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Kapitalismus 3.0
Ein Leitfaden zur Wiederaneignung der Gemeinschaftsgüter
Herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung
Mit einem Vorwort von Ralf Fücks
Aus dem Amerikanischen von Veit Friemert
Heinrich Böll Stiftung (Hrsg.), Peter Barnes
VSA-Verlag
EAN: 9783899653120 (ISBN: 3-89965-312-2)
224 Seiten, hardcover, 15 x 21cm, September, 2008
EUR 18,80 alle Angaben ohne Gewähr
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Umschlagtext
Der Kapitalismus ist nicht zum Untergang verurteilt oder unfähig; aber es wird Zeit, dass er an die Bedürfnisse und Risiken des 21. Jahrhunderts angepasst wird. Der amerikanische Publizist Peter Barnes zeigt, wie das funktionieren kann.
Unser Wirtschaftssystem hat Wohlstand geschaffen, Arbeiten erleichtert, Krankheiten besiegt, Mobilität geschenkt. Doch seine Nachteile werden immer deutlicher: Viele Menschen werden ärmer, Ressourcen rücksichtslos ausgebeutet, ganze Landstriche dem kurzzeitigen Profit geopfert, die Tier- und Pflanzenwelt dezimiert.
Unsere Art zu wirtschaften muss sich ändern, wenn wir die Erfolge sichern, den Reichtum der Natur retten und den zukünftigen Generationen die Chance auf ein würdiges Leben geben wollen. Die Lösung wird weder in noch mehr Privatisierung und Deregulierung noch in Planwirtschaft und Verstaatlichung liegen.
Sie wird in der Sicherung und Stärkung der Gemeinschaftsgüter zu finden sein, also jener natürlichen Reichtümer, die uns nicht individuell, sondern als Mitgliedern einer Gemeinschaft gehören.
Es wird neue Regeln und Institutionen brauchen, um unsere Wirtschaftsweise für das 21. Jahrhundert tauglich zu machen – und gerechter. Dieses Buch darf als Anleitung dafür verstanden werden.
Rezension
Die derzeitige Finanz- und Bankenkrise zeigt auf aktuelle Weise und bereits innerhalb des rein ökonomischen Regelkreises erschreckend deutlich auf, was der Verfasser dieses Buchs auf viel globalere Weise anmahnt: Neben Privatgütern bedarf es auch im Kapitalismus der Gemeinschaftsgüter. Und es kann nicht sein, dass Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden, wie es soeben in der Finanzkrise geschieht. Barnes’ Version 3.0 des Kapitalismus zeichnet sich dadurch aus, dass der Sektor des Marktes, in dem private Güter gehandelt werden, ergänzt wird durch einen Sektor von Gemeinschaftsgütern, die durch ein System verbindlicher Regeln effektiv gemanagt werden. Beide Sektoren sind notwendig für eine globale nachhaltige Entwicklung und für ein effizientes Funktionieren von Wirtschaft und Demokratie. Bisher ist aber der privatwirtschaftliche Sektor dominant und der Sektor der Gemeinschaftsgüter unterentwickelt.
Dieter Bach, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Der Autor:
Peter Barnes ist Unternehmer und Publizist. Er hat verschiedene erfolgreiche Firmen gegründet und war auch als Korrespondent von Newsweek und The New Republic tätig. Gegenwärtig ist er Senior Fellow am Tomales Bay Institute in Point Reyes Station, Kalifornien.
Der Autor des Vorworts:
Ralf Fücks, ehemaliger Umweltsenator in Bremen, ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung: Auch der Kapitalismus braucht Gemeinschaftsgüter 7
von Ralf Fücks
Vorwort 13
Teil 1
Das Problem 25
Kapitel 1
Es ist an der Zeit, das Betriebssystem nachzurüsten 26
Kapitel 2
Eine kurze Geschichte des Kapitalismus 40
Kapitel 3
Die Grenzen des Staates 60
Kapitel 4
Die Grenzen der Privatisierung 78
Teil 2
Eine Lösung 93
Kapitel 5
Die Wiedererfindung der Gemeinschaftsgüter 94
Kapitel 6
Eine Treuhandschaft für die Schöpfung 108
Kapitel 7
Universelle Geburtsrechte 133
Kapitel 8
Auf dem Weg zu einer gemeinsam geteilten Kultur 150
Teil 3
Die Realisierung 169
Kapitel 9
Die Errichtung eines Gemeinschaftsgütersektors 170
Kapitel 10
Was Sie tun können 191
Anhang 204
Literatur 206
Index 212
Der Autor 219
Leseprobe:
Einleitung: Auch der Kapitalismus braucht Gemeinschaftsgüter
Commons, frei übersetzt mit »Gemeinschaftsgüter«, bezeichnen in
einer Welt des Privateigentums eine Sphäre jenseits des Marktes. In
Zeiten des Klimawandels und der Krise der natürlichen Lebensgrundlagen
wird gerade diese Sphäre immer wichtiger. Das gilt ebenso, wenn
auch aus anderen Gründen, für die sich herausbildende Wissensgesellschaft
mit ihren Chancen für eine neue Stufe produktiver Entwicklung
und demokratischer Partizipation.
Die Atmosphäre ist ein Beispiel für die Gefährdung der Gemeinschaftsgüter.
Die Industrieländer haben sie in den letzten 150 Jahren
genutzt, um die CO2-Emissionen ihres mit fossilen Energieträgern befeuerten
Wirtschaftswachstums kostenlos zu deponieren. Inzwischen
stößt die Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre aber an ihre Grenzen
und verlangt nach Regeln für ihre Nutzung. Dies ist ein typischer Fall
der Übernutzung eines globalen Gemeinschaftsguts, das allen gratis
zur Verfügung steht und für dessen nachhaltigen Gebrauch keine Instanz
zuständig ist.
Komplizierter liegt der Fall bei der Kategorie des »Wissens«. Wissen
erfüllt nicht die klassischen Kriterien eines öffentlichen Guts, von
dessen Nutzung niemand ausgeschlossen werden kann. Dennoch gibt
es Überschneidungen, die es nahelegen, auch Wissen aus dem Blickwinkel
eines Gemeinschaftsguts zu betrachten. Bei seiner Herstellung
spielen öffentliche Institutionen und Finanzen eine zentrale Rolle, und
vor allem hat Wissen die wunderbare Eigenschaft, dass es sich – anders
als gewöhnliche Güter – durch Gebrauch und Weitergabe nicht abnutzt.
Im Gegenteil, es wächst weiter an und kann immer wieder neu
als Quell gesellschaftlicher und technischer Innovationen dienen. Trotz
– oder gerade aufgrund – dieser Eigenschaft sind um die Wissensbestände
heftige Verteilungskämpfe entbrannt. Wissen ist ein begehrtes
Gut, und die Produktion von Wissen erfordert oft hohe Investitionen.
Den Zugang zu Wissen einzuengen und zu kontrollieren, verspricht
hohe Renditen.
Privateigentum und Markt sind auch in kapitalistischen Gesellschaften
nicht alles: Ohne Gemeinschaftsgüter wäre keine Gesellschaft überlebensfähig,
und auch die Unternehmen hängen von Gemeinschaftsgütern
wie einer intakten Biosphäre oder öffentlicher Sicherheit ab.
Gemeinschaftsgüter bringen nicht nur einzelnen Konsumenten einen
Nutzen, sondern sind Grundlage für die Teilhabe der Individuen am
gesellschaftlichen Leben. Jemanden von diesen Gemeinschaftsgütern
auszuschließen, wie Märkte dies mit Zahlungsunwilligen oder Zahlungsunfähigen
tun, ist moralisch kaum vertretbar, falls es überhaupt
praktisch durchsetzbar ist.
Es gibt endlose Diskussionen darüber, welches Gut als ein Gemeinschaftsgut
behandelt werden soll und des besonderen Schutzes der
Gesellschaft bedarf. Während die Frage, was ein Gemeinschaftsgut
ist, eher von akademischem Interesse ist, ist die Frage, wie es behandelt,
verwaltet und wie der Zugang zu ihm geregelt werden soll, von
höchst praktischer Relevanz für das Leben der Menschen, die von diesem
Gemeinschaftsgut abhängig sind. Dabei wird es unterschiedliche
Antworten für unterschiedliche Gemeinschaftsgüter geben müssen,
die keineswegs alle über einen Kamm zu scheren sind.
Die Nutzung von Gemeinschaftsgütern wie der Erdatmosphäre, die
individuell nutzbar sind, kann durch die Begrenzung von Zugangsrechten
effi zient auf Märkten gehandelt und vor Übernutzung geschützt
werden. Der Emissionshandel ist ein solcher Mechanismus, der
begrenzt, wieviele Treibhausgase in die Atmosphäre ausgestoßen werden
dürfen, und die Rechte, wer wie viel emittieren darf, auf einem
Markt handelt. Bei der Zuteilung solcher Rechte durch einen öffentlichen
Akteur ist aber nicht nur ökonomische Effi zienz, sondern auch
Verteilungsgerechtigkeit gefragt.
Wieder anders liegt der Fall bei intellektuellen Gütern. Sie sind sowohl
privat herstellbar als auch als Privateigentum zu vermarkten. In
gewissem Umfang fördert die Aussicht auf kommerzielle Verwertung
sogar die Generierung neuen Wissens. Dies ist auch der Grund, weshalb
Staaten Erfi ndern Patentrechte auf das von ihnen generierte Wissen
zugestehen. Patentrechte garantieren den Urhebern eine Art Schutzgebühr
für die Benutzung ihrer Erfi ndungen. Allerdings wirkt das Patentrecht
besonders im internationalen Kontext oftmals dem Allgemeinwohl
entgegen. Zum Beispiel schließt es nicht zahlungsfähige
Menschen in Entwicklungsländern vom Zugang zu lebensnotwendigen
Gütern wie Medikamenten aus oder schränkt den allgemeinen Zugang
zu Wissen ein. Ähnlich wie bei einem Monopol werden Konsumenten
ausgeschlossen, um Gewinne eines Monopolisten zu vergrößern. Darüber
hinaus treibt das Patentrecht seltsame Blüten, etwa wenn multinationale
Konzerne Patentrechte auf traditionelles Wissen indigener
Völker erwerben und sich damit ein Monopol sichern, das nicht auf eigenen
Erfi ndungen gründet, sondern auf reiner »Entdeckung«.
Der amerikanische Unternehmer und Autor Peter Barnes sieht die
Wurzel aller Probleme im Umgang mit Gemeinschaftsgütern darin, dass
die Eigentums- und Zugangsrechte entweder nicht geklärt sind (und
die Gemeinschaft der Nutzer sie deshalb übernutzt) oder aber die Akteure,
die die Eigentums- und Zugangsrechte halten, nicht die Kapazitäten
haben, eine nachhaltige Nutzung der Gemeinschaftsgüter effektiv
zu organisieren. Schon früher hat er den Vorschlag eines »Sky
Trust«, gemacht, der alle Nutzungsrechte an der Atmosphäre hält und
an Emittenten von Treibhausgasen verkauft, gleichzeitig deren Emissionsrechte
aber auf ein nachhaltiges Maß reduziert. Dieses Vorbild
eines Treuhandfonds kann auch auf andere Gemeinschaftsgüter verallgemeinert
werden.
Barnes’ Version 3.0 des Kapitalismus zeichnet sich dadurch aus, dass
der Sektor des Marktes, in dem private Güter gehandelt werden, ergänzt
wird durch einen Sektor von Gemeinschaftsgütern, die durch
ein System verbindlicher Regeln effektiv gemanagt werden. Beide Sektoren
sind notwendig für eine globale nachhaltige Entwicklung und für
ein effizientes Funktionieren von Wirtschaft und Demokratie. Bisher
ist aber der privatwirtschaftliche Sektor dominant und der Sektor der
Gemeinschaftsgüter unterentwickelt. An dieser Asymmetrie krankt, so
die Analyse von Barnes, das ganze Marktsystem. Als Therapie schlägt er
die Verwaltung der Gemeinschaftsgüter durch lokale Gemeinschaften
bzw. durch regionale, nationale und globale Treuhandfonds vor, die
den privatwirtschaftlichen Sektor ergänzen. Ersetzen kann keiner der
Einleitung: Auch der Kapitalismus braucht Gemeinschaftsgüter 9
beiden Sektoren den anderen. Privatgüter und Gemeinschaftsgüter stehen
in keinem alternativen Verhältnis, sondern in einem komplementären.
Die Bereitstellung und der Erhalt von Gemeinschaftsgütern bietet
erst die Grundlage für die Entwicklung vieler privatwirtschaftlicher
Unternehmen, national und global. So hängt die Entwicklung des Privatsektors
in Entwicklungsländern in besonderem Maße von Gemeinschaftsgütern
ab, die politisch gewährleistet werden müssen. Auch die
deutsche Wirtschaft ist stärker als Volkswirtschaften mit reichen natürlichen
Ressourcen abhängig von öffentlichen Gütern wie exzellenter
Grundlagenforschung, einem gut ausgebildeten Arbeitskräftepotenzial
und dem Zugang zu innovativem Wissen. Es ist also keineswegs eine
romantische Idee, wenn wir mit Peter Barnes für ein neues Verständnis
der Bedeutung von Gemeinschaftsgütern werben.
Berlin, im Juli 2008
Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung
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