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Gedenken neu denken
Wie sich unser Erinnern an den Holocaust ändern muss
Susanne Siegert
Piper Verlag GmbH
EAN: 9783492065450 (ISBN: 3-492-06545-7)
240 Seiten, paperback, 14 x 22cm, Oktober, 2025
EUR 18,00 alle Angaben ohne Gewähr
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Umschlagtext
Erinnerungskultur, aber anders
Was heißt eigentlich im Jahr 2025 über den Holocaust zu sprechen? Susanne Siegst fragt in diesem Buch, warum Gedenktage oft wie ein Theaterstück wirken, wer beim Erinnern eigentlich zu Wort kommt und warum wir es nicht schaffen, uns als Nachkommen der Tätergesellschaft offen mit unseren Familiengeschichten auseinanderzusetzen. Mit klarer Haltung zeigt sie, warum Erinnerung nicht nur Pflicht, sondern Chance ist: für echte Verantwortung, neue Perspektiven und ein inklusives Gedenken, das alle Opfergruppen und Formen von Widerstand sichtbar macht.
Dieses Buch ist ein Anstoß zum Nachdenken - und eine Einladung, Erinnerungskultur mutig neu zu gestalten.
Rezension
Erinnern und Gedenken an die Gräueltaten des Nationalsozialismus sind und bleiben ein wesentlicher Bestandteil deutscher Geschichte. Wenngleich vieles bekannt ist, so ist die Aufarbeitung der Geschehnisse keineswegs abgeschlossen. Die Zahl der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen wird zunehmend geringer und alleine schon aus diesem Grunde stehen dem Gedenken bedeutende Umbrüche bevor. Wie also kann oder soll es weitergehen?
Genau hierauf zielt Susanne Siegert mit ihrem aktuellen Buch ab: Wie muss das Gedenken künftig gestaltet werden?
Sie selbst hat als Journalistin und digitale Aktivistin (mit eigenem Instagram- und TikTok-Account) einen spezifischen Blick hierauf und fordert, dass Gedenken nicht ein Ritual sein soll. Multiperspektivisch sollen wesentliche Themen und Inhalte den modernen Möglichkeiten des digitalen Zeitalters entsprechend gestaltet sein.
Inhaltlich wird das derzeitige Herangehen an "Erinnerungskultur" kritisch beleuchtet und kommentiert. Kennzeichen für die aktuelle Form des Gedenkens sind formelle Rituale zu bestimmten Zeitpunkten (oftmals anhand festgelegter historischer Daten) , wie beispielsweise der 27. Januar als internationaler Holocaust-Gedenktag. Sie hinterfragt Gedenken bezogen auf die bekannten Orte und zu festgelegten Terminen und schließt in ihre kritische Betrachtung und Kommentierung auch den Blickwinkel des derzeitigen Rituals auf (z. B. Gedenken an die Opfer des NS-Terrors, an die Helden des Widerstands). Heimat- bzw. wohnortnahes permanentes Gedenken unter Beachtung der Perspektiven "einfacher Bürger" (auch der Täter) und bislang wenig beachteter Opfergruppen (z. B. Sinti und Roma, Euthanasie-Opfer) sollen ihren Platz finden.
Ganz ohne Zweifel bringt Susanne Siegert in ihrem Werk eine frische Sichtweise in die Diskussion um die Gestaltung künftigen Gedenkens ein. Das Buch birgt eine Vielzahl interessanter, lesens- und überdenkenswerter Aspekte. Die soliden Kenntnisse der Autorin und ihre Erfahrungen im Bereich digitaler Erinnerungskultur (selbst wenn sie ihren Account "keine.erinnerungskultur" genannt hat) sind dabei von Vorteil. Sie greift vor allem die Nebenschauplätze auf, die in den Geschichtsbüchern wenig, meist gar keinen Platz finden. An der Bedeutung dieser Geschehnisse besteht jedoch kein Zweifel. Nahbar machen, im wahrsten Sinne des Wortes stellt sie in den Vordergrund. Hierin sind die Stärken dieses gut lesbaren und kompakt gefassten Werks zu sehen.
Dennoch wirkt die Sichtweise und die hieraus folgende Perspektive Siegerts an der ein oder anderen Stelle "bemüht". Beispiel: Wenngleich die Täterperspektive im bisherigen Gedenken eine vergleichsweise unbedeutende Rolle spielt, sondern der Fokus sich in erster Linie auf die Opferperspektive beschränkt, muss man hieraus nicht unbedingt schlussfolgern, dass die nachfolgende Generation dies nutzt, um auf eine eventuelle Tatbeteiligung in der eigenen Familie zu stoßen. Auch Begrifflichkeiten wie „Gedächtnistheater“ (selbst wenn dieser Begriff nicht von der Autorin, sondern vom Soziologen Bodemann stammt) wirkte auf mich eher verstörend und unpassend. Bei ihrer Buchvorstellung in Frankfurt stellte Susanne Siegert allerdings klar, dass es ganz ohne ritualisierte Erinnerungskultur wohl nicht gehen wird - diese Klarstellung empfand ich wiederum wichtig. Somit setzt sie unter die bisherige Erinnerungskultur keinen Schlussstrich, sondern einen Trennstrich, wie sie selbst hervorhob.
Der frische Blick auf das Gedenken der/in Zukunft unterstreicht den Stellenwert des Buches und dessen Bedeutung für die aktuelle Diskussion und belebt sie.
Von daher: Leseempfehlung!
Dietmar Langusch, Lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Erinnerungskultur, aber anders
Unsere Erinnerungskultur muss sich verändern. Wie und warum, legt Susanne Siegert in diesem Buch dar. Sie plädiert für eine pluralistische, neue Gedenkarbeit mit einem Schwerpunkt auf der Verantwortung der Nachfahren der Tätergeneration anstelle unserer „einstudierten“ gemeinsamen Rückschau mit den Opfern. Es geht um weniger bekannte NS-Verbrechen, um weniger bekannte Orte, um bisher vernachlässigte Opfergruppen. Gleichzeitig zeigt dieses Buch, wie wichtig eine aktivere, vielfältigere Gedenkkultur ist, um künftige Generationen auch ohne direkte Zeitzeugenberichte zu erreichen.
Susanne Siegert, geboren 1992, ist Journalistin und eine der bekanntesten Stimmen der digitalen Erinnerungskultur in Deutschland. Sie klärt auf Instagram und TikTok über den Holocaust auf. Für ihre innovative und engagierte Arbeit wurde sie 2024 mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet, 2025 erhielt sie den Margot Friedländer Preis. Siegert lebt in Leipzig.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 8
Anmerkung zu den Begriffen Holocaust |Shoah | Porajmos 14
1 – Auch die. 19
Einerseits: Opferrecherche 19
Andererseits: Täterrecherche 30
Alles neu macht der 8. Mai 47
2 – Auch da 60
Außenlager und das KZ-Außenlager Mühldorfer Hart 64
Gedenkstätten und »Holocaust Icons« 75
»Wunde vor Ort« 82
3 – Auch das 97
Anstand statt Widerstand 98
Proteste gegen »Euthanasie« 105
Andere Länder, anderer Widerstand 114
Nicht wie Schafe zur Schlachtbank 120
4 – Das nicht 131
Mehr als nur Schlagwörter: Auschwitz, #NieWieder und 1933 132
Vergleichen verboten? 144
Genug Erinnerung für alle 152
5 – Auch mit denen 159
Bitte recht versöhnlich! 161
Sinti und Roma & Selbstorganisation 172
Nachwort 181
Danke 189
Anmerkungen 190
Literatur 220
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