen mit Demenz daheim? 409
Heimat ist erfahrbar in Phantasie, Utopie und
Transzendenz 416
Phantastische Heimat: Traumlandschaften 416
Heimat im verzauberten Raum: Christo in Italien 424
Utopie: Heimweh nach dem, was nirgendwo ist 430
Heimat im Wesentlichen: Warum jeder Mensch religiös ist 438
Jenseitige Heimat in diesseitigen Räumen: Gotteshäuser 446
Himmlische Landschaften: Absolute Heimat im Paradies 455
Unheimlichkeit: Was ist aus der Hölle geworden? 462
Unendlichkeit: Ein Heimweh über alle Horizonte hinaus 470
Zum Autor 479
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