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Religion in säkularer Gesellschaft Über die neue Aufmerksamkeit für Religion in der politischen Philosophie Zugl.: Habilitation an der LMU München 2011
Religion in säkularer Gesellschaft
Über die neue Aufmerksamkeit für Religion in der politischen Philosophie


Zugl.: Habilitation an der LMU München 2011

Michael Reder

Verlag Karl Alber
EAN: 9783495485408 (ISBN: 3-495-48540-6)
453 Seiten, paperback, 14 x 21cm, 2013

EUR 49,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Religionen spielen nach wie vor eine wichtige Rolle in demokratischen Gesellschaften. Jürgen Habermas spricht deshalb von der ›postsäkularen Gesellschaft‹. Viele weitere Philosophen der Gegenwart (Jacques Derrida, Richard Rorty, Michael Walzer) prägen mit Habermas zusammen diesen gegenwärtigen philosophischen Diskurs über Religion in der politischen Philosophie. Dieser Diskurs wird in seinen Strukturen und Argumenten in dem vorliegenden Band analysiert und kritisch diskutiert.

Kernfragen des Autors sind, wie Religion und ihre gesellschaftliche Funktion philosophisch verstanden werden kann, was die zentralen Problemstellen des Diskurses über Religion in der politischen Philosophie sind und wie diese mit Blick auf frühere Konzeptionen (Friedrich Schleiermacher oder John Dewey) konstruktiv weitergedacht werden können. Aus der Beschäftigung mit der Religion werden abschließend Schlussfolgerungen für die Debatte über Demokratie gezogen. Die praktische Philosophie kann damit sowohl zur Reflexion der gesellschaftlichen Bedeutung von Religion als auch zur Klärung der Frage, wie Demokratie angesichts pluraler weltanschaulicher Konstellationen heute verstanden werden kann, wichtige Beiträge leisten.

Michael Reder promovierte nach dem Studium der Philosophie, Theologie und Volkswirtschaft 2006 in München mit einer Arbeit über Globalisierungstheorien, 2011 folgte die Habilitation an der LMU. Seit 2012 ist er Professor für Sozial- und Religionsphilosophie an der Hochschule für Philosophie in München und Inhaber des dortigen Lehrstuhls für praktische Philosophie mit dem Schwerpunkt Völkerverständigung. Arbeitsgebiete: Politische Philosophie (mit globalem Fokus), Kultur- und Religionsphilosophie, interkulturelle Philosophie, Philosophie der Gegenwart.
Rezension
Z.Zt. wird viel von der sog. Wiederkehr der Religion gesprochen und damit wird das Nachkriegs-Theorem von der sog. Säkularisierung (und also Auflösung von Religion) zu widerlegen versucht ... Der Sachverhalt scheint aber weder mit der einen noch mit der anderen Konzeption wirklich getroffen werden zu können; viel zu komplex, widersprüchlich und gegenläufig sind die Entwicklungen, so dass viel differenzierter und aufmerksamer über "Religion in säkularer Gesellschaft" (Titel) nachgedacht werden muß. Das tut dieser informative Band umfassend und auf aktuellstem Stand aus der Perspektive politischer Philosophie und im Gefolge des von Jürgen Habermas wesentlich angestoßenen Diskurses. Dabei kommen die verschiedenen aktuellen Ansätze zur Sprache, u.a. von Jacques Derrida, Richard Rorty und Michael Walzer, es werden aber auch ältere Konzeptionen neu durchdacht (Friedrich Schleiermacher, John Dewey u.a.). Heute entstehen Patchwork-Religiositäten in höchster Pluralisierung, die das traditionell Religiöse transformieren, z.B. ist Joseph Beuys Kunst ein Beispiel für die kulturelle Transformation der Religion in die (post-)moderne Kunst.

Thomas Bernhard, lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
1. Religion im Kontext der Säkularisierung 13

1.1. Säkularisierung und der Prozess der Moderne13
1.2. Transformationen der Religion im Kontext der Säkularisierung 16
1.3. Schlussfolgerungen für das Verständnis von Säkularisierung 26
1.4. Philosophie und die neue Aufmerksamkeit für Religion 30
1.5. Fragestellung und Struktur der Arbeit 34

2. Interdisziplinäre Kontexte 38

2.1. Religionstheorien der Moderne (von E. Durkheim bis C. Geertz) 38
2.1.1. Klassische Religionstheorien 39
2.1.2. Neoklassische Religionstheorien 45
2.2. Von der mittelalterlichen Theologie über die Religionskritik zur modernen Religionsphilosophie 54
2.3. Zwei Wege der politischen Philosophie und die Konsequenzen für das Nachdenken über Religion 61
2.3.1. Grundfragen der politischen Philosophie 61
2.3.2. Kants rationalistische Deutung von Politik und die Vernunftreligion 63
2.3.3. Hegels Begriff der Sittlichkeit und die kritische Funktion der Religion 66
2.4. Zwischenfazit 70

3. Rekonstruktion des Diskurses über Religion 74

3.1. Postsäkularität und die Folgen für die Demokratie (J. Habermas) 74
3.1.1. Habermas’ Gesellschaftstheorie und Diskursethik 74
3.1.2. Merkmale der postsäkularen Deutung von Religion 81
3.1.2.1. Habermas und die Religion: eine lange Entwicklungsgeschichte 81
3.1.2.2. Postsäkulare Gesellschaft und das moralische Potenzial der Religion 86
3.1.2.3. Öffentlicher Vernunftgebrauch und der Übersetzungsvorbehalt 93
3.1.2.4. Absetzung vom kantischen Erbe: Glauben ist opak 96
3.1.3. Kritische Diskussion 100
3.1.3.1. (Theologische) Rezeptionen und Kritiken 100
3.1.3.2. Grenzen der Postsäkularität und Funktionalisierung von Religion 106
3.1.3.3. Eine erste folgenreiche Unterscheidung: Glauben und Wissen 112
3.1.3.4. Eine zweite wichtige Unterscheidung: Moral und Ethik 118
3.1.3.5. Religion als Teil der politischen Öffentlichkeit 121
3.2. Liberale Begrenzung von Religion (R. Rorty) 127
3.2.1. Pragmatismus und die liberale Ironikerin 127
3.2.2. Rortys Religionskritik und romantische Hoffnung 135
3.2.2.1. Antiklerikalismus als liberale Religionskritik 135
3.2.2.2. Religion als conversation stopper im öffentlichen Raum 137
3.2.2.3. Vorrang des Sozialen vor der Frage nach der Existenz Gottes 141
3.2.3. Kritische Diskussion 149
3.2.3.1. Trennung von privat und öffentlich 149
3.2.3.2. Liberalismus als Weltanschauung 153
3.2.3.3. Schlussfolgerungen für ein pragmatistisches Religionsverständnis 156
3.3. Religion als Teil der Geschichte und Kultur (M. Walzer) 160
3.3.1. Walzers Kommunitarismus als politische Philosophie 160
3.3.2. Das Judentum als kulturelles Paradigma zur Deutung von Religion 166
3.3.2.1. Über Heilige, Propheten und radikale Politik 167
3.3.2.2. Exodus-Motiv und politischer Messianismus 170
3.3.2.3. Verhältnis von Religion und Politik in liberalen Demokratien 175
3.3.3. Kritische Diskussion 181
3.3.3.1. Judentum als kulturelle Praxis 181
3.3.3.2. Kommunitaristische vs. liberale Theorie und die Kunst der Trennung 183
3.3.3.3. Kulturelle Ausdifferenzierung der Religion 188
3.4. System zur Beobachtung des Unbeobachtbaren (N. Luhmann) 191
3.4.1. Systemtheoretische Rekonstruktion ausdifferenzierter Gesellschaften 191
3.4.2. Systemtheoretische Interpretation von Religion 195
3.4.2.1. Reduktion von Komplexität als Funktion der Religion beim frühen Luhmann 195
3.4.2.2. Religion als Thema der Soziologie in Zeiten der Säkularisierung 199
3.4.2.3. Kommunikation, Sinn und Codierung der Religion 201
3.4.2.4. Gottesbegriff als Kontingenzformel 206
3.4.2.5. Wiederkehr der Religion aus Sicht der Systemtheorie 208
3.4.3. Kritische Diskussion 211
3.4.3.1. Binärer Code und die Funktion von Religion 211
3.4.3.2. Religionsphilosophische und theologische Anfragen 212
3.4.3.3. Einheit der Systeme und Exklusion der Gläubigen 216
3.5. Dekonstruktion von Religion (J. Derrida) 221
3.5.1. Das Denken der différance als Ziel der Philosophie 221
3.5.2. Religion und die Grenzen von Sprache 230
3.5.2.1. Religion als Wiederholung der Spannung von Transzendenz und Immanenz 231
3.5.2.2. Kontextualisierung des Sprechens über Religion 234
3.5.2.3. Dekonstruktionen des religiösen Feldes 238
3.5.2.4. Verhältnis von Dekonstruktion und negativer Theologie 249
3.5.3. Kritische Diskussion 256
3.5.3.1. Grenzen einer Religion ohne Religion 256
3.5.3.2. Dekonstruktion der Differenz von Glauben und Wissen 262
3.5.3.3. Globale Dimension der Dekonstruktion und ihre Begrenzungen 264
3.5.3.4. Derrida und Rorty – eine Parallele? 266
3.6. Religion als Grundlage des schwachen Denkens (G. Vattimo) 269
3.6.1. Vattimos hermeneutische Metaphysikkritik 269
3.6.2. Religion als Ursprung des schwachen Denkens 275
3.6.2.1. Nähe von Hermeneutik und Religion und die kénosis 275
3.6.2.2. Hermeneutisches Erbe der jüdischen Religionstheorie 279
3.6.2.3. Religion und Moral 282
3.6.2.4. Säkularisierung und die Wiederkehr der Religion 284
3.6.3. Kritische Diskussion 289
3.6.3.1. Parallelen zwischen Vattimos und Rortys Metaphysikkritik 289
3.6.3.2. Interpretationen von Nietzsche und Heidegger 291
3.6.3.3. Postmoderne Interpretation der Religion 294
3.7. Schnittflächen und Kritikpunkte im Diskurs über Religion 298
3.7.1. Metaphysikkritik als Thema der politischen Philosophie 299
3.7.2. Neufassung des Säkularisierungsparadigmas 308
3.7.3. Leerstellen des Diskurses 316

4. Transformationen für den Diskurs über Religion 320

4.1. Philosophiehistorische Impulse 321
4.1.1. Wissendes Nichtwissen über das Absolute (Nikolaus von Kues) 322
4.1.2. Abhängigkeitsgefühl und kulturelle Ausdifferenzierung (F. Schleiermacher) 329
4.1.3. Religion als Selbsttranszendenz (J. Dewey) 337
4.2. Merkmale eines Religionsverständnisses für den aktuellen Diskurs 343
4.2.1. Philosophiehistorische Impulse 343
4.2.2. Religion als soziale Praxis und das Verhältnis von Transzendenz und Immanenz 348
4.3. Neufassung des Verhältnisses von Glauben und Wissen 351
4.3.1. Wechselseitige Verwiesenheit von Glauben und Wissen 351
4.3.2. Religion als Kritik des (vernünftigen) Common Sense 359
4.4. Funktionales Religionsverständnis 362
4.4.1. Grundlagen und Begrenzungen eines funktionalen Zugangs 362
4.4.2. Moralische Funktion von Religion 367
4.5. Das Verhältnis von Religion und Kultur 374
4.5.1. Kultur und Interkulturalität als wissenschaftliche Paradigmen 374
4.5.2. Konsequenzen des cultural turn für die Frage nach der Religion 380
4.5.3. Ambivalenzen der ausdifferenzierten Religion 384
4.6. Religion in der politischen Öffentlichkeit 388
4.6.1. Chancen und Grenzen der liberalen Deutung von Religion 388
4.6.2. Religion als Präzedenzfall eines demokratischen Pluralismus 392
4.6.3. Religionsgemeinschaften als zivilgesellschaftliche Akteure 396

5. Fazit 401

Literaturverzeichnis 413