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Begleitet sterben - Leben im Übergang Aspekte guter Sterbebegleitung. Ein Handbuch
Begleitet sterben - Leben im Übergang
Aspekte guter Sterbebegleitung. Ein Handbuch




Klaus Strasser, Klaus Körber, Ernst Richard Petzold (Hrsg.)

Random House , Gütersloher Verlagshaus
EAN: 9783579073026 (ISBN: 3-579-07302-8)
272 Seiten, hardcover, 17 x 23cm, April, 2013

EUR 29,99
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Um Menschen ein würdevolles Sterben zu ermöglichen, sollten ihre Wünsche und Bedürfnisse sensible Aufmerksamkeit finden. Wie kann das gelingen - in Klinik und Altenheim, in Hospiz und zu Hause?

In diesem Band bündeln Autorinnen und Autoren verschiedener Fachrichtungen und Tätigkeitsfelder aus den Bereichen Palliativmedizin, Hospizarbeit und Sterbebegleitung ihr Wissen und ihre Erfahrung. Entstanden ist ein Lern- und Lesebuch für alle, die Sterbende begleiten und mit ihnen gemeinsam das Leben im Übergang gestalten und zu einem guten Ende bringen wollen.



Mit einem Geleitwort von Monika Müller und Beiträgen von

Cornelia Jakob-Krieger, Marianne Kloke, Ernst Richard Petzold, Klaus Strasser und Michael Zenz.
Rezension
Die Verdrängung des Todes und die Verlagerung des Sterbens in besondere Einrichtungen und Institutionen führen zu einem wachsenden Bedürfnis nach Orientierung über die Art und Weise, Sterbende auf ihrem letzten Lebensabschnitt zu begleiten. Unsere Gesellschaft wird immer älter. Die Sterbephase als Teil des Lebens nimmt einen immer bedeutenderen Raum ein. Zugleich ist die Gesellschaft immer noch einem Jugendwahn verfallen, der Sterben und Tod weitgehend ignoriert und tabuisiert. Dieses Handbuch gibt in 9 Kapiteln (vgl. Inhaltsverzeichnis) Anregungen für eine gute Sterbebegleitung - sowohl für Laien wie für Profis. Das Buch versammelt Wissen und Erfahrungen von Autor/innen aus verschiedenen wissenschaftlichen Fachrichtungen und beruflichen Tätigkeitsfeldern. Sie alle beziehen sich auf Sterbebegleitung, Hospizarbeit oder Palliativmedizin.

Thomas Bernhard für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Die letzte Lebensphase würdevoll und sensibel gestalten

Um würdevoll sterben zu können, sollten die Wünsche und Bedürfnisse des sterbenden Menschen sensible Aufmerksamkeit finden. Wie kann das gelingen – in Klinik und Altenheim, in Hospiz und zu Hause? In diesem Band bündeln Autorinnen und Autoren verschiedener Fachrichtungen und Tätigkeitsfelder aus den Bereichen Palliativmedizin, Hospizarbeit und Sterbebegleitung ihr Wissen und ihre Erfahrung. Entstanden ist ein Lern- und Lesebuch für alle, die Sterbende begleiten und mit ihnen gemeinsam das Leben im Übergang würdevoll gestalten und zu einem guten Ende bringen wollen.

Professor Dr. Klaus Strasser, 1980 - 2005 Leitender Arzt der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie am Alfried Krupp Krankenhaus in Essen, ist seit mehr als 20 Jahre in der Hospizarbeit engagiert; seit 2008 Vorstand Hospizarbeit Essen e.V.

Diplom-Soziologe Klaus Körber, langjährige Forschungs- und Lehrtätigkeit v.a. zu Fragen von Bildung, Arbeit und bürgerschaftlichem Engagement; zusammen mit seiner verstorbenen Frau Karin langjährige Erfahrungen in ehrenamtlicher Sterbebegleitung.

Professor Dr. Ernst Richard Petzold, nach Studium der Evangelischen Theologie und Humanmedizin Facharzt für Innere Medizin und Psychotherapeutische Medizin; 1991 - 2003 Lehrstuhlinhaber sowie Klinikdirektor für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der RWTH Aachen; 1997 - 2009 erster Vorsitzender der Deutschen Balintgesellschaft; Mitbegründer und Herausgeber des Balint Journals.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Klaus Strasser, Klaus Körber, Ernst Richard Petzold 11

Geleitwort
Monika Müller 12

1. Gelingendes Begleiten am Lebensende
Klaus Strasser, Marion Kutzner 15

1.1 Entwicklungstendenzen zum Lebensende in der modernen Gesellschaft 16
1.2 Das Besondere der letzten Lebensphase 17
1.3 Kommunikation am Lebensende – Basale Stimulation 18
1.3.1 Atemstimulierende Einreibung 21
1.3.2 Arm- und Handeinreibung 21
1.3.3 »Es ist unvorstellbar« 22
1.3.4 Nonverbale – verbale Signale 22
1.3.5 Noch ein Beispiel aus dem Leben 25
1.4 Wahrheit und Wahrhaftigkeit 26
1.5 Angst und Furcht infolge einer Auseinandersetzung mit der Wahrheit 28
1.6 Hoffnung, Hoffnungsinhalte, Phasen der Hoffnung 28
1.6.1 Phasen der Hoffnung 30
1.6.2 Hoffnungskonflikte zwischen Patient und Angehörigen 31
1.7 Regeln zur Begleitung am Lebensende 32
1.8 Auf dem Weg zum Gelingenden Begleiten 33

2. Palliative Therapiekonzepte am Lebensende – Schmerztherapie und Symptomkontrolle
Marianne Kloke 35

2.1 Schmerztherapie 35
2.1.1 Was ist Schmerz? 35
2.1.2 Entstehung und Erfassung von Schmerzen 36
2.1.3 Planung der Schmerzbehandlung 37
2.1.4 Methoden der Schmerzbehandlung 37
2.1.5 Schmerzbehandlung mit Medikamenten 38
2.1.6 Grundregeln medikamentöser Schmerzbehandlung 38
2.2 Fragen und Antworten zu Opiaten 41
2.3 Ergänzende Schmerzmittel (Ko-Analgetika) 44
2.4 Behandlung von Symptomen des Magen-Darm-Traktes 47
2.4.1 Appetitlosigkeit außerhalb der Sterbephase 47
2.4.2 Übelkeit und/oder Erbrechen 51
2.4.3 Verstopfung (Obstipation) 53
2.4.4 Durchfall (Diarrhoe) 56
2.4.5 Bauchwasser (Aszites) 57
2.4.6 Gelbfärbung von Haut und Augenbindehaut (Gelbsucht = Ikterus) 58
2.4.7 Darmlähmung/-verschluss (Ileus) 58
2.5 Symptome des Atemtraktes 59
2.5.1 Husten 59
2.5.2 Luftnot (Dyspnoe) 60
2.5.3 Erstickungsangst 63
2.6 Psychische und neurologische Symptome 63
2.6.1 Akutes Verwirrtheitssyndrom (Delir) 63
2.6.2 Innere Unruhe und Angst 66
2.6.3 Depression 67
2.6.4 Erschöpfung (Fatigue) 69
2.7 Symptome der Haut 71
2.8 Therapeutische Sedierung 72
2.8.1 Was tun, wenn alles nicht mehr hilft? 72
2.8.2 Durchführung einer Sedierung 72
2.9 Besonderheiten der Sterbephase 74
2.9.1 Einleitung 74
2.9.2 Kennzeichen der letzten Lebensphase 74
2.9.3 Medizinisch pflegerische Betreuung 76
2.9.4 Spirituelle Begleitung 76
2.9.5 Rechte des Sterbenden und ihre Anwendung 77

3. Supervision – Besonderheiten in der Arbeit mit Ehrenamtlichen im ambulanten Hospizdienst
Cornelia Jakob-Krieger 82

3.1 Wie kann Supervision in diesem Feld aussehen? 83
3.1.1 Integrative Supervision – theoretischer Hintergrund 83
3.1.2 Der komplexe Leibbegriff 83
3.1.3 Die Intersubjektive Ko-respondenz 84
3.1.4 Die hermeneutische Spirale 85
3.1.5 Komplexes Lernen 86
3.1.6 Das Tetradische System 87
3.1.7 Ein Praxisbeispiel 87
3.1.8 Bezug zur Theorie 90
3.2 Was kann (oder sollte) Supervision für die Ehrenamtlichen im ambulanten Hospizdienst leisten? 93
3.3 Weiterbildungen als Ergebnis von Supervision 95

4. Balintarbeit – eine Heimat für Ärzte, warum nicht auch für Ehrenamtliche?
Ernst Richard Petzold 97

4.1 Michael Balint 98
4.2 Gott in der Vorlesung 99
4.2.1 Ganzheit von Körper und Seele 99
4.2.2 Es kann aber auch anders sein 100
4.3 Sterben? 101
4.4 Struktur und Methoden der Balintarbeit 102
4.5 Zur Weiterentwicklung der Balintarbeit 104
4.5.1 Frau A. – »Ich möchte sie am liebsten schütteln!« 105
4.5.2 Frau O. – teilnehmende Fragen 107
4.5.3 »Begleitung auf dem letzten Weg« 111
4.6 Balintarbeit – drei Verständnis-Positionen 113
4.6.1 Training verbunden mit Beziehungsforschung 113
4.6.2 Patientenzentrierte Selbsterfahrung 114
4.6.3 Herrschaftsfreier Raum 114
4.7 Balint – Anthropologische Medizin – Evidence Based Medicine 114
4.8 »Balintarbeit – eine Art Heimat, eine Art Urlaub« 116
4.9 Abschied und Neubeginn 118

5. Sind wir auf dem Weg zu einer neuen Sterbekultur?
Klaus Körber 120

5.1 »Oh Herr, gib jedem seinen eignen Tod« – Statt einer Einleitung 120
5.2 »Der Tod ist immer gleich, doch jeder stirbt seinen eigenen Tod« 123
5.3 »Sterben wird in der Neuzeit aus der Merkwelt der Lebenden immer weiter herausgedrängt« 127
5.4 »Der Tod hat keine eigenständige Bedeutung mehr« 130
5.5 »Die Aufgabe des Arztes ist es, manchmal zu heilen, häufig zu lindern, immer zu trösten« 132
5.6 Vom »Heiligen Tod im Felde« zu »Thanatotainment« und »Tod 2.0« 137
5.7 »Der Tod und was danach kommt« 142
5.8 Auf dem Weg zu einer neuen Sterbekultur 148

6. Angehörige, Freunde, Ehrenamtliche – Sterbebegleitung, persönliches Vertrauen und bürgerschaftliches Engagement
Klaus Körber 149

6.1 Karins Geschichte 150
6.2 Vertrauen in die Medizin und dessen Grenzen 152
6.3 Zusammenbruch der existenziellen Selbstgewissheit 156
6.4 Angehörige und Freunde: Vertraute Begleiter – hilfreiche Wirkungen 160
6.5 Spontanremission, Selbstheilung, Spiritualität 164
6.6 Die meisten wollen zu Hause sterben – aber nicht alle 170
6.7 Palliativmedizin, Palliative Care und Zu-Hause-Sterben 175
6.8 Die Hospizbewegung »am Scheideweg« zwischen Gesundheitssystem und bürgerschaftlichem Engagement 180
6.9 Zur Zukunft der Hospizbewegung 184
6.10 Bürgerschaftliches Engagement ist unverzichtbar 189

7. Ärztliche Aufgaben am Lebensende
Klaus Strasser 191

7.1 Die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung 192
7.2 Begriffe zur Sterbehilfe 193
7.2.1 Sterbehilfe – der Begriff 193
7.2.2 Passive Sterbehilfe 194
7.2.3 Indirekte Sterbehilfe 194
7.2.4 Ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung 195
7.3 Meinungen und Erwartungen in Gesellschaft und Ärzteschaft 197
7.4 Beispiele der Meinungsänderung bei Betroffenen zur Lebensbeendigung 198
7.5 Aktuelle, brisante Fragestellungen 200
7.6 Regelungen zur Euthanasie in europäischen Ländern 202
7.6.1 Niederlande 202
7.6.2 Belgien 203
7.6.3 Dänemark 204
7.6.4 Deutschland 204
7.7 Kommunikation – Gespräche mit Sterbenden 204
7.7.1 Kommunikation mit Demenz-Patienten 205
7.7.2 SPIKES-Protokoll 205
7.7.3 Befähigung zur Kommunikation 209
7.8 Patientenverfügung 209
7.8.1 Das neue deutsche Gesetz 210
7.8.2 Gedanken zur Patientenverfügung aus ärztlicher Sicht 211
7.8.3 Gründe und Anlässe zur Erstellung einer Patientenverfügung 212
7.8.4 Das Beratungsgespräch 212
7.8.5 Ärztliche Kompetenz für die Beratung 214
7.8.6 Besondere Situationen für die Patientenverfügung 214
7.8.7 Zusammenfassende Schlussgedanken zur Patientenverfügung aus ärztlicher Sicht 217
7.9 Palliativmedizin 218
7.9.1 Situation in Deutschland 218
7.9.2 AAPV und SAPV 220
7.9.3 Künstliche Ernährung 221
7.10 Die wichtigsten ärztlichen Aufgaben am Lebensende – Resümee 223

8. Gibt es einen guten Tod? – Fragen nicht erst zum Lebensende
Michael Zenz 224

8.1 Sterben in Würde 224
8.2 Für einen guten Tod 227
8.3 Divergierende Studienergebnisse 227
8.4 »Bist du im Frieden mit dir selbst?« 229
8.5 Vorbereiteter, natürlicher Tod 229

9. Leben und Sterben – Kirche, Religion, Spiritualität und unsichtbare Bindungen
Ernst Richard Petzold 231

9.1 »Ehrenamtliche« 232
9.2 Geschichten für die »große Reise« 233
9.2.1 Tolstoi – Parzival 233
9.2.2 Die Frage nach dem Himmel 234
9.2.3 Tod – Jenseitsglaube – Rituale 235
9.2.4 »Das Leben selbst stirbt nicht« 237
9.2.5 Religion: was den Menschen und seine Welt übersteigt 238
9.2.6 Gilgamesch, Orpheus – Himmel, Hölle, Fegefeuer 239
9.3 Leben im Übergang – Sterben und Tod 240
9.4 Rituale und Bräuche im Umgang mit Tod und Sterben 242
9.4.1 Totenglocke 242
9.4.2 Ewigkeits-/Totensonntag 243
9.4.3 »Liegen hier Menschen?« 243
9.4.4 Bestattungsweisen 244
9.4.5 Zur Funktion von Ritualen und Bräuchen 244
9.4.6 Zugang zur Transzendenz 245
9.4.7 Wozu Religion und Kirchen? 245
9.5 Unsichtbare Bindungen 247
9.6 Träume können unsichtbare Bindungen sichtbar machen 249
9.7 Spiritualität und Religion – Kontakt mit »drüben« 251
9.7.1 »Readings« 251
9.7.2 »Ewiges Leben« 253
9.7.3 »Spiritualität« – »Religiosität« 253
9.8 Fragen an die Religion sind Lebensfragen 254
9.8.1 Gegenwind Gottes 254
9.8.2 Worte und Zeichen 255
9.8.3 »Diktate über Tod und Sterben« 256

Literaturhinweise 259
Die Herausgeber, Autorinnen und Autoren 272



Vorwort
Mit diesem Buch möchten wir Menschen erreichen, die sich engagiert mit
der letzten Lebensphase beschäftigen und auseinandersetzen – Menschen,
die dies aus ganz persönlichen Gründen tun, ebenso wie Menschen, die sich
aufgrund beruflichen oder ehrenamtlichen Engagements für ein würdevolles
Sterben einsetzen. Das Buch versammelt Wissen und Erfahrungen von Autoren
und Autorinnen aus verschiedenen wissenschaftlichen Fachrichtungen
und beruflichen Tätigkeitsfeldern. Sie alle beziehen sich auf Sterbebegleitung,
Hospizarbeit oder Palliativmedizin. So ist ein Lern- und Lesebuch entstanden
für alle, die Sterbende begleiten. Bei der Themenauswahl als auch bei der
sprachlichen Darstellungsform haben wir deshalb besonderen Wert darauf
gelegt, dass die einzelnen Beiträge für Laien verständlich sind und dennoch
auch interessant und informativ für Fachleute.
Leben im Übergang: Die letzte Lebensphase gehört noch zum Leben, aber
sie unterscheidet sich bereits deutlich davon. Viele Erfahrungen der Sterbenden
sind einmalig und ganz anders als die in ihrem bisherigen Leben. Die
Unausweichlichkeit des Todes verleiht ihnen eine besondere existenzielle,
oftmals bedrohliche und Angst machende Dringlichkeit. In dieser Situation
kommt es auf persönliche Zuwendung und gelingendes Begleiten an. Es geht
nicht mehr um Heilen und Leben-Verlängern, sondern darum, Schmerzen
und andere Beschwerden zu lindern und ein »gutes Sterben« zu ermöglichen.
Und es geht um Wertschätzung, Sinn und Trost. Deshalb spielen in dieser
Phase neben angemessener medizinischer und pflegerischer Betreuung psychosoziale
und spirituelle Achtsamkeit und Unterstützung eine so große
Rolle. Das sind gemeinsame Aufgaben, an denen nicht nur professionelle
Helfer und ehrenamtliche Begleiterinnen, sondern auch Angehörige und
Freunde der Sterbenden zu beteiligen sind.
Bei der Erstellung des Buches haben wir intensive Unterstützung von
unseren Familien und Freunden erfahren, dafür sind wir allen sehr dankbar.
Besonderer Dank für die finanzielle Förderung unseres Projektes gilt Herrn
Prof. Dr. h. c. mult. Berthold Beitz, Vorsitzender und geschäftsführendes Mitglied
des Kuratoriums der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung.
Zum guten Gelingen des Vorhabens hat sicher beigetragen, dass die drei
Herausgeber seit der Schulzeit Freunde sind und sich über einen längeren
Zeitraum und lange vor dem Buchprojekt immer wieder über diese Thematik
miteinander ausgetauscht haben.
Wir hoffen, dass unser Buch einen Beitrag dazu leistet, Sterben und Sterbebegleitung
endgültig aus der Tabuzone zu holen und eine neue Sterbekultur
auf den Weg zu bringen, die einen Rahmen schafft für ein würdevolles
und möglichst sinnerfülltes Sterben in unserer Gesellschaft.

Im Februar 2013 Klaus Strasser, Klaus Körber, Ernst Richard Petzold


Geleitwort
Was bewirkt eine »neue Sterbekultur«? Wir wissen doch, was Hospizarbeit
und Palliativmedizin bewirken oder bewirken sollen: ein Sterben in Schutz
und Geborgenheit, Schmerzlinderung und sogar Schmerzfreiheit, eine Verbesserung
der quälenden Symptome wie Atemnot, Müdigkeit, Übelkeit und
Erbrechen, auch die Erleichterung von Sorgen und Ängsten. Lebensqualität,
so können wir es immer wieder werbend sagen, die Lebensqualität steht im
Vordergrund, diese wollen wir bestärken oder wieder herstellen. Und – so
wissen wir außerdem – es geht in der Hospizarbeit darum, nicht dem Leben
mehr Tage hinzuzufügen, sondern den Tagen mehr Leben, wie es Cicely Saunders
so treffend sagte. All das wissen wir und setzen es tagtäglich um. Unsere
Dienste und Institutionen sind bekannt, stehen für Qualität, wir haben Ansehen,
viele sterbende Menschen und ihre Familien danken es uns. Also: was
soll die Frage?
Nun, ich meine mit meiner Frage ja gar nicht die Patienten, die Gäste, die,
denen unsere Sorge und Hingabe gilt, auch nicht ihre Angehörigen und
Freunde. Ich meine: uns selbst. Uns, die hauptamtlichen und ehrenamtlichen
Helferinnen und Helfer, die anderen Hauptberuflichen in den Pflegediensten,
Krankenhäusern, Altenheimen, Pfarren, Arztpraxen, die im weitesten Sinne
mit zu unserem Team gehören. Was bewirkt in uns Hospizarbeit?
Da ist vielleicht gar nicht so schnell zu antworten. Und mit verbesserter
Lebensqualität können wir die Frage auch nicht abtun, denn da ist oft großes
Leid, das uns nahe geht, ja häufig nachgeht, da ist die Frage nach dem Sinn
und der Theodizee, da lassen uns Bilder von Krankheiten und Nöten manches
Mal nicht schlafen, da entwickeln sich in uns Ängste, dass auch wir krank
werden, einen geliebten Menschen verlieren können, da opfern wir viel Zeit
und Kraft. Und doch. Die neue Sterbekultur bewirkt etwas in uns.
Da ist vielleicht zum einen das Erkennen der Kostbarkeit von Leben. So
zart, so zerbrechlich, und wir haben gelernt, behutsamer mit diesem Leben
umzugehen. Vielleicht gelingt es uns heute mehr und öfter als früher, dieses
Geschenk anzunehmen, es bewusst umzusetzen und nicht zu warten und zu
verschieben auf ein Demnächst, auf ein Später, wenn … Vielleicht leben wir
mehr und tiefer in den Minuten und Stunden und Tagen, die uns gegeben
sind. Vielleicht haben wir auch gelernt, Ballast abzuwerfen von dem, was nicht
nötig ist, was nur Beiwerk und Äußeres ist, was wir nicht durch unser Leben
schleppen wollen bis zur letzten Stunde. Dazu gehören vielleicht auch Beziehungen,
die uns nicht mehr gut tun, Menschen, die uns ausnutzen, Tätigkeiten,
die uns nur noch ermüden.
Es ist auch vorstellbar, dass uns die Arbeit und das Leben mit der Hospizidee
in eine andere Kommunikation mit anderen und mit uns selber bringt.
Indem sich der Mensch seiner selbst bewusst wird, ist es ihm möglich, eine
Position außerhalb seiner selbst einzunehmen und von dort aus zu reflektieren.
Sich von außen zu sehen heißt: Sich mit den Reaktionen anderer auf sich selbst
und den eigenen Reaktionen auf andere beschäftigen. Auf diese Weise kommt
der Mensch zu einer Selbstdefinition und zu einem Selbstverständnis, an denen
er seine Handlungen, auch die kommunikativen, orientiert. Das Kommunikationsverhalten
eines Menschen wird von seiner Selbstdefinition und seinem
Selbstverständnis entscheidend geprägt. Seine Kommunikationen sind nachweisbar
entsprechend der Art, wie er sich selbst versteht.
Möglicherweise ist auch die Auseinandersetzung mit Leid etwas, was wir
nach all den Jahren auf der Haben-Seite spüren. Gerade die Arbeit mit sterbenden
Menschen, der Umgang mit Leid und unausweichlicher Endlichkeit
erfordert eine intensive Auseinandersetzung und stellt intraindividuell die
Frage an den Helfer: »Wie steht es mit dem eigenen Leid?«, also die Frage nach
der eigenen Leidfähigkeit. Es scheint der moderne Mensch und hier besonders
die Mitarbeiter des Gesundheitssystems von einer besonderen Krankheit
befallen zu sein: er kann und will nicht mehr Leiden mit ansehen und zulassen.
Zur Geschöpflichkeit des Menschen – auch des Arztes, der Pflegekraft,
der anderen Berufsgruppenzugehörigen – gehören selbst in der Palliativmedizin
und Hospizarbeit, bei allen Fortschritten in Schmerztherapie und Symptomkontrolle,
Enttäuschungen, Verzichte, Frustrationen, Hilflosigkeit,
schmerzliche Abschiede und angsterzeugende Neuanfänge. Sich mit diesen
Leidspuren im eigenen Leben auseinander zu setzen und sich ihnen in Wahrheit
zu stellen, muss geleistet werden, damit man sich den sterbenden Patienten
und ihrer Wirklichkeit in Wahrheit stellen kann. Sich der Wahrheit
zum eigenen Leiden und eigenen Tode zu stellen, meint das Hereinnehmen
des Todes in die eigene Existenz. In eine solche Haltung wird man nicht
hineingeboren, man kann in sie nur allmählich hineinwachsen. Man kann
sie auch verfehlen, und es gibt mehr Beispiele für die letztere als für die erstere.
Aber dadurch wird nicht widerlegt, dass Wert und Wirkung helfenden
Beistandes beim fremden Tod eine Echtheit gegenüber der Tatsächlichkeit
des Todes voraussetzten, die nur im Vorbewusstsein des eigenen Todes und
durch innere Reifung zu ihm gewonnen werden kann.
Es kommt nicht nur auf das Todesverständnis an, also auf die intellektuelle
Akzeptierung einer Lehre vom Tod, sondern auf die Todesaneignung,
also auf das existenzielle Annehmen einer über uns verhängten Bestimmung,
die doch in Freiheit von uns beantwortet werden will. In der Wahrheit zum
eigenen Leid und Tod stehen bedeutet, sich selbst auch als wesensmäßig
Leidender und Sterbender zu erkennen und daraus die Folgerung zu ziehen,
sein Leben darauf hin zu gestalten. Und wenn wir dieser ernsten Wahrheit
dann auch noch mit Humor begegnen können, dann haben wir in der Hospizarbeit
unseren größten Lehrmeister gefunden.
Denn Ernst ist nicht das Gegenteil des Humors, sondern im Ernst hat der
Humor seinen Wurzelgrund. Der Ernst besteht im Bewusstsein der vollkommenen
Übereinstimmung und Kongruenz eines Begriffs oder Gedankens
mit dem Anschaulichen oder der Wirklichkeit. Der Ernst kennt und weiß
um die Tragik der Situation und ihre Ausweglosigkeit. Der Humor ergänzt
ihn, geht noch einen Schritt weiter, benennt das Verhängnis ohne Peinlichkeit
und verzichtet auf Ausflucht und Beschönigung. Der Humor versucht,
durch Verschieben eine Diskrepanz zuwege zu bringen, um nicht in eine
Identität mit dem Verhängnisvollen zu geraten. Der Humor bejaht; er könnte
es nicht, wenn er nicht durchschaute und sich eine gewisse innere Unabhängigkeit
bewahrte. Der Humor weiß um die Bedrohung, aber er stellt sich ihr
aus einer tief eingewurzelten Lebensfreude und -wärme, begegnet ihr mit
Güte, nicht mit Schärfe.
Wir sind mehr als die Verhältnisse, in denen wir uns befinden. Wir können
sie mit diesem Wissen auch verändern. Das kann die neue Sterbekultur
bewirken. Und diese Wirkkraft wünsche ich Ihnen und mir und allen Leserinnen
und Lesern dieses Buches von Herzen.
Monika Müller

Geleitwort
1. Gelingendes Begleiten am Lebensende 15
1. Gelingendes Begleiten am Lebensende
| Klaus Strasser und Marion Kutzner |
»Der Tod ist doch etwas so Seltsames, dass man ihn, unerachtet aller Erfahrung,
bei einem uns teuren Gegenstand nicht für möglich hält und er
immer als etwas Unglaubliches und Unerwartetes eintritt. Er ist gewissermaßen
eine Unmöglichkeit, die plötzlich zur Wirklichkeit wird.
Und dieser Übergang aus einer uns bekannten Existenz in eine andere, von
der wir gar nichts wissen, ist etwas so Gewaltsames, dass es für die Zurückbleibenden
nicht ohne tiefe Erschütterung abgeht.«
Johann Wolfgang von Goethe
im Gespräch mit Eckermann zum Tode eines nahen Menschen
Einleitende Erklärung
Die nachfolgend dargestellten Gedanken beruhen auf den Ergebnissen der
hospizlichen Arbeit beider Autoren, zuletzt seit mehreren Jahren gemeinsam
im ambulanten Hospizdienst am Alfried Krupp Krankenhaus in Essen. Dieser
wurde von mir 1994 gegründet und wurde zu Beginn getragen von den
Teilnehmern meines Gesprächskreises Patientenbegleitung in der letzten Lebensphase,
den ich mehr als 20 Jahre geleitet habe. Die zahlreichen und sehr
eindrücklichen Darstellungen von Begegnungen der ehrenamtlichen Mitarbeiter
unserer Hospizgruppe mit den Sterbenden haben unser Wissen über
und unsere Erfahrung in der Hospizarbeit ebenso bereichert wie die wissenschaftlichen
Veranstaltungen, davon sieben Symposien, die wir gemeinsam
mit allen Essener Hospizgruppen durchgeführt haben. Ein wichtiges Ziel
zur wesentlichen Verbesserung der Betreuung von Menschen in der letzten
Lebensphase war auch die Vernetzung der in Essen tätigen Palliativ- und
Hospizgruppen 2003 im Netzwerk Palliativmedizin Essen (NPE), zu dessen
Gründungsmitgliedern ich gehörte.
Wenn im Text die Ich-Form gewählt wird, so ist damit Klaus Strasser und
auf der Seite 21 Marion Kutzner gemeint.
16 Klaus Strasser und Marion Kutzner
1.1 Entwicklungstendenzen zum Lebensende
in der modernen Gesellschaft
Sterben gehört zum Leben, Sterben ist Leben, Leben im Übergang. Während
früher Sterben und Tod eine Angelegenheit der ganzen Familie waren, ist
dies heute eher die Ausnahme, da die meisten Menschen im Krankenhaus
oder Altenheim sterben.
Unsere Gesellschaft hat den Bereich Sterben und Tod weitgehend aus
ihrem Bewusstsein ausgeklammert. Die Ausgrenzung der letzten Lebensphase
aus dem familiären und häuslichen Bereich hat letztendlich zur Tabuisierung
und Anonymisierung geführt. Der Tod ist bei uns kein Thema. Darin ist
einer der Hauptgründe für die Furcht in unserer Gesellschaft vor dem Umgang
mit Sterben und Tod zu sehen. Beim Sterbenden kann es Furcht davor
sein, die Belastung der letzten Phase nicht ertragen zu können oder auch den
Angehörigen zu sehr zur Last zu fallen, auch Furcht davor, Schmerzen erleiden
zu müssen. Bei den Angehörigen ist es oft Furcht davor, der Belastung
nicht gewachsen zu sein, die sich aus vielschichtigen Problemen beim Sterbenden
ergeben können. Bei allen Beteiligten wird Furcht auch durch die
Frage nach dem Lebenswert ausgelöst, nicht zuletzt deshalb, weil schon die
Frage danach, sowohl beim Fragenden als auch viel mehr noch beim Befragten,
die verneinende Antwort impliziert. Der Theologe und Philosoph Ulrich
Eibach lehnt in diesem Kontext sehr entschieden die in anderen philosophischen
Richtungen vertretene Meinung ab, dass das Leben des Menschen
dann beendet werden könne, »wenn er selbst kein bewusstes Interesse am
Leben mehr äußern könne und/oder für andere, z. B. Angehörige, und die
Gesellschaft zur dauernden Last werde« (vgl. Eibach, 1997). Vom australischen
Philosophen Peter Singer werden zu dieser Personengruppe Demente,
Komapatienten und Neugeborene gezählt (vgl. Singer, 1984). Als Vertreter
einer utilitaristischen Philosophie misst er den Wert des Menschen an seinem
Nutzen für die Gesellschaft.
Da die Gesellschaft einen größtmöglichen Anspruch auf Autonomie in
allen Lebenssituationen stellt, ist es verständlich, dass auch für die letzte
Lebensphase der Ruf nach Regelung und Beseitigung von Unsicherheiten
laut geworden ist. Aktive Sterbehilfe, also Tötung, ist nicht selten in unserer
Gesellschaft eine der geforderten Lösungsmöglichkeiten. Auch der Theologe
und Philosoph Hans Küng sieht unter Einhaltung gewisser Bedingungen in
der Euthanasie eine Lösung für problematische Sterbesituationen: »Die Frage
nach dem menschenwürdigen Sterben darf [...] nicht davon (von der aktiven
Sterbehilfe) losgekoppelt bleiben« (Jens/Küng, 1995).
1. Gelingendes Begleiten am Lebensende 17
In den Niederlanden wird die strafrechtlich nicht verfolgte Euthanasie seit
Beginn der 1990er Jahre praktiziert und ist seit Längerem gesetzlich geregelt.
Der Philosoph Robert Spaemann und der Mediziner Thomas Fuchs weisen
in ihrem Werk zur Euthanasiedebatte »Töten oder sterben lassen« sehr eindrücklich
auf die Fragwürdigkeit der in unserem Nachbarland praktizierten
Vorgehensweise hin (vgl. Spaemann/Fuchs, 1997). Sie erwähnen auch das
von dem australischen Arzt P. Nitschke entwickelte computergesteuerte
Death-Delivery-System, mit dem sich am 26.09.1996, drei Monate nach Legalisierung
der Euthanasie in Nordaustralien, erstmals ein krebskranker Patient
durch Tastendruck die programmierte tödliche Injektion verabreichte.
Der Arzt brachte die Apparatur am Patienten an, der sie dann mittels eines
Laptops startete und sich die tödliche Dosis injizierte. Vier Jahre später wurde
die Legalisierung der Euthanasie in Australien wieder aufgehoben.
Während Euthanasiebefürworter die letzte Lebensphase als nicht lebenswert
verstehen und dem Leben deshalb ein Ende setzen wollen, besteht der
Hospizgedanke darin, die Sterbephase so zu gestalten, dass diese für den
Betroffenen (eben doch) lebenswert ist und er seine Würde bewahren kann.
Dies ist das wertvolle Ziel des Gelingenden Begleitens. Möglich wird es durch
das Engagement von Angehörigen und Freunden sowie den Einsatz der ehrenamtlichen
und professionellen Mitarbeiter hospizlicher und palliativer
Einrichtungen (vgl. Müller, 2004).
1.2 Das Besondere der letzten Lebensphase
Die letzte Lebensphase erlebt jeder Mensch ganz persönlich (vgl. Körber,
Kapitel 5: Sind wir auf dem Weg zu einer neuen Sterbekultur?). Sie ist gekennzeichnet
durch Einmaligkeit und Bedingungslosigkeit. Bereits im Verlauf des
Lebens erleben wir Situationen, die durch Einmaligkeit und Bedingungslosigkeit
charakterisiert sind. Die Einmaligkeit ist Merkmal des menschlichen
Lebens, auch wenn wir uns dessen nicht immer bewusst sind. Nicht immer
erkennen wir die Bedingungslosigkeit von Situationen und Entwicklungen.
Im allerletzten Abschnitt unseres Lebens allerdings werden wir uns der Auseinandersetzung
mit der Einmaligkeit und Bedingungslosigkeit nicht entziehen
können, vorausgesetzt, unser Denkvermögen ist uns erhalten geblieben.
Sterbende jedoch sind manchmal nicht oder noch nicht bereit, dies zu
akzeptieren. Von der Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross wissen wir, dass es
Phasen im letzten Lebensabschnitt gibt, in denen sich die Betroffenen auflehnen
oder auch eine Verhandlungsstrategie entwickeln, um Sterben und
18 Klaus Strasser und Marion Kutzner
Tod zu umgehen oder zumindest aufzuschieben (vgl. Kübler-Ross, 1971).
In dem Abschnitt über die Hoffnung wird darauf in diesem Kapitel noch
besonders eingegangen.
Es ist gut und wichtig, um diese Dinge zu wissen, damit uns die Begleitung
eines Menschen am Lebensende gelingt. Dem Betroffenen soll ein Sterben
in Würde bei weitestgehender Erhaltung seiner Autonomie ermöglicht werden.
Dazu gehören eine menschenwürdige Unterbringung, emotionale Zuwendung,
Körperpflege, das Lindern von Schmerzen, Atemnot und Übelkeit
sowie das Stillen von Hunger und Durst. So wird es auch als Basisbetreuung
und ärztliche Aufgabe in der Präambel der »Grundsätze der Bundesärztekammer
« von 2011 bezeichnet (Bundesärztekammer, 2011). Um diese Ziele
zu erreichen, sind Liebe, Fürsorge, Demut, Toleranz und Bescheidenheit
erforderlich. Sie bilden eine wichtige Voraussetzung für gelingendes Begleiten.
Darüber hinaus sind Kenntnisse erforderlich über Bedingungen für eine
gelingende Kommunikation, für den Umgang mit Wahrheit, Wahrhaftigkeit
und Hoffnung.
Welche Orientierungshilfen gibt es nun für eine gute Begleitung?
• Sich für die Zeit der Begleitung ganz einbringen, aber sich selbst nicht
verlieren.
• Offen für die Wünsche des Betroffenen sein, aber kritisch damit umgehen.
• Sich auf Nähe einlassen, wenn der Betroffene es will, aber dabei Distanz
wahren.
• Auf Augenhöhe achten.
• Bereit sein, zuzuhören, sich öffnen für das, was der Sterbende sagen will.
So wird er ermutigt, auch über wichtige Themen zu sprechen, die ihn
beschäftigen.
• Daran denken, dass Menschen in der letzten Lebensphase oft nonverbale
Kommunikationssignale geben.
1.3 Kommunikation am Lebensende – Basale Stimulation
Kommunikation findet zu einem großen Teil nonverbal durch Körperhaltung,
Mimik, Handbewegung, Blick, Gesten, Verhalten und Grundstimmung
statt. Stimmhafte Kommunikation hingegen vollzieht sich verbal
durch Worte und hat einen vokalen Anteil durch Lautstärke, Stimmlage,
Betonung, Pausen und Sprechgeschwindigkeit (vgl. Bucka-Lassen, 2005).
1. Gelingendes Begleiten am Lebensende 19
Für die Kommunikation am Lebensende ist es wichtig, diese Komponenten
zu kennen, wobei zusätzlich einige Besonderheiten zu berücksichtigen
sind. Oft spüren die Betroffenen eher als die Angehörigen und das medizinische
Personal ihr nahendes Ende. Wir nehmen an, dass sie Informationen
aus einer Welt erhalten, die uns verschlossen ist, aus der Welt des Sterbens.
Es ist für Sterbende schwer bzw. unmöglich, das in der Welt des Sterbens
Erfahrene wiederzugeben. Dafür lassen sich nur schwer oder gar keine Worte
finden, denn unsere Sprache kommt ja aus der Welt des Lebens. Dennoch
kann Kommunikation am Lebensende zwischen Sterbenden und Begleitenden
gelingen.
Eine besondere Form nonverbaler Kommunikation ist die Basale Stimulation.
Sie basiert auf dem Grundgedanken hospizlicher Begleitung, dass einem
Sterbenden die Nähe eines anderen Menschen guttut. Sterbende sollen die
Gewissheit haben, nicht allein gelassen zu werden, wenn sie ihre letzten Lebensschritte
gehen. Da in der letzten Lebensphase häufig eine verbale Kommunikation
nicht mehr möglich ist, kann die Anwendung der Basalen Stimulation
in der Begleitung eines schwerstkranken sterbenden Menschen
Kommunikationsmöglichkeiten bieten, die keiner Worte bedürfen.
Körperkontakt und nonverbale Kommunikation spielen im menschlichen
Sozialverhalten eine zentrale Rolle. Körperkontakt ist die ursprüngliche Form
der sozialen Kommunikation. Kein Mensch kann auf Dauer ohne Berührung
und Kontakt existieren. Behutsame zwischenmenschliche Berührung vermittelt
von der Geburt bis zum Tod das Gefühl von Nähe und Geborgenheit
und beeinflusst entscheidend unsere Wahrnehmung, Gefühle, Gedanken,
unser Wohlbefinden und unsere Heilungsprozesse (vgl. Sieveking, 1997).
Basale Stimulation sieht den Menschen als ganzheitliches Wesen, dem
Respekt gebührt, das für sich Verantwortung trägt und in Autonomie lebt.
»Wenn es gelingt, Menschen dabei zu unterstützen, sich in dieser entscheidenden
letzten Lebensphase nicht zu verlieren, die Orientierung auf sich
selbst zu behalten, die Sinne langsam ausklingen zu lassen und so die Lösung
von dieser Welt zu bewältigen, so scheint uns das wertvoll und wichtig«
(Fröhlich, 2004).
Basale Stimulation hat ihren Ursprung in der Sonderpädagogik. 1975 entwickelte
Andreas Fröhlich, zu diesem Zeitpunkt Sonderpädagoge an einem
Rehabilitationszentrum für körper- und mehrfach-behinderte Kinder und
Jugendliche, das Konzept der Basalen Stimulation zur Förderung geistig und
körperlich behinderter Kinder und Jugendlicher. Durch die Anwendung der
Basalen Stimulation ist es möglich, den Mangel an Eigenerfahrung, Eigenbewegung
und Auseinandersetzung mit der Umwelt zu kompensieren.
20 Klaus Strasser und Marion Kutzner
In den 1980er Jahren entwickelten Andreas Fröhlich und Christel Bienstein
das Konzept der Basalen Stimulation weiter, sodass es von Krankenhäusern
und Einrichtungen der stationären Altenhilfe in der Pflege eingesetzt
wurde.
Folgende Voraussetzungen sollten für die Anwendung der Basalen Stimulation
gegeben sein:
• Ein Grundlagenkurs für Basale Stimulation ist nach Möglichkeit vom Begleiter/
Pflegenden absolviert worden. Hierbei spielt die gemachte Selbsterfahrung
eine wichtige Rolle. (Im ambulanten Hospizdienst am Alfried
Krupp Krankenhaus in Essen ist der Basiskurs Bestandteil des Befähigungskurses
für Ehrenamtliche und wird auch immer wieder als Tagesveranstaltung
angeboten.)
• Die Biografie und die Gewohnheiten des Sterbenden sind bekannt.
• Zum Sterbenden und zu den Angehörigen besteht ein vertrauensvolles
Verhältnis, welches durch die Anwendung der Basalen Stimulation vertieft
werden kann.
• Der Begleiter, die Pflegekraft machen Hilfsangebote, die vom Sterbenden
angenommen, aber auch abgelehnt werden können.
• Die Angebote sollten einfach und eindeutig sein.
Folgende Qualitäten von Wahrnehmung werden bei der Durchführung der
Basalen Stimulation angesprochen:
• Somatische Wahrnehmung (Haut, Muskeln und Gelenke)
• Die Haut als unser größtes Wahrnehmungsorgan
• Taktil-haptische Wahrnehmung (Tast- und Greifsinn)
• Vestibulare Wahrnehmung (Gleichgewichtssteuerung)
• Vibratorische Wahrnehmung (Informationen über Körpertiefe und -fülle)
• Orale Wahrnehmung (Geschmackssinn)
• Olfaktorische Wahrnehmung (Geruchssinn)
• Auditive Wahrnehmung (Richtungshören, Schallquellen orten, Warnfunktion)
• Visuelle Wahrnehmung (die Umwelt und sich selbst wahrnehmen)
An folgenden Beispielen aus der Pflegepraxis und der Begleitung durch Ehrenamtliche
soll aufgezeigt werden, wie die Methode der Basalen Stimulation
als Türöffner für verbale Kommunikation wirkt.
1. Gelingendes Begleiten am Lebensende 21
1.3.1 Atemstimulierende Einreibung
Ein Patient mit Lungenkrebs litt unter starker Atemnot. Er saß auf der Bettkante,
inhalierte Sauerstoff über eine Sauerstoffbrille und hatte die vom Arzt
verordneten Medikamente bereits eingenommen. Medikamente und Sauerstoffzufuhr
halfen ihm anscheinend nicht. Ich bot ihm an, seinen Rücken
einzureiben. Der Patient willigte ein. Ich führte eine atemstimulierende Einreibung,
die fünf Minuten dauerte, durch.
Der Patient atmete schon nach kurzer Zeit ruhiger. Nach Beendigung der
Einreibung setze ich mich mit dem Einverständnis des Patienten auf die
Bettkante, und der Patient, der als sehr verschlossen galt, sprach mit mir über
seine Befürchtung, nicht mehr genügend Zeit zu haben, all seine »Dinge«
erledigen zu können, und auch über seine Angst zu ersticken.
In den folgenden Wochen führte ich die atemstimulierende Einreibung
noch einige Male durch, und jedes Mal folgte ein intensives Gespräch.
1.3.2 Arm- und Handeinreibung
Eine Patientin mit Brustkrebs und Metastasen, die zur Querschnittslähmung
führten, wurde von einer ehrenamtlichen Hospizmitarbeiterin begleitet.
Zwischen ihnen bestand ein vertrauensvolles Verhältnis. Bei einem ihrer
Besuche fragte sie die Patientin, was sie ihr Gutes tun könne. Die Patientin,
erst sehr zurückhaltend, fragte, ob die Ehrenamtliche ihr die Arme und
Hände eincremen könne, ihr Ehemann könne das nicht. Die Mitarbeiterin
strich die Arme von der Schulter an in kreisenden Bewegungen zum Handgelenk
aus und rieb sie mit einem Körperöl ein. Anschließend führte sie eine
Handmassage durch. Die Patientin fühlte sich sehr wohl, das Vertrauen und
die Freude, die Ehrenamtliche wieder zu sehen, wuchs von Besuch zu Besuch.
Die Ehrenamtliche besuchte die Patientin noch während sechs Monaten
ein- bis zweimal in der Woche und führte selbst dann, als die Patientin nicht
mehr ansprechbar war, die Massage behutsam durch.
Bei Schwerkranken und Sterbenden, die sehr unruhig sind oder Schmerzen
haben, sollte eine Einreibung oder Massage wegen der beruhigenden
Wirkung immer mit der Haarwuchsrichtung erfolgen.
Häufig sind es kleine Dinge, die dem Kranken guttun und das Vertrauen
zwischen Begleiter und Patient fördern, und oft haben wir die beruhigende
Wirkung der Basalen Stimulation auf Menschen in der letzten Lebensphase
wahrgenommen.