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selbst bestimmt sterben
Was es bedeutet. Was uns daran hindert. Wie wir es erreichen können
Gian Domenico Borasio
Verlag C. H. Beck oHG
EAN: 9783406668623 (ISBN: 3-406-66862-3)
206 Seiten, Festeinband mit Schutzumschlag, 13 x 21cm, 2014, mit 6 Abbildungen und 2 Tabellen
EUR 17,95 alle Angaben ohne Gewähr
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Umschlagtext
selbst bestimmt sterben ist ein Buch, das zum Nachdenken über die eigene Einstellung zum Leben und zum Sterben anregt. Es bietet keine Patentrezepte – wohl aber konkrete Hinweise darauf, wie man sich auf die letzte Lebensphase so vorbereiten kann, dass sie den eigenen Wünschen entspricht. Gian Domenico Borasio erläutert in klar verständlicher Sprache, worauf es auf dem Weg zu einem selbstbestimmten Lebensende wirklich ankommt.
Die öffentliche Debatte über das Lebensende wird auf unverantwortliche Weise auf die Frage nach Euthanasie bzw. Suizidhilfe reduziert. Dabei betreffen diese Möglichkeiten, aus dem Leben zu scheiden, selbst dort wo sie gesetzlich erlaubt werden, nur einen winzigen Teil der Bevölkerung. Was ist aber mit der riesengroßen Mehrheit an Menschen, für die es nicht darum geht, den eigenen Todeszeitpunkt selbst bestimmen zu wollen? Was bedeutet „selbstbestimmtes Sterben“ in der modernen Gesellschaft? Und was hat es mit all diesen verwirrenden Begriffen auf sich, die durcheinandergebracht werden: aktive, passive, indirekte Sterbehilfe, Behandlungsabbruch, Suizidhilfe und so weiter?
Der Autor schöpft aus seiner jahrzehntelangen Erfahrung im Betreuen und Begleiten von Schwerstkranken und Sterbenden, um mit vielen weit verbreiteten Missverständnissen aufzuräumen. Ausgehend von den neuesten wissenschaftlichen Studien führt das Buch den Leser Schritt für Schritt dazu, seine ganz eigenen Vorstellungen über das Lebensende zu entwickeln, und beschreibt Mittel und Wege, um diesem Ziel – trotz aller Hindernisse – möglichst nahe zu kommen.
Gian Domenico Borasio gilt als einer der führenden Palliativmediziner Europas. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Palliativmedizin an der Universität Lausanne und Lehrbeauftragter für Palliativmedizin an der Technischen Universität München. Ihm ist es maßgeblich zu verdanken, dass sich heute jeder Medizinstudent in Deutschland und der Schweiz in seiner Ausbildung mit der Begleitung Sterbender und ihrer Familien auseinandersetzen muss. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde er durch sein Eintreten für ein Gesetz zur Patientenverfügung und durch seinen Bestseller Über das Sterben (2013) bekannt.
Rezension
Das Thema dieses Buchs treibt in einer immer älter und einsamer werdenden, zugleich medizin-technisch stetig voranschreitenden Gesellschaft viele Menschen um: "selbst bestimmt sterben". Dabei ist der Buchtitel sprachlich interessant gestaltet; denn wir werden bestimmt sterben, jeder selbst, aber werden wir auch selbst-bestimmt sterben? Und was meint "selbst-bestimmt" in diesem Zusammenhang? Das ist die eine zentrale Fragestellung von Teil 2 des Buchs (Kap. 8-12); denn unter Selbstbestimmung wird sehr Unterschiedliches verstanden, das zunächst einmal definiert werden muss. Ganz ähnlich steht es um den Begriff "Sterbehilfe": Was heißt hier "Sterbehilfe"? So lautet die nicht minder wichtige Fragestellung zu Teil 1 (Kap. 1-7): Hilfe zum Sterben oder Hilfe beim Sterben - um die beiden gegensätzlichen Positionen zu bestimmen incl. der vielen dazwischen liegenden Varianten. Wenn diese beiden zentralen Probleme geklärt sind, dann ist vieles erreicht. Dieses Buch eines der führenden Palliativmediziners Europas präzisiert, bringt Licht in den Dschungel der Begrifflichkeiten und hilft damit zu eigenständiger, begründeter Positionierung in einem der gesellschaftlich viel diskutierten medizin-ethischen Dilemmata. Der Autor hat bereits ein weiteres hilfreiches Buch zum Thema in ähnlicher Aufmachung 2011 vorgelegt: "Über das Sterben - Was wir wissen. Was wir tun können. Wie wir uns darauf einstellen", Verlag C.H.Beck (9783406617089).
Oliver Neumann, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Pressestimmen:
„Eine kluge, nüchterne Analyse, die dazu beitragen kann, die emotionale Sterbehilfedebatte in Deutschland zu versachlichen.“
Nina von Hardenberg, Süddeutsche Zeitung, November 2014
„Borasio ist fraglos der nachdenklichere Autor. Der mehr weiß, mehr reflektiert. Und der eins nicht vergessen hat: die Demut des Arztes vor dem Patienten und dem Sterben.“
Gabriele von Arnim, Die Zeit, November 2014
„Selbst bestimmt sterben ist ein kompetenter und hilfreicher Ratgeber, der dabei hilft, eine eigene Entscheidung zu fällen.“
Gert Scobel, 3Sat Scobel, November 2014
„Gian Domenico Borasio plädiert für eine Stärkung der Palliativmedizin und Fürsorge am Lebensende.“
Dorothee Vögeli, Neue Zürcher Zeitung, November 2014
„Das Buch passt bestens in die aktuelle Debatte über Sterbehilfe und hat nicht nur deshalb das Zeug zum Bestseller.“ Kim Kindermann, Deutschlandradio Kultur, Oktober 2014
"Borasios Buch kann als Leitfaden durch die Sterbehilfedebatte dienen."
Matthias Kamann, Die Welt, Oktober 2014
"Ein unverzichtbarer Beitrag zur öffentlichen Debatte um das Lebensende."
Die Zeit, Oktober 2014
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 9
Teil 1: Was heißt hier «Sterbehilfe»?
1 Was heißt hier «Sterbehilfe»?
Eine merkwürdige Debatte 14
Irrationalität am Lebensende: Die Missachtung der demographischen Entwicklung 14 – Politik: Fehlanzeige 18 – Historischer Rückblick 19 – Die Palliativmedizin als Gegenbewegung 22 – Lagerdenken und reflexhafte Reaktionen 24 – Voraussetzungen für eine vernünftige Diskussion 25
2 «Passive Sterbehilfe» und medizinische Indikation 27
Fallbeispiel 27 – Definition und Rechtslage 28 – Medizinische Indikation 29 – Patientenwille 34 – Der Sonderfall: das Wachkoma 35 – Bisherige Erfahrungen 39 – Praktische Bedeutung 40
3 «Indirekte Sterbehilfe» und palliative Sedierung 47
Fallbeispiel 47 – Definition und Rechtslage 50 – Bisherige Erfahrungen 51 – Praktische Bedeutung 54 – Palliative Sedierung 55 – Sedierung in der Terminalphase 57
4 «Aktive Sterbehilfe» und Tötung ohne Verlangen 61
Fallbeispiel 61 – Definition und Rechtslage 63 – Bisherige Erfahrungen: Holland und Belgien 65 – Praktische Bedeutung 67 – Tötung ohne Verlangen 68 – Euthanasie bei Kindern? 69
5 Neue Begriffe (und ihre Tücken) 73
Empfehlung für eine neue Begrifflichkeit 75 – Entscheidung des Bundesgerichtshofs im «Fall Putz» 76 – Was Worte mit uns machen 79 – Internationale Begrifflichkeiten 81 – Bitte nicht mehr von «Selbstmord» reden 82
6 Assistierter Suizid und freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit 85
Fallbeispiel 85 – Definition und Rechtslage 87 – Abgrenzung zur Tötung auf Verlangen 89 – Bisherige Erfahrungen: Schweiz und Oregon 91 – Praktische Bedeutung 95 – Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit 97
7 Brauchen wir den ärztlich assistierten Suizid? Ein Vorschlag für eine gesetzliche Regelung eines marginalen Phänomens 100
Die wichtigste Begründung: Den Blick frei machen 100 – Was spricht für eine gesetzliche Regelung? 102 – Was sagen die Zahlen? 103 – Ziele des Gesetzesvorschlags 105 – Zusammenfassung des Gesetzesvorschlags 106 – Die Gegenargumente: Recht auf Leben, Angst vor Störung des Arzt-Patienten-Verhältnisses, Angst vor sozialem Druck auf gefährdete Menschen, vor Verschlechterung der Palliativversorgung und vor Suizidzunahme 109 – Ausblick 114
Teil 2: Was heißt hier «Selbstbestimmung»?
8 Was heißt hier «Selbstbestimmung»? Versuch einer Annäherung 116
Jeder Mensch stirbt anders 117 – Versuch einer Definition 120 – Die juristische Bedeutung 123 – Die Bedeutung für die Ärzte: Autonomie im Dialog 124 – Die Bedeutung für die Patienten 126 – Schlussbemerkung 129
9 Keiner stirbt für sich allein – Psychosoziale, kulturelle und spirituelle Aspekte der Selbstbestimmung 131
Der Ausweg 131 – Die Familie ist wichtiger 134 – Ambivalenz: Ein großes Hindernis 136 – Der Wunsch,
eine Spur zu hinterlassen 138 – Glaube versetzt Schmerzen 140 – Ohne Kommunikation keine Selbstbestimmung 142 – Schlussbemerkung 144
10 Vorsorge für das Lebensende – Jenseits der Patientenverfügung 146
Fallbeispiel 146 – Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung 148 – Bisherige Erfahrungen 151 – Grenzen der Patientenverfügung 152 – Warum es doch Sinn macht 156 – Das Konzept des Advance Care Planning 159
11 Die Rolle der Gesundheitsindustrie – Cui bono? 161
Fallbeispiel 161 – Der Grundfehler des Gesundheitssystems 162 – Finanzielle Fehlanreize 164 – Die echten Verstöße gegen die Menschenwürde 167 – Zielgerichtete Arzt-Patienten-Kommunikation 174 – Was wir brauchen: Eine hörende Medizin 175
12 Fürsorge und Selbstbestimmung: Ein Vermittlungsversuch 179
Fürsorge durch Aufklärung 179 – Selbstbestimmung und Souveränität 185 – Schlussbemerkung 186
Danksagung 189
Anmerkungen 191
Bildnachweis 205
Liste nützlicher Websites 206
Vorwort
Warum ein neues Buch über das Sterben? Aus mehreren
Gründen. Der wichtigste Auslöser war die sogenannte «Sterbehilfe-
Debatte», die im letzten Jahr in Deutschland wieder
entflammt ist. Die vielfach emotional geführten Diskussionen
gleiten leider nicht selten ins Plakative, wenn nicht gar
ins Ideologische ab. Dann geht es nur noch darum, ob man
«dafür» oder «dagegen» ist. Was dabei aus dem Blickfeld gerät,
ist der Gegenstand der Diskussion selbst. Zwar wird, insbesondere
von den sogenannten «Sterbehilfe-Befürwortern»,
immer wieder betont, es gehe um das unveräußerliche Gut
der Selbstbestimmung am Lebensende – Stichwort etwa:
«Mein Sterben gehört mir.» Aber es wird erstaunlich wenig
darüber nachgedacht, was Selbstbestimmung am Lebensende
überhaupt bedeuten kann.
Die Hauptthese dieses Buches ist, dass es zu kurz gegriffen
und zudem realitätsfremd ist, wenn man die Debatte über die
Autonomie am Lebensende auf die Selbstbestimmung des Todeszeitpunktes
reduziert. In der Praxis ist dies nur für eine
sehr kleine Anzahl von Menschen das ausschlaggebende Kriterium.
Ausgehend von der unumstößlichen Tatsache, dass
jeder von uns selbst bestimmt sterben wird, stellt sich die Frage,
was selbstbestimmtes Sterben in der heutigen multikulturellen
und pluralistischen Gesellschaft bedeuten kann. Geht es
wirklich vorwiegend um die Frage, ob es erlaubt sein soll, unter
bestimmten Umständen mit fremder Hilfe aus dem Leben
zu scheiden? Oder verdeckt vielleicht die medial aufgeheizte
Diskussion über die sogenannte «Sterbehilfe» den Blick auf
wichtigere Realitäten, die für die allermeisten Menschen am
Lebensende von größerer Bedeutung sind?
Wenn man als Arzt das Privileg geschenkt bekommt, Menschen
auf dem letzten Stück ihres Weges begleiten zu dürfen,
dann erschließt sich eine weit komplexere Wirklichkeit, als es
die Vereinfachungen und Verallgemeinerungen in den Sterbehilfe-
Talkshows vermuten lassen. So banal es klingt: Jeder
Mensch stirbt anders, und die meisten Menschen sterben in
etwa so, wie sie gelebt haben. Das Spektrum der Wünsche,
Ängste und Nöte am Lebensende ist so unterschiedlich wie
das Leben selbst. Es gibt zum Beispiel nicht wenige Menschen,
die der Meinung sind, die Autonomie-Debatte gehe an
ihnen gänzlich vorbei, weil sie gar nicht selbstbestimmt sterben
wollen, sondern sich voll und ganz anderen Menschen
anvertrauen möchten – was natürlich wiederum ein Akt der
Selbstbestimmung ist.
Dieses Buch ist ein Versuch, zunächst ein wenig Klarheit
in die Diskussion zu bringen, indem die verschiedenen Begriffe,
die in der Diskussion immer wieder auftauchen und
gelegentlich für Verwirrung sorgen (aktive, passive und indirekte
Sterbehilfe, assistierter Suizid, Euthanasie usw.), anhand
von Fallbeispielen aus der klinischen Praxis und der aktuellen
Rechtslage in Deutschland erläutert werden. Dabei wird auch
ein Gesetzesvorschlag vorgestellt, der dazu beitragen soll, die
leidige Diskussion um eine gesetzliche Regelung der «Sterbehilfe
» zu einer vernünftigen Lösung zu führen, damit wir uns
anschließend den wirklich wichtigen Problemen in der letzten
Lebensphase widmen können.
Im zweiten Teil des Buches geht es genau um diejenigen
Facetten der Autonomie am Lebensende, die für die meisten
Menschen weit wichtiger sind als die Selbstbestimmung der
Todesstunde, aber von der Debatte bislang weitgehend ausgeklammert
werden. Dazu gehören unter anderem die Frage
nach der tieferen Bedeutung von «Selbstbestimmung», die
Vorsorgeplanung, die Rolle der Familie und weiterer psychosozialer,
kultureller und spiritueller Faktoren sowie der weithin
unterschätzte Einfluss der Gesundheitsindustrie auf unsere
Optionen und auf unsere Entscheidungen für und in der
letzten Lebensphase.
Das Buch ist (hoffentlich) so geschrieben, dass es auch aus
sich selbst heraus verständlich ist. Allerdings basiert es weitgehend
auf den Ausführungen zum Thema Lebensende, die ich
in meinem ersten Buch Über das Sterben erläutert habe. Hierauf
wird mehrfach Rekurs genommen, um Wiederholungen
so weit möglich zu vermeiden. Dem Gegenstand geschuldet,
geht der Text bei den einzelnen Punkten deutlich mehr ins
Detail und ist sicher auch komplexer, wofür ich bei den Lesern
sehr um Nachsicht bitten möchte. Wenn der geneigte
Leser nun vermutet, das erste Buch sei so etwas wie «Sterben
für Anfänger» und das vorliegende Buch, darauf aufbauend
und vertiefend, eher «Sterben für Fortgeschrittene», so liegt er
vielleicht nicht ganz falsch …
Möge dieses kleine Buch dazu beitragen, eine sachliche
Diskussion über das Lebensende jenseits eines zu eng gefassten
Autonomiebegriffes anzustoßen. Möge es aber vor allem
den Menschen helfen, ihre eigene Endlichkeit bewusster anzuschauen,
und damit die Angst vor dem Sterben ein klein
wenig verringern.
München/Lausanne, im August 2014
Gian Domenico Borasio
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