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Die vergessene Revolution oder die Wiedergeburt des antiken Wissens
Die vergessene Revolution oder die Wiedergeburt des antiken Wissens




Lucio Russo

Springer-Verlag
EAN: 9783540209386 (ISBN: 3-540-20938-7)
570 Seiten, hardcover, 16 x 24cm, 2005

EUR 29,95
alle Angaben ohne Gewähr

Rezension
Wissenschaftsgeschichte gehört zu den vernachlässigten Gebieten des schulischen Unterrichts. Gerade in der Mathematik und den Naturwissenschaften wird sich oftmals auf das Unterrichten des gegenwärtigen positiven Wissens beschränkt, die Genese und die Entwicklung der Wissenschaft aber nicht rekonstruiert. Damit werden zugleich Chancen eines fächerübergreifenden Unterrichts nicht genutzt. Ein weiteres Defizit von Abiturienten besteht, es sei denn sie besuchen ein humanistisches Gymnasium, in der fehlenden Kenntnis über die Antike.
Der „Wiedergeburt des antiken Wissens“ widmet der italienische Wissenschaftler Lucio Russo sich in erstmals 1996 erschienen Buch „La rivoluzione diamenticata“. Im Jahre 2005 legte der „Springer-Verlag“ eine überarbeitete Version des Buches in deutscher Sprache unter dem Titel „Die vergessene Revolution“ vor. Russo vertritt in seinem Werk die These, dass „vom späten 4. bis zum späten 2. Jahrhundert v. Chr.“ Im Hellenismus eine wissenschaftliche Revolution einsetzte (S. 1). Diese Auseinandersetzung mit der antiken Wissenschaftsgeschichte rechtfertigt der Wissenschaftler folgendermaßen: „Ein besseres Verständnis der antiken Wissenschaften und ihrer Beziehungen zu ihren modernen Entsprechungen könnte ein neues Licht auf die internen Strukturen der Wissenschaften werfen, auf ihre Verbindungen mit der Technologie und andere Aspekte der modernen Zivilisation, den Ursprung für die bestehende Kluft zwischen den Welten Geistes- und der Naturwissenschaften und eventuell Wege, diese zu überwinden.“ (S. 2) Russo erhebt mit seinem Buch den Anspruch, nicht nur einen Beitrag zur antiken Wissenschaftsgeschichte zu leisten, sondern eine „’Geschichte aus der Perspektive der Wissenschaft’“ (S. 3) zu geben.
Der Untertitel des Buches ist insofern missverständlich, als er suggeriert, dass das antike Wissen aus allen Bereichen während der hellenistischen Revolution behandelt wird. De facto geht Russo aber von einem auf exakte Wissenschaften restringierten Wissenschaftsbegriff aus (vgl. S. 23). An dieser Wissenschaftsart orientiert sich auch seine Bestimmung von Wissenschaft als deduktiv-technologische (S. 20f). Mit anderen Worten er nimmt den modernen, szientistischen Wissenschaftsbegriff als Massstab zur Analyse antiken Wissens. Diese Verfahrensweise ist insofern problematisch, als dadurch die Spezifizität des antiken Wissensbegriff nicht berücksichtigt wird. Die Problematik kommt auch zum Tragen bei seiner Behauptung, „die klassische griechische Kultur habe keine Wissenschaften hervorgebracht“ (S. 26). Diese Aussage steht im Gegensatz zu der von Heinz-Jörg Pleines, vertreten in seinem „wissenschaftliche Bildung“, siehe meine Rezenszion unter lehrerbibliothek.de.
Das Buch von Russo zeichnet sich durch eine gut lesbare Darstellung der Geschichte der antiken ‚Naturwissenschaften’ aus. Die Erkenntnisse von Eratosthenes und Archimedes werden auch für den Nicht-Naturwissenschaftler verständlich entwickelt. Hervorzuheben sind auch die Abbildungen und Karten des Buches. Russo kommt das Verdienst zu, die antike, hellenistische Wissenschaft in seinem Buch auch für Nicht-Philologen zugänglich zu machen.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Das Zeitalter von Archimedes und Euklid (3. Jahrhundert v. Chr.), war die Geburtsstunde der Wissenschaften wie wir sie kennen. Damals entstanden hoch entwickelte Technologien, auf die man sich erst im 18. Jahrhundert wieder besinnen sollte. Gleichzeitig mit dieser wissenschaftlichen Revolution fanden auch auf vielen anderen Gebieten, wie den Künsten oder der Medizin, grundlegende Veränderungen statt. Was waren die Grundpfeiler dieser immensen kulturellen Verschiebung? Warum wissen wir heute so wenig darüber? In welcher Beziehung stehen sie zur uns vertrauten Entwicklung der Wissenschaften seit dem 15. Jahrhundert? Was führte zum Ende antiker Wissenschaften? Das sind die Fragen, die in diesem Buch gestellt werden. Ihre Antworten sind von entscheidender Bedeutung auch für Herausforderungen, vor denen wir heute stehen.

Geschrieben für:
Historiker, Wissenschaftshistoriker aller naturwissenschaftlichen Disziplinen, Altphilologen, Geisteswissenschaftler, Mediziner und Medizinhistoriker; Laien mit Interesse an der Geschichte der Wissenschaften, Mathematik, Physik, Ingenieurwissenschaften, Astronomie, Medizin und antiken Kulturen


Schlagworte:
Geschichte der Wissenschaften
MSC (2000): 01A20
Mathematik der alten Griechen
Wissenschaftsphilosophie
hellenistische Wissenschaft
wissenschaftliche Renaissance
Inhaltsverzeichnis
Einleitung 1

1 Die Entstehung derWissenschaften 7
1.1 Die Auslöschung der wissenschaftlichen Revolution . . . . . . . 7
1.2 Der Begriff „hellenistisch“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
1.3 Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
1.4 Gab esWissenschaften im klassischen Griechenland? . . . . . . . 26
1.5 Die Urspünge hellenistischerWissenschaften . . . . . . . . . . . . 33

2 Hellenistische Mathematik 37
2.1 Vorläufer der mathematischen Wissenschaft . . . . . . . . . . . . 37
2.2 Euklids hypothetisch-deduktive Methode . . . . . . . . . . . . . . 46
2.3 GeometrieundRechenhilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
2.4 Diskrete Mathematik und der Begriff des Unendlichen . . . . . . 52
2.5 MathematikkontinuierlicherGrößen . . . . . . . . . . . . . . . . 53
2.6 EuklidundseineVorgänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
2.7 EineAnwendungder„Approximationsmethode“ . . . . . . . . . 57
2.8 TrigonometrieundsphärischeGeometrie . . . . . . . . . . . . . . 61

3 Weitere wissenschaftliche Theorien des Hellenismus 65
3.1 Optik, Szenographie und Katoptrik . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
3.2 GeodäsieundmathematischeGeographie . . . . . . . . . . . . . . 74
3.3 Mechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
3.4 Hydrostatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
3.5 Pneumatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
3.6 Aristarchos,HeliozentrismusundrelativeBewegung . . . . . . . 90
3.7 Von der Closed World zurUnendlichkeitdesUniversums . . . . . 99
3.8 DiePtolemäischeAstronomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
viii Inhaltsverzeichnis

4 Wissenschaftliche Technologie 109
4.1 Maschinenbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
4.2 Messinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
4.3 Militärtechnologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
4.4 Schifffahrt undNavigation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
4.5 Schiffbau.DerPharos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
4.6 Wasserbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
4.7 DieNutzungvonNaturkräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
4.8 DerMechanismusvonAntikythera . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
4.9 DieRolleHerons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
4.10 VerloreneTechnologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

5 Medizin und andere empirische Wissenschaften 163
5.1 DieEntstehungvonAnatomieundPhysiologie . . . . . . . . . . 163
5.2 Medizin und exakteWissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
5.3 Anatomische Terminologie und die Schraubenpresse . . . . . . . 171
5.4 Die wissenschaftliche Methode in der Medizin . . . . . . . . . . . 172
5.5 Entwicklung und Ende der wissenschaftlichen Medizin . . . . . . 178
5.6 Botanik und Zoologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
5.7 DieChemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

6 Die wissenschaftliche Methode des Hellenismus 195
6.1 Die Ursprünge des wissenschaftlichen Beweises . . . . . . . . . . 195
6.2 Postulate oder Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
6.3 ErhaltungderPhainomena . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
6.4 Definitionen, wissenschaftliche Termini
undtheoretischeKonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
6.5 EpistemeundTechne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
6.6 Postulate und die Bedeutung von „Mathematik“ und „Physik“ . 214
6.7 HellenistischeWissenschaften und die experimentelle Methode . 222
6.8 Die Wissenschaften und die mündliche Überlieferung . . . . . . . 224
6.9 Woher stammen die Klischees
über die „antiken Wissenschaften“? . . . . . . . . . . . . . . . . . 226

7 Weitere Aspekte der wissenschaftlichen Revolution 233
7.1 Stadtplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
7.2 BewussteundunbewusstekulturelleEvolution . . . . . . . . . . 239
7.3 DieTraumtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
7.4 Aussagenlogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
7.5 PhilologischeundlinguistischeStudien . . . . . . . . . . . . . . . 253
7.6 BildendeKünste,LiteraturundMusik . . . . . . . . . . . . . . . . 257

8 Niedergang und Ende derWissenschaften 265
8.1 Die Krise der hellenistischenWissenschaften . . . . . . . . . . . . 265
8.2 Rom, die Wissenschaften und die wissenschaftliche Technologie . 269
8.3 Das Ende der antiken Wissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . 275
Inhaltsverzeichnis ix

9 Wissenschaften, Technologie undWirtschaft 279
9.1 ModernismusundPrimitivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
9.2 Wissenschafts- und Technologiepolitik . . . . . . . . . . . . . . . . 282
9.3 Wirtschaftswachstum und Innovationen in der Landwirtschaft . 286
9.4 NichtlandwirtschaftlicheTechnologieundProduktion . . . . . . 290
9.5 Die Bedeutung der Stadt in der antikenWelt . . . . . . . . . . . . 295
9.6 Das Wesen der antikenWirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
9.7 AntikeWissenschaften und die Produktion . . . . . . . . . . . . . 302

10 Verlorene Wissenschaften 307
10.1 DieverloreneOptik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307
10.2 Eratosthenes’ Messung des Erdumfangs . . . . . . . . . . . . . . . 311
10.3 Determinismus,ZufallundAtome . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
10.4 KombinatorikundLogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
10.5 PtolemäusunddiehellenistischeAstronomie . . . . . . . . . . . . 323
10.6 DerMond,dieSchlingeundHipparchos . . . . . . . . . . . . . . 327
10.7 EinePassagebeiSeneca . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
10.8 DunkleunddreieckigeStrahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339
10.9 Der Gedanke der Schwerkraft nach Aristoteles . . . . . . . . . . . 346
10.10 DieGezeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349
10.11 Die Gestalt der Erde: Schlinge oder Ellipsoid? . . . . . . . . . . . 354
10.12 SeleukosundderBeweisdesHeliozentrismus . . . . . . . . . . . 356
10.13 Vorrücken,Kometenu. a. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
10.14 PtolemäusundTheonvonSmyrna . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363
10.15 Die ersten Definitionen in den Elementen . . . . . . . . . . . . . . 366

11 Die jahrhundertelange Wiederentdeckung 375
11.1 Die frühenRenaissancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375
11.2 DieRenaissance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382
11.3 Die Wiederentdeckung der Optik in Europa . . . . . . . . . . . . 393
11.4 Ein später Schüler des Archimedes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398
11.5 ZweiWissenschaftler der Neuzeit: Kepler und Descartes . . . . . 405
11.6 DieBewegungderErde,dieGezeitenunddieSchwerkraft . . . . 410
11.7 DieNaturphilosophieNewtons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417
11.8 DieTrennungvonMathematikundPhysik . . . . . . . . . . . . . 432
11.9 Antike und moderneWissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . 439
11.10 Die Auslöschung der antikenWissenschaften . . . . . . . . . . . . 443
11.11 Wiederherstellung und Krise der wissenschaftlichen Methode . . 447

Anhang 455
Zitatverzeichnis 459
Literaturverzeichnis 475
Deutsche Bibliographie für Lucio Russo: The Forgotten Revolution 491
Index