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Fetisch als heuristische Kategorie
Geschichte – Rezeption – Interpretation
Christina Antenhofer (Hrsg.)
Transcript
EAN: 9783837615845 (ISBN: 3-8376-1584-7)
372 Seiten, paperback, 14 x 23cm, 2011
EUR 33,80 alle Angaben ohne Gewähr
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Umschlagtext
Das Konzept Fetisch hat in den 500 Jahren seiner Geschichte eine Vielfalt an Bedeutungen angenommen. Gerade deshalb stößt es in verschiedenen Disziplinen auf großes Interesse. Die Beiträge des Bandes fragen aus philosophischen, psychologischen, philologischen, anthropologischen und historischen Perspektiven, inwieweit man »Fetisch« als heuristische Kategorie nutzen kann. Themen wie die christliche und spätantike Bildverehrung, die Objektkulte in afrikanischen und afroamerikanischen Religionen, marxistische und Freud'sche Interpretationen sowie die Rezeption dieser semantischen Linien in aktuellen und historischen Debatten werden dabei in die interdisziplinären Analysen einbezogen.
Rezension
Fetisch ist einer der zentralen Begriffe der Kulturtheorie. Götzenbilder, Reliquien, religiöse Objekte (afrikanischer Kultur), Talisman und religiöses Schutzobjekt sind damit verwandt. Der protestantische Ikonoklasmus wendet sich im 16./17. Jhdt. gegen die portugiesische, katholische und afrikanische Objektverehrung. Im 18. Jahrhundert wird der Begriff Fetisch in das Konzept des Fetischismus überführt. Eine säkularisierte, aufgeklärte Auseinandersetzung mit Religion will das Wirken von spirituellen Kräften gänzlich negieren: Fetischismus wird als eine primitive Stufe von Religion betrachtet noch unterhalb des Polytheismus. Fetischismus gilt als Religion der "Wilden" bzw. "Primitiven" mit folgenden Merkmalen: Abwesenheit von Symbolisierung bzw. Repräsentation als Abstraktionsfähigkeit, Äußerlichkeit des Kults im Sinne eines "do ut des" sowie Zufall in der Wahl des Fetischobjekts. So wird Fetisch zu einer Denkfigur, die die abendländische Auseinandersetzung mit außereuropäischen Kulturen fortan bestimmt. Dieser informative Band leuchtet die Entwicklung des Konzepts Fetisch umfassend aus!
Oliver Neumann, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Das Konzept des Fetisch hat eine lange Geschichte – von der Beschreibung spätantiker Bildverehrung hin zu einer zentralen Kategorie bei Marx und Freud. Doch wie lässt sich die Wirkungsgeschichte des ›Fetisch‹ bis in die heutige Zeit nachzeichnen?
Schlagworte
Fetisch, Objekte, Idol, Kult, Religionsgeschichte, Kulturgeschichte
Adressaten
Geschichte, Philosophie, Psychologie, Soziologie, Anthropologie, Kunstgeschichte sowie die interessierte Öffentlichkeit
Autoreninfo:
Christina Antenhofer (MMag. Dr. phil.) lehrt Geschichte mit Schwerpunkt Mittelalter und Renaissance an der Universität Innsbruck.
WWW: Universität Innsbruck
Interview
... mit Christina Antenhofer
1. »Bücher, die die Welt nicht braucht.« Warum trifft das auf Ihr Buch nicht zu?
Der Begriff Fetisch ist Teil unseres täglichen Sprachgebrauchs – ob wir damit einen roten Schuh benennen oder sexuelle Präferenzen etikettieren: meist geschieht dies in einer negativen Art. Dabei bezeichnete das Wort zunächst eher neutral (afrikanische) Figuren. Erst Polemiken, in denen Fetisch als Propagandabegriff zum Einsatz kam, luden ihn negativ auf. Er steht somit prototypisch für Ausgrenzungen, die in Begriffen stecken. Damit bietet das Buch nicht nur die wechselvolle Geschichte des Fetischs, sondern es sensibilisiert auch für den Gebrauch von Begriffen vor dem Hintergrund ihrer historischen Entwicklung.
2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?
Dieses Buch zeigt auf, dass der verschämte Blick beim Erwähnen des Wortes Fetisch gar nicht sein müsste. Es geht nicht darum, Menschen als Fetischisten oder Dinge als Fetische zu etikettieren, sondern vielmehr zu erkennen, dass jene Begriffe, die beunruhigen, auf die eigentlich schwelenden Problemlagen in einer Gesellschaft hinweisen. So betrachtet kann das Aufspüren von Fetischen geradezu als tracer für ›heiße‹ Fragen dienen, die noch nicht vom akademischen Diskurs beruhigt und rationalisiert wurden.
3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in den aktuellen Forschungsdebatten zu?
Der Fetisch steht geradezu als Beispiel für eine Wende, vielleicht sogar für einen Paradigmenwechsel: In seiner radikalsten Lesart bezeichnet er die Abkehr von einem dualistischen, strukturalistischen, am binären Zeichensystem orientierten Erkenntnismodell hin zu einer komplexen Sicht auf die Welt – die Dinge verweisen dann nicht mehr auf eine jenseits ihrer selbst liegenden Wirklichkeit. Sie sind weder Zeichen noch Symbole, sondern verweisen in erster Linie auf sich selbst.
4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten diskutieren?
Ich würde mein Buch am liebsten mit Claude Lévi-Strauss diskutieren. Zum einen wäre ich gespannt auf seine scharfen Einwände als Vater des Strukturalismus in Bezug auf ein Konzept, das danach trachtet, den Strukturalismus zu überwinden. Zum anderen habe ich mir selbst an seiner Formulierung, dass der Inzest nur ein kulturelles Tabu ist, die Inspiration für dieses Buch geholt. Es ist wie mit dem Kind, das auf den Kaiser ohne Kleider weist und sagt: Aber er ist ja nackt! Genau diese erfrischende und aufrüttelnde Erkenntnis von neuen Sichtweisen auf vertraute Gegebenheiten steckt für mich auch in der Umdeutung des Fetischs, wie sie dieses Buch versucht.
5. Ihr Buch in einem Satz:
Dieses Buch zeichnet die Geschichte der Polemisierung des Fetischs nach und zeigt sein Potential als Spurendetektor für ›heiße‹ Themen in der Gesellschaft auf.
Editorial zur Reihe:
Das klassische Feld der Geisteswissenschaften sieht sich seit geraumer Zeit einer grundsätzlichen Herausforderung gegenüber: Die Kultur- und Medienwissenschaften haben sich nicht nur als eigenständige Disziplinen etabliert, sie erheben weit über ihre Disziplingrenzen hinaus den radikalen Anspruch, die tradierten Episteme der Geisteswissenschaften neu zu bestimmen. Die Reihe Kultur- und Medientheorie geht dieser Transformation eines ganzen Wissensfeldes in der Vielfalt ihrer Facetten nach.
Inhaltsverzeichnis
Fetisch als heuristische Kategorie
Christina Antenhofer (Universität Innsbruck) | 9
EIN KONZEPT MIT HETEROGENEM INHALT:
DIE VIELFÄLTIGE GENESE DES FETISCHS
Der Fetisch
Kreativität und Historizität im modernen Atlantik
Roger Sansi (Goldsmiths, University of London) | 41
Aus dem Englischen übersetzt von Claudia Posch
Fetische und ungerade Dualismen
Anmerkungen zu afrikanischen und afroamerikanischen Religionen
Rogério Brittes W. Pires (Universidade Federal do Rio de Janeiro) | 59
Aus dem Englischen übersetzt von Claudia Posch
Fetischismus und Substitution
Alfonso M. Iacono (Università di Pisa) | 85
Aus dem Italienischen und Englischen übersetzt von
Claudia Posch und Christina Antenhofer
Marx und der Fetischismus
Von der Religionskritik zur Kritik der politischen Ökonomie
Antoine Artous (Codirektor der Mille marxismes, Paris) | 97
Aus dem Französischen übersetzt von Christina Antenhofer
DER FETISCH ALS IRRITATIONSMARKER:
FRÜHE DISKUSSIONEN UND DER BEGINN EINER LANGEN DEBATTE
Die Frage der fetischistischen Bilderverehrung im Urchristentum
Eine theologisch-politische Auseinandersetzung und ihre historische Stellung
Barnaba Maj (Università di Bologna) | 115
Tertullian der Antifetischist
Frühchristliche Auseinandersetzungen mit idolum, idololatria und facticium
Kordula Schnegg (Universität Innsbruck) | 125
Columbans gestohlener Handschuh – ein (Anti-)Fetisch?
Beobachtungen zur Hierarchie und Macht der Objekte
Albrecht Diem (Syracuse University) | 145
DER FETISCH ALS HEURISTISCHE KATEGORIE:
(A-)SYMBOLISCHE STRUKTUREN UND RHETORISCHE ARGUMENTATIONSMUSTER
Fetish of Empire
Das psychoanalytische Fetischkonzept als heuristische Kategorie zur
Untersuchung der Idee einer imperialen Weltordnung?
Ulrich Leitner (Universität Innsbruck) | 169
Grenzen der Vernunft
Fetischismus als Argumentationsfigur im religionskritischen Diskurs der Aufklärung
Marie-Luisa Frick (Universität Innsbruck) | 193
Primitive Sprachen
Primitivismus in der Sprachforschung?
Claudia Posch (Universität Innsbruck) | 215
Fetische im Recht – Recht als Fetisch
Andreas Th. Müller (Universität Innsbruck) | 235
FETISCH UND FETISCHISMUS ALS HISTORISCHE SACHVERHALTE? FALLSTUDIEN
Batailles großer Zeh
Fetischismus und Subversion in der Politischen Ästhetik von Documents
Andreas Oberprantacher (Universität Innsbruck) | 253
Der Marx’sche Fetischbegriff und seine Bedeutung für eine Kritik des Antisemitismus
Stephan Grigat (Universität Wien) | 275
Das System Metternich und der Nacktscanner
Sicherheit als Fetisch?
Karin Schneider (Universität Innsbruck) | 293
Andreas Hofer als Ikone, Idol, Reliquie, Popanz, Objekt, Statue?
Zu Konstruktion, Verwendung und Dekonstruktion eines fetischähnlichen
Konzepts im historiographischen, »nationalen«, künstlerischen und politischen Diskurs
Andreas Oberhofer (Universität Innsbruck) | 313
Dank | 349
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren | 351
Namensregister | 361
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