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Der Hirntod Ein medizinethisches Problem und seine moralphilosophische Transformation
Der Hirntod
Ein medizinethisches Problem und seine moralphilosophische Transformation




Ralf Stoecker

Verlag Karl Alber
EAN: 9783495479292 (ISBN: 3-495-47929-5)
360 Seiten, Festeinband mit Schutzumschlag, 15 x 22cm, 1999

EUR 41,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Das Problem ist also nicht, ob hirntote Menschen tot sind, sondern wie man sie behandeln darf, obwohl sie noch nicht tot sind.
Rezension
Der Übergang vom Herzstillstand zum Absterben des Gehirns als Exituskriterium ist mit der modernen Reproduktions- und Intensivmedizin verbunden. Hirntod erst ermöglicht Organspende. Das Hirntod-Kriterium hat sich dermaßen schnell durchgesetzt, dass vom Zeitpunkt der ersten Vorschläge in den sechziger Jahren bis zur allgemeinen Akzeptanz der neuen Todesdefinition kaum zehn Jahre vergingen. In dieser kurzen Zeit wurde ein lebensweltliches Todesverständnis durch ein wissenschaftliches ersetzt: Denn Herz- und Atemstillstand sind ohne Diagnosegerät erkennbar. Das Absterben des Gehirns dagegen muss durch Ablesen eines EEG-Gerätes und Reflexprüfung festgestellt werden, wozu nur medizinisch Geschulte fähig sind. Der Verfasser betont hingegen: a) Ein hirntoter Mensch ist nicht tot. b) Die Hirntod-Debatte ist keine rein normative Frage. c) Es handelt sich um eine philosophische Frage. d) Das Interesse an der Hirntod-Debatte ist nicht ihre Beantwortung, sondern die Verbissenheit der Debatte: die Fragestellung muß transformiert werden, d.h. die ursprüngliche Frage muß in eine oder mehrere dahinter liegende Fragestellungen verwandelt werden. Der Verfasser sieht hinter der Debatte die alte Körper-Seele-Problematik am Werk und meint, das es weniger um den Tod als um das Leben geht: „Kurz, man braucht eine Ethik der betreffenden medizinischen Behandlungen, vor allem eine Ethik der Organverpflanzung, und keine Hirntod-Debatte.“ (S. 23). Nach Meinung des Verfassers sollte man zugeben, dass Organentnahme einen noch sterbenden Menschen tötet. Auch wenn Hirntote nicht wirklich tot sind, bedeutet das jedoch nicht, dass Organentnahme ethisch verwerflich sein müsse. Vielmehr sei zu untersuchen, welche Rechte Menschen in diesem fortgeschrittenen Stadium ihres Sterbens noch haben und welche Pflichten andere ihnen gegenüber erfüllen müssen.

Thomas Bernhard für lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 9

Einleitung 17

1 Die Hirntod-Debatte 24

1.1 Was geschieht, wenn ein Mensch stirbt? 24
1.2 Das »Herz-Lungen-Zeitalter« 26
1.3 Der Umschwung zur Hirntod-Konzeption 31
1.4 Die Ausweitung der Diskussion auf das apallische Syndrom 37
1.5 Eine methodologische Klärung 42
1.5.1 Die drei Ebenen der Frage, ob Hirntote tot sind 43
1.5.2 Die Unschärfevermutung 46

2 Leben und Tod 51

2.1 Totsein, Tod und Sterben 51
2.1.1 Ist Totsein eine Eigenschaft? 52
2.1.2 Der Tod 55
2.1.3 Sterben und Tod 57
2.1.4 Der Tod als Grenze 61
2.1.5 Unscharfe Grenzen 65
2.1.6 Zwischenfazit 67
2.2 Leben 68
2.2.1 Leben als Lebendigsein 68
2.2.1.1 Die Endgültigkeit des Todes 69
2.2.1.2 Unsre Einstellung zum Lebendem 72
2.2.2 Eine morphologische Charakterisierung des Lebens 75
2.2.2.1 Ausgesetztes Leben 80
2.2.2.2 Wer kann sterben? 83
2.2.2.3 Wann ist ein Mensch tot? 85
2.2.2.4 Hirntod und der Verlust der syntropischen Fähigkeit 87
2.3 Ein Einwand 89
2.3.1 Leib und Seele 90

3 Von der Leiche zum Sarg

Ein Exkurs über die Wurzeln der Unterscheidung zwischen Leib und Seele in der griechischen und römischen Antike 92


3.1 Homer 94
3.1.1 Psyche und Thymos 94
3.1.2 Das Schicksal der Psyche nach dem Tode 97
3.1.2.1 Ilias 98
3.1.2.2 Odyssee 101
3.1.2.3 Zweifel an den postmortalen Psychai 104
3.1.3 Psyche und Soma bei Homer 106
3.2 Die Vorsokratiker 107
3.3 Platon 118
3.4 Aristoteles 124
3.4.1 Der Hylemorphismus 124
3.4.2 Die Psyche als Form des Lebewesens 126
3.4.3 Der aktive Geist 130
3.4.4 Tod, Existenzende und das Schicksal des Körpers . 130
3.4.5 Die Rolle des Psychischen in Aristoteles' Psyche . 132
3.5 Hellenistische Philosophie und Neuplatonismus 136
3.5.1 Epikur 137
3.5.2 Stoa 141
3.5.3 Plotin 146
3.6 Der Seelenbegriff im Übergang von der vorchristlichen zur christlichen Philosophie 152
3.7 Seelenleben - ein Fazit 158

4 Der Tod als Verlust metaphysischer Personalität 161

4.1 Der Tod als Ende der Person 162
4.1.1 Metaphysische Personalität und Tod 164
4.1.2 Der Tod als Bewußtseinsverlust 171
4.2 Der Tod als Grenze der personalen Identität 177
4.2.1 Personale Identität und Hirntod: das geradlinige Argument 178
4.2.2 Der Tod als Ende der Existenz 181
4.2.2.1 Relative Existenz 184
4.2.2.2 Existenz vs. Vorhandenheit 186
4.2.3 Personale Identität und Hirntod: Shewmons Argument 188
4.2.3.1 Psychische Kontinuität und personale Identität 194
4.2.3.2 Geteilte Menschen 198
4.3 Zwischenfazit 203
4.4 Moralische Personen und verantwortliche Personen 204

5 Der Tod als Verlust moralischer Personalität 207

5.1 Die ethische Grundannahme über den Tod 208
5.1.1 »Tod« als normativer Begriff 210
5.1.2 Moralische Personalität und die Suche nach einem moralischen Todesbegriff 212
5.2 Biologisches Leben als Basis moralischer Personalität 213
5.2.1 Albert Schweitzers Ehrfurcht vor dem Leben 213
5.2.2 Das Problem, moralische Personalität aus biologischen Leben abzuleiten 217
5.3 Freude und Leid als Basis moralischer Personalität 224
5.3.1 Die erste epikureische Herausforderung 225
5.3.2 Der klassische Utilitarismus 226
5.3.3 Töiten aus Sicht des klassischen Utilitätsprinzips . 230
5.3.4 Utilitarismus, moralische Personalität und die Zulässigkeit von Transplantationen 233
5.3.5 Grundsätzliche Probleme des klassisch utilitaristischen Vorschlags 240
5.3.6 Zur Rolle indirekter Folgen des Tötens 249
5.4 Die Fähigkeit, Wünsche zu haben, als Basis moralischer Personalität 251
5.4.1 Der Präferenzutilitarismus 252
5.4.1.1 Einige begriffliche Klärungen 253
5.4.1.2 Das Utilitätsprinzip im Präferenzutilitarismus 256
5.4.1.3 Wie wünschenswert sind Wunscherfüllungen wirklich? 258
5.4.2 Das Tötungsverbot aus Sicht des Präferenzutilitarismus 260
5.4.2.1 Das Töten von Nichtpersonen 261
5.4.2.2 Der Hirntote aus präferenzutilitaristischer Sicht . 265
5.4.2.3 Die zweifelhafte moralische Bedeutung zukunftsgerichteter Präferenzen 267
5.4.2.4 Von Kaufleuten und Reisenden 272
5.4.3 Utilitarismus und Tötungsverbot - ein fanatisches Fazit 281
5.5 Die Fähigkeit, Schaden zu erleiden, als Basis moralischer Personalität 284
5.5.1 Der Begriff des Schadens. 285
5.5.2 Die zweite epikureische Herausforderung 288
5.5.3 Töten als Interessenverletzung 290
5.5.4 Töten als Schlußstrich unter ein individuelles Leben I 293
5.5.4.1 Postmortale Schädigungen 294
5.5.4.2 Rückwirkende Schädigungen 296
5.5.4.3 Töten als rückwirkendes Schädigen 300
5.5.4.4 Kann man hirntoten Menschen rückwirkend Schaden zufügen? 302
5.5.4.5 Wie schädlich ist der Tod für das Leben davor wirklich? 305
5.5.5 Töten als Schlußstrich unter ein individuelles Leben II 309
5.5.5.1 Teil-Ganzes-Abhängigkeiten von Eigenschaften 309
5.5.5.2 Töten als mereologisches Schaden 311
5.5.5.3 Kann man hirntoten Menschen mereologischen Schaden zufügen? 314
5.5.5.4 Noch einmal die epikureische Herausforderung 321
5.5.6 Die stoische Herausforderung - und ein skeptisches Fazit 324

6 Zur moralphilosophischen Überwindung der Hirntod-Debatte 328

6.1 Die Auflösung der ethischen Grundannahme über den Tod 328
6.2 Die brüchige Basis der Hirntod-Debatte in der ethischen Grundannahme über den Tod 332
6.3 Von der Hirntod-Debatte zur Ethik der Transplantationsmedizin 334

Epilog 338

Literaturangaben 342
Personenregister 354
Sachregister 358