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Die Bettelkönigin
Irene Stratenwerth, Thomas Bock
Psychiatrie-Verlag
EAN: 9783884142660 (ISBN: 3-88414-266-6)
120 Seiten, 14 x 19cm, 2001
EUR 12,90 alle Angaben ohne Gewähr
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Umschlagtext
"Kindchen", seufzte die dicke wollige Frau und wiegte ihren großen Kopf, »Kindchen, wie konnte das passieren? Hast du dir auch nicht weh getan?« Felix schüttelte den Kopf und fummelte stumm an den Windrädern herum. »Das macht doch nichts«, beruhigte ihn die Frau.
Liebevoll streichelte sie den Gepäckturm, der durch Finchen wundersamerweise in seiner alten Form wieder erstanden war. »Alle meine schönen Sachen sind ja heil geblieben.«
»Wofür brauchst du das eigentlich alles?« Lukas hüpfte um den Roller herum und starrte die Frau neugierig an.
»Die Sachen«, wieder verfiel sie in ihren merkwürdigen Singsang, »die Sachen brauch' ich für meine Kinder.«
»Duu hast Kinder?« Lena rutschte es einfach heraus.
»Es sind zwanzig«, antwortete die Frau ganz ernst. Sie hielt den Kopf still, schien angestrengt auf
irgendetwas zu lauschen.
»Und jetzt muss ich zu ihnen nach Haus« Würdevoll raffte die kleine Gestalt ihre wollenen Röcke. Wenige Augenblicke später war sie mit ihrem Roller um die Straßenecke verschwunden.
Rezension
Wie erklärt man Kindern, was psychische Krankheiten sind? Wie kann man sie kindgemäß erläutern, die Welt der Psychosen, Schizophrenien, Depressionen und Wahnvorstellungen? Kinder denken konkret. Diese Erkenntnis nutzt das vorliegende Buch. In Form einer spannend erzählten Geschichte nähern sich die Erzähler der schwierigen Welt der "Bettelkönigin". Ein gelungener Versuch! Wichtig halte ich die pädagogische Aufarbeitung des Gelesenen oder Gehörten. Dazu bietet der Psychatrie-Verlag eine Menge weiterer Anregungen und Hilfen.
Arthur Thömmes, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Felix lebt in einer geordneten Welt, bis er auf Finchen trifft und auf Maruschka, die auf ihrem großen Roller knallbunt und rund in das Leben der Kinder rollt. Eine merkwürdige Person. Als Felix aus Langeweile Finchen folgt in deren »Reich« am Brunnen vor dem Nordbahnhof, sieht er sie wieder: Maruschka, die Bettelkönigin. Hier steht sie mit ihrem Schild "Bin schizophren, brauche Geld für neue Farben" ...
Liebevoll und mit viel Humor erzählen Irene Stratenwerth und Thomas Bock die aufregende Geschichte von Felix und Finchen, die gemeinsam mit anderen Kindern Maruschka alias Inge Himmelblau kennenlernen. Ein modernes Großstadtmärchen mit wahrem Hintergrund: »Maruschka« lebt wirklich. Die ungewöhnlichste der drei Hautpersonen dieses Buchs hat ein lebendiges Vorbild, die Hamburgerin Hildegard Wohlgemuth. An ihrer Geschichte wird psychische Krankheit auch und gerade für Kinder begreifbar, ohne nur Schrecken oder Mitleid auszulösen.
»Maruschka« ist ein starker Mensch, eine Lebenskünstlerin, die viel zu geben hat. Ihre zeitweiligen Wahnvorstellungen und Ängste haben historische Ursachen: Als Kind wird sie im 2. Weltkrieg auf der Flucht von ihrer Familie getrennt. Ihr Kinderheim gerät unter Beschuss, eines Nachts wird der Keller getroffen. 20 Kinder sterben. Hildegard überlebt, kann die Katastrophe aber nicht vergessen und fängt an, Stimmen zu hören, Stimmen von Kindern. Sie verbringt viele Jahre in Heimen und Anstalten, bis sie in der Sorge und Verantwortung für ein eigenes Kind selbständig wird. Die 20 Kinder von damals halten sie auch heute noch am Leben. Sie sind Bestandteil ihrer Psychose und bevölkern ihre kunstvollen Bilder. Ihr endgültiges Sterben würde sie auch heute noch nicht verkraften. Inzwischen ist sie mehrfache Großmutter, lebt selbstständig in einer kleinen Hochhauswohnung. An vielen Plätzen Hamburgs ist sie zu Hause und verkauft oder verschenkt ihre Bilder.
Die Bettelkönigin« ist kein pädagogisches Buch, sondern eine spannend erzählte Geschichte für Kinder ab 8 Jahren. Es ist gut geeignet als Vorlesebuch in Gruppen und im Klassenverband. Es stellt Verbindungen her zwischen kindlicher und psychotischer Welt, vermittelt einen realistischen Eindruck von Psychiatrie und beugt so üblichen Vorurteilen vor. Mit dieser Konzeption hat die Bettelkönigin 1998 den internationalen Journalismuspreis gewonnen, mit dem herausragende Leistungen für die Wiedereingliederung schizophrener Patienten ausgezeichnet werden.
Die Bettelkönig erschien 1998 im Kore-Verlag, der leider im letzten Jahr Konkurs anmelden musste und deshalb das mittlerweile vergriffene Buch nicht mehr auflegen konnte. Da die Nachfrage nach dem Buch ungebrochen ist, gibt es nun im Psychiatrie-Verlag eine Paperback-Ausgabe.
Inhaltsverzeichnis
PERSONEN 6
MONTAG 21. MÄRZ
Frühling oder die Frau mit dem Roller 7
DIENSTAG 22. MÄRZ
Eine dämliche Aufgabe 13 - Ein Irokese am Brunnen 16
MITTWOCH 23. MÄRZ
Fernsehen ohne Fernseher oder Felix hat Fragen 23 -
Kein Schutzengel am Bahndamm 27 - Hellgrün und Rosa 29
Eine Villa auf Rädern 31
DONNERSTAG 24. MÄRZ
Pläne in Manzims Eisdiele 34 — Bombenalarm 36
Ärger mit den Glatzen 39 - Nach Paris, mein Herzchen 42
FREITAG 25. MÄRZ
Herr Hansen macht sich Sorgen 45 - Verpißt euch! 48 -Eine Postkarte vom Eiffelturm 51 - Die andere Seite des Bildes 55 - Sind wir hier im Kloster? 57 - Im Hochhaus von Frau Himmelblau 61 - Plietsch wie ein Pinguin 65
SAMSTAG 26. MÄRZ
Jürgen Klaps kommt ins Stottern 68 - Geheime Expedition 71 - Das große Lachen 74 - Dies ist eine Klinik und kein Kinderspielplatz 78 - Der Brief 81 - Papa macht den Fernseher aus 85
SONNTAG 27. MÄRZ
Das Ballett der Bäume 88 - Etwas mehr Zitrone bitte 91 -Ein indianisches Freudenfeuer 95
MONTAG 14. MAI Klassenreise 101
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