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PISA-Schock: Was sagt DIE LINKE?
PISA-Schock: Was sagt DIE LINKE?




Horst Bethge, Gerrit Große, Nele Hirsch, Ulrike Zerhau (Hrsg.)

VSA-Verlag
EAN: 9783899652901 (ISBN: 3-89965-290-8)
248 Seiten, paperback, 14 x 21cm, 2008

EUR 13,80
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Kurztext: Bildung ist ein Menschenrecht – keine Ware. Das postulieren linke Bildungspolitiker, Wissenschaftler, Gewerkschaftler und Praktiker, die die notwendigen Bildungsreform-Schritte herausarbeiten und neue Wege aufzeigen.

PISA hat geschockt: Dem deutschen Bildungssystem wird Jahr für Jahr von der OECD bescheinigt, dass es wenig leistet und extrem unsozial ist. Seitdem herrscht Hektik: Eine kurz­fristige Maßnahme jagt die andere, aber am Tabu wird festgehalten, über mehr Geld und die Reform der Strukturen nicht reden zu wollen. Doch diese Dogmen geraten ins Wanken, u.a., weil sich Widerstand der Betroffenen regt. Zugleich wird gefragt, welche Antworten denn die Linke auf die Bildungskrise hat. In diesem Band, der die zentralen Beiträge der 1. Bildungspolitischen Konferenz der LINKEN in Hamburg dokumentiert, wird dazu Stellung bezogen.

"Wir verbinden mit dieser Veröffentlichung die Hoffnung, dass die Beiträge den gedanklichen Rohstoff und die praktische Hilfe dafür abgeben, dass sich DIE LINKE in der aktuellen großen bildungspolitischen Auseinandersetzung verstärkt zu Wort meldet ... Darüber hinaus hoffen wir, dass die Beiträge dazu führen, Widerspruch und Kritik zu provozieren. Kann doch nur so der neoliberale bildungspolitische Zeitgeist, der durch manches Lehrerzimmer und manchen Fachbereichsrat wabert, zerrissen werden und eine neue linke transistorische Bildungspolitik sich herausbilden."

(Aus dem Vorwort der HerausgeberInnen)

Die HerausgeberInnen

Horst Bethge, Hamburg, Lehrer a.D., Sprecherteam der BundesAG Bildungspolitik der LINKEN, langjährig in der GEW aktiv; Gerrit Große, Lehrerin, Bildungspolitische Sprecherin der Landtagsfraktion Brandenburg der LINKEN; Nele Hirsch, Berlin, Studium der Islam- und Politikwissenschaft, Bildungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE; Ulrike Zerhau, Detmold, Referentin an der ver.di-Bildungsstätte Lage-Hörste, stellvertretende Bundesvorsitzende DIE LINKE.
Rezension
Der PISA-Schock hat die Bildungspolitik in Deutschland an die Spitze der politischen Debatten geschoben; überall übt sich die Politik in Aktionismus und heftigen Debatten. Die einen suchen zu verdichten (G8-Abitur), zu optimieren und Qualitätssicherung einzuführen, mit neoliberalen Mitteln aus der Wirtschaft die Bildung effektiver zu gestalten, gleichwohl aber das dreigliedrige (Auslese-)Schulsystem beizubehalten, andere setzen auf die stärkere Verknüpfung von Elementar- und Grundschulpädagogik, wieder andere setzen auf die Ganztagsschule und die Gesamtschule ... Dieser Band dokumentiert die Position der Partei DIE LINKE zur aktuellen Bildungsdebatte - mit interessanten Optionen jenseits des Mainstreams ...

Dieter Bach, lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
Vorwort der HerausgeberInnen 9
Anstelle einer Einleitung 15

Aktuelle Grundfragen

Ulrike Zerhau
Gesellschaft und Bildung aus der Sicht der LINKEN 20

Andrea Liesner/Ingrid Lohmann
Bildung für das 21. Jahrhundert – für alle? 30

Armin Bernhard
Rohstoff Mensch: »Bildung« in der neoliberalen Gesellschaft 46

Ulrich Thöne
Die Privatisierung in der Bildung
und der gewerkschaftliche Widerstand 64

Hans-Georg Hofmann
Wir und die anderen 74
Die Frucht des Zweiklassenstaates Bundesrepublik –
eine ruinierte Schule

Klaus Bullan
Die Bildungspolitik der CDU – in Hamburg und anderswo 93

Günter Wilms
Zur Entwicklung der Einheitsschulidee 104
Konsequenzen für die Bildungspolitik der Partei DIE LINKE

Reinhard Frankl
Bildung ist keine Ware! 128
Die Entwicklung des derzeitigen GEW-Konzeptes
zur Finanzierung einer besseren Bildung

Bodo Ramelow
Grundprobleme der Bildungsfinanzierung in Deutschland 137
Plädoyer für einen nationalen Bildungspakt

Ulrik Ludwig
Selbst verantwortete Schule – selbst verantworteter Mangel 142

Horst Bethge
Für ein öffentliches Bildungswesen –
gegen Privatisierung und Kommmerzialisierung 152

Autorenkollektiv AG »Du bist Bertelsmann« Bremen/Hamburg
Schulrationalisierung und Bertelsmann 160

Elke Renner
»Gesamtschule« in Österreich auf dem Weg
zum neoliberalen EU-Projekt 168

Aktuelle Kontroversen

Karin Haas
Was tun für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund? 170

Rosemarie Hein
Stadtteilschule? Gemeinschaftsschule?
Gesamtschule? Einheitsschule? 176

Ingrid Wenzler
Was steckt in der Bezeichnung »Gesamtschule«? 182

Horst Bethge
Anmerkungen zur Schulstrukturdebatte 185

Cornelia Falken
Zwei Säulen in Sachsen 187

Rolf Jüngermann
Der gymnasiale Habitus als Medium der sozialen Selektion 194

Dörte Putensen
Neue Schule – neue Lehrer: Reform der Lehreraus- und Weiterbildung 205
Zehn Thesen zur Lehrerbildung

Babette Haß
Für eine andere Lehrerausbildung 208

Bernhard Nolz
Demokratische LehrerInnen-Bildung 210
Friedenskulturelle Impulse für eine Reform der Schule
und der LehrerInnen-Bildung

Susanne Hennig
Wie antwortet DIE LINKE auf die Ausbildungsmisere? 217

Timm Kunstreich
Lebenslagen von Kindern – Risiko Armut 223

Manfred Auerswald
Förderschule oder Inklusion in der Gemeinschaftsschule? 227

Nele Hirsch
Neoliberaler Umbau der Hochschulen und linke Gegenwehr 230

Uwe Findeisen
Leistungslernen und Schulreform 233

Abkürzungsverzeichnis 241
Die Autorinnen und Autoren 243

Vorwort der HerausgeberInnen
PISA hat geschockt. Bildungspolitik ist wieder ein politisches Thema – nicht
nur in Landtagswahlkämpfen, sondern als Dauerbrenner. Aber anders als
nach dem Sputnik-Schock und Georg Pichts Warnung vor der »Bildungskatastrophe
« (1964) und anders als nach 1945 ziehen die bildungspolitisch
Verantwortlichen andere Schlüsse daraus als die breite Öffentlichkeit. Es
ist, als ob sich der Fehler von 1989 wiederholt und der Zeitpunkt für zukunftsfähige
Reformen verpasst wird. Wurde 1989, nach der Implosion des
real existierenden Sozialismus, das westdeutsche Bildungssystem einfach
dem Osten aufgepfropft und damit sein schon damals offensichtlicher Anachronismus
verlängert, so versucht die Kultusministerkonferenz (KMK)
jetzt, verbissen nicht nur am überkommenen Bildungssystem festzuhalten,
sondern sogar mehr vom Schlechten zu erreichen. Ihr Versuch, die aufgebrochene
bildungspolitische Debatte mit Verdikten zu belegen, ist dennoch
gescheitert: Über Schulstrukturen, Chancengleichheit und Bildungsfi nanzierung
wird diskutiert! Jede neue empirische Untersuchung, ob es sich nun
um PISA II und III oder IGLU 2006 (die internationale Leseuntersuchung
an Grundschulen mit 45 teilnehmenden Staaten),1 den Bericht des UNOMenschenrechtsbeauftragten
Munoz oder die OECD-Vergleiche »Bildung
auf einen Blick« handelt, konstatiert dieselben Webfehler des deutschen
Bildungssystems:
■ Es sortiert scharf aus, und das schon nach Klasse 4, und integriert
nicht.
■ Der Zusammenhang zwischen sozialem Status der Eltern und Bildungserfolg
der Kinder ist hierzulande besonders eng.
■ Es ist extrem unterfi nanziert, vor allem im vorschulischen Bereich und
in der Grundschule, wobei der Anteil des Staates an der Finanzierung
entgegen dem internationalen Trend sinkt.
■ Es weist zwei »Sonderwege« auf (nur noch zusammen mit Österreich
und der Deutsch-Schweiz): Die Schüler bleiben häufi g sitzen und werden
zahlreich von »höheren« in »niedrigere« Schulzweige abgeschult.
1 Bos/Hornberg/Arnold/Faust/Fried/Lankes/Schwippert/Valtin (Hrsg.) (2007):
IGLU 2006 – Zusammenfassung, Handout zur Pressekonferenz am 28.11., Berlin,
Manuskript.
10 Gerrit Große/Nele Hirsch/Ulrike Zerhau/Horst Bethge
Das gesamte Bildungssystem trägt dadurch erheblich dazu bei, die soziale
Spaltung zu vertiefen, anstatt sie zu mildern oder zu kompensieren, wie es
anderswo geschieht. Wir hegen nicht die Illusion, dass das Bildungssystem
die Klassenspaltung aufheben oder beseitigen könnte. Aber in einem demokratischen
Sozialstaat muss schon der Anspruch aufrechterhalten werden,
dass es wenigstens dazu beiträgt, die soziale Chancengleichheit zu befördern
und nicht die Chancenungleichheit zu verstärken.
Doch die KMK hält verbissen an einer Bildungspolitik fest, die hektisch
auf Optimierung des unsozialen, herkömmlichen Bildungssystems
durch eine Fülle von Einzelmaßnahmen setzt und der Ökonomisierung des
Bildungswesens Tür und Tor öffnet. Das ist zwischen den Parteien CDU,
SPD, FDP und Grüne Konsens: »Zur Verbesserung unseres Bildungssystems
darf Marktorientierung nicht länger ein Tabu sein«, hieß es schon 2002 im
Vorwort des Buches »Nach dem PISA-Schock«.2 Kein Wunder, dass jede
neue empirische Erhebung die bildungspolitische Diskussion erneut anheizt
und die Reformerwartungen der unmittelbar Betroffenen aufl ädt, während
die herrschenden Bildungspolitiker umso heftiger auf die internationalen
Kommentare reagieren. Dennoch hat sich bei Elternvertretern, SchülerInnen
und StudentInnen., Lehrlingen und kritischen WissenschaftlerInnen, etlichen
Verbänden und Gewerkschaften ein noch diffuses, aber breiteres Bewusstsein
von der Notwendigkeit grundlegender Bildungsreformen herausgebildet.
Dazu zählen die folgenden Elemente:
■ gründliche Strukturreform hin zu einem integrativen Bildungssystem;
■ Beendigung der fi nanziellen Ausmagerung des Bildungswesens, stattdessen
erhebliche Erhöhung der Bildungsausgaben;
■ pädagogische Reformen, die zu einem fördernden, anregenden Lernklima
führen;
■ Erhöhung der StudentInnen-Zahlen und der Zahl der berufl ichen Ausbildungsplätze;
■ Gebührenfreiheit aller Bildungsbereiche;
■ besondere Förderung der MigrantInnenkinder
Innerhalb dieser Kernpunkte und vor allem über deren Durchsetzung gibt es
erheblichen Diskussionsbedarf. Auch sind die zahlreichen und zunehmenden
Proteste gegen die Missstände im Bildungsbereich regional konzentriert,
unverbunden und unkoordiniert. So wird in Stuttgart und Wiesbaden für
bessere Unterrichtsversorgung protestiert, in Hamburg eine Volksinitiative
gegen die Privatisierung der berufl ichen Schule erfolgreich abgeschlossen, in
2 B. Fahrholz/S. Gabriel/P. Müller (Hrsg.) (2002): Nach dem PISA-Schock.
Plädoyer für eine Bildungsreform, Hamburg, S. 12
Vorwort 11
Brandenburg und Schleswig-Holstein eine gegen die Kosten der Schülerbeförderung
begonnen, in Sachsen wird gegen Schulschließungen protestiert,
in Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg für bessere Finanzierung der
Kitas. Die StudentInnen protestieren gegen Studiengebühren, bis hin zum
Boykott. Kurz: Die Kräfte reichen noch nicht, die notwendigen grundlegenden
Reformen durchzusetzen.
Überall sind in dieser Bildungsreformbewegung kritische Wissenschaftler,
DIE LINKE und GEW und ver.di beteiligt und aktiv. Dennoch könnten sie,
insbesondere DIE LINKE mit ihren außerparlamentarischen, kommunalen
und parlamentarischen Möglichkeiten, deutlicher das Wort ergreifen, ihre
Alternativen offensiver vertreten. Unter anderem dazu hat DIE LINKE ihre
1. Bildungspolitische Konferenz vom 23.-25.11.2007 veranstaltet, bewusst
in Hamburg, wo am 24.2.2008 Wahlen anstanden. Die meisten Beiträge
dieses Bandes entstammen den Referaten und Diskussionsbeiträgen dieser
Konferenz.
Die in der BRD wachsende soziale Ungleichheit, die zunehmende Kinderarmut,
die anhaltende Massenarbeitslosigkeit einerseits, die zunehmende
Bindung des öffentlichen Bildungswesens an betriebswirtschaftliche Steuerung
und die schrittweise Ausrichtung nach Prinzipien der marktwirtschaftlichen
Konkurrenz (kurz oft Ökonomisierung oder Verbetriebswirtschaftlichung
genannt) und die durch die EU und die GATS/WTO- Verhandlungen
verstärkte Tendenz, Bildung als Ware zu betrachten,3 andererseits, haben
die Diskussion auf die Frage gelenkt, wie das Recht auf Bildung und die
Kinderrechte in der Deutschland realisiert werden können. Das ist für das
Kapital aber kein Thema, denn es hat ausschließlich die Verwertbarkeit der
Ware Arbeitskraft im Auge. Es nutzt die sichtbar gewordene Bildungskrise,
die »Reformen« in diesem Sinne zu gestalten und das Bildungswesen völlig
dem Verwertungsinteresse des Kapitals zu unterwerfen. Am deutlichsten
kommt diese Veränderungsstrategie im »Masterplan für mehr Bildungsgerechtigkeit
« zum Ausdruck, der vom Aktionsrat der Vereinigung der
bayrischen Wirtschaft vorgelegt wurde. So ist denn auch dieser Hintergrund
und gesellschaftspolitische Rahmen zahlreichen Beiträgen dieses Bandes
unterlegt, einige liefern analytische Konkretionen dazu.
Andererseits wird auch von der herrschenden Bildungspolitik mehr für
die frühkindliche Förderung getan, gehen Schleswig-Holstein, Mecklenburg-
Vorpommern und Berlin erste, wenn auch unterschiedliche Schritte in Rich-
3 Vgl. Fritz, Th./Scherrer, Ch. (2002): GATS – zu wessen Diensten?, Hamburg;
Deckwirth, Ch. (2004): GATS als politisches Projekt, in: Z, Nr. 59, September,
S. 49.
12 Gerrit Große/Nele Hirsch/Ulrike Zerhau/Horst Bethge
tung auf eine Gemeinschaftsschule. Ihre Anhängerschar wächst, und sie wird
aktiver. So gelang es der Hamburger Volksinitiative »Eine Schule für Alle« in
kurzer Zeit rund 16.000 Wahlberechtigte dazu zu bewegen, per Unterschrift
dazu JA zu sagen und die erste Hürde auf dem Wege zum Volksentscheid
zu nehmen. Kein Wunder, dass auch die Auseinandersetzung um Struktur,
ist. Entsprechend breiten Raum nimmt sie in diesem Sammelband
ein. Dabei schwanken Begriffl ichkeit und Struktur: Nennen die einen diese
neue inklusive einheitliche Schule »weiterentwickelte Gesamtschule« und
andere »Gemeinschaftsschule«, so zählen einige die Grundschule, die ja
schon eine einheitliche Schule für Alle ist, dazu, andere auch die Sonderund
Förderschulen.
Überall schimmert jedoch die Idee der Einheitsschule durch, wie sie von
den bürgerlichen Demokraten nach 1848, der demokratischen Lehrerbewegung
und der Arbeiterbewegung entwickelt und in Skandinavien, neuerdings
in Südtirol und ehedem in der DDR in unterschiedlicher Ausprägung und
mit verschiedenen Namen verwirklicht wurde. Auch dazu gibt es einen
systematischen Überblick in diesem Band und zahlreiche Beiträge aus linker
parteipolitischer und wissenschaftlicher Sicht – nicht widerspruchsfrei
und natürlich nicht die Diskussion abschließend. Eher soll sie angeheizt,
befruchtet, vertieft und verbreitert werden.
Das gilt auch für den zweiten Themenkomplex, die Bildungsfi nanzierung.
Obwohl von der KMK tabuisiert, steht gerade sie oft im Zentrum landespolitischer
Auseinandersetzungen. Neuerdings auch bei den Verhandlungen der
Föderalismus-Kommission II. Insofern fi nden sich in diesem Band auch dazu
Beiträge. Die Marke von 6% des Bruttoinlandsprodukts für die Bildungsausgaben
ist nun von links gesetzt! Linke Bildungspolitik, die sich selbst in der
Tradition der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung sieht, fokussierte sich
schon immer auf das öffentliche Bildungswesen. Geradezu aktuell mutet ihr
Slogan: »Freiheitlichkeit, Unentgeltlichkeit, Wissenschaftlichkeit« an. Schon
immer war der Anteil am Bruttoinlandsprodukt, der in die Bildung fl oss,
das Ergebnis heftiger Verteilungskämpfe. Das um so mehr heute, wo Lohnund
Bildungsausgaben unter »Humankapital« subsumiert und lediglich als
betriebswirtschaftliche Kostenkennziffern betrachtet werden sollen. Das
neoliberale Credo, dass sich der Staat zurückziehen und sich auf seine Kernaufgaben
beschränken solle, hat im Zuge des Umbaus des Sozialstaats auch
das Bildungswesen erreicht. Dennoch ist heftig umstritten, welcher Anteil an
Mitteln fl ießen muss, um ein Minimum an sozialer Inklusion zwecks Herrschaftssicherung
zu gewährleisten und gleichzeitig sich als BRD im globalen
Standortwettbewerb zu behaupten und an der wissenschaftlich-technischen
Vorwort 13
Entwicklung mit ihren Innovationsschüben teilnehmen zu können. Hamburgs
Bürgermeister von Beust (CDU) jedenfalls hat vor der Wahl 90 Mio. Euro
(verteilt über vier Jahre) für sieben sozial belastete Stadtteile locker gemacht,
weil er keine »Zustände wie in den französischen Vorstädten« haben wolle.
Und nicht zuletzt enthält dieser Band linke Beiträge zu weiteren aktuellen
Kontroversen: Über die Frage der Bildung von Kindern und Jugendlichen mit
Migrationshintergrund, zur Lehreraus- und Weiterbildung, zur berufl ichen
Bildung, zur Hochschulsituation, zur Lebenslage von Kindern, zur Frage
der Integration und Inklusion und zur Praxis des Leistungslernens. Diese
Themen sind keineswegs umfassend behandelt, allerdings dem Thema der
Konferenz zugeordnet.
Fast alle Beiträge sind überarbeitete Referate und Berichte von der bereits
erwähnten 1. Bildungspolitischen Konferenz der LINKEN, die unter dem
Titel »Bessere Bildung für alle – Bildung ist ein Menschenrecht, keine Ware«
in Hamburg stattfand. Zum Zwecke einer zeitnahen Dokumentation dieser
linken Positionen wurde auf die Bereinigung von Widersprüchen oder unterschiedlichen
methodischen Herangehensweisen an die Themen verzichtet.
Gleichwohl spiegeln sie die Breite der Argumentation und die linke Pluralität
der Ansätze und Antworten wider. Das entspricht auch der Diskussion auf
der Konferenz: Rund 40% der etwa 200 TeilnehmerInnen und ein Drittel
der ReferentInnen sind nicht Mitglied der Partei DIE LINKE. Auch wenn
diese Konferenz an die ältere Tradition und die Positionen der PDS/Linkspartei
anknüpft, wie sie auf neun vorangegangenen Konferenzen entwickelt
wurden, sind die Beiträge und Diskussionen aus den Auseinandersetzungen
der bildungspolitischen Linken mit der neoliberalen Bildungspolitik der
verschiedenen Bundesländer entsprungen.
Dieser Band weist Lücken auf: Einmal inhaltliche. So fehlen hier linke
Positionen zur Diskussion um die Wissensgesellschaft und die Humankapital-
Theorien,4 die Globalisierung und die internationalen Privatisierungstrends
in der Bildung.5 Konzentriert wurde sich hier auf die aktuellen Privatisie-
4 U. Bittlingmayer/U. Bauer (2006): Die Wissensgesellschaft – Mythos, Ideologie
oder Realität?, Wiesbaden; Widerspruch 45 (2003): Wissen, Bildung, Informationstechnologie,
Zürich.
5 Vgl. GEW-Privatisierungsreport 1-5 unter: www.gew.de/Publikationen_aus_
dem_Vorstandsbereich_Schule.html; W. Rügemer (2006): Privatisierung in Deutschland
– eine Bilanz, Münster; J. Huffschmid u.a. (2004): Die Privatisierung der Welt,
Hamburg ; Widersprüche (2002): Zur globalen Regulierung des Bildungswesens, Heft
83; März; Wa(h)re Bildung – Zurichtung für den Profi t, Schulhefte 113, 2004, Wien;
H. Bethge (2007): Bildung zukünftig vom Geldbeutel abhängig?, in: Marxistische
Blätter, Heft 3, Essen, S. 88
14 Gerrit Große/Nele Hirsch/Ulrike Zerhau/Horst Bethge
rungsschritte in der BRD. Die anderen Punkte wurden schon auf der 9. Bildungspolitischen
Konferenz der Linkspartei.PDS in Weimar 2005 und auf
anderen Konferenzen detaillierter behandelt. In Weimar standen auch Fragen
der nicht-formalen Bildung im Kinder- und Jugendhilfebereich oder zur Weiterbildung
und linke Positionen zur kulturellen Bildung zur Debatte.6 Es fehlt
das Problembündel Demokratisierung ebenso wie das der Qualifi kationsanforderungen
mit Blick auf die wissenschaftlich-technische Entwicklung. Zu
PISA, TIMSS und den OECD-Berichten wie zur Auseinandersetzung um
die Bildungsstandards7 liegen linke Beiträge anderswo vor. Mancher mag
eine vorangestellte Analyse der kapitalistischen Gesellschaft vermissen: Sie
klingt in etlichen Beiträgen an. In den »programmatischen Eckpunkten« der
LINKEN ist der programmatische Diskussionsstand fi xiert, auf den sich die
der LINKEN angehörigen AutorInnen berufen. Andere Lücken erklären sich
ganz einfach dadurch, dass die verschriftlichten Konferenz-Beiträge nicht
rechtzeitig fertig geworden sind. Eine rasche Dokumentation zwang zum
»Mut zur Lücke«. Und letztendlich wirkt sich auch immer die Konferenzdidaktik
aus, die aus zeitlichen Gründen die Konzentration auf bestimmte
Schwerpunkte erzwingt, was Lücken bedingt. Ganz verzichtet wurde auf
Berichte von den zahlreichen Praxiseinblicken, die am Freitag vor der Konferenz
durch Besuch von Schulen und Einrichtungen für die TeilnehmerInnen,
die sich dafür freimachen konnten, von Hamburger KollegInnen in ihren
Schulen und Einrichtungen vor Ort organisiert wurden.
Wir verbinden mit dieser Veröffentlichung die Hoffnung, dass die Beiträge
den gedanklichen Rohstoff und die praktische Hilfe dafür abgeben, dass sich
DIE LINKE in der aktuellen großen bildungspolitischen Auseinandersetzung
verstärkt zu Wort meldet. Benötigen wir doch dringend ihre bildungspolitischen
Aussagen für die aktuellen Kämpfe. Dabei ist es ein Vorzug, dass
die hier versammelten Beiträge nicht in abgeschlossenen Parteizirkeln und
kleinen Diskussionscliquen entstanden sind. Darüber hinaus hoffen wir, dass
die Beiträge dazu führen, Widerspruch und Kritik zu provozieren. Kann
doch nur so der neoliberale bildungspolitische Zeitgeist, der durch manches
Lehrerzimmer und manchen Fachbereichsrat wabert, zerrissen werden und
eine neue linke transistorische Bildungspolitik sich herausbilden.
Januar 2008 Gerrit Große, Nele Hirsch,
Ulrike Zerhau, Horst Bethge
6 Veröffentlicht in: Zukunftswerkstatt Schule, Heft 1-4, 2005, Berlin.
7 T. Feltes (2006): Nationale Bildungsstandards – ein neoliberales Projekt?, in:
Utopie kreativ 187, Mai, S. 449.