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Tatort Ein populäres Medium als kultureller Speicher
Tatort
Ein populäres Medium als kultureller Speicher




Dennis Gräf

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EAN: 9783894725655 (ISBN: 3-89472-565-6)
334 Seiten, paperback, 15 x 21cm, 2010, zahlreiche Abbildungen

EUR 29,90
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Die Krimireihe Tatort feiert dieses Jahr ihren 40. Geburtstag. Dem Tatort wird wie keiner anderen Fernsehproduktion eine Funktion als ‹Seismograph› bundesrepublikanischer Realität zugesprochen. Die Studie untersucht den Tatort von den 70er bis zu den 90er Jahren (mit einem Ausblick ins 21. Jahrhundert) unter mediensemiotischen Aspekten und rekonstruiert die zentralen inhaltlichen und ästhetischen Schwerpunkte der Serie: Welche Normen und Werte, welche Konstruktionen von ‹Gesellschaft› werden im Tatort sukzessive vorgeführt? Zudem stellt sich die Frage, welche Funktion der Kriminaldiskurs für die Modellierung der Tatort-Welten hat: Welche Art von Verbrechen wird von wem wie sanktioniert und was bedeutet das für die Filmbedeutung bzw. die vorgeführte Kultur?
Rezension
40 Jahre ist sie nun im Jahr 2010 alt: Die erfolgreiche ARD und ORF-Krimi-Reihe TATORT. Der 1970 gestartete Tatort, als Nachfolgeserie der Stahlnetz-Krimis und Antwort auf die Konkurrenz im Unterhaltungsbereich durch die ZDF-Krimiserie "Der Kommissar" (Erik Ode), ist die am längsten laufende und zur Zeit auch beliebteste Krimireihe im deutschen Sprachraum. Die Erstausstrahlung erfolgt Sonntags um 20:15 Uhr in der ARD und auf ORF 2. Bei ihren Tatort-Produktionen sind die einzelnen Rundfunkanstalten der ARD jeweils für ihr Sendegebiet zuständig; jede Rundfunkanstalt verfügt über mindestens ein Ermittlerteam. Die Folgen enthalten entsprechend nicht nur Lokalcolorit, sondern nehmen oft auch gesellschaftspolitische Themen auf. So war der Duisburger Kommissar Schimanski (Götz George) eindeutig dem Ruhrgebiet-Milieu verbunden. Dem Tatort wird mithin zu Recht wie keiner anderen Fernsehproduktion eine Funktion als ‹Seismograph› bundesrepublikanischer Realität zugesprochen. Diesem kulturellen Gedächtnis spürt dieser infiormative Band nach.

Oliver Neumann, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Dennis Gräf:
Studium und Promotion an der Universität Passau, dort seit 2007 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft. Mitbegründer des Arbeitskreises Mediensemiotik. Forschungsschwerpunkte im Bereich der Narratologie, der Mediensemiotik sowie der Rekonstruktion von Strategien literarischer und medialer Normen- und Wertevermittlung.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 7

1. Der Tatort als populärkulturelles Medium 8

1.1 Wie speichert der Tatort welche kulturellen Sachverhalte? 11
1.2 Forschungslage 28

2. Die Zeit vor dem Tatort: Der Kriminalfilmdiskurs der 60er Jahre 32

2.1 Die Edgar Wallace-Reihe 33
2.1.1 Zentrale Paradigmen in Der Hexer 34
2.1.2 Die Reihe und ihre Paradigmen 39
2.2 Die Stahlnetz-Reihe 42
2.3 Übergeordnete Strukturen der 60er Jahre: ‹Moral› und ‹Ordnung› 47

3. Der Tatort der 70er Jahre: Der Diskurs ‹Bürgertum› 52

3.1 Narrative Modelle und ‹Ordnungen› des Diskurses 53
3.1.1 ‹Internalisierung›: Cherchez la femme oder Die Geister am Mummelsee 53
3.1.2 ‹Scheinwahrung›: Der Mann aus Zimmer 22 64
3.1.3 Auflösungserscheinungen: Rot, rot, tot 75
3.2 Basisprämissen der Filme 82
3.2.1 Detektion und Selbstregulierung 83
3.2.2 Temporalisierung der Welten: Der Generationenkonflikt (Strandgut, Lockruf, Reifezeugnis) 93
3.2.3 Funktionalisierung von Weiblichkeit: Der Mann auf dem Hochsitz 105
3.2.4 Funktionalisierung von Erotik und Sexualität 117
3.3 Anthropologische Grundannahmen des ‹Bürgertums› 126
3.3.1 Die narrative Funktion des Bürgertums 127
3.3.2 ‹Vernunft› und ‹Tradition› vs ‹Freiheit› und ‹Innovation› 130
3.3.3 ‹Moral› 132
3.3.4 Verweigerung der Bürgerlichkeit: Das Lederherz 134
3.4 Exkurs: Der Raum als Wert an sich: ‹Bayerischer› Tatort 137
3.5 Resümee 144

4. Von den 70er zu den 80er Jahren: Diskurstransformationen – Bruch und Auflösung 153

4.1 Überführung des ‹Bürgertum›-Problems: Gefährliche Träume 153
4.2 Auflösung des ‹Bürgertum›-Diskurses: Peggy hat Angst 161

5. Die 80er Jahre: Der Diskurs ‹Institutionalisierung und Bedrohung› 172

5.1 Transformationen und Neusetzungen 172
5.1.1 Programmatischer Neu-Beginn: Duisburg Ruhrort 173
5.1.2 ‹Alt› vs ‹Neu›: Schicki-Micki 184
5.2 Die dysfunktionale Gesellschaft als Leitkategorie 191
5.2.1 Gesellschaft als Bedrohung: Das Mädchen auf der Treppe 191
5.2.2 Pervertierung der Gesellschaft 195
5.2.3 Vernetzung von ‹Gesellschaft› 203
5.3 Etablierung neuer Werte 209
5.3.1 Das Individuum im außersozialen Raum: Das Haus im Wald 209
5.3.2 ‹Geld› als determinierende Größe: Leiche im Keller 220
5.4 Geschlechterkonzeptionen und Sexualität 229
5.4.1 ‹Weiblichkeit› und ‹Männlichkeit› 230
5.4.2 ‹Sexualität› 248
5.5 Ende der Programme 250
5.5.1 Ende eines ideologischen Programms: Der Pott 251
5.5.2 Ende eines ästhetisch-medialen Programms: Der Fall Schimanski 260
5.6 Resümee 269

6. Nach den 80er Jahren: Diskursmodulationen – Rück- und Überführung ins ‹Innere› 277

6.1 Eigene vs fremde Räume: Ein Wodka zuviel 278
6.2 Fremd-Determinierung: Perfect Mind – Im Labyrinth 286
6.3 Stigmatisierung des ‹Fremden›: Abweichung durch Homosexualität 297
6.4 Übergeordnete Strukturen der 90er Jahre: Pseudo-Integrationen 303

7. Ausblick in das 21. Jahrhundert: Fragmente und Mikrokosmen als Verweissysteme 312

Anhang 323
Filmografie 323
Bibliografie 325
Internetquellen 329
Abbildungsverzeichnis 329


Leseprobe:
8
1. Der Tatort als
populärkulturelles Medium
Es stellt schon nahezu eine Unmöglichkeit dar, auf die Begriffe ‹Sonntag Abend,
20.15 Uhr› zu verzichten, um eine Studie über den Tatort einzuleiten. Mit diesen
Worten beginnt in der Regel jeder Beitrag, in welchem Texttyp auch immer,
über die seit nunmehr 39 Jahren ausgestrahlte Krimireihe der ARD, die sich allseits
größter Beliebtheit erfreut. Wer den Tatort nicht regelmäßig anschaut, kennt ihn
zumindest und weiß damit ein kulturelles Produkt von anscheinend besonderer
Bedeutung zu verbinden. Es hat sich mittlerweile eine Sichtweise des Tatort als
Konsens etabliert, welche die Krimireihe als ‹Seismograph› deutscher Befindlichkeiten
und Mentalitäten, als Beobachter der Gesellschaft insgesamt wahrnimmt.
Eine solche Sichtweise scheint immer wieder als eine Art Lockruf zu dienen, sich
dem Tatort sonntäglich zu widmen. Die Rezeption dieses populären Mediums
hat sich in den letzten Jahren insofern gewandelt, als der Tatort nicht mehr ausschließlich
daheim vor dem Fernseher verfolgt wird, sondern in Public Viewings
gemeinschaftlich rezipiert wird. Die Gastronomie hat den Tatort für sich entdeckt
und bietet in vielen Städten Deutschlands Sonntag abends mittlerweile institutionalisierte
Tatort-Viewings an.1
Der Tatort ist im medialen Diskurs präsent, was sich hauptsächlich im Leitmedium
Internet widerspiegelt. Der Tatort verfügt über einen eigenen Wikipedia-
Eintrag2, sogar einzelne als kanonisiert geltende Filme der Reihe haben einen
solchen eigenen Eintrag3, sowie dem hauptsächlich mit der Reihe in Verbindung
gebrachten Ermittler Horst Schimanski eine Homepage4 gewidmet ist. Dass einige
Filme immer wieder besonders hervorgehoben und als ‹Klassiker› oder ‹Kult› be-
1 So z.B. im All Area Club in Köln (vgl. www.wdr.de/themen/kultur/rundfunk/tatort/070502.jhtml),
im Choriner Eck in Berlin (vgl. www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.
fcgi/2005/1014/ berlin/0033/index.html), im Schocken in Stuttgart (vgl. www.swr.de/kultur/film/
tatort-gucken/-/id=3240/nid=3240/did=3265928/kvi4qw/index.html) sowie im Café Esspress in
Bamberg (vgl. www.ottfried.de/service/trendsport-kollektives-tatort-gucken-2.html). Die Städte
zeigen zudem an, dass es sich um ein bundesdeutsches Phänomen handelt.
2 Vgl. www.wikipedia.org/wiki/_Tatort(Fernsehreihe).
3 So z.B. Reifezeugnis (vgl. www.wikipedia.org/wiki/Reifezeugnis_(Film)) oder Zahn um Zahn
(vgl. www.wikipedia.org/wiki/Zahn_um_Zahn).
4 Vgl. www.horstschimanski.info.
9
Der Tatort als populärkulturelles Medium
zeichnet und stets neu diskutiert werden, zementiert die gesellschaftlich und kulturell
herausragende Stellung der Reihe.5 Im Internet existiert eine Reihe von privaten
Fanseiten und Foren, die sich ausschließlich dem Tatort widmen und umfassende
Datenmengen zur Verfügung stellen.6 Auch die ARD stellt eine eigene Homepage
für den Tatort zur Verfügung7, sowie dies auch die einzelnen Sendeanstalten tun8.
In den Foren findet ein reger Kontakt zwischen den Fans der Krimireihe statt, so
dass der Tatort durchaus auch eine soziale Funktion hat: Die Rezipienten tauschen
sich über die vermittelten Inhalte aus und diskutieren diese teilweise in den Foren
sehr intensiv, so z.B. wenn es um aktuelle gesellschaftliche oder politisch brisante
Themen und deren (vermeintliche) Umsetzung im Tatort geht.
Der Tatort kann über den Fan-Aspekt hinaus von enormer gesellschaftlichkultureller
Sprengkraft sein, wie die Diskussion um den Film Wem Ehre gebührt
(2007) zeigt. Hier wird ein Fall von Inzest in einer alevitischen Familie dargestellt.
Die alevitischen Gemeinden in Deutschland zeigten sich empört über den Film, der
ihrer Meinung nach die alevitische Lebensform diskriminiere. So ist die ARD aufgrund
der Ausstrahlung des Films, die vorher massiv von alevitischen Gemeinden
in Deutschland bekämpft wurde, wegen Volksverhetzung angezeigt worden. Zum
einen ist die Auseinandersetzung um den Film in der überregionalen Presse dokumentiert9
und manifestiert sich damit in einem gesellschaftlichen Diskurs. Zum
anderen haben alevitische Rezipienten in Tatort-Foren ihre Verärgerung über den
Film zum Ausdruck gebracht, was zu einer sehr hitzigen Diskussion innerhalb eines
Forums geführt hat.10
Der Tatort hat, das lässt sich aus den bisherigen Ausführungen folgern, die
Fähigkeit, gesellschaftliche Diskurse zu initiieren, zu prägen und zu bereichern. Er
markiert einen gesellschaftlich und medial relevanten Bereich medienphilologischen
Interesses. Des Weiteren findet er kontinuierlichen Eingang in das Feuilleton
der überregionalen Tageszeitungen «Süddeutsche Zeitung» und «Frankfurter
5 Dazu gehört auch die Tatsache, dass seit dem Jahr 2008 auch der Radio-Tatort produziert wird, der
das Format auf den Hörspielsektor erweitert hat. Vgl. dazu http://www.ard.de/radio/radiotatort/
start/-/id = 725 824/ sv9z4e/index.html.
6 So z.B. die Seiten www.rubycon.de/tatort, www.tatort-fundus.de, www.tatort-fans.de, www.tatortforum.
de.
7 Vgl. www.daserste.de/tatort.
8 Stellvertretend sei hier die Seite www.wdr.de/tv/krimi genannt.
9 Vgl. z.B. folgende Artikel aus FAZ.Net: «Proteste gegen Tatort. Volksverhetzung: ‹Der Vorwurf
trifft mich sehr›» (28.12.2007) sowie «Proteste gegen Tatort. Ein deutscher Karrikaturenstreit?»
(27.12.2007). Die Quellenangaben finden sich aufgrund ihrer Länge im Literaturverzeichnis unter
«Internetquellen».
10 Auf der Seite www.tatort-fans.de finden sich zu diesem Film 92 (!) Forum-Einträge.
10
Der Tatort als populärkulturelles Medium
Allgemeine Zeitung» sowie, nicht zuletzt, in die «Bild-Zeitung», die in den 80er
Jahren eine dominante Rolle bei der Rezeption des Tatort im Allgemeinen und der
Figur des Duisburger Hauptkommissars Horst Schimanski im Besonderen hatte.11
Zudem finden sich heute Sonderausgaben von Fernseh-Programmzeitschriften12,
die sich dezidiert dem Tatort widmen und ihn in der Regel, chronologisch aufgearbeitet
und auf die Namen, Biographien und Einsatzorte der einzelnen Ermittler
beschränkt, in Kurzform präsentieren. Auch andere Print-Kulturmagazine widmen
sich dem Tatort als kultureller Konstante.13 Als ästhetisches und massenmediales
Produkt großer gesellschaftlicher Reichweite stellt er einen medienwissenschaftlich
interessanten Forschungsgegenstand dar, der in der vorliegenden Studie einer mediensemiotischen
Analyse unterzogen wird.
Der Gegenstandsbereich der vorliegenden Studie ist demnach die für das Fernsehen
produzierte Krimireihe Tatort, deren erster Film, Taxi nach Leipzig, am
29. November 1970 ausgestrahlt wurde und die bis heute (2010) über 760 [!] Filme
hervorgebracht hat.14 Bislang wurde erörtert, dass der Tatort von medienwissenschaftlichem
Interesse ist, es gilt nun, sich der Frage zu nähern, warum er einen
untersuchenswerten Gegenstandsbereich darstellt. Ein grundlegender Sachverhalt
für die gesellschaftliche Leistung des Tatort liegt in seiner Kontinuität. Diese erlaubt
es, über einen langen Zeitraum hinweg – es handelt sich immerhin um genau
40 Jahre – innerhalb eines medialen Formats Veränderungen zu beobachten. Solche
Veränderungen sind auf der Ebene der filmischen Ästhetik, aber auch und vor allem
auf der Ebene der dargestellten Kultur zu finden. Der Tatort präsentiert, indem er
Verbrechen und ihre Aufklärung sowie den gesellschaftlichen Umgang damit zum
Thema macht, kulturelle Denkweisen und Praktiken. Das Verbrechen an sich stellt
– transkulturell – eine Verletzung einer Norm dar. In einem Kriminalfilm existieren
deshalb zwangsläufig ein Raum der Normsetzung und -einhaltung sowie ein
11 Die Bild-Zeitung hat in den 80er Jahren einen dominanten Diskurs über die Figur Schimanski geführt
und ihn als «Schmuddelkommissar» bezeichnet. Die fiktive Figur, so die Bild-Zeitung, dürfte
nicht in der Lage sein, einen deutschen Kriminalhauptkommissar adäquat repräsentieren zu können
und damit insgesamt nicht repräsentationsfähig sein. Schließlich beschränkte sich das Organ darauf,
das pro Folge ausgesprochene Wort «Scheiße» zu zählen, was dann wiederum von den Drehbuchautoren
rezipiert und in neue Drehbücher eingearbeitet wurde. Vgl. dazu Wenzel (2000a: 170).
12 So z.B. die Ausgabe 21 (16.5.2008) der Zeitschrift «Hörzu», die als Jubiläumsausgabe zum 700. Tatort
erschienen ist.
13 So z.B. «du. Zeitschrift für Kultur» in der Ausgabe 779 (8/2007), deren Titel «Tatort. Der Mord zum
Sonntag» lautet. Mit diesem Titel rekurriert die Zeitschrift bereits auf die Kontinuität der Reihe,
indem sie den Tatort mit der seit 55 Jahren in der ARD ausgestrahlten Reihe «Das Wort zum Sonntag
», die einen institutionellen Charakter hat und mit der Semantik des aus der Medienlandschaft
‹Nicht-Wegzudenkenden› verknüpft ist, zumindest sprachlich verbindet.
14 Wenzel (2000) spricht von einem «Dauertext des Deutschen Fernsehens» (7).
11
Der Tatort als populärkulturelles Medium
Raum der Normverletzung, so dass die Filme explizit oder implizit ein Norm- und
Wertsystem etablieren. Die Frage ist also, inwiefern solche Norm- und Wertsysteme,
gerade vor dem Hintergrund der Kontinuität der Reihe, repräsentativ für die Kultur15
sind, in der sie entstanden sind. Wie werden die Legitimation und Gültigkeit
kultureller Normen und Werte massenmedial diachron verhandelt? Um diese Fragen
befriedigend und aufgrund fundierter Analysen beantworten zu können, ist es
im Rahmen dieser Studie heuristisch sinnvoll, sich auf einen bestimmten zeitlichen
Rahmen zu beschränken. Diesen Rahmen stellen die 70er und 80er Jahre dar, in
denen jeweils ein Teildiskurs dominant ist.
1.1 Wie speichert der Tatort welche
kulturellen Sachverhalte?
Filmische ‹Texte›16 sind Wirklichkeitskonstruktionen. Sie bilden Realität nicht ab
oder beziehen sich auf eine außerfilmische Realität, sondern sie konstruieren eine
eigene, eben dargestellte Welt. Innerhalb dieser künstlerisch modellierten Welten
gelten Regeln und Gesetze, die als spezifische Regeln genau eines Weltentwurfes, also
eines konkreten Films, zu verstehen sind. Solche Weltentwürfe sind als Modelle zu
verstehen, sie führen mögliche Welten vor, die hinsichtlich der in ihnen enthaltenen
Regeln und Gesetze nicht als wahr oder falsch bewertet und damit an der außerfilmischen
Realität gemessen werden dürfen, sondern rekonstruiert werden müssen.
Die Rekonstruktionen liefern ihrerseits Aussagen über das Selbstverständnis der
Kultur, in der die Weltmodelle entstanden sind.
Mediale Konstruktionen sind Teil eines von der Gesellschaft produzierten
Selbst- und Weltbildes und diffundieren dementsprechend implizit die in einer Gesellschaft
vorhandenen Wissensmengen. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Art
der semiotischen und ästhetischen Speicherung solchen Wissens. Solches Wissen
kann sich auf Norm- und Wertvorstellungen einer Gesellschaft beziehen oder auf
grundsätzliche Deutungsmuster von ‹Welt›. Weltentwürfe treten in Korrespondenz
15 Kultur soll hier mit Titzmann (2003) verstanden werden als «räumlich und/oder zeitlich begrenztes
soziales System, definiert durch die semiotischen und nicht-semiotischen Regelsysteme, die sich von
den – beobachtbaren oder rekonstruierbaren – semiotischen oder nicht-semiotischen sozialen Praktiken
der Epoche/Kultur abstrahieren lassen» (3045).
16 Der Begriff Text versteht sich mit Titzmann (2003) folgendermaßen: «(Sprachliche) Texte sind semiotische
Äußerungen, also Zeichenfolgen ‹Z1, …, Zn›, d.h. geordnete Mengen von Zeichen […]»
(3030). Siehe auch Titzmann (1993).
Weitere Titel aus der Reihe Schriften zur Kultur- und Mediensemiotik