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Philosophie in der islamischen Welt 1 8.-10. Jahrhundert
Philosophie in der islamischen Welt 1
8.-10. Jahrhundert




Ulrich Rudolph (Hrsg.)

Schwabe Basel
EAN: 9783796526329 (ISBN: 3-7965-2632-2)
612 Seiten, hardcover, 17 x 25cm, Oktober, 2012

EUR 200,00
alle Angaben ohne Gewähr

Rezension
Geistes-, Ideen- und Philosophiegeschichte gehören zu den Forschungs- und Lehrgegenständen, die an Universitäten und Schulen angesichts des Eindringens ökonomischer Imperative in das Bildungssystem massiv an Bedeutung eingebüßt haben. Angesichts dieser Entwicklung verdient das Unternehmen des Schwabe-Verlags, in der heutigen Zeit eine völlig neu bearbeitete Auflage des Klassikers der Philosophiegeschichte, nämlich von Ueberwegs >Grundriss der Geschichte der Philosophie< vorzulegen, Lob und Anerkennung. Unterstützt wird der Basler Verlag dabei vom >Schweizerischen Nationalfond zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung< und der >Freiwilligen Akademischen Gesellschaft Basel<.
Umso verdienstvoller ist das Vorhaben, wenn es sich um Gebiete der Philosophiehistorie handelt, die wissenschaftlich kaum erforscht sind, deren Quellen nicht in kritischen Editionen vorliegen, so dass oftmals auf Originalhandschriften zurückgegriffen werden muss, wie das beispielsweise bei der >islamischen Philosophie< der Fall ist. Während in der Erstausgabe des Ueberweg von 1864 der >Arabischen Philosophie des Mittelalters> nur 13 Seiten gewidmet waren, ist die Neuauflage der >Philosophie in der islamischen Welt< vom 8. bis zum 20. Jahrhundert auf vier Bände angelegt. Zurecht ist der gewählten Bezeichnung für die Philosophie eines bestimmten Kulturraums gegenüber dem Terminus >arabische Philosophie< oder dem weit verbreiteten Begriff >islamische Philosophie< der Vorzug gegeben worden. Philosophie wird dabei im Anschluss an Herbert Schnädelbach verstanden als >grundsätzliche Reflexion über die Strukturen des Denkens und des Seins […], die immer auch eine Reflexion über die Strukturen des Handelns einschließt< (S. XXV).
Der erste Band, der die Philosophie vom 8. bis zum 10. Jahrhundert zum Gegenstand hat, wurde 2012 von dem renommierten Zürcher Professor für Islamwissenschaft Ulrich Rudolph herausgegeben. Die wissenschaftlich fundierten, präzise formulierten Beiträge des Werks – immer unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstands - stammen überwiegend von dem Who-is-Who der deutschsprachigen Islamwissenschaft. Bedenkt man - angesichts der schlechten Quellenlage - die Sisyphusarbeit aus den Fragmenten und der Sekundär- bzw. Tertiärliteratur die Positionen und Argumentationen der Philosophen zu rekonstruieren und mit präzisen Zitatnachweisen zu versehen, so kommt man nicht umhin, die Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Bandes als ein philologisches Meisterwerk zu bezeichnen. Außerdem bedienen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Darstellung komplexer philosophischer Zusammenhänge einer auch für Lehrkräfte verständlichen Sprache. Für den Lehrerinnen und Lehrer hilfreich ist der didaktische Aufbau der einzelnen Kapitel. Auf eine Auflistung der oft nur schwer ermittelbaren zentralen Werke eines Autors folgt seine Kurzbiographie, dann Inhaltsangaben zu seinen Schriften und im Anschluss daran die Darlegung von Lehre und Wirkung des Denkers, bei der alle philosophischen Disziplinen gewürdigt werden. Jedes Kapitel des philosophiehistorischen Bandes beschließt eine Übersicht über relevante Sekundärliteratur. Das arabische und das griechische Glossar unterstützen Lehrerinnen und Lehrer, die dieser Sprachen nicht mächtig sind. Man kann daher schon jetzt prophezeien, dass der erste Band zur >Philosophie in der islamischen Welt< zu einem Standardwerk der islamischen Philosophie avancieren wird.
In der Schule wird die islamische Philosophie fast überwiegend marginalisiert. Während im Philosophie-, Ethik- und im islamischen Religionsunterricht zumindest die Philosophen und Ärzte Ibn Sina (Avicenna) und Ibn Ruschd (Averroes) gelegentlich Erwähnung finden, werden die islamischen Denker der Gründungsphase im schulischen Kontext gar nicht oder kaum gewürdigt. Dabei enthalten die Schriften der großen drei dieser Zeit - Al-Kindi (800-873), Zakariya Razi (865-932) und Abu Nasr Farabi (870-950) - bisher unausgeschöpfte Ideen und Argumentationen für einen problemorientierten Philosophie-, Ethik- und islamischen Religionsunterricht. Die Denker reflektierten über grundlegende Fragen der Philosophie u.a. der Metaphysik, der Logik, der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, der Ethik sowie der Religionsphilosophie. Abū Yūsuf al-Kindī, auch >der Philosoph der Araber< genannt, war nicht nur Übersetzer der aristotelischen Schriften, sondern entwickelte u.a. in seiner am Vorbild der Mathematik orientierten Philosophie eine Theorie menschlicher Erkenntnis. Abū Bakr ar-Rāzī, der für eine von Theologie autonome Philosophie eintrat, kann als einer der ersten islamischen Medizin- und Gesundheitsethiker angesehen werden. In seiner Ethik beispielsweise erörtert er das Wüsten-Dilemma und löst dieses utilitaristisch auf: >Wenn in der Wüste das Wasser nur für eine Person reicht, solle derjenige gerettet werden, der für die Gesellschaft mehr Nutzen bringe<(S. 275). Abū Nașr al-Fārābī, Träger des Beinamen der >zweite Lehrer<, legte nicht nur in seiner Wissenschaftslehre eine Typologisierung der Wissenschaften nach unterschiedlichen Schlussarten vor, welche die Philosophie aufgrund der ihr eigenen demonstrativen Schlüsse im Unterschied zu partikularen Wissenschaften wie Theologie und Rechtswissenschaft an die Spitze der Hierarchie setzte, sondern entwickelte in seiner politischen Philosophie in Anlehnung an Platons >Politeia< ein ideales Gemeinwesen, eine >vorzügliche Stadt<. Die Beiträge der drei Universalgelehrten aus der Zeit zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert belegen, dass im Unterschied zum christlich geprägten Europa dieser Zeit in der islamischen Welt bereits Ansätze für die Epoche der Aufklärung vorhanden waren.
Wer als Lehrkraft in die >Philosophie der islamischen Welt< eintauchen möchte, um beispielsweise in seinem Unterricht philosophische Fragestellungen mithilfe von islamischen Denkern zu bearbeiten, oder durch Kooperationen zwischen Philosophie-, Ethik-, christlichen und muslimischen Religionslehrerinnen und –lehrern ein Beitrag zum interkulturellen Dialog leisten möchte, der möge den ersten Band des neuen Ueberweg zur islamischen Philosophie, erschienen 2012 bei >Schwabe<, unbedingt lesen.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Die Geschichte der Philosophie in der islamischen Welt bis zum Ende des 10. Jahrhunderts

Zur Reihe: Entgegen einer weitverbreiteten Annahme fand das philosophische Denken in der islamischen Welt um 1200 nicht sein Ende. Die Debatten wurden vielmehr fortgesetzt und lassen sich in verschiedenen Konstellationen und regionalen Ausdifferenzierungen (arabische Welt, Osmanisches Reich bzw. Türkei, Iran, Indien/Südasien) bis in die Gegenwart verfolgen. Ziel der Reihe ist es, die komplexe Geschichte der Philosophie in der islamischen Welt von ihren Anfängen bis ins 20. Jahrhundert darzustellen. Das geschieht in vier Bänden, die chronologisch angeordnet sind (I: 8.–10. Jh.; II: 11.–12. Jh.; III: 13.–18. Jh.; IV: 19.–20. Jh.). Dabei kommen nicht nur bekannte Denker wie Ibn Sina/Avicenna oder Ibn Rušd/Averroes zur Sprache, sondern auch zahlreiche Autoren, die bislang nie im Rahmen einer Philosophiegeschichte behandelt worden sind.

Zum wissenschaftlichen Komitee der Reihe gehören Peter Adamson (München), Hans Daiber (Düsseldorf), Gerhard Endress (Bochum), Dimitri Gutas (New Haven), Hermann Landolt (Basel), Anke von Kügelgen (Bern), Wilferd Madelung (Oxford), Sabine Schmidtke (Berlin) und Robert Wisnovsky (Montréal).

Thema des Bandes ist die Geschichte der Philosophie in der islamischen Welt bis zum Ende des 10. Jahrhunderts. Dabei werden zunächst die historischen Voraussetzungen vorgestellt: der Stand der philosophischen Diskussion in der Spätantike, die Rezeption einzelner griechischer Konzepte und Texte durch syrische Christen und schließlich die breite griechisch-arabische Übersetzungsbewegung, die eine Vielzahl antiker Werke einem neuen, höchst interessierten Kreis von Lesern zugänglich machte. Auf dieser Grundlage entwickelte sich rasch eine Philosophie in arabischer Sprache, die an antike Vorbilder anknüpfte, aber zugleich eigene Fragestellungen und Perspektiven ausbildete. Deutlich wird das vor allem an den drei herausragenden Autoren der Frühzeit: Abu Ishaq al-Kindi (gest. zwischen 861 und 866), Abu Bakr ar-Razi (gest. 925) und Abu Nasr al-Farabi (gest. 950). Aber es zeigt sich auch bei zahlreichen weniger bekannten Denkern, die teils in Anlehnung an al-Kindi und al-Farabi, teils mit eigenen Ansätzen philosophischen Fragestellungen nachgingen.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort Einleitung (Ulrich Rudolph)
Teil I: Rezeption und Weiterentwicklung des Erbes: Von den Anfängen bis zum Ende der Schule von Bagdad.
§1. Der spätantike Hintergrund (Ulrich Rudolph). - §2. Die syrische Tradition in frühislamischer Zeit (Hans Daiber). - §3. Die Wiedergeburt der Philosophie und die Übersetzungen ins Arabische (Dimitri Gutas). - §4. Abū Yūsuf al-Kindī (Gerhard Endress und Peter Adamson). - §5. Anfänge muslimischen Philosophierens in der Tradition al-Kindīs (Hans Hinrich Biesterfeld, Elvira Wakelnig, Gerhard Endress, Cleophea Ferrari). - §6. Abū Bakr ar-Rāzī (Hans Daiber). - §7. Die Bagdader Aristoteliker (Gerhard Endress, Cleophea Ferrari). - §8. Abū Naṣr al-Fārābī (Ulrich Rudolph). - §9. Die Verbreitung philosophischen Denkens (Dimitri Gutas, Paraskevi Kotzia, Eva Orthmann, Daniel De Smet)
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