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Die Stadt  Aus dem Ukrainischen von Alexander Kratovil, Lukas Joura, Jakob Wunderwald und Lina Zalitok
Die Stadt


Aus dem Ukrainischen von Alexander Kratovil, Lukas Joura, Jakob Wunderwald und Lina Zalitok

Walerjan Pidmohylnyj

Guggolz Verlag
EAN: 9783945370353 (ISBN: 3-945370-35-3)
416 Seiten, hardcover, 12 x 19cm, März, 2020

EUR 26,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
„Die Stadt braucht man nicht zu hassen, nein, man musste sie erobern.“

Walerjan Pidmohylnyj (1901-1937) erzählt von den politischen Umbrüchen und gesellschaftlichen Verwerfungen seiner Zeit und setzt der Stadt Kyjiw ein Denkmal. Der Dorfjunge Stepan kommt mit großen Zielen in die Metropole, wo er ein Studium beginnen und dabei mithelfen möchte, den Sozialismus aufzubauen. Die Stadt und ihre Bewohner faszinieren ihn, stoßen ihn aber gleichzeitig auch ab. Vor allem aber stürzen sie ihn chaotische Verhältnisse und machen seine hehren Pläne zunichte. Der meisterliche Roman fügt der vielstimmigen europäischen Moderne eine abgründig schillernde Facette hinzu.
Rezension
Angesichts von Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine wird seitens vieler Medien zurecht der Geschichte des größten Landes auf dem europäischen Kontinent die ihm gebührende Aufmerksamkeit geschenkt. Wenig wurde bisher in der Öffentlichkeit über die Kultur, insbesondere über die Literatur der Ukraine berichtet. Zu ihren Hauptvertretern zählt Walerjan Petrowytsch Pidmohylnyj (1901-1937), der die gesellschaftlichen Umbrüche im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts in seinem Land miterlebte. Sein Leben ist kaum erforscht. Gesichert ist, dass Pidmohylnyj auf dem Lande aufwuchs und Französisch lernte, in Kiew studierte, heiratete und zunächst als Lehrer arbeitete, dann Schriftsteller und Redakteur einer ukrainischen Kulturzeitschrift war, im Stalinismus der 1930er Jahre Publikationsverbot erhielt, inhaftiert, gefoltert, zu Lagerhaft auf den Solwezki-Inseln verurteilt und dort durch Erschießung am 3.11.1937 hingerichtet wurde. Der Schriftsteller veröffentlichte Erzählungen und übersetzte französische Autoren wie Anatole France und Guy de Maupassant ins Ukrainische. Als Pidmohylnyjs bekanntetes Werk gilt sein 1928 publizierter Roman „Місто“, zu Deutsch „Die Stadt“.
In diesem Sozialisations-, Bildungs-, Künstler- und Stadtroman, welcher stark autobiographische Züge trägt, schildert er den biographischen Werdegang des Dorfjungen Stepan, der auf dem Dorf Leiter einer Bibliothek war, nach Kyjiw kommt, dort die Aufnahmeprüfung für sein Studium besteht, Agrarökonomie studiert und die Stadt am Dnipro und seine Menschen, insbesondere Zoya, kennenlernt. Im Zentrum des im Stile des Neorealismus verfassten Werks steht Stepans selbstreflexive Auseinandersetzung mit dem Dorf-Stadt-Gegensatz. Anhand der Lektüre des modernen Romans erfährt man viel Aufschlussreiches über die ukrainische Kultur und über Kyjiw in den 1920er Jahren.
Dem Guggolz Verlag kommt das Verdienst zu, erstmals eine Übersetzung von Pidmohylnyjs Hauptwerk vorgelegt zu haben. Der Berliner Verlag unter Leitung von Sebastian Guggolz fokussiert sich auf die Erst- bzw. Neuübersetzung von bisher im deutschsprachigen Raum kaum bekannten Klassikern der Weltliteratur. Dazu zählt zweifelsohne „Die Stadt“, welche 2022 in zweiter Auflage erschien. Hervorragend ins Deutsche übertragen wurde der Roman von Alexander Kratochvil, Lukas Joura, Jakob Wunderwald und Lina Zalitok. Versehen ist der Band zudem mit hilfreichen Anmerkungen und einem aufschlussreichen Nachwort der Übersetzer:innen. Angesichts des spatial turn innerhalb der Kultur- und Sozialwissenschaften liefert „Die Stadt“ ein Exempel par exellence für einen topographischen Roman. Lehrkräfte der Fächer Deutsch, Literatur und Geschichte werden durch die Lektüre des ukrainischen Klassikers motiviert, sich in einem fächerübergreifenden Projekt mit der Geschichte und Kultur der Ukraine auseinanderzusetzen oder mit der Thematik „Großstadt in der Literatur“ - anhand eines Vergleiches verschiedener Stadtromane.
Fazit: Walerjan Pidmohylnyjs Werk „Die Stadt“ ist ein Klassiker der Großstadtliteratur, dessen Anschaffung allen an der Kultur der Ukraine und an Romanen der Moderne Interessierten nur empfohlen werden kann.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Die Stadt
Walerjan Pidmohylnyj
Walerjan Pidmohylnyj (1901–1937) hat mit »Die Stadt« 1928 einen Roman geschaffen, der von der psychologischen Prosa des französischen Naturalismus, die Pidmohylnyj selbst ins Ukrainische übersetzt hat, inspiriert ist und zum Kernbestand der ukrainischen literarischen Moderne gehört. Der Existenzialismus blitzt schon durch die Zeilen, die sanft ironische Erzählweise schlägt immer wieder in bissigen Spott um – und dennoch vermag Pidmohylnyj es auf atemberaubende Weise, von den sozialen und gesellschaftlichen Verwerfungen der Zeit nicht nur zu berichten, sondern sie uns erzählerisch vor Augen zu führen und begreifbar zu machen. Stepan, dessen Weg wir lesend miterleben, kommt voller Erwartungen und mit großen Zielen in die Metropole Kyjiw, wo er ein Studium beginnen und dabei mithelfen möchte, den Sozialismus aufzubauen.
Die Stadt und ihre Bewohner faszinieren ihn, stoßen ihn aber gleichzeitig auch ab und genügen seinen überzogenen Ansprüchen nicht. Vor allem aber stürzen sie ihn in chaotische Verhältnisse und machen seine hehren Pläne zunichte: Als Stepan dann auch noch Feuer für die Schriftstellerei fängt, kommt er endgültig vom Kurs ab. Alexander Kratochvil hat in Zusammenarbeit mit Lukas Joura, Jakob Wunderwald und Lina Zalitok die abgründig schillernde Erzählung in ein elegant doppelbödiges Deutsch gebracht, mit einer Vielzahl an geschliffenen Formulierungen und zugespitzten Dialogen. »Die Stadt«, dieses Meisterwerk der ukrainischen Literatur des frühen 20. Jahrhunderts, fügt der vielstimmigen europäischen Moderne eine hierzulande bisher unbekannte weitere Facette hinzu.
»Er wolle mit seinem Roman, notierte Walerijan Pidmohylnyj 1929, die Stadt ›der ukrainischen Psyche näher bringen.‹ Eine Geschichte der Bezauberung also. (…) ›Die Stadt‹ ist zum einen ein realistisch gesättigtes Psychogramm der modernen Stadt und zum anderen ein Psychogramm des Menschen, der den Sprung in die Moderne bewältigen muss. (…) ›Die Stadt‹ bietet maximales Lektüreglück: zärtlich, klug, hart, komisch und so nahegehend wie ein Existenzroman nur sein kann.«
Christine Hamel, WDR
»Stepans Seele sei eine ›empfindliche Fotoplatte‹, konstatiert Walerjan Pidmohylnyj. Voller Enthusiasmus lässt er seinen jugendlichen Helden aus einem Dorf in der Provinz zum Studium nach Kiew aufbrechen. Die Präzision, mit der Pidmohylnyj die Großstadt und ihre Bewohner porträtiert, erinnert mitunter tatsächlich an einen Fotografen. (…) Interessant ist ›Die Stadt‹ auch aus soziologischer Sicht. Denn Stepan bewegt sich durch verschiedene Milieus, von der Universität übers Kleinbürgertum in die Künstler-Boheme und zu den Neureichen, die Politik streift er natürlich auch. Topografisch führt sein Weg vom Rand ins Kiewer Zentrum. Als Habenichts muss Stepan sich ›durchbeißen wie ein Holzwurm‹.«
Christian Schröder, Tagesspiegel
»Erstübersetzung nach fast hundert Jahren: Walerjan Pidmohylnyjs ironischer Roman ›Die Stadt‹. (…) Der ukrainische Schriftsteller, der 1935 in Stalins Großem Terror gefoltert, verurteilt und zwei Jahre später mit erst 36 Jahren in Lagerhaft erschossen wurde, erzählt seinen Künstler- und Stadtroman chronologisch in überschaubaren Szenen. Eine Erzählung Stepans wird in den Roman integriert, und die erlebte Rede nutzt Pidmohylnyj geschickt zur unaufdringlichen Ironisierung.«
Jörg Plath, Frankfurter Allgemeine Zeitung
»Mit der Schilderung vom Wechsel der Jahreszeiten in der Stadt, von ihren Geräuschen und Gerüchen, ihrem Tempo und ihren Einwohnern lässt Pidmohylnyj eine Topografie Kiews der 20er-Jahren erstehen: einer Stadt im Übergang, einer Stadt der Revolutionen. (…) Pidmohylnyjs Meisterwerk »Die Stadt« muss den Vergleich mit den anderen großen Metropolenromanen der Moderne nicht scheuen. Dank eines von dem Slawisten Alexander Kratochvil angeleiteten studentischen Übersetzungsteams liegt just in diesem traurigen Frühjahr des Krieges in Kiew eine geradezu kongeniale und von allen zeitgeistigen Gefälligkeiten freie Übertragung eines ukrainischen Klassikers über ebendiese Stadt vor, dessen impressionistischem Sog und virtuoser Erzählkunst man sich kaum entziehen kann.«
René Schlott, DIE ZEIT
»›Die Stadt‹, dieser lange verbotene ukrainische Schlüsselroman über Kiew, kann nun erstmals auf Deutsch gelesen werden. Mit Stepan schuf Pidmohylnyj eine Variation des vereinsamten Großstadtmenschen und selbstverliebten Beaus, die fasziniert und mitfühlen lässt, amüsiert und empört.«
Christoph Haacker, Deutschlandfunk Büchermarkt
»›Die Stadt‹ ist der flirrende Entwicklungsroman eines Künstlers. Es geht um die Ukrainisierung, die Stalin bald mit dem ersten Fünfjahresplan stoppte, um Aufstieg und Ankunft, Frauen und Sex. Genau beschreibt Pidmohylnyj die Atmosphäre einer Zwischenzeit, ist ironisch und spöttisch, lyrisch und sinnlich, intelligent und intellektuell in den Diskussionen in Bierkneipen und Kantinen, realistisch – und gesellschaftskritisch.«
Norbert Wehrstedt, Leipziger Volkszeitung
»Groß, zärtlich und brutal. (…) Man will ihm folgen – durch diese Stadt, durch diese Sprache. Denn jede Zigarette, die Stepan raucht, und jede Straße, die er kreuzt, ist – so, wie es da steht – große Literatur. (…) Stepan wird leiden, schreiben, träumen, Frauen lieben, Frauen hassen, auf eine literarische und schöne, üble Art. Und wir? Wir werden – auf jeder Seite – mit ihm leiden, ihn hassen und ihn lieben. Mit ihm durch Kiew spazieren. Und werden schließlich wissen, dass große Kunst niemals vernichtet werden kann.«
Anna Prizkau, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Inhaltsverzeichnis
DIE STADT
ERSTER TEIL 7
ZWEITER TEIL 161
ANHANG
ANMERKUNGEN 382
UNERWARTET 391
NACHWORT 392
STADTKARTE KYJIW 410
BIOGRAFIEN 412