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Suchtlexikon
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Franz Stimmer, Petra Andreas-Siller (Hrsg.)

Oldenbourg Schulbuchverlag
EAN: 9783486235258 (ISBN: 3-486-23525-7)
645 Seiten, Festeinband mit Schutzumschlag, 16 x 22cm, 2000

EUR 54,80
alle Angaben ohne Gewähr

Rezension
Das umfangreiche „Suchtlexikon“ ist ein überaus hilfreiches Nachschlagewerk, das jedenfalls auch in die Schulbibliothek gehört. Denn Schule ist in vielfältiger Hinsicht mit der Sucht-Problematik konfrontiert, - auch wenn das auf den ersten Blick nicht unbedingt so scheinen mag (vgl. hier ausgewählte Leseprobe „Schule“). – Die Artikel-Spannbreite bewegt sich von „Akzeptierende Drogenarbeit“ über „AIDS“, „Drogen in der Literatur“, „Einstieg in den Drogenkonsum“, „Entwöhnung“, „Familientherapie“, „Geschichte des Tees und Kaffees“, „Jugend“, „Musik und Drogen“, „Prävention“, „Spielsucht“ bis zu „Zeugnisverweigerungsrecht“, - um nur einiges zu nennen. – Ich kann dieses Lexikon für die Lehrerhand nur empfehlen!

Thomas Bernhard für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Die Inhaltliche Vielfalt des Lexikons reicht von Fragen der Genetik bis hin zu soziologischen Konzepten, von geschichtlich-kulturellen Aspekten bis zu Suchtstoffanalysen, von der Gesundheitsförderung bis zur zwangsweisen Unterbringung, von der Psychoanalyse bis zur Verhaltenstherapie, von der Entgiftung bis zur Nachsorge, von der Kindheit bis zum Alter, vom Genußmittel Alkohol bis zu chronisch mehrfachgeschädigten Menschen, von geschlechtsspezifischen bis zu berufsspezifischen Fragen, von der Ethik bis zu Suchtstoffgruppen... Im "Suchtlexikon" finden die teilweise noch sehr verstreuten Mosaiksteine den ihnen angemessenen Platz.
Inhaltsverzeichnis
Artikel A-Z


Leseprobe:

Schule:

l. Situation und Entwicklung. Auf den ersten Blick scheint die Bildungsinstitution S., eine Einrichtung zur Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten, mit Sucht oder Abhängigkeit nichts zu tun haben. Bei näherem Hinschauen allerdings gibt es vielfältige Berührungspunkte, die sich sogar zu erheblichen Belastungen, Problemen, Konflikten und auch finanziellen Folgeschäden entwickeln können. Das gilt für alle S., die es in Deutschland in einer bunten Vielfalt in staatlicher, freigemeinütziger und privater Trägerschaft gibt. Zu den allgemeinbildenden S. zählen Grund-, Haupt-, Real-, Gesamt- und Sonderschulen sowie Gymnasien, in einigen Bundesländern Orientierungsstufen. Zu den Berufsbildenden S. gehören u.a. gewerbliche und kaufmännische Berufsschulen sowie Berufsfachschulen, Fachschulen und Fachgymnasien. Mindestens 12 Jahre gehen Schüler in die S. (Schulpflicht). So werden alle Kinder und Jugendlichen über einen langen Zeitraum in der Regel von 6 bis 18 Jahren mit dem Bildungsund Erziehungsauftrag der S. erreicht, wie er in den Schulgesetzen der Länder, die die Bildungshoheit haben, verankert ist. Am Ende der Schulzeit erwerben erfolgreiche Schüler Qualifikationen, die sie berechtigen, weiterführende S. oder Hochschulen zu besuchen oder bestimmte Berufsausbildungen zu beginnen. Im Zentrum der S. steht der Unterricht in unterschiedlichsten Fächern mathematisch-naturwissenschaftlicher, sprachlicher, sportlicher, musischer, sozialer und religiöser Art. S. haben die Aufgaben, die Jugend auf das Leben in Gesellschaft und Staat sowie auf die Zukunft vorzubereiten. Da sich die Gesellschaft in ihrer Vielfalt, z.B. in der Ar-beits- und Freizeitwelt, in jüngster Zeit immer schneller und intensiver wandelt, verändern sich die Aufgaben und Erwartungen an die S. ebenfalls kontinuierlich. Die verantwortlichen Kultusministerien versuchen durch Überprüfungen, Ergänzungen, Änderungen und Reformen, S. den gesellschaftlichen Erfordernissen anzupassen. Bei dieser Fortentwicklung kommt es immer wieder zu Problemen und Konflikten zwischen allen Beteiligten, z.B. Politikern, Lehrern, Eltern und Verbänden. In hochentwik-kelten Ländern, wie in Westeuropa und den USA, ist das Konfliktpotential aufgrund der ausgiebigen Differenzierung des Schulwesens erheblich, insbesondere wenn es um bestimmte Fächer, Schulformen, Anforderungen, Beurteilungen und Finanzen geht. Über die Pflichtschulen hinaus gibt es eine Vielzahl ebenfalls bedeutender freiwilliger S. wie z.B. Volkshochschulen oder S. für besondere Fertigkeiten wie Fahr-, Tanz-, Sport-, Mal- und Musikschulen. Insgesamt verfügt das Schulsystem in Deutschland über ein ausgesprochen vielfältiges Spektrum, das für den einzelnen Bürger kaum über- und durchschaubar ist.
1.1 Abhängigkeit und Mißbrauch bei Schülern. Bei der Abhängigkeit in weiterem Sinne, bei der nicht nur Suchtmittel wie Alkohol, Nikotin, Medikamente und illegale Drogen, sondern auch Tätigkeiten und Verhaltensweisen wie Essen, Spielen, Arbeiten eine Rolle spielen, sind Schüler gelegentlich betroffen. Exakte Zahlen und Materialien liegen dazu nicht vor, doch lassen Untersuchungen (Kolip u.a. 1995) und Jugendforschungsergebnisse verschiedener Institute darauf schließen (-»Jugend), daß bereits Schüler abhängig sind, z.B. mehrheitlich Jungen von Nikotin, Alkohol und Drogen, und Mädchen insbesondere von -»Eßstörungen wie Mager-, Fettsucht und Bulimie. Diese mit zunehmender Tendenz auftauchenden Symptome decken sich mit Einzelerfahrungen, daß z.B. vor allem im Drogenbereich Schüler vermehrt mit der Polizei zu tun haben und daß aufgrund von Verhaltensauffälligkeiten und Eeistungsabfall ein Mißbrauch von Drogen - auch gleichzeitig von anderen Suchtmitteln - vermutet wird. Das quantitativ größte Problem ist Nikotin, das an vielen S. wieder zwischen allen Beteiligten diskutiert wird (Raucherzimmer und -ecke).
Doch nicht die -^Abhängigkeit von Schülern ist das Hauptproblem an S., sondern eher der »Mißbrauch von legalen Suchtmitteln und der Gebrauch illegaler Drogen, in jüngster Zeit zunehmend -»Designerdrogen wie -»Ecstasy (XTC), die bei Techno-Veranstaltungen von vielen jungen Teilnehmer konsumiert werden. Sorgen und Probleme bereitet es Eltern und Lehrern, wenn es zu erheblichen Auffälligkeiten kommt, z.B. Konsum von Suchtmitteln von jüngeren Schülern, die aufgrund gesetzlicher und schulinterner Regelungen weder rauchen noch alkoholische Getränke zu sich nehmen dürfen. Wenn das ohne Maß geschieht und erste Ausfälle bis hin zu gewalttätigen Ausschreitungen bei Klassen- und Schulfesten bereits zur Regel werden, es zu Polizei- und Notarzteinsätzen aufgrund von Alkoholvergiftungen kommt, dann ergibt sich daraus ein erheblicher Handlungsbedarf. Das gilt auch aufgrund der Sorge um Eskalation und Gefährdungen, wenn Schüler allein oder in Gruppen haschen, schnüffeln (-»Schnüffelstoffe), Alkohol mißbrauchen oder gar mit illegalen Drogen Handel treiben (dealen). Bei all dem kommt es gelegentlich zu Verhaftungen, schweren Erkrankungen und Todesfällen.
Wenn auch solche Situationen nur Ausnahmeerscheinungen sind, besteht die Gefahr, daß es sich um die Spitze eines Eisbergs handelt, denn die in Deutschland steigenden Zahlen von drogenauffälligen Straftätern und Erstkonsumenten bestehen zu einem großen Teil aus Schülern. Diese und viel unauffälliger beginnende Auffälligkeiten, die oft mit problematischem Verhalten wie Aggressivität, Lustlosigkeit und Leistungsabfall einhergehen, bereiten Lehrern und Eltern zunehmend große Sorgen, die allerdings oft aus Unsicherheits-, Angstund Ohnmachtsgefühlen verdrängt werden. Nicht selten werden solche Unannehmlichkeiten „unter den Teppich gekehrt". Wie bei der zunehmenden Ge-waltbereitschaft öffnen sich aber immer mehr Verantwortliche, um sich zu informieren und wirksam reagieren zu können.
Insgesamt sind Lehrer - von Land zu Land sicherlich unterschiedlich - auf diese Probleme der Schüler von heute und morgen unzureichend vorbereitet -das gilt sowohl für Interventionen bei Vorkommnissen als auch für »Beratungen, vor allem aber für die ^Prävention (Struck 1997). Lehrer müssen dringend bezüglich dieser Probleme aus- und fortgebildet werden, und zwar im Interesse der Schüler und im eigenen Interesse; denn diese Überforderungen verkraften viele nicht. Sie ziehen sich zurück und werden krank.
1.2 Abhängigkeit und Mißbrauch bei Lehrern. Aufgrund von Überforderungen, unzureichender Lehrerbildung und fehlender Beratung und Hilfe kommt es zu negativen Erscheinungen, wenn Lehrer Suchtmittel mißbrauchen, gelegentlich z.B. auf Klassenfahrten sogar mit Schülern, vor allem aber wenn sie abhängig sind. Oft ist co-alkoholisches (-»Co-Abhängigkeit) Verhalten von Kollegen und Schulleitern festzustellen, die helfen wollen, aber aufgrund mangelnder Kenntnisse die Situation der Betroffenen und damit zusätzlich - und das ist tragisch - ihre eigene Situation, die der Schüler und der Kollegen nur verschlimmern.
Keineswegs handelt es sich bei dem Phänomen der suchtkranken Lehrer um eine kleine Zahl. Die Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren schätzt den Anteil der Suchtkranken unter Arbeitnehmern auf ca. 5%. Für Niedersachsen wären das bei ca. 75000 Lehrern fast 4000, d.h., im Durchschnitt ist in jeder S. einer, der dringend Beratung und richtiger Hilfe bedarf. Auch das Personal, mit dem Schüler zu tun haben, wie Sekretärin, Hausmeister und Busfahrer, ist in dieses Hilfesystem einzubeziehen.
Ohne ein solches System und ohne Kenntnisse auf diesem Gebiet geraten nicht nur Betroffene sondern auch Kollegen und vor allem Vorgesetzte in erhebliche Schwierigkeiten, weil sie z.B. falsch „helfen", indem sie das Fehlverhalten von Kollegen decken und bagatellisiert haben. Aus diesem Teufelskreis können sie kaum noch aussteigen. Da Belastungen und Druck u. a. durch Fehlverhalten immer größer werden, werden die Reaktionen ebenfalls intensiver und verschlimmern die Situation, die nicht selten in Frühpensionierungen enden. (^Betriebliche Suchprävention). l .3 Abhängigkeit und Mißbrauch bei Eltern. Familienmitglieder werden immer durch Abhängige in der eigenen Familie belastet und leiden darunter, so auch Schüler. Wenn Lehrer diesbezüglich ausgebildet, informiert und sensibel sind, sind sie eher in der Lage, Verhaltensauffälligkeiten, die sehr unterschiedlich sein können - von Aggression über Desinteresse bis zur Regression -, zu erkennen und entsprechend zu reagieren, verständnisvolle Gespräche zu führen, zu beraten und zu helfen. Schulpsychologen und Beratungslehrer können diese Arbeit - allein - nicht leisten. Hier sind alle Lehrer gefordert. Sie haben gute Möglichkeiten der Hilfe, des Aufbaus nachhaltig wirkender Beziehungen zur Verhinderung negativer Schul- und Berufskarrieren und evtl. auch von Katastrophen. In der Lehrerbildung ist u.a. auch aus diesem Grund die Elternarbeit zu thematisieren, die dort bisher fast gar nicht vorhanden ist. Es gibt Beispiele positiver Entwicklungen bei suchtbelasteten Eltern durch engagierte (Beratungs-)Lehrer, und nicht nur bei diesen, sondern auch bei Familien, die durch andere Auffälligkeiten gefährdet sind wie Gewalt, sexueller Mißbrauch und Suizid. Häufig sind bei intensivem Kümmern gleichzeitig mehrere Symptome festzustellen. Kinder und Erwachsene aus diesem Milieu sind nicht voll leistungsfähig, und schon allein deswegen ist hier die S. gefragt, wenn sie ihren Erziehungs- und Bildungsauftrag ernst nimmt. Durch solche überfälligen Maßnahmen kann Familien wirksam geholfen werden, werden Schüler erfolgreicher sein in S. und Beruf, werden Mißerfolge, Dissozialität, Kriminalität und auch Abhängigkeit verhindert. Ein großer Vorteil ist zusätzlich, daß solche Maßnahmen erhebliche Kosten beispielsweise in der Strafrechtspflege und in der Therapie einsparen.
2. Hilfen für Gefährdete und Abhängige. Allen irgendwie an S. Beteiligten kann bei Suchtproblemen -intern - durch entsprechend aus- und fortgebildete und für diese Aufgaben teilweise freigestellte Lehrer geholfen werden (->Suchtkran-kenhelfer). Günstig ist, wenn alle Lehrer diesbezügliche Grundkenntnisse hätten, damit sie zumindest in kritischen Situationen beim Umgang mit Gefährdeten nichts falsch machen und wenn Helfer für weitergehende Fragen und Kriseninterventionen zur Verfügung stehen. Die Schulverwaltung kommt um den konsequenten und flächendeckenden Aufbau einer Suchtkrankenhilfe mit eigenem Personal nicht umhin, damit bei Bedarf in S. und S.-Verwaltungen die Weichen richtig gestellt werden. Die für diese Arbeit sorgfältig auszuwählenden und weiterzubildenden Lehrer, die z.B. Abhängigkeit selbst oder mit Angehörigen erfahren haben, haben keine therapeutischen Aufgaben, sondern sind eigentlich Fachleute für Sucht und Suchtkrankenhilfe, damit sie beraten, vermitteln und Richtiges gemeinsam mit Fachinstitutionen in die Wege leiten können. Überall da, wo eine solche Hilfe geleistet wird, ist sie überaus wirksam. Notwendig dazu sind -^„Dienstvereinba-rungen" über die Vorgehensweise zwischen Dienstherrn und Personalrat. Sie enthalten u.a. Zielsetzungen und einzelne Schritte der notwendigen Maßnahmen. Es gibt bereits Ansätze dieser Bemühungen, die allerdings überall nur mit Schwierigkeiten durchzusetzen sind, u.a. weil sich die Institutionen dann zur Existenz der Suchtprobleme bekennen müßten. In Niedersachsen z.B. hat die Landesregierung bereits 1985 diese Zielsetzung in ihr Suchthilfeprogramm aufgenommen, ohne daß bisher trotz weiterer Absichtserklärungen und Bemühungen nennenswerte Ergebnisse zu verzeichnen sind.
Mit einer Gefährdetenhilfe für suchtkranke Lehrkräfte - ähnlich der Betrieblichen Suchtkrankenhilfe (-»Betriebli-che Suchtprävention) - könnte den Gefährdeten und Abhängigen frühzeitig durch Offenheit und Konsequenz fachgerecht geholfen werden. In vielen Betrieben und Verwaltungen hat man damit gute Erfolge bewirkt, so daß ein weiteres Abgleiten in Fehlverhalten und weitergehende Krankheiten vermieden wird, ebenso auch die frühzeitige Entlassung.
Genau wie für andere Bedienstete des Staates und Mitarbeiter in der freien Wirtschaft ist für Lehrer dringend ein Beratungs- und Hilfesystem erforderlich. Damit würde der Dienstherr seiner Fürsorgepflicht entsprechen und viele qualitative und quantitative Ausfälle unterschiedlichster Art wie Unterrichtsausfall, Entlassungen, Ärger und vor allem die immense Dauerbelastung von Kollegen vermeiden. Eine qualitativ gut ausgestattete Gefährdetenhilfe für suchtkranke Lehrkräfte würde zu einem positiven Image der S. beitragen. Dazu gehört eine spezielle Schulung der Lehrer, insbesondere der Schulleiter und Schulverwaltungsbeamten, u.a. mit dem Ziel, Fehler zu vermeiden und anders und wirksam zu helfen und Psycho-hygiene zu pflegen. ( ^Betriebsspezifi-sche Aspekte)
3. -^Prävention und -^Gesundheitsför-derung. Angesichts der aktuellen Situation und der erheblichen Wandlungsprozesse bei Kindheit, Jugend, Familien, Medien, Freizeitverhalten, Werten und Konsum ist die Prävention Hauptaufgabe der S., die auch als besondere Chance gesehen werden kann. Junge Menschen sind alle über einen relativ langen Zeitraum in der S., den es unter diesen Aspekten im Rahmen sowohl von ^Erziehung als auch von Bildung optimal zu nutzen gilt. Das ist auch - zumindest punktuell - seit langem getan worden, und zwar mit unterschiedlichen, vor allem mit negativen Methoden, bei der Abschreckung sowie Krankheitsverminderungs- und -früh-erkennungsstrategien die Hauptrolle spielten. In den 80er Jahren wurde der Schwerpunkt mehr auf Aufklärung und Information - auch über illegale Suchtmittel u.a. mit dem Drogenkoffer -gelegt, die ebenfalls nicht die gewünschten Erfolge erbrachten. In jüngster Zeit erst wurden Konzepte entwickelt, die sich nicht an Drogen orientieren sondern an Menschen und an der ^Ottawa-Charta der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 1986, die Gesundheit sehr weit als körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden definiert und gesundheitsförderliche Lebenswelten schaffen will, also u.a. auch eine gesundheitsfördernde S. Dabei gilt es, Schüler stark zu machen, persönliche Kompetenzen zu fördern, zu befähigen und ermöglichen, zu vermitteln und zu vernetzen, alles Aufgaben, die zur Erziehung und Bildung in der S. zählen. So sind diese Bemühungen auch als Teil der Erziehung zu verstehen, bei der die
Entwicklung des Selbstwertgefühls und der Persönlichkeit im Mittelpunkt steht. Dieser umfassende - multifaktorielle -Ansatz geht ursachenorientiert, ganzheitlich, gesamtgesellschaftlich und positiv vor.
Das bedeutet z.B. im einzelnen, daß nicht an Symptomen kuriert wird, sondern Bedingungsfaktoren wie z.B. fehlende Geborgenheit, Überforderung und Verwahrlosung erkundet und angegangen werden, wie es im Slogan der drobs Hannover zum Ausdruck kommt: „Schafft mehr gute Gründe, keine Drogen zu nehmen". Obwohl sich viele zur ganzheitlichen Vorgehensweise bekennen, weil die ursächlichen Faktoren dafür weitgehend identisch sind, wie vergleichende Studien belegen, praktizieren die meisten aber spezifische Präven-tion, z. B. gegen Drogen oder Kriminalität, statt alle Formen der Dissozialität eben ganzheitlich anzugehen. Die Ganzheitlichkeit erfordert auch, den ganzen Menschen zu sehen, nicht nur seine negativen, sondern vor allem auch die positiven Seiten, seine Schwächen und Stärken also. Mehr und mehr macht sich die Erkenntnis breit, daß das Vorgehen einzelner Personen, z.B. Eltern und Ärzte, und auch Institutionen, z.B. S. und Polizei, nicht zum Erfolg führt, daß vielmehr möglichst viele Bürger, Institutionen und Verantwortliche mitwirken. Um wirksam vorzubeugen, muß gesamtgesellschaftlich oder systemisch vorgegangen werden. Diese Vorgehensweise zeigt erstaunlich gute Ergebnisse (z.B. Servais 1992). Besonders erfolgversprechend ist, Jugendliche als Agenten der Prävention zu gewinnen. Wichtig ist eine positive Vorgehensweise, die aus der Flut der Informationen und Entwicklungen gute heraushebt und fördert, denn die ausschließliche Darstellung negativer Erscheinungen in Bildern und Zahlen wirkt nicht vorbeugend. Vielmehr sind reizvolle - z. B. erlebnisorientierte und sinnerfüllende - Alternativen und Äquivalente zum dissozialen Verhalten gefragt. Damit werden auch die meisten jungen Menschen angesprochen und begeistert, z.B. durch Sport, Musik und politisches sowie soziales oder kirchliches Engagement. In den USA fördert man die Widerstandsfähigkeit (reciliancy) in der Schule u.a. mit der Vermittlung von Erfolgserlebnissen, mit hohen Anforderungen, mit der Pflege von Beziehungen, mit Kümmern und Wertschätzung sowie mit Partizipation. Dabei geht es im Kern um die Förderung von Begabungen zu einer verantwor-tungs- und selbstbewußten Lebensge-staltung sowie um Mündigkeit und Konfliktfähigkeit, schließlich um die Reduzierung von Risikofaktoren und die Entwicklung von Protektivfaktoren. D.h., daß nicht nur die Änderung des Verhaltens, sondern auch der Verhältnisse nötig ist.
S. kann dies nicht allein leisten, sondern es bedarf der Unterstützung zumindest der Eltern und im Sinne der ganzheitlichen und gesamtgesellschaftlichen Vorbeugung auch der Polizei, der Krankenkassen und vieler anderer Verantwortlicher, nicht zuletzt der Politiker, die dafür Grundlagen schaffen müssen wie gute S. und Eehrer. Das weiterhin praktizierte gegenseitige Zuschieben der Verantwortung bringt nichts, es ist eher schädlich. Gute Präventionskonzepte liegen vor, entscheidend ist, daß sie auch von allen dafür Verantwortlichen in die Praxis umgesetzt werden. Das gleiche gilt für die »Sekundär- und ^Tertiärpräven-tion, also für Beratung, Therapie und Nachsorge einschließlich Rückfallverhinderung. Wirksame Vorbeugung setzt an vielen Stellen an, möglichst früh bereits, wenn sich bei Kindern Einstellungen prägen, also im Kindergarten (^Elementarbereich). Entscheidend aber ist die Kleinkindphase in der -^Familie ( -»Kindheit). Deswegen ist wichtig, daß bereits Eltern diesbezüglich aus-und fortgebildet werden, was durchaus auch mit Lehrern und anderen Erziehern durch gemeinsame Fortbildungsveranstaltungen erreicht werden kann. Schul-interne Lehrerfortbildungen („Schilf") sind z.B. dafür gute Möglichkeiten. Daraus kann eine intensive Zusammenarbeit für eine konsistente Erziehung entstehen, die für Schüler und Erfolge und für die Entwicklung einer guten Schule wichtig ist. Dort engagieren sich alle Beteiligten - ohne Ängste u. Diffamierungen - partnerschaftlich und fühlen sich aufgrund von Freiräumen und Wertschätzung wohl. So werden die Schüler gut auf das Leben vorbereitet. Da gibt es noch viel zu tun, aber in einem solchen Schulprofil liegen große Chancen. Eine weitere Möglichkeit ist es, an S. Arbeitsgruppen für Prävention zu bilden.
Insgesamt werden die Chancen einer wirksamen Vorbeugung weder von zuständigen Ministerien noch von S. ausreichend genutzt. Es fehlt allzu oft an Glaubwürdigkeit, Zuverlässigkeit und Vorbild verhalten. Deutschland ist bezüglich Prävention Entwicklungsland. Oft werden erst diesbezügliche Aktivitäten entwickelt, wenn etwas vorgefallen oder wenn es sehr spät oder gar zu spät ist. Da das alles auch für anderes dissoziales Verhalten gilt, ist eben eine ganzheitliche und kontinuierliche Prävention angezeigt, die sich nicht auf allzu beliebte Einmalaktionen (Strohfeuer) und auf spezifische Vorgehensweisen beschränken darf, schon gar nicht nur auf Papier. Vielmehr ist eine personale Prävention erforderlich, die Beziehungen aufbaut und pflegt und durch Offenheit, sowie der Vermittlung von Selbstwertgefühl, Sinn und Werten Effizienz erhält.
„Kinder stark machen" ist die entscheidende Formel (-^Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA)). Das aber können nur starke Eltern, Lehrer und Erzieher. Dafür sorgen können Verantwortliche, die so stark sind, daß sie die Ausstattung für eine effektive Prävention nachhaltig durchsetzen. Wie in den letzten Jahrzehnten im Umweltschutz durch engagiertes Vorgehen sehr viel erreicht wurde, so ist das bei der Gesundheitsförderung und Prävention ebenso möglich, also durch Innenweltschutz. ^Elementarbereich; ->Familie; -^Jugend

Lit: Bäuerle, S., Sucht- u. Drogenprä-vention in der Schule, München 1996; Barkholt/Homfeldt, Gesundheitsförderung im schulischen Alltag, Weinheim 1994; Bartsch/Knigge-Illner (Hg.), Sucht und Erziehung, 2 Bd., Weinheim 1995; Bönsch, M., Schule verbessern, Hannover 1990; Buscaglia, L., Leben, Lieben, Lernen, München 31989; DHS (Hg., Jahrbuch Sucht 98, Geesthacht 1997; Go-lemann, D., Emotionale Intelligenz, München 31997; Hesse, S., Suchtpräven-tion in der Schule, Opladen 1993; Kaufmann, H., Suchtvorbeugung in der Praxis, Weinheim 1997; Kirschner, G., Die Kinder stark machen, Lichtenau 1997; Kolip/Hurrelmann/Schnabel (Hg.), Jugend und Gesundheit, Weinheim 1995; Kollehn, K.-H., Der drogengefährdete Schüler, Düsseldorf 1991; Paulus, P (Hg.), Prävention und Gesundheitsförderung, Köln 1992; Servais, E., Bevor es zu spät ist, Eupen 21992; Schmitt-Kilian, J., Ecstasy & more, Drogenprävention praktisch, Düsseldorf 1997; Struck, P, Erziehung von gestern, Schüler von heute, Schule von morgen, München 1997; Supe, E., Lebenlernen in Beziehungen und Freiräumen. Wie muß Schule sein, um suchtpräventiv zu wirken? In: Jugend & Gesellschaft, 1994/3 S. 9-13; Täschner, K. L., Drogen, Rausch und Sucht, Stuttgart 1994; Waibel, E. M., Erziehung zum Selbstwert, Donauwörth 1994.

Elmar Supe, Vechta