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Wir machen Schule
Eine Stadt auf dem Weg zur Inklusion
Holger Lindemann (Hrsg.)
Juventa Verlag
, Beltz
EAN: 9783779929758 (ISBN: 3-7799-2975-9)
206 Seiten, paperback, 15 x 23cm, Juli, 2014
EUR 19,95 alle Angaben ohne Gewähr
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Umschlagtext
Der vorliegende Sammelband dokumentiert den kommunalen Veränderungsprozess zu einer inklusiven Schule in Oldenburg. Er enthält Beiträge des Schulträgers, von Lehrkräften, Eltern, Schülern und stellt erste Ergebnisse der Begleitforschung vor. Das Buch bietet interessante Einblicke in die kommunalen Veränderungen und dient als Anregung, die Gestaltung einer inklusiven Gesellschaft als gemeinsamen Einigungsprozess zu gestalten. Inklusion ist nicht nur das Ziel, sondern auch der Weg.
Mit dem niedersächsischen Schulgesetz vom 23. März 2012 wurde die gemeinsame Beschulung von Kindern mit und ohne Beeinträchtigung an Regelschulen zur Pflicht. Inklusion bedeutet aber weitaus mehr. Es geht um die gleichberechtigte, barriere- und diskriminierungsfreie Teilhabe aller Menschen. Die Stadt Oldenburg hat begonnen, sich dieser Herausforderung zu stellen. Nicht als Verwaltungsakt der Umsetzung eines neuen Schulgesetzes, sondern in einem partizipativen Prozess der Beteiligung aller relevanten Interessengruppen.
Oldenburg ist auf dem Weg. Und das soll der vorliegende Sammelband dokumentieren. Er enthält Beiträge des Schulträgers, von Lehrkräften, Eltern, Schülern und stellt erste Ergebnisse der Begleitforschung vor.
Dieses Buch bietet nicht nur interessante Einblicke in die kommunalen Veränderungen, sondern dient auch als Anregung, die Gestaltung einer inklusiven Gesellschaft als gemeinsamen Einigungsprozess zu gestalten. Inklusion ist nicht nur das Ziel, sondern auch der Weg.
Rezension
Dieses Buch ist in seiner Exemplarizität bundesweit bedeutsam. Mit dem Inkrafttreten der UN-Konvention für die Rechte behinderter Menschen 2009 ("Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen", 2006 / 2009 von der BRD ratifiziert) sind Bund, Länder und Kommunen in Deutschland gleichermaßen zur Umsetzung eines inklusiven Bildungssystems verpflichtet. Mit dem niedersächsischen Schulgesetz vom 23. März 2012 wurde die gemeinsame Beschulung von Kindern mit und ohne Beeinträchtigung an Regelschulen auch gesetzlich zur Pflicht. Dieser Band zeigt, wie die niedersächsische Stadt Oldenburg exemplarisch damit umgeht; denn Inklusion läßt sich nicht allein durch Ratifizierung einer UN-Konvention oder ein Schulgesetz erreichen, - notwendig ist vielmehr ein partizipativer Prozess der Beteiligung aller relevanten Interessengruppen.
Dieter Bach, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Schlagwörter:
Kommune | Begleitforschung | Gleichberechtigung | diskriminierungsfrei | Partizipation
Kategorien:
Erziehungs- und Sozialwissenschaften
Erziehungswissenschaft
Pädagogik
Allgemeine Pädagogik
Inhaltsverzeichnis
Grußwort 9
Sprachliche Anmerkungen zur Inklusion
Holger Lindemann 11
Inklusion als kommunaler Einigungsprozess
Die Umsetzung von Inklusion in den Schulen der Stadt Oldenburg
Frank Lammerding, Holger Lindemann, Jan Reinder Freede 13
Start der ersten inklusiven Schuljahrgänge zum Schuljahr 2013/2014 in der Stadt Oldenburg.
Ein Zwischenfazit aus Schulträgersicht
Jan Reinder Freede 27
Diversität in der Klasse
Der Grundsatzerlass „Integration und Förderung von Schülerinnen und Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache“ als Instrumentarium zur Herstellung von Chancengleichheit
Wieland Herold, Ayça Polat, Sabine Stehno 34
Was geht…und was nicht.
Persönlicher Bericht über positive und negative Erfahrungen mit Integration und meine Ideen für eine gelingende Inklusion
Nina Rühaak 46
Was ist schon normal?
Erfahrungen in einer Integrationsklasse einer Grundschule
Andrea Marten 54
Die inklusive Pädagogik Maria Montessoris.
Beispiele aus der Grundschule FREIraum
Claudia Fischer 70
Inklusion an Schulen, auf dem Weg zu einer organisationalen Routine?
Eine Erkundung an der Grundschule Röwekamp
Frithiof Svenson 88
Gemeinsamer Unterricht und fachspezifische Förderung für Kinder mit Sprachstörungen ‒ ein Weg der Inklusion. Grundschule Bürgeresch als Durchgangsschule für Kinder mit Sprachstörungen
Ellen Damke, Jürgen Fraatz, Britta Grau, Stefan Müller, Karola Sante, Almut Thieme 97
Wie stehen Lehrerinnen und Lehrer zu Heterogenität, Leistungsdifferenzierung und Inklusion?
Eine Gesamterhebung an Oldenburger Schulen
Holger Lindemann 117
Was denken Schülerinnen und Schüler über Vielfalt und Inklusion?
Einstellungen von Schülerinnen und Schülern zu Aspekten von Heterogenität und Vielfalt
Holger Lindemann 140
„All inclusive–Wir sind alle gleich verschieden“.
Eine didaktische Einheit zum Thema Vielfalt und Verschiedenheit
Philip Brinkmann 166
Gelingende Kooperation in der inklusiven Grundschule – Eine Befragung von Lehrkräften und pädagogischen Fachkräften an Oldenburger Grundschulen mit integrativer Praxis zu Gelingensbedingungen von Kooperation
Miriam Thomanek, Eikke Seiboth 191
Die Autorinnen und Autoren 206
Einleitung
Städte und Kommunen in Deutschland stehen vor großen Herausforderungen.
Gerade in einer solchen Situation ist es geraten, Strategien für eine nachhaltige
positive Entwicklung zu entwerfen. Fragen der Bildung spielen dabei
eine Schlüsselrolle. Lange Zeit wurden diesbezüglich die Rahmenbedingungen
und mögliche Formen der Ausgestaltung, insbesondere die schulische
Bildung betreffend, fast ausschließlich durch die Länder festgelegt. Zunehmend
dringen nun aber auch Kommunen darauf, in diesem Bereich gestalterische
Impulse zu setzen. Der folgende Artikel beschreibt, wie in der Stadt
Oldenburg - angestoßen durch das Amt für Jugend, Familie und Schule - der
strategische Prozess derWeiterentwicklung der Bildungslandschaft und speziell
die Umsetzung der Inklusion in den Schulen eingeleitet und bisher umgesetzt
wurden.
Lokale Bildungslandschaft in der Stadt Oldenburg
Die Bildungschancen junger Menschen in Deutschland sind nach wie vor in
hohemMaße von ihrer Herkunft und ihrer ökonomischen Situation abhängig.
Bereits auf der Aachener Konferenz des Deutschen Städtetages „Bildung
in der Stadt – Kommunale Bildungsverantwortung in Zeiten gesellschaftlichen
Wandels“ im Jahre 2007 wurde entsprechend kritisch auf die Auswirkungen
hingewiesen, die Qualitätsmängel und soziale Selektion in deutschen
Schulen für die Kommunen haben. Die Stadt Oldenburg hat sich dieser Herausforderung
gestellt und dezernats- und ämterübergreifend ein Gesamtkonzept
„Familienfreundliche Stadt“ entwickelt, das 2009 vom Rat der Stadt
verabschiedet wurde. Da Bildung in unserer heutigen Gesellschaft bedeutender
geworden ist als je zuvor, wurde in dem Konzept festgelegt, hier besondere
Anstrengungen vorzunehmen. Bildung ist bedeutsam für das Aufwachsen
von Kindern und Jugendlichen – nicht zuletzt auch, weil der Grad der
Ausbildung maßgeblich mit über die Zukunftsperspektiven der jungenMenschen
entscheidet. Deshalb ist es notwendig, den Bildungsauftrag in allen
Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe und den „klassischen“ Bildungseinrichtungen
imSinne von Erziehung, Bildung und Betreuung weiterzuentwickeln
und aufeinander abzustimmen.
Ein qualitativ hochwertiges Bildungsangebot ist aber nicht nur für die
Entwicklung und die Zukunftschancen der Kinder und Jugendlichen von
zentraler Bedeutung, sondern auch ein wichtiger Standortfaktor für die
Kommune und für jeden einzelnen Stadtteil. Eltern machen ihre Wohnortwahl
unter anderem davon abhängig, ob sie für ihr Kind ein akzeptables
Schulangebot vorfinden. Aufgrund der zunehmenden Herausforderung, Familie
und Beruf miteinander zu vereinbaren, wird von einer guten Schule
auch ein attraktives Betreuungsangebot erwartet. Bildungseinrichtungen vermitteln
jedoch nicht nur eine Grundausbildung, sondern entfalten auch eine
selektiveWirkung.
Um einen geeigneten Rahmen für die Bearbeitung dieser umfassenden
Herausforderungen zu schaffen, wurde 2008 das Projekt „Weiterentwicklung
der Oldenburger Bildungslandschaft“ initiiert. Die Stadt Oldenburg hat seit
der Zusammenführung des Jugendamtes mit dem Schulamt zum Amt für Jugend,
Familie und Schule eine lokale2 Bildungslandschaft gemeinsam mit den
schulischen und außerschulischen Partnern aufgebaut. Die Bildungslandschaft
wird dabei aus der Perspektive derer gedacht und geplant, die sich in
ihr bewegen: Kinder, Jugendliche, Eltern, Erwachsene, alte Menschen oder
Menschen mit einem besonderen Unterstützungsbedarf. Es geht daher nicht
in erster Linie um die unterschiedlichen Bildungseinrichtungen (Kita,
Schule, Jugendfreizeitstätte) in ihrer Binnenperspektive, sondern darum, wie
die verschiedenen Bildungseinrichtungen von Anfang an gut miteinander
kooperieren, um ihren jeweiligen Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungsauftrag
für das einzelne Kind am besten umsetzen können.
Um das Ziel einer am Bildungsauftrag orientierten Vernetzung der Angebote
und damit die Überwindung der Zergliederung des Bildungssystems
zu erreichen, werden die gesetzlichen Anforderungen des § 81 Achtes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB VIII), der die Zusammenarbeit der Träger der Jugendhilfe
mit Schulen und Stellen der Schulverwaltung regelt, durch die
Schaffung einer integrierten Planung noch umfassender umgesetzt. Die
Schulentwicklungsplanung mit der integrierten örtlichen Bildungs- und Sozialberichterstattung
war die Grundlage für die Umsetzung des Ziels, die individuelle
Förderung zu verbessern und damit verbunden die Leistungsfähigkeit
des Bildungssystems zu steigern. Vor diesem Hintergrund ist es aus
Sicht der Stadt Oldenburg konsequent und richtig, dass das Land Niedersachsen
das Gesetz zur Einführung der inklusiven Schule auf den Weg gebracht
hat.
Umsetzung der Inklusion im
Niedersächsischen Schulgesetz
Im Dezember 2006 wurde in Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention
ratifiziert. Als Folge hiervon hat der Niedersächsische Landtag im
März 2012 eine Schulgesetznovelle beschlossen, durch die eine inklusive Bildung
an niedersächsischen Schulen beginnend mit dem Schuljahr 2013/2014
verbindlich eingeführt wird.3 Nach einer Übergangsphase müssen spätestens
ab dem Schuljahr 2018/2019 alle Schulen inklusiv arbeiten. Diese Neufassung
des Schulgesetzes vollzieht einen wichtigen Schritt in Richtung eines inklusiven
Schul- und Bildungssystems. Kernelement ist die Aussage, dass die öffentlichen
Schulen allen Schülerinnen und Schülern einen gleichberechtigten
Zugang zu ihren Bildungsangeboten ermöglichen. Bei Vorliegen sonderpädagogischen
Unterstützungsbedarfs bestimmen dann nicht mehr Rahmen-
bedingungen und einzelschulisches Engagement über die Möglichkeiten eines
gemeinsamen Unterrichts, sondern es gilt aufwachsend das Wahlrecht
der Erziehungsberechtigten zwischen Regel- und Förderschule.
Kritisch ist hierbei anzumerken, dass trotz dieses allgemeinen Anspruches
der Fokus deutlich auf Schülerinnen und Schüler mit einer Beeinträchtigung
liegt. Andere Dimensionen von Diversität werden unter dem Aspekt
der inklusiven Schule nicht expliziert. Es wird eher das ältere Konzept einer
Integration von Schülerinnen und Schülern mit Beeinträchtigung vertreten.
Nach wie vor beibehalten wird zudem die Feststellung des Bedarfs an sonderpädagogischer
Unterstützung. Dieses stellt einen strukturellen Mechanismus
der Kennzeichnung als „besonders“ dar, der jedoch ohne erhebliche
Veränderungen der aktuellen Verfahren der Ressourcenverteilung (z.B. Lehrerstunden)
unvermeidbar scheint. Es wären jedoch auch andereModelle der
personellen Ausstattung denkbar und wünschenswert, etwa eine Prognostizierung
und Anpassung hinsichtlich der zu erwartenden Schülerzahlen einer
Schule. Eine wichtigeQualitätsverbesserungwäre die feste Beschäftigung von
Förderschullehrkräften an den Regelschulen.
Alle Eltern von Schülerinnen und Schülernmit Bedarf an sonderpädagogischer
Unterstützung erhalten nun das Recht, eine inklusive Beschulung zu
wählen. Dieses Recht gelangt dort an seine Grenzen, wo die Förderung an der
Regelschule nicht gewährleistet, das Kindeswohl gefährdet oder die Sicherheit
von Personen bzw. der Schulbetrieb schwer beeinträchtigt wird. Mit
Blick auf den grundsätzlichen Anspruch eines inklusiven Schulsystems bleibt
abzuwarten, wie mit diesen Einschränkungen des Elternwahlrechts in der
Praxis umgegangen wird.
Die inklusive Schule wird beginnend mit dem Schuljahr 2013/2014 aufsteigend
mit den Jahrgängen 1 und 5 eingeführt. Ab diesem Zeitpunkt greift
das Elternwahlrecht zwischen Regel- und Förderschule. Der Primarbereich
der Förderschulen Lernen läuft ab diesem Schuljahr aus und kann daher
nicht mehr als Ort der Beschulung gewählt werden. Um den Schulträgern
ausreichend Zeit für den Umgestaltungsprozess zu lassen, wurde in den
meisten Förderschwerpunkten (ausgenommen Lernen, Sprache und emotional-
soziale Entwicklung im Primarbereich) eine Übergangsregelung bis
zum Schuljahr 2018/2019 vorgesehen. Während dieser Zeit reicht es aus, den
Schülerinnen und Schülern den Besuch nur einer ausreichend nahe gelegenen
Schule jeder Schulform – einer sogenannten Schwerpunktschule4 – zu
ermöglichen.
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