Seit der Veröffentlichung von Thomas Pikettys in 40 Sprachen übersetzten und mehr als 2,5 Millionen Mal verkauften Bestseller „Le Capital au XXIe siècle“(2013), zu dem als Nachfolger „Capital et Idéologie“(2019) erschien, wird nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in den Wirtschaftswissenschaften über Probleme des Kapitalismus und Alternativen zu ihm diskutiert: Wird sich der Kapitalismus selbst zerstören? Hat Karl Marx mit seinem historischen Materialismus doch Recht und folgt auf den Kapitalismus der Sozialismus? Welche Varianten des Sozialismus gibt es? Sind Sozialismus und Demokratie miteinander vereinbar?
Mit diesen Fragen setzte sich 1942 schon Joseph A. Schumpeter (1883-1950), seit 1932 Professor für Ökonomie an der Harvard University, in seiner wirtschaftswissenschaftlichen Analyse „Capitalism, Socialism and Democracy“ auseinander. Das in 20 Sprachen übersetzte Werk, 1946 von Edgar Salin ins Deutsche unter dem Titel „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ übertragen, zählt zu den Klassikern der politischen Ökonomie. Erstmals ist 2020 bei utb/Narr Francke Attempto eine vollständige, deutsche Ausgabe des wirtschaftswissenschaftlichen Standardwerks erschienen. Gegenüber der 9. Auflage enthält diese 10. Auflage auch eine Übertragung des fünften Teils „A Historical Sketch of Socialist Parties“.
Bekanntheit erlangte Schumpeter, selbst überzeugter Anhänger des Kapitalismus, mit seiner These von der schöpferischen Selbstzerstörung dieser Wirtschafts- und Sozialform aufgrund ihres Erfolgs. Beim Niedergang des Kapitalismus spielt insbesondere die personelle Trennung zwischen Eigentümer und Manager eines Unternehmens eine entscheidende Rolle. Mit seiner Unterscheidung zwischen Kapitalisten und „Entrepreneur“ lieferte Schumpeter entscheidende Impulse für die Unternehmenstheorie und Innovationsforschung. Gegenüber statischen Modellen in der Wirtschaftswissenschaft elaborierte Schumpeter, der an der Intentionalität sozialer Akteure festhielt, die wechselseitige, dynamische Beeinflussung von Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Kultur. Nicht erkannt wurden von dem Ökonomen in seinem Buch Modelle einer Mixed Economy und die von Piketty herausgearbeitete weltweite Wohlstandspolarisierung durch den Kapitalismus. Zu Recht würdigt Heinz D. Kurz, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Graz, Schumpeters Spätwerk in seiner hervorragenden Einführung zu der vorliegenden Edition als den „Entwurf einer Histoire Raisonée der Moderne“. Schumpeters Opus, das sich an Studierende der Wirtschaftswissenschaften, Politologie und Soziologie richtet, enthält zudem Textpassagen, die sich produktiv eignen, um im Politik- und Wirtschaftsunterricht mit Schülerinnen und Schülern über Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie zu diskutieren.
Fazit: Angesichts der durch den digitalen Kapitalismus bewirkten sozialen Transformationsprozesse und aufgeworfenen gesellschaftspolitischen Fragen besitzt Joseph A. Schumpeters sozialwissenschaftlicher Klassiker „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ besondere Aktualität.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de

Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie
Mit einer Einführung von Heinz D. Kurz
von Schumpeter, Joseph A. Fach: Volkswirtschaftslehre; Politikwissenschaft;
„Kann der Kapitalismus weiterleben? Nein, meines Erachtens nicht.“
Schumpeters Beschäftigung mit dem Sozialismus hat nicht zuletzt angesichts des schier unaufhaltsamen Aufstiegs Chinas nichts an Aktualität eingebüßt. Er wagt die Auseinandersetzung mit großen gesellschaftspolitischen Fragen im
Sinne einer histoire raisonnée als Schlüssel zum Verständnis geschichtlicher Prozesse. Die 10. Auflage enthält erstmals auch Teil V des Werks, in dem Schumpeter Gemeinsamkeiten, vor allem aber Unterschiede zwischen sozialistischen Strömungen und Parteien in Europa, Russland und den USA herausarbeitet und den Aufstieg der
Sowjetunion kritisch erörtert. Eine Einführung in Schumpeters Thesen und deren Verortung in der zeitgenössischen und aktuellen Diskussion sowie eine Auswahlbibliografie erleichtern den Zugang zu diesem Standardwerk.
Dieser Klassiker der Gesellschaftswissenschaften liegt in der 10. Auflage nunmehr erstmals vollständig übersetzt vor.

Inhaltsverzeichnis