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Gebrauchsanweisung für Stuttgart  Überarbeitete Neuausgabe 2019 (zuerst erschienen 2012)
Gebrauchsanweisung für Stuttgart


Überarbeitete Neuausgabe 2019 (zuerst erschienen 2012)

Elisabeth Kabatek

Piper Verlag GmbH
EAN: 9783492277310 (ISBN: 3-492-27731-4)
224 Seiten, paperback, 12 x 19cm, März, 2019, Flexcover mit Klappen

EUR 15,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Halbhöhe und Kehrwoche, Wald und Bärenseen, Sternegastronomie und Qualitätsweine, das Sommerfestival der Kulturen und das Understatement der Bewohner: Das alles ist Stuttgart. Scharfsinnig und mit einem Augenzwinkern schreibt Elisabeth Kabatek über echte und falsche schwäbische Idylle, über Feinstaubdiskussionen, die grüne Landesregierung und ein fast mediterranes Lebensgefühl. Sie zeichnet das Porträt einer Stadt, in der Ballett, Oper und Theater für jedermann zur wichtigsten Freizeitbeschäftigung gehören, verschiedenste Nationalitäten bunt durcheinander leben und echte Protestkultur gelebt wird.

Elisabeth Kabatek wuchs unweit der schwäbischen Landeshauptstadt auf. Sie studierte Anglistik, Hispanistik und Politikwissenschaft in Heidelberg und Spanien und arbeitete in Frankfurt am Main und Barcelona. Seit 1997 lebt sie in Stuttgart. Ihre ersten beiden Romane »Laugenweckle zum Frühstück« und »Brezeltango« wurden auf Anhieb zu Bestsellern, an die sie u.a. mit »Spätzleblues« und »Zur Sache, Schätzle!« anknüpfte.
Rezension
Diese überarbeitete Neuausgabe 2019 des zuerst 2012 erschienenen Titels bietet eine "Gebrauchsanweisung für Stuttgart" - in dieser Reihe erscheinen im münchner Piper-Verlag seit vielen Jahren dutzende literarischer Reiseführer bzw. Länder- und Regionenbeschreibungen. Die Autorin vermittelt in aller scheinbaren Leichtigkeit ein Verständnis für die Schwaben und bietet eine (gar nicht so) verdeckte Liebeserklärung an die Schwabenmetropole, die den Leser zum Insider und Sympathisanten werden läßt: "Heute kann ich es laut sagen. Ich werde dabei nicht rot, senke nicht die Stimme und schäme mich nicht: Ich liebe die Stadt, in der ich seit Ende der Neunzigerjahre lebe. Nicht in jedem Moment und nicht uneingeschränkt. Aber ich möchte nicht mehr weg von hier. Das war nicht immer so."

Oliver Neumann, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Schlagworte:
Baden-Württemberg, Elisabeth Kabatek, Gebrauchsanweisung, Reisebericht, Reisebeschreibung, Schwaben, Schwäbisch, Stuttgart, Süddeutschland

Stuttgarter Zeitung:
»Eine spannende Lektüre: sowohl für die Einheimischen, die einen neunen Blick auf ihre Heimat gewinnen, als auch für die Reisenden, die an Necker und Nesenbach ein schönes Wochenende verleben wollen.«
Inhaltsverzeichnis
9 Stuttgart
oder: slow love

17 Wem gehört die Stadt?
Feinstaub, Fahrverbote und Fahrräder

35 Ja, wo kehren Sie denn?
Klischees über Stuttgart und was an ihnen dran ist

55 Der große Höhenunterschied macht den kleinen Unterschied
Gebrauchsanweisung für den Kessel

73 Samstagmorgens in der Stadt
Der Nabel der Welt

91 »Work? I don't have time to work«
Feste und Festivals in Stuttgart

109 Brezeln machen glücklich
Was man isst, wo man hingeht

137 Die Trollinger-Revolution
»Einfach guter Wein!«

149 Wo der Besen hängt
Zu laut, zu warm, zu gemütlich

157 Von Bären aller Arten, Wasserfällen mit schwäbischem Understatement und Grünem U
Wohin der Ausflug so gehen kann

169 Stuttgart, Kulturmetropole Nummer eins
»Ja, Stuttgart ist schön, gegen dies Scheißmünchen ein Paris!«

183 »Der Name Stuttgart ist ein magischer Name«
Das Ballettwunder

203 Stuttgart badet in Champagner
Die Mineralbäder

215 Kein Tor trotz Ted
»Steht auf wenn ihr Schwaben seid«



Leseprobe zu »Gebrauchsanweisung für Stuttgart«

Stuttgart
oder: slow love

Heute kann ich es laut sagen. Ich werde dabei nicht rot, senke nicht die Stimme und schäme mich nicht: Ich liebe die Stadt, in der ich seit Ende der Neunzigerjahre lebe. Nicht in jedem Moment und nicht uneingeschränkt. Aber ich möchte nicht mehr weg von hier. Das war nicht immer so.
Stuttgart ist nicht gerade eine Stadt, die die Menschen zum Hyperventilieren bringt. »Neulich war ich in Stuttgart … da ist es vielleicht schön! Diese verwinkelte Altstadt, diese lauschigen Plätze und schnuckeligen Cafés! Was für eine Atmosphäre! Ach, und diese offenen, kommunikativen Menschen mit ihrem entzückenden Dialekt, hängen überall ein -le hintendran. Das ist ja soo niedlich!« Nein, das wird man wohl eher selten hören. Das Stendhal-Syndrom – jener wahnhafte Zustand, in dem die Touristen in Florenz und anderen buchstäblich bezaubernden Metropolen ohnmächtig darniedersinken, weil sie von der Fülle an Kunst- und Kulturschätzen überwältigt werden, ist in Stuttgart gänzlich unbekannt. Der Marktplatz von Stuttgart sucht an Nüchternheit seinesgleichen. Die wenigen Altstadtgässchen, die vom Krieg verschont geblieben sind, beherbergen das Rotlichtviertel. Und was die Sprache angeht, so ermittelte das Institut für Demoskopie in Allensbach, dass Schwäbisch bei siebzehn Prozent der Bevölkerung in Deutschland Aversionen auslöst. Tja.
»Das Schönste an Stuttgart ist die Autobahn nach München«, lautete der wenig schmeichelhafte und leider ziemlich bekannt gewordene Ausspruch von Ex-VfB-Star Thomas Strunz. In der Tat dürften sich Touristen und Zugezogene schneller in die bayerische Landeshauptstadt verlieben als ins spröde Stuttgart.
Stuttgart braucht Zeit. Es braucht Zeit, sich umzusehen in dieser Stadt, es braucht Zeit, sie kennenzulernen. Das liegt auch an der Topografie. Die Kessellage setzt die Rahmenbedingungen fest und zwingt zum stetigen Hinauf und Hinunter. Das ist mit dem Auto nervig, wegen der Staus und Parkplatzprobleme, mit dem Fahrrad schweißtreibend und zu Fuß zwar ganz wunderbar, denn Stuttgart ist grün und waldreich – aber das dauert. Und Zeit braucht es auch, sich einzuleben. Stuttgarter verbrüdern sich nicht am Kneipentresen wie etwa die Rheinländer.
In der Stadtbahn belauschte ich einmal zwei ältere Frauen, die sich offensichtlich nicht kannten.
»Sie sen abr au net vo Schduagerd«, sagte die eine.
»I ben vom Hohelohische, abr scho fuffzig Johr en Schduagerd«, antwortete die andere.
»Ond – hen Se sich gud eiglebt?«, fragte die erste Frau ehrlich interessiert.
Nach fünfzig Jahren gefragt zu werden, ob man sich gut eingelebt hat, nach Jahren zum ersten Mal von den Nachbarn gegrüßt zu werden, das sind Dinge, die einem in Stuttgart passieren können. Es kann aber auch ganz anders laufen.
Ich bin in Stuttgart geboren, aber ein paar Kilometer entfernt in einer Kleinstadt mit sehr dörflichem Charakter aufgewachsen. Stuttgart war immer nur »die Stadt«. Erst die Einkaufsstadt, samstags mit den Eltern, und später die Ausgehstadt, die Stadt der Kinos, Kneipen und Restaurants. Die große weite Welt zunächst, aber das hielt nicht lange vor. Stuttgart war zu eng, zu vermieft, zu spießig, zu pietistisch. Egal wohin, nur nicht nach Stuttgart, sagte ich mir, lebte im In- und Ausland, reiste viel und landete – Ironie des Schicksals – 1997 doch ausgerechnet da, wo ich am allerwenigsten hinwollte. Von Barcelona. Vorübergehend, sagte ich mir. Ähem. Von Barcelona also. Dort war der Himmel blau und das Licht warm, die Menschen lebten auf der Straße, es gab einen Strand mitten in der Stadt, man quatschte mit jedem und traf sich um zehn zum Abendessen in billigen kleinen Restaurants mit großartiger mediterraner Küche. Und dann Stuttgart.
Es war Herbst, der Himmel war grau, ich kannte kein Schwein, und in meinem Mietshaus lebten Kehrwochenfetischisten, die jeden Samstag hemmungslos ihrer Leidenschaft frönten. Dabei konnte ich mich gar nicht daran erinnern, dass es in meiner Kleinstadt die Kehrwoche gegeben hatte! In Barcelona ließen sich die Leute gegenseitig in Ruhe, Diskretion war eine vornehme Tugend. In Stuttgart dagegen lebten hässliche kleine Gnome, die sich hinter Fußgängerampeln versteckten. Ging man morgens um drei bei Rot über die Ampel, sprangen die Gnome hervor, auch wenn kilometerweit kein Auto zu sehen war, und zischten einen auf Schwäbisch an, dass man das Leben und die Moral unschuldiger Kinder gefährdete, weil man ihnen ein schlechtes Vorbild war.
Ich will ehrlich sein: Es dauerte Jahre, bis ich mich in Stuttgart einlebte. Lange Zeit sehnte ich mich zurück ans Mittelmeer und verfluchte meine Entscheidung. Aber dann wurden aus Bekannten allmählich Freunde, gute, enge Freunde, und ich fand mich immer besser zurecht. Ich bekam heraus, wo man toll essen kann und wo es gute Musik gibt, ich entdeckte wunderschöne Spazierwege mitten in der Stadt und lernte ihren unvergleichlichen kulturellen Reichtum schätzen. Dann begann ich Romane zu schreiben, die in Stuttgart spielten, und lernte bei meinen Recherchen auch den letzten und kuriosesten Winkel der Stadt kennen. Ja, und dann kam der Streit um Stuttgart 21 und veränderte die Stadt auf ganz eigene Weise. Aber davon soll später die Rede sein.
Die ersten Jahre lebte ich mit der Gewissheit, dass Stuttgart nur eine Zwischenstation sei. Ständig sagte ich mir, dass ich niemals ausgerechnet an dem Ort hängen bleiben würde, an dem ich nie hatte leben wollen. Und dann entdeckte ich voller Erstaunen, dass sich ganz allmählich, über die Jahre, ein Gefühl von Heimat eingestellt hatte und ich meinen Frieden mit der Stadt gemacht hatte. Und sollte mir der Kessel doch mal wieder auf die Nerven gehen und zu eng werden – hey, ich bin in der Mitte Europas! Frankreich, Schweiz, Österreich, Italien, alles ruckizucki in ein paar Stunden mit dem Zug erreichbar, ein Flughafen liegt vor der Tür und ein zweiter, der Frankfurter, nur eineinviertel Stunden entfernt (der Schwabe würde übrigens »femfviertelschdond« dazu sagen).
Eines ist sicher: Stuttgart ist momentan eine der spannendsten Städte der ganzen Republik. Das graue Entlein schickt sich an, ein stolzer Schwan zu werden, es schüttelt Tiefstapelei, Minderwertigkeitskomplexe und Nabelschau ab. Die Stuttgarter selber merken das schon lange, in der Wahrnehmung von außen wird es wohl noch ein bisschen dauern. Wenn Sie also dieses Büchlein geschenkt bekommen haben, weil es Sie aus irgendwelchen Gründen nach Stuttgart verschlagen hat oder noch verschlagen wird, und Sie deshalb ziemlich panisch reagieren, weil diese Entscheidung keine freiwillige war, dann tätschle ich Ihnen jetzt mal auf diesem Wege beruhigend den Arm. Don’t panic. Sie werden Stuttgart erst schätzen und dann lieben lernen – immer vorausgesetzt, Sie lassen sich darauf ein und hören nicht auf die Freunde, die Ihnen ihr herzliches Beileid aussprechen.
Wenn Sie sich darauf einlassen, dann entdecken Sie eine Stadt mit allerlei Besonderheiten. Sie richtet eins der größten Schaustellerfeste in Europa aus, das Cannstatter Volksfest. In keiner anderen deutschen Großstadt wird zwischen ganz unten und ganz oben ein solcher Höhenunterschied gemessen. Sie hat mit einer Gesamtlänge von mehr als dreißig Kilometern die meisten Staffeln (das sind Treppenanlagen). Sie ist die einzige Stadt Deutschlands, die ein Schriftstellerhaus ihr Eigen nennt. Auf der Uhlandshöhe entstand die erste Waldorfschule Deutschlands, im Stuttgarter Westen der erste Verkehrsübungsplatz. Der erste Tierschutzverein wurde hier gegründet, der Fernsehturm war der weltweit erste, das Planetarium das europaweit erste. Die Seilbahn in Heslach war 1929 die erste Standseilbahn Deutschlands mit automatischer Steuerung. Die Wilhelma ist der einzige zoologisch-botanische Garten Deutschlands. Der Tagblattturm war einst das höchste Hochhaus Deutschlands und das erste Gebäude, das in Sichtbeton errichtet wurde. Der Schwabtunnel war der erste Innenstadttunnel Europas. Die Zahnradbahn ist die einzige in Deutschland, die nicht touristischen Zwecken dient. Die Württembergische Landesbibliothek besitzt die größte Bibelsammlung Europas. Der erste deutsche Astronaut, der im Space Shuttle ins All flog, kam aus Stuttgart. Das Staatstheater ist mit Ballett, Schauspiel und Oper das größte Dreispartenhaus der Welt. Stuttgart ist die einzige Großstadt Deutschlands, die ein städtisches Weingut ihr Eigen nennt, die einzige Stadt auf der Welt, in der eine Zahnradbahn die Nächte in einem Theater verbringt, und die Stadt mit dem größten Mineralwasservorkommen in Westeuropa. Außerdem ist Stuttgart die einzige Stadt in Europa, die ein Skateboard-Museum vorweisen kann und seit einiger Zeit das größte Schweine-Museum der Welt! Außerdem stehen die Chancen gut, dass Sie bei einem Besuch in Stuttgart keinen Regenschirm brauchen. Stuttgart wird im Westen vom Schwarzwald und im Süden von der Schwäbischen Alb abgeschirmt und gehört damit zu den sonnenreichsten, wärmsten und niederschlagsärmsten Orten in Deutschland.
Ich habe mich mit Stuttgart längst versöhnt. Sehen Sie es mir also nach, wenn dies ein extrem distanzloses Buch ist, das in keinster Weise den Anspruch erhebt, unparteiisch zu sein. Je länger ich nachgedacht, recherchiert und geschrieben habe, desto mehr ist mir eingefallen, was mir in Stuttgart lieb und wichtig ist. Aus Platzgründen hat es nicht alles ins Buch geschafft. Das müssen Sie dann eben für sich entdecken: Hoppenlau-Friedhof und Lapidarium, Wagenhallen und »Kultur unterm Turm« mit Theater tri-bühne, Figurentheater FITZ und Jugendtheater JES, die Jazztage im Theaterhaus, die Kinothek in Obertürkheim, das Café Weiss, die Karlshöhe. Die Krimi-Hochburg Stuttgart mit Lehmann, Schorlau, Steinfest, die Migrantenstadt Stuttgart.
Meine Lieblingszeit in Stuttgart ist der Mai, wenn die Kastanien im Schlossgarten und auf den Plätzen blühen. An einem lauen Sommerabend vor dem Staatstheater, das bei uns nur »Großes Haus« genannt wird, geht mir bei den letzten Sonnenstrahlen das Herz auf. Ich warte das ganze Jahr ungeduldig auf das Sommerfestival der Kulturen auf dem Marktplatz, auf die Konzerte, die tanzenden Menschen vor der Bühne, die Multikulti-Atmosphäre und das leckere Essen an den Ständen der Migrantenvereine, wo man sich durch die halbe Welt futtern kann. Im Herbst gehe ich an den Bärenseen spazieren, freue mich am bunten Laub und hoffe, dass es einen strengen Winter gibt und man auf den Seen Schlittschuhlaufen kann.
Und ich denke : Ja, es ist schön in Stuttgart. Und deshalb : Leserin oder Leser, kommst du nach Stuttgart, so gebrauche diese Stadt. Gebrauche sie nach Herzenslust, und möge dir dieses Büchlein dabei von Nutzen sein. Und wenn dir im Zuge dessen ein paar Vorurteile und Klischees über uns Schwaben verloren gehen, umso besser. Herzlich willkommen!