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Geschichte der Türkei Von Atatürk bis zur Gegenwart
Geschichte der Türkei
Von Atatürk bis zur Gegenwart




Maurus Reinkowski

Verlag C. H. Beck oHG
EAN: 9783406774744 (ISBN: 3-406-77474-1)
496 Seiten, Festeinband mit Schutzumschlag, 14 x 22cm, August, 2021, mit 51 Abbildungen und 6 Karten

EUR 32,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Die republikanische Ordnung der Türkei ist seit der Staatsgründung 1923 nahezu unverändert, doch hinter der erstaunlichen Kontinuität verbergen sich dramatische Veränderungen – von der erzwungenen Europäisierung unter Atatürk über Militärputsche und Konflikte mit Minderheiten bis zum islamistisch-autoritären Präsidialregime Erdogans. Souverän, präzise und wunderbar lesbar erzählt der Islamwissenschaftler Maurus Reinkowski die Geschichte eines Landes am Kreuzungspunkt unterschiedlicher Kulturen und Machtblöcke.

Als der türkische Staatspräsident Erdogan im Sommer 2020 die Hagia Sophia vom Museum zur Moschee umwidmete, sprach er wie ein muslimischer Herrscher selbst die Eröffnungssure und demonstrierte damit, dass die Türkei ein islamisches Land ist. Die auf den Trümmern des Osmanischen Reiches errichtete Republik Türkei hat im Laufe ihrer hundertjährigen Geschichte ihre Identität immer wieder neu definiert: Der von Atatürk forciert laizistisch und europäisch aufgestellte Nationalstaat strebte unter dem Militärregime nach 1980 eine türkisch-islamische Synthese an, sah sich nach 1990 als Führungsmacht aller Turkvölker, um die Jahrtausendwende als künftiges Mitglied der Europäischen Union und sucht heute den Schulterschluss mit der ehemals osmanisch beherrschten arabischen Welt. Maurus Reinkowski erzählt die Geschichte der Türkei am Leitfaden der innen- und außenpolitischen Umschwünge und macht dabei auf meisterhafte Weise die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Spannungen deutlich, die das Land zwischen Orient und Okzident bis heute prägen.

Maurus Reinkowski lehrt Islamwissenschaft an der Universität Basel. Er war Mitarbeiter des Orient-Instituts in Istanbul, Fellow am Van Leer Jerusalem Institute und am Freiburg Institute for Advanced Studies sowie Gastprofessor an der Sabanci-Universität Istanbul.
Rezension
Die moderne Türkei entstand auf den Trümmern des Osmanischen Reiches. Nach der Gründung der Republik im Jahr 1923 entwickelte sich das Land in wenigen Generationen zum bevölkerungsreichsten und wirtschaftlich stärksten Staat der Region. Die Türkei war im islamischen Kulturraum das, was Frankreich im christlichen Kulturraum ist: ein laizistischer Staat, der eine konsequente Trennung von Religion und Staat praktiziert, - und so konnte es das Kopftuchverbot an türkischen Universitäten geben, während in Deutschland darüber diskutiert wurde. Dieser Laizismus geht zurück auf Kemal Atatürk, den Gründer der säkularen Türkei, daher stammt der Kemalismus, gegen den der politische Islam in Opposition steht. Gerade der türkische Islam befindet sich derzeit in einem tiefgreifenden Umbruch. Jahrelang haben sich die AKP und Präsident Erdogan zurückgehalten und religiöse sowie ideologische Distanz gewahrt. Der Islam erhält als Religion und Kultur in der Türkei mehr und mehr Einfluss. Die Trennung von Religion und Staat, das Kennzeichen des einzigen säkularen Staates im islamischen Kulturkreis, scheint nicht mehr zu gelten. Zur türkischen Geschichtspolitik gehört es eine Identifikation mit einem glorifizierten Bild von Mustafa Kemal Atatürk herzustellen und dadurch die „Einheit"' einer multiethnischen und multireligiösen Nation zu erreichen. Bis heute sorgt die einmalige Stellung der Türkei zwischen Orient und Okzident – als unbestrittener Bestandteil der islamischen Welt und zugleich eingebunden in den Westen – für vielfältige Konflikte, im Land selbst, aber auch gegenüber Nachbarn und Partnern. Die Türkei ist ein starkes Land. Sie ist Mitglied der G20, der Gruppe von zwanzig besonders wirtschaftsstarken Staaten. Turkish Airlines (Türk Hava Yolları), noch in den 1980er Jahren eine Luftfahrtgesellschaft mit beschränktem Radius, verfügt heute über eines der größten Streckennetze weltweit. Nachdem die Partei für «Gerechtigkeit und Entwicklung» (Adalet ve Kalkınma Partisi, AKP) im Jahr 2002 die Regierung übernommen hatte, erlebte das Land einen beeindruckenden wirtschaftlichen Aufschwung. Die Türkei stellt das zweitgrößte Heer innerhalb der NATO. Die Türkei übertrifft in ihrer Landfläche Frankreich, den größten westeuropäischen Flächenstaat. Sie hat dank ihres dynamischen Bevölkerungswachstums derzeit deutlich mehr als achtzig Millionen Einwohner.

Dieter Bach, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Schlagwörter:
Atatürk, Erdogan, Islam, Okzident, Orient, Osmanisches Reich, Politik, Putsch, Türkei
Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkung 9

Einführung 13

Die Türkei: Raum, Grenzen, Nachbarn 16
Wer lebt in der Türkei? 22
Ankerpunkte der Geschichtsschreibung 37
Zwischen Zuversicht und Zorn 43

Erstes Kapitel:
Abschied vom Osmanischen Reich 51

1. Erbe und Last: Die spätosmanische Zeit (1876–1912) 53
Nicht-Muslime und der staatspatriotische Osmanismus 54
Selbstbehauptungsversuche des «Kranken Mannes» 59
Freie Radikale: Die Jungtürken 66

2. Die Geburt aus dem Krieg (1912–1922) 74
Die Balkankriege 74
Der Erste Weltkrieg 79
Vernichtung und Verleugnung: Assyrer und Armenier 84
Der Krieg der anatolischen Nationalbewegung 94

3. Die Wege trennen sich (1922–1925) 105
Das Ende der Levante und die Erschaffung des Nahen Ostens 106
Der Vertrag von Lausanne 110
Trennung von den Mitstreitern 117
Die Kurden gehen leer aus 120

Zweites Kapitel:
Die kemalistische Republik (1923–1950) 125

1. Atatürk und der Kemalismus (1923–1938) 127
Mustafa Kemal Atatürk 127
Die kemalistischen Reformen der 1920er und 1930er Jahre 136
Das neue Ankara, ein Projekt deutscher Architekten 146
Aufnehmen, Vereinnahmen, Ausgrenzen: Die Erschaffung der türkischen Nation 152
Personenkult und gemäßigte Autokratie 157

2. Dem Erbe verpflichtet (1938–1950) 163
Der zweite Mann: İsmet İnönü 163
Der übermächtige Staat: Wirtschaft, Schulen, Eisenbahnnetz 166
Unbeschadet durch den Zweiten Weltkrieg 170
Auf dem Weg zur Öffnung 174

Drittes Kapitel:
Prekärer Pluralismus (1950–1980) 179

1. Neue Erwartungen, enttäuschte Hoffnungen (1950–1960) 181
Aufnahme in die NATO 182
Bewährung im Mehrparteiensystem 184
Der Putsch von 1960 189

2. Die neue Unübersichtlichkeit 193
Gececondus und Gastarbeiter: Landflucht und Arbeitsmigration 194
Außenpolitische Optionen: CENTO, Balkan-Pakt und andere Bündnisse 201
Die Zypernfrage 204
Die Türkei und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft 210
Demirel, Ecevit und Erbakan: Felsen in der Parteienlandschaft 211

3. Polarisierung und Radikalisierung (1961–1980) 221
Liberale Verfassung und Wirtschaftsboom 223
Militärisch-technokratisches Zwischenspiel 229
Die Entgleisung des politischen Systems und die Welle der Gewalt 231
Der Putsch von 1980 238

Viertes Kapitel:
Die Verheißungen des islamischen Konservatismus (1980–2013) 243

1. Politikingenieure an der Macht (1980–1983) 245
Das Militär als Staat über dem Staate 246
Die Türkisch-Islamische Synthese 249

2. Exkurs: Nation und Islam 255
Die rechtskonservative Strömung: Konservativ, nationalistisch, islamnah 259
Die islamistische Bewegung: Opfermythos und Kopftuchfrage, Derwischorden und Fethullah Gülen 261
Die radikal nationalistische Bewegung: Panturkisten und Graue Wölfe 269

3. Ungehemmte und gehemmte Liberalisierung (1983–1993) 277
Die Dekade Özal 279
Neue außenpolitische Koordinaten im Osten 283

4. Politische und wirtschaftliche Stagnation (1993–2002) 288
Der unaufhaltsame Aufstieg des Islamismus 290
Der Zwiespalt der Aleviten 298
Die kurdische Frage und die Herausforderung durch die PKK 300
Die Türkei auf abschüssiger Bahn 309

5. Aufbruch (2002–2013) 314
Erdoğans AKP: Euphorie und Reformschwung 317
Der Kampf gegen den Hohen Staat und den Tiefen Staat 323
Außen- und Handelspolitik mit neuem Selbstbewusstsein 330
Der EU-Beitritt der Türkei: Geschichte eines Scheiterns 334

Fünftes Kapitel:
Der Weg in eine andere Republik (seit 2013) 339

1. Alte und neue Leitbilder 342
Arabellion, Neo-Osmanismus und der Krieg in Syrien 343
Proteste, Anschläge und der Bruch mit der Gülen-Bewegung 351
Der gescheiterte Putschversuch vom Juli 2016 354
Präsidiale Republik seit 2018 358

2. Die alte Türkei und die neue Türkei 361
Der Untergang des Kemalismus 361
Der neue Atatürk: Recep Tayyip Erdoğan 367
Eine Tradition von Populismus und Autoritarismus 372
Die kurdische Achillesferse 380
Zwischen Ost und West 384
Janusblick 393

Dank 399
Zeittafel 400
Abkürzungen 405
Bildnachweis 408
Anmerkungen 409
Literatur 453
Personenregister 485
Geographisches Register 490