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Politische Justiz 1918-1933  Hanrich Hannover & Elisabeth Hannover-Drück
Politische Justiz 1918-1933


Hanrich Hannover & Elisabeth Hannover-Drück
Metropol Verlag
EAN: 9783863314743 (ISBN: 3-86331-474-3)
368 Seiten, kartoniert, 16 x 23cm, September, 2019

EUR 22,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Besser als die Geschichte der NS-Zeit selbst kann deren Vorgeschichte deutlich machen, dass die Drangsalierung, Ausgrenzung und physische Vernichtung der politischen Linken und der Juden nicht das Werk einzelner Verbrecher, sondern die Verwirklichung einer von breiten Schichten des Bürgertums getragenen Gesinnung war. Der Nationalsozialismus ist nicht über Nacht gekommen. Er ist auch nicht über Nacht verschwunden.
Rezension
„Die Justiz in unserem Lande ist ein Skandal, der zum Himmel schreit.“, diagnostizierte 1922 Otto Wels in seiner Reichstagsrede angesichts der Ermordung von Reichsaußenminister Walther Rathenau. Der SPD-Abgeordnete, der 1933 durch seine mutige Rede zur Ablehnung von Hitlers Ermächtigungsgesetz durch die Sozialdemokraten Bekanntheit erlangte, begründete seine Kritik an der Justiz in den Anfangsjahren der Weimarer Republik damit, dass die zuständigen Richter mit ihren reaktionären Urteilen die Grundlagen der jungen Demokratie unterminierten. Mit anderen Worten, die Weimarer Justiz sei „auf dem rechten Auge blind“.
Dass dieser Vorwurf völlig zu Recht besteht, haben Heinrich Hannover (*1925) und seine Frau Elisabeth Hannover-Drück (1928-2009) bereits 1966 in ihrer veröffentlichten Studie „Politische Justiz 1918-1933“ faktenreich belegt. Dieses Werk, bei dessen Lektüre der mit den Auschwitz-Prozessen betraute Generalstaatsanwalt Fritz Bauer Scham empfand, erschien 1977 als überarbeiteter Nachdruck. 2019 wurde das Buch im Berliner Metropol Verlag, versehen mit einem kurzen Beitrag „Zur Geschichte des Buches“ von Heinrich Hannover, neu aufgelegt, und dieses völlig zu Recht angesichts des Rechtsterrorismus des NSU, rechtsextremistischer Anschläge und Morde in der Bundesrepublik in den letzten Jahren.
Der durch seine Vertretung von Kriegsdienstverweigern bekannte Strafverteidiger und die Gymnasiallehrerin und Historikerin zeigen in ihrem Buch anhand zahlreicher ausgewählter Fälle eindrücklich, wie die Justizvertreter in der Weimarer Republik ungerechte Urteile gefällt und gegen den Rechtsgrundsatz der Unabhängigkeit der Justiz verstoßen haben. Als Quellen stützen sich Hannover und Hannover-Drück primär auf Reichstagsprotokolle, Zeitungsberichte und juristische Fachmagazine. Während die Richter in der Weimarer Republik rechtsextreme Straftäter – insbesondere auch Mörder und Attentäter – mit milden Urteilen belegten, erhielten linksextreme Straftäter dagegen überaus harte Strafen. Außerdem ließen die Richter, die fast ausschließlich schon im Kaiserreich juristische Ämter und Positionen innehatten, pseudojuristische Diffamierungskampagnen gegen linke Schriftsteller und Künstler zu.
Von Beginn bis zum Untergang der Weimarer Republik dominierten in der Justiz antidemokratische Kräfte. Die Urteile im Hitler-Putsch 1923 waren kein Einzelfall, zu nennen sind zum Beispiel auch die Amnestie der Kapp-Putschisten, die Strafverfolgung der Mörder von Matthias Erzberger, Walther Rathenau sowie der Fememörder. Ohne die rechtsnationale Gesinnung der Richter, die ihren Unrechtsurteilen zugrunde lag, kann der Aufstieg des Nationalsozialismus nicht ausreichend erklärt werden.
Das Buch von Hannover und Hannover-Drück liefert ein bedrückendes Zeugnis für das politische Versagen der Justiz von 1918 bis 1933. Es ist zugleich eine eindrückliche Warnung an die gegenwärtige Politik und Justiz, aus Fehlern auf institutioneller Ebene zu lernen. Geschichtslehrkräfte werden durch die Studie zudem aufgefordert, sich in ihrem Unterricht mit der politischen Justiz in Weimarer Republik problemorientiert auseinanderzusetzen.
Fazit: Das wiederaufgelegte Buch „Politische Justiz 1918-1933“ hat auch nach mehr als 50 Jahren nichts an Aktualität eingebüßt. Die kritische Analyse von Heinrich Hannover und Elisabeth Hannover-Drück verdient nicht nur von Historikerinnen und Historikern, sondern auch von Juristinnen und Juristen gelesen zu werden.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Heinrich Hannover / Elisabeth Hannover-Drück
Politische Justiz 1918–1933
€ 22.00

Neuauflage des Klassikers von Heinrich Hannover und Elisabeth Hannover-Drück

Besser als die Geschichte der NS-Zeit selbst kann deren Vorgeschichte deutlich machen, dass die Drangsalierung, Ausgrenzung und physische Vernichtung der politischen Linken und der Juden nicht das Werk einzelner Verbrecher, sondern die Verwirklichung einer von breiten Schichten des Bürgertums getragenen Gesinnung war. Der Nationalsozialismus ist nicht über Nacht gekommen. Er ist auch nicht über Nacht verschwunden.

„Als einer der großen politischen Anwälte schrieb [Heinrich Hannover] Justizgeschichte im Gerichtssaal, immer auf der Seite der Minderheiten; er hat für die Meinungsfreiheit, für die Demonstrationsfreiheit und die Gewissensfreiheit gefochten. Und seine zeitgeschichtlichen Publikationen, zum Beispiel seine Analysen über die Rechtsbeugung in der Weimarer Republik, dargelegt in dem Werk ‚Politische Justiz 1918–1933‘, waren bahnbrechend. […] Das Buch ist wichtig, es ist heute, angesichts des grassierenden Antisemitismus, so wichtig, wie es vor 53 Jahren war. […] Es ist ein Buch, das einen umtreibt.“
Auszug aus: Nicht über Nacht. Prantls Leseempfehlungen, in: Süddeutsche Zeitung, 3. November 2019
Inhaltsverzeichnis
Inhalt

Zur Geschichte dieses Buches 9
Fritz Bauer
Scham bei der Lektüre
Richter zerstören Demokratie (1967) 12
Vorwort zur Urfassung des Buches von 1966 15
Die Richter 25
Kaiserliche Richter in der demokratischen Republik 25
Die Vertrauenskrise der Justiz 30
Die Laienrichter 33
Das politische Bewusstsein der Richter 36
Militär gegen Arbeiterschaft 39
Noskes Schießerlass vom 9. März 1919 40
Abrahamson und Wallmann 44
Zigarrenhändler Müller 45
Die Heldentaten des Vizewachtmeisters Markus 47
Erschießung von Jugendlichen 47
Der Zeuge Noske 49
Der Fall Marloh 51
Die Bayerische Räterepublik 59
Der weiße Schrecken in Bayern 60
Urteile gegen Räterepublikaner 70
Der Geiselmord-Prozess 76
Der Kapp-Putsch und seine Folgen 85
Der Kapp-Putsch 85

Erschießungen von Arbeitern 86
Zweierlei Versorgungsrecht 89
Eine verpasste Chance der Demokratie 93
Der weiße Schrecken im Ruhrgebiet 98
Die Kapp-Amnestie 105
Freikorps Aulock 107
Der Mechterstädter Arbeitermord 110
Politischer Mord 118
Gareis, Niekisch, Auer 119
Der Erzberger-Mord 121
Die Ermordung von Walther Rathenau 126
Das Blausäureattentat auf Scheidemann 140
Das Attentat auf Maximilian Harden 145
Das Attentat auf Wagner 149
Die Organisation Consul 151
Der Hitler-Prozess 162
Fememord 170
Die bayerischen Fememorde 171
Der Fememörder Edmund Heines 172
Die Fememörder Rudolf Höß und Martin Bormann 176
Die Fememorde der Schwarzen Reichswehr 179
Der Fall Gröschke 181
Der Fall Gädicke 186
Die beleidigte Reichswehr 189
Kamerad Fahlbusch 194
Landesverrat 198
Der Fall Quidde 201
Der Fall Küster/Jacob 205
Carl von Ossietzky 210
Der Fall Bullerjahn 217
Der Jorns-Prozess 226
Justiz gegen Kommunisten 244
Max Hölz 245

Der Tscheka-Prozess 249
Gesinnungsjustiz 258
Die „Rote Hilfe“ und ihr staatsgefährdendes Kinderheim 264
Justiz gegen Literatur und Kunst 270
Der Fall Gärtner 271
Der „literarische Hochverrat“ 277
Der Fall Kläber 280
Der Fall George Grosz und ein Gegenbeispiel 285
Staatsgefährdende Musik 290
Notwehr gegen „Hinkemann“ 292
Das Piscator-Verbot 294
Die Justiz im Spiegel der Filmzensur 297
Republikfeindschaft und Antisemitismus 300
Justiz und Nationalsozialismus 313
Gewaltideologie und „Legalität“ 313
Hitlers Legalitätseid 317
Das Boxheimer Dokument 322
Der Kurfürstendamm-Pogrom 323
Der Sturm auf das „rote“ Preußen 333
Der Einbruch in die Beamtenschaft 333
Papens Staatsstreich vom 20. Juli 1932 336
Der Mord von Potempa 344
Literaturverzeichnis 355
Personenregister 359