Gute Philosophen helfen dabei, die Welt und das oft so komplizierte Leben besser zu verstehen. Sie erschließen mit ihren Gedanken das Unfassbare und sind zuständig für die großen Fragen. Haben sie ein gewisses Ansehen erlangt, scheint es für sie auch keine thematischen Tabus mehr zu geben. Die Menschen hängen an ihren Lippen und verschlingen ihre geistige Speise. Richard David Precht hat dies in den vergangenen Jahren geschafft mit seinen Veröffentlichungen, die zu Bestsellern wurden („Warum gibt es alles und nicht nichts“, „Die Kunst, kein Egoist zu sein“, „Liebe. Ein unordentliches Gefühl“). Sein großes Verdienst ist es, die Philosophie einer breiten Leserschaft verstehbar und lebensnah zu machen. Und nun wagt er sich mit seinem neuesten Werk an ein Thema, das die Gemüter immer erregt hat, weil es alle betrifft: Das deutsche Bildungssystem. In seiner anschaulichen und erschließenden Sprache wagt er einen Rundumschlag und hat keine Mühe, auch die gewagtesten Klischees und Feindbilder neu anzurühren. So spricht er von "Lernfabriken, die Kreativität töten", prangert Klassenarbeiten und die vielen Fächer an einem Tag an und wittert eine Zweiklassengesellschaft mit unterschiedlichen Bildungszugängen. Auch das Modell der Ganztagsschule, die für ihn in Wirklichkeit nur Halbtagsschulen mit Nachmittagsbetreuung sind, lehnt er ab. Seine Vision von einer guten Schule und gutem Unterricht sind zwar provokativ, aber in Wirklichkeit heute schon wieder überholt, weil sie in Fachkreisen schon lange diskutiert und ausprobiert wurden (z. B. die individuelle Lernförderung, die Rolle des Lehrers als Lernberater, die Abschaffung des Fächerlernens und der Benotung). Und natürlich führt er bei seinen Ideen auch die Erkenntnisse der Lernforschung ins Feld. Dabei kommt mir der entscheidende Punkt zu kurz, der seit den Studien des neuseeländischen Bildungsforschers John Hattie in aller Munde ist, dass gute Lehrer, die guten Unterricht machen, einen entscheidender Faktor darstellen. Zwar spricht Precht deutlich an, dass die aktuellen Lernmethoden vielerorts veraltet sind, geht aber der Ursache zu wenig auf den Grund. Auch die Idee einer Bildungsrevolution hört sich gut an, geht aber an den realen Gegebenheiten vorbei, denen Schüler und Lehrer täglich ausgesetzt sind. Trotz der Kritik hatte ich große Freude beim Lesen des Buches und finde die Gedankengänge durchaus spannend, anregenswert und diskussionswürdig. Bildung muss in aller Munde bleiben! Daher empfehle ich das Buch auch als Diskussionsgrundlage für die Lehreraus- und -weiterbildung!

Arthur Thömmes, lehrerbibliothek.de

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