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Psychotherapieführer Kinder und Jugendliche Seelische Störungen und ihre Behandlung
Psychotherapieführer Kinder und Jugendliche
Seelische Störungen und ihre Behandlung




Rita Rosner (Hrsg.)

Verlag C. H. Beck oHG
EAN: 9783406541063 (ISBN: 3-406-54106-2)
304 Seiten, paperback, 14 x 22cm, 2006

EUR 18,90
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Ein Handbuch für Eltern, Lehrer und Erzieher Der «Psychotherapieführer Kinder und Jugendliche» informiert kompakt und kenntnisreich über die wichtigsten Formen des Problemverhaltens junger Menschen vom ersten bis zum achtzehnten Lebensjahr. Der Entstehungszeit im Lebensverlauf folgend werden die 16 wichtigsten Störungsbilder beschrieben, angefangen vom Bettnässen über Stottern, Autismus, Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivität bis hin zu Zwangs- und Essstörungen, Substanzmissbrauch und Selbstmordgefahr. Fallbeispiele veranschaulichen die jeweilige Störung, zentrale Fachwörter werden erklärt, Einrichtungen, die psychotherapeutische Hilfe anbieten, werden beschrieben.

Ein eigener Teil stellt die wichtigsten Therapierichtungen vor: Verhaltenstherapie, Psychoanalyse, Spieltherapie, Familientherapie, Frühförderung, Entspannungsverfahren sowie die medikamentöse Behandlung. Der Leser erhält einen Überblick, welche Therapieform in welchem Fall am ehesten zu einer überprüfbaren Linderung der Beschwerden und zu einer Verhaltensänderung führt.



Die Herausgeberin und die Autoren

sind anerkannte Experten auf ihrem Gebiet; die meisten arbeiten an Universitäten bzw. Universitätskliniken.
Rezension
Dieses neu erschienene Handbuch ist für Eltern, Erzieher und Lehrer gleichermaßen hilfreich und sollte in jeder Schule griffbereit sein; vor allem der dritte Teil zeigt in komprimierter und verständlicher Form die immer wiederkehrenden Störungsbilder bzw. das Problemverhalten vieler Schüler/innen auf (die 16 wichtigsten Störungsbilder, angefangen vom Bettnässen über Stottern, Autismus, Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivität bis hin zu Zwangs- und Essstörungen, Substanzmissbrauch und Selbstmordgefahr) und bietet je Kapitel Hilfestellung durch weiterführende Literatur und/oder Hinweis auf Beratungsstellen/Hilfsorganisationen. Das Handbuch orientiert sich dabei an den gängigen Diagnosesystemen, nennt die wichtigsten Gründe für das Problemverhalten und beschreibt die Behandlungsmöglichkeiten. Fallbeispiele veranschaulichen die jeweilige Störung, zentrale Fachwörter werden erklärt, Einrichtungen, die psychotherapeutische Hilfe anbieten, werden beschrieben. Aber auch Teil 1 ist grundlegend informativ, während Teil 2 die Therapieformen differenziert und erläutert: Verhaltenstherapie, Psychoanalyse, Spieltherapie, Familientherapie, Frühförderung, Entspannungsverfahren sowie die medikamentöse Behandlung. - Das Buch informiert kompakt und kenntnisreich über die wichtigsten Formen des Problemverhaltens junger Menschen im Alter von 1 bis 18 Jahren.

Jens Walter, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Ein Handbuch für Eltern, Erzieher und Lehrer

Das Buch informiert kompakt und kenntnisreich über die wichtigsten Formen des Problemverhaltens junger Menschen im Alter von 1 bis 18. Die Beiträge sind von Fachleuten geschrieben und wenden sich an Eltern, Erzieher und Lehrer – an alle, die täglich mit Kindern und Jugendlichen umgehen, Störungen besser erkennen und Hilfestellung leisten wollen.

Im Gegensatz zu Infektionskrankheiten wie Masern oder Mumps, die man entweder hat oder nicht hat, sind psychische Störungen von Kindern und Jugendlichen nicht so einfach zu diagnostizieren. Für viele Bereiche abweichenden Verhaltens und Erlebens gibt es keine eindeutigen Grenzen, sondern der Übergang ist fließend bzw. kontinuierlich. Der Entstehungszeit im Lebensverlauf folgend, beschreibt der Psychotherapieführer Kinder und Jugendliche die 16 wichtigsten Störungsbilder, angefangen vom Bettnässen über Stottern, Autismus, Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivität bis hin zu Zwangs- und Essstörungen, Substanzmissbrauch und Selbstmordgefahr. Er orientiert sich dabei an den gängigen Diagnosesystemen, nennt die wichtigsten Gründe für das Problemverhalten und beschreibt die Behandlungsmöglichkeiten. Fallbeispiele veranschaulichen die jeweilige Störung, zentrale Fachwörter werden erklärt, Einrichtungen, die psychotherapeutische Hilfe anbieten, werden beschrieben. Ein eigener Teil stellt die wichtigsten Therapierichtungen vor: Verhaltenstherapie, Psychoanalyse, Spieltherapie, Familientherapie, Frühförderung, Entspannungsverfahren sowie die medikamentöse Behandlung. Der Leser erhält einen Überblick, welche Therapieform in welchem Fall am ehesten zu einer überprüfbaren Linderung der Beschwerden und zu einer Verhaltensänderung führt.

Die Herausgeberin
Rita Rosner ist approbierte Psychologische Psychotherapeutin und Professorin für Klinische Psychologie an der Universität München.
Inhaltsverzeichnis
Teil I: Allgemeines und Wichtiges

Einführung
Rita Rosner

Wie kommt es zu einem Problemverhalten
oder einer psychischen Störung?
Rita Rosner und Maria Gavranidou

Was hilft? Zur Effektivität von Behandlungen
Rita Rosner

Die Rolle der Eltern
Maria Gavranidou

Wo finde ich Hilfe? Erziehungsberatungsstellen,
Selbsthilfegruppen, ambulante und stationäre Therapie
Maria Gavranidou

Teil II: Therapierichtungen

Verhaltenstherapie und Kognitive Verhaltenstherapie
Gunter Esser und Katja Ballaschk

Psychoanalytische und tiefenpsychologisch fundierte Therapie
Inge Seiffge-Krenke

Humanistische Verfahren:
Spieltherapie in der Tradition der Gesprächspsychotherapie
Stefan Schmidtchen

Systemische Therapie/Familientherapie
Wilhelm Rotthaus

Frühförderung
Franz Peterander und Martin Thurmair

Unspezifische Verfahren: Entspannungsverfahren
Ulrike Petermann

Medikamentöse Behandlung: Psychopharmaka
Silke Rothenhofer, Andreas Warnke und Christoph Wewetzer

Teil III: Störungsbilder (Problemverhalten)

Regulationsstörungen: Füttern, Schlafen und Gedeihen
im Säuglings- und Kleinkindalter
Karin Trubel, Susanne Eder und Nikolaus von Hofacker

Enuresis und Enkopresis: Einnässen und Einkoten
Alexander von Gontard

Sprach- und Sprechstörungen: Stottern,
Poltern und Verstummen
Waldemar von Suchodoletz

Autismus: Umschriebene und tief greifende
Entwicklungsstörungen
Christian Hulsken und Beate Sodian

Hyperkinetische Störungen:
Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivität
Franz Petermann

Umschriebene Entwicklungsstörung des Lesens
und Rechtschreibens
Gunter Esser und Sabine Lange

Aggressive Störungen
Andreas Beelmann

Angststörungen
Silvia Schneider und Carmen Adornetto

Zwangsstörungen: Kontrollieren, Sammeln, Ordnen
Hildegard Goletz und Manfred Dopfner

Depression: Traurige und zurückgezogene Kinder
Peter Rossmann

Psychosomatische Störungen:
Wiederholt auftretende Bauchschmerzen
Diana Bruer und Maria Gavranidou

Posttraumatische Belastungsstörung:
Überleben eines traumatischen Ereignisses
Rita Rosner

Misshandlung, Ablehnung und Vernachlässigung
Heinz Kindler

Essstörungen: Anorexie und Bulimie
Reinhold G. Laessle

Substanzmissbrauch: Sucht und Abhängigkeit
Dorte Jahnke und Wolfgang Ihle

Selbstmord und Selbstmordgefahr
Armin Schmidtke und Sylvia Schaller

Die Autorinnen und Autoren


Leseprobe (S. 16-21):

1. Wie kommt es zu einem Problemverhalten oder einer psychischen Störung?
Von Rita Rosner und Maria Gavranidou

In diesem Kapitel sollen zwei Fragen geklärt werden: Was ist Problemverhalten? Und: Wie kommt es zu einem solchen Verhalten?

Was ist Problemverhalten?

Problemverhalten, psychisches Problem, psychische Störung, psychische Erkrankung, Fehlverhalten, psychische Symptome oder Syndrome – all dies sind Begriffe, die darauf hinweisen, dass eine Person ein Verhalten zeigt oder einen Zustand erlebt, der nicht «normal» ist. Aber was ist «normal»? Oder anders gefragt: Was ist «krankes» oder psychisch «gestörtes» bzw. «abweichendes» Verhalten und Erleben? In der Klinischen Psychologie, Psychotherapie und Psychiatrie werden bestimmte Kriterien, also Merkmale von Verhalten und Erleben, herangezogen, bevor dieses als krank, gestört oder abweichend diagnostiziert wird. Diese Kriterien sind:

a) Abweichung von der Norm
Weicht das Verhalten von der allgemeinen Norm stark ab, liegt also eine qualitative und quantitative Abweichung bezogen auf das entsprechende Lebensalter vor, so kann man eine Störung vermuten. Ein Beispiel: Einnässen wird bei einem 18Monate alten Kind nicht als «abweichendes» Verhalten gesehen, denn in diesem Alter sind nur wenige Kinder sauber. Dagegen wird tägliches Einnässen bei einem Fünfjährigen als ein auffälliges oder abweichendes Verhalten betrachtet. Einmaliges Einnässen ist allerdings auch bei einem Fünfjährigen nicht als krankhaft zu bezeichnen.


b) Einschränkungen durch das Problemverhalten
Das abweichende Verhalten oder Erleben des Kindes behindert seine weitere Entwicklung, wenn es nicht behandelt wird. Ein Kind, das große Angst hat, sich von den Eltern zu trennen, und deshalb nicht zur Schule gehen will, kann beispielsweise in seiner weiteren Entwicklung einfach deshalb eingeschränkt werden, weil es Gelegenheiten versäumt, seine Kompetenzen zu erweitern und so die Angst zu verlieren. Deshalb würde man bei einer länger anhaltenden und vehementen Weigerung des Kindes, die Eltern zu verlassen und in die Schule zu gehen, das Verhalten als «gestört» betrachten und zu einer Therapie raten.


c) Gefährlichkeit
Ein weiteres Merkmal von «gestörtem» Verhalten oder Erleben kann die Gefährlichkeit dieses Verhaltens sein. Dabei kann die Gefährdung die eigene Gesundheit oder die anderer betreffen. So ist z. B. die Verweigerung der Nahrungsaufnahme bei Magersucht gefährlich für die Gesundheit der betroffenen Jugendlichen. Aggressives Verhalten bei Kindern kann jedoch auch die körperliche Unversehrtheit von anderen Kindern oder Erwachsenen gefährden, ganz abgesehen von den negativen Folgen für die soziale Entwicklung des Kindes allgemein.


d) Dauer und Intensität
Wichtig ist auch, dass das gezeigte Verhalten nicht nur ein "Ausrutscher" ist, sondern über längere Zeit hinweg auftritt und entsprechend ausgeprägt ist. Ist das Verhalten nur eine kurzfristige intensive Reaktion auf einen sehr belastenden oder traumatischen Lebensumstand, heißt das noch nicht, dass eine psychische Störung vorliegt. Kinder können, wenn sie traumatische Ereignisse und Verluste erleben, sehr eigenartig, intensiv und negativ reagieren. Diese Reaktionen sind oft nur Teil der Verarbeitung der Belastung und können wieder verschwinden. In diesen Fällen sprechen wir von einer normalen Reaktion auf eine abnorme Situation.
Wenn aber das "eigenartige" Verhalten und das "negative" Erleben länger anhalten, dann sprechen wir von einer "nicht gelungenen" oder "abweichenden" Verarbeitung (siehe auch Kapitel 23).
Wie an den Beispielen schon deutlich wird, gibt es für viele Bereiche abweichenden Verhaltens oder Erlebens keine eindeutigen Grenzen, sondern der Übergang ist fließend bzw. kontinuierlich. Im Gegensatz zu Infektionskrankheiten wie Masern oder Mumps, die man entweder hat oder nicht hat, sind psychische Störungen daher auch nicht so einfach zu diagnostizieren. Aus diesem Grund behelfen sich die Diagnosesysteme DSM-IV (Diagnostisches und Statistisches Manual psychischer Störungen – IV. Version) und ICD-10(Internationale Klassifikation psychischer Störungen – 10. Version), die in den folgenden Kapiteln immer wieder erwähnt werden, mit einer genauen Beschreibung der Symptome bezogen auf einen Zeitraum und ein Lebensalter. Denn je nach Lebensalter ergeben sich bestimmte Aufgaben, die das Kind bewältigen muss, die aber bei Nichtbewältigung die Wahrscheinlichkeit für das Entstehen bestimmter Störungen erhöhen. Die Diagnosen, die man anhand der Kriterien des DSM und der ICD erhält, sind so auch Kurzbeschreibungen des Verhaltens und Erlebens der Betroffenen. Die Kapitel in Teil III dieses Buches beziehen sich auf solche Diagnosen oder Diagnosegruppen. Die Anordnung der Kapitel folgt dabei in etwa der Entstehungszeit im Lebensverlauf – so treten z. B. so genannte Regulationsstörungen schon im Säuglingsalter (siehe Kapitel 12) auf, während sich Süchte in der Regel erst in der Pubertät (siehe Kapitel 26) entwickeln.

Wie kommt es zu einem Problemverhalten?

Die Vorstellungen, die Psychologen und Psychotherapeuten über die Entstehung von psychischen Erkrankungen haben, sind nicht immer gleich, manchmal sehr komplex und dann wieder sehr einfach. In der Klinischen Psychologie favorisiert man ein Modell, das unter dem Begriff Diathese-Stress-Modell bekannt ist. Im Folgenden wollen wir uns hauptsächlich auf dieses Modell beziehen, weil wir finden, dass es am besten die gängigen Forschungsbefunde der wissenschaftlichen Psychologie und Psychotherapie in sich vereint.
Das Diathese-Stress-Modell geht davon aus, dass Menschen aufgrund von genetischen Faktoren (also aufgrund ihrer Erbanlagen), außerdem aufgrund der Bedingungen während der Schwangerschaft, der Geburt und der Zeit unmittelbar nach der Entbindung (also den prä-, peri- und postnatalen Umständen) und schließlich aufgrund ihrer frühesten und frühen Lebensbedingungen (Mangelernährung, Unfälle, Trennungen von den Eltern, Misshandlungen etc.) für Störungen anfällig werden können. Diese Anfälligkeit ist nicht weiter schlimm, solange die aktuellen Lebensbedingungen und Herausforderungen den Organismus nicht allzu sehr beanspruchen. Kommen jedoch besondere Anforderungen hinzu (also Anforderungen, die zu stark sind, für die keine Kompetenzen und Fähigkeiten vorliegen oder die so schnell entstehen, dass der Betroffene davon überwältigt wird), dann können sie im Wechselspiel mit der individuellen Anfälligkeit, der so genannten Diathese, zu psychischen Problemen führen.
In der Entwicklungspsychopathologie, der Wissenschaft, die sich insbesondere mit den Ursachen von Störungen beschäftigt, sind Risiko- und Schutzfaktoren bekannt, die mit psychischen Störungen verbunden sind. Einige Umstände sind generell stärker mit der Möglichkeit psychischer Fehlentwicklung verknüpft; andererseits können bestimmte Schutzfaktoren diese Risiken aber auch neutralisieren. So können etwa häufige Trennungen von den Eltern in der Kindheit dazu führen, dass die Kinder in ihren Beziehungen als Erwachsene Schwierigkeiten haben (häufige Trennungen von den Eltern sind also ein Risikofaktor). Man weiß aber auch, dass gute Pflegeeltern oder andere Bezugspersonen, welche die Eltern ersetzen, die Wirkung der Trennungen abschwächen können (gute Pflegeeltern oder das Vorhandensein weiterer Bezugspersonen sind damit ein Schutzfaktor).
Probleme entstehen demnach dann, wenn die Ressourcen des Kindes und seiner Umwelt geringer bzw. schwächer ausfallen als die Anforderungen des eigenen Organismus und der Umwelt. Aufgrund der vorhandenen Ressourcen und Belastungen kann zwar eine Vorhersage bezüglich der kindlichen Entwicklung gemacht werden, diese hat jedoch den Wert einer Wahrscheinlichkeitsaussage. Das bedeutet, man kann abschätzen, wie hoch das Risiko ist, das zu einer Störung führt. Man kann jedoch nicht mit Sicherheit sagen, zu welchem Problem das besagte Risiko zu welchem Zeitpunkt führen wird und ob es überhaupt zu Problemen kommt. Kinder, die häufig hart bestraft werden, können später depressiv werden. Einige dieser Kinder werden aber eher aggressiv und zeigen sogar kriminelles Verhalten. Wieder andere hingegen bleiben gesund. Man weiß also, welche Faktoren die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass ein Kind später Probleme entwickelt, aber man kann nicht genau vorhersagen, was davon tatsächlich eintreten wird.
Dennoch kann ein Psychotherapeut, wenn ein Kind zu ihm in die Kindertherapiepraxis kommt, durch eine genaue Erfassung der bisherigen Lebensgeschichte und der Lebensumstände sowie der Entwicklung der Symptome herausfinden, wie es gerade bei diesem bestimmten Kind zu den spezifi schen Problemen gekommen ist. Außerdem können Psychologen durch genaue Beobachtung der Interaktionen des Kindes mit seinen Bezugspersonen (Eltern, Geschwister, Erzieher, Lehrer) die Bedingungen herausfi nden, die zur Aufrechterhaltung seiner Probleme führen (Bedingungsanalyse). Stattgefundene Lernprozesse lassen sich identifizieren. Wenn etwa die Eltern eines schüchtern-ängstlichen Kindes sich zunächst freuen, dass das Kind "so brav" ist, nicht nach draußen geht und keine gefährlichen Spiele spielt, dann lernt dieses Kind durch Belohnung (die Eltern freuen sich), dass es gut ist, nicht unternehmungslustig zu sein.
Das abschließende Beispiel von Sabrina soll die gerade beschriebenen Zusammenhänge bei Entstehung und Aufrechterhaltung von psychischen Problemen verdeutlichen:

Beispiel: Sabrina ist ein sechsjähriges Madchen, das extreme Angst vor dem Aufzugfahren hat. Die Mutter sieht das zunächst als nicht weiter schlimm an, da ihr auch "unbehaglich ist in der engen Kiste". Als jedoch das zweite Kind kommt und die Benutzung des Aufzuges unerlässlich wird, wird das Verhalten von Sabrina zum Problem, vor allem, weil Sabrina ziemliche Kampfe mit ihrer Mutter fuhrt, wenn sie in den Aufzug gehen soll. Sie tobt, wirft sich auf den Boden, schreit und weigert sich mit allen Mitteln. Das geht sogar so weit, dass sie sich immer öfter weigert, die im fünften Stock liegende Wohnung zu verlassen, wenn die Mutter mit dem Baby nach draußen gehen muss.
Bei Sabrina kann man annehmen, dass eine gewisse genetische Anfälligkeit besteht, da auch ihre Mutter nicht gerne Aufzug fährt. Natürlich wird nicht speziell die Angst vor Aufzügen vererbt, aber eine Neigung zur Ängstlichkeit sehr wohl. Es konnte aber auch sein, dass die Mutter der Tochter ihre eigene Abneigung schon sehr früh "beigebracht" hat. Für das Meiden des Aufzuges wurde Sabrina sogar belohnt, denn die Mutter hatte früher, wenn Sabrina einmal nicht die Treppe nehmen wollte, häufiger Redewendungen gebraucht wie "wir sportlichen Mädels". Darüber hinaus hat sie im Beisein von Sabrina mit anderen über ihre Angst bzw. ihr Unbehagen gesprochen.
Allerdings reicht das mütterliche Unbehagen allein nicht, dass Sabrina eine solche Angst entwickelt. Hinzu kommt als weitere und entscheidende Belastung die Geburt eines weiteren Kindes, das die Benutzung des Aufzuges erst nötig gemacht hat. Möglicherweise druckt sich im Verhalten von Sabrina nicht nur die Angst vor dem Aufzugfahren aus, sondern auch eine Abneigung gegen die veränderten Lebensumstände.